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„Wie bringt ihr das fertig —?! Natürlich durch Geld. Immer Geld — Geld —! Und ich bleibe unter Mordverdacht! Prozeß wegen Mangels an Beweisen niedergeschlagen — wegen Geld, nur wegen Geld...!" Joe schreit das laut hinaus und schlägt sich dabei mit der Faust gegen die Stirn. Alice beruhigt ihn mit einiger Mühe. „Du wirst dich in den Bergen erholen, Joe!" sagt sie sanft. Es ist ihm fast, als streichele ihre Hand sein Haar. Er schweigt betroffen. Aber schon überkommt es ihn abermals. „Ich will mich nicht erholen — ich gehe zurück in die Berge. Hinauf in das verdammte Paradies im Eis! Ich nehme Sachverständige mit! Ich beweise es den Kerlen hier — ich beweise alles...!" „Wir beweisen alles!" sagt das Mädchen und legt eine starke Betonung auf das „Wir". Joe ist halb von Sinnen. „Euer Geld!" schreit er, „immer das Geld -- Geld, Geld und wieder Geld und Gold, Gold — Gold...!" Sie steht ihn bittend an. „Joe — glaubst du mir nicht?" fragt sie mit fester Stimme. „Er schaut ihr beschämt in die Augen. „Alice!" sagt er und seine Hände krallen das Draht geflecht. „Alice — verzeih mir!" Sie lächelt. ,Zch habe dir nichts zu verzeihen, Joe — wirklich nicht", sagt sie ruhig. Auch er lacht. „Du bist stärker als ich, Alice — ich bewundere dich! Du hast mich geschlagen!" „Joe — Lieber!" Er will etwas erwidern, aber der Wärter tritt da zwischen, winkt mit der Hand ab. „Die Besuchszeit ist abgelaufen", sagt er. Fünfundzwanzig st es Kapitel Der Polizeichef und der Chef der „Vancouver Sun" stehen miteinander auf Kriegsfuß. Der Grund sind An griffe, die Mister Kirker schon öfter gegen die Bestechlich keit der Vancouver Polizei losließ. Nun trifft es sich unglücklicherweise, daß der-Polizeikommandant von dem Bürgschaftsverfahren in Sachen Wedel erfährt und die Namen der Bürgen steht: Tom Burr, Jack Kirker und Alice Kirker. Dem Poltzeichef steigt das Blut in den Kopf. Er legt sofort sein Veto ein: „Joseph Wendel hat im Gefängnis zu verbleiben, da Verdunkelungsgefahr besteht!" Dagegen läßt sich vorläufig nichts einwenden...! Auch die Besuche Alices müssen unterbleiben. Das ist «in harter Schlag für Joe, den er schwer überwindet. Seine Gedanken werden immer düsterer. Er ist ein frei- hettsgewohnter Mensch, der an der Gefangenschaft lang sam stirbt. Es muß bald Hilfe kommen. Wozu gibt es Kassiber? Not kennt kein Gebot — und auch der Ehrliche nimmt diese Zuflucht zu diesen Mitteln. Auf vielgewundenen WMN erhält Joe eines Tages ein zerknittertes Briefchen. Weder An- noch Unterschrift sind zu entdecken. Es befleißigt sich einer recht rätselhaften Sprache, die beim ersten Anblick lächerlich klingt. Aber Joe entziffert zwischen den Zeilen: „Ich sende dir etwas zu essen, du hast kein Geld! Aber ich kann erst nächsten Freitag kommen. Bestimmt um zwei Uhr nachmittags! Wenn dich der große Blonde fragt! Ein netter Junge lädt dich zu einer Fahrt ein, ohne viel gefragt zu werden. diummer 285 wartet." „Freunde!" murmelt Joe. Er liest das Briefchen dutzendmal durch. Er weiß, daß nächsten Freitag etwas geschieht — um zwei Uhr nach mittags!... Und jetzt kommt ihm die Erleuchtung. Der „große Blonde", das ist der Polizeichef. Wenn der ihn zu einem Verhör ruft, wird man ihn — Joe — befreien! Ein junger Mensch besorgt das Geschäft und will dabei nicht unnötig sprechen. Nummer 285 ist ein Haus in der Robson Street, wo er einmal gewohnt hat. Dort soll er warten...! Mittag! Ein Uhr -- ein Uhr und fünf Minuten — zehn MinÜten — fünfzehn Minuten...!" „...Du, wieviel Uhr ist es?" „Mensch, was hast du nur mit der Uhr! Wenn du erst lebenslänglich hast, fragst du nicht mehr nach so einer verdammten Kleinigkeit!" (Fortsetzung folgt.) „... Du, wieviel Uhr ist es jetzt?" „Zehn vor zwei." Die Eisentür klirrt. Schlüssel rasseln. Der Wächter taucht vor der Gittertür auf, blickt nachlässig über die ver sammelte Verbrechergesellschaft, sieht auf Joe... „Du, Wendel! Komm — Verhör!" Joe rafft sich auf, geht ganz ruhig durch die Reihen seiner Mitgefangenen. „Grüß den Schuft von uns!" rufen sie ihm nach Dann fällt die Tür krachend hinter seinem Rücken inS Schloß. Es geht wieder durch die langen, weiß getünchten Gänge, an vielen Zimmertüren vorbei, vor den Raum mit der Aufschrift „Inspektor of Detectives". Ein anderer Mann sitzt da hinter dem Schreibtisch, den Joe noch nie in seinem Leben gesehen hat. Er steht ihn gar nicht an, kramt unter einem Haufen von Papieren, holt einen blauen Zettel hervor und reicht ihn dem Deutschen hin. „Sie sind entlassen!" sagt er barsch. Joe versteht und bekämpft sein Erstaunen. „Machen Sie, daß Sie fortkommen!" „Danke!" sagt Joe, und streckt ihm die Hand hin, die der andere einfach übersieht. Joe verliert keine Sekunde und verläßt das Zimmer, eilt durch den Gang, der in eine Halle mündet. Dort hält ihn ein Polizist an, der an einem großen Portal Dienst tut. „Hei — wohin, mein Junge?" Joe reicht ihm den blauen Zettel hin. Der Polizist sieht ihn flüchtig an. „Schon gut, aber das nächste Mal durch den anderen Eingang, verstanden!" Der Polizist öffnet Joe eine Tür. Der grüßt höflich. „All right!" Draußen atmet Joe tief auf. Zwar weht hier eine schlechte Lust, aber es ist ein eigenartiges Erlebnis, groß in seiner Art. Zufällig wirft er einen Blick auf den blauen Zettel, den er noch immer in der Hand hält. „Patrik O'Malla —" liest er, „wegen Schlägerei zu drei Wochen Gefängnis verurteilt... Bewährungsfrist... Pflichtgemäß gemeldet..." Joe muß leise auflachen. Er stopft den Zettel in seine Rocktasche und eilt durch die Straßen, hinüber zur Robson Street. Kein Mensch kümmert sich um ihn. Er sieht aus wie ein Holzfäller von der Nordweftküste. Dutzend andere von seiner Art laufen umher. Robson Street. Bretterbuden und alte Häuser. Er steht vor dem Haus Nr. 285 und wartet ungeduldig. Hoffentlich kennt ihn hier niemand. Er schaut nach der Haustür hin auf. Dort klebt ein großes Papierschild: „Zu vermieten". Das Haus steht leer. Joe hat einen Gedanken und führt ihn bereits aus. Er geht ins Haus hinein, das er offen findet. Nichts rührt sich in den dumpfen Räumen. Joe wartet — Es vergehen Stunden. Der Abend kommt früh. Draußen plätschert ein kalter Regen, der hier an der Küste die Winterzett ersetzt. Es knistert und knackt. Joe schreckt mehr als einmal zusammen, aber es sind nur seine Nerven, die ihm einen Schabernack spielen wollen. Draußen rauscht der Weltstadtverkehr, summen Auto mobile, klingeln Straßenbahnen, die im tollen Tempo über Kreuzungen rattern. Ein Feuerwehrzug rast durch die Stadt. Der Verkehr stockt für einige Minuten. Joe hört nur die Feuerwehr. Wie eine wilde Jagd braust sie vorbei, hinein in die Dunkelheit, aus der sie gekommen ist. Gellende Schreie werden auf der Straße laut. Gerade vor Joes Versteck steht ein Zeitungsjunge und brüllt unver ständliche Namen in die zappelnde Wett hinein. Er kommt die Stiegen herauf und setzt sich mit seinem Zeitunas- bündel gemütlich hin, lehnt gegen einen Pfosten, schiebt die zerrissene Kappe in den Nacken, steckt sich ein Stück Kau gummi in den ewig lästernden Rachen... „Mörder von John Bell?" versteht Joe endlich, und sein Herz klopft zum Zerspringen. Er geht vorsichtig ans Fenster heran. Die Straßenlichter werfen ihre Reflexe. Die Beleuchtung ist unsicher und von übereinanderschlagenden Schatten abgeteilt. Ein greller Lichtschein fällt auf den Zeitungshaufen. Wahrhaftig, da prangt in dicker, rotunter- strichener Ueberschrift sein Name. Die Presse hat rasch ge arbeitet. Erika tM Freude geben Von Paulrichard Hensel (Nachdruck verboten!) Jeden Vormittag, wenn Frau Erika ihre Besor gungen machte, passierte sie eine der belebtesten Straßen kreuzungen der Stadt. Sie kannte schon die Gesichter der Zeitungshändler dort, der Blumenfrauen, und seit einigen Tagen bemerkte sie auch, daß um diese Stunde immer derselbe Verkehrspolizist seinen schweren Dienst inmitten des Wagenverkehrs versah. Sie hatte ihn einmal um eine Auskunft gebeten, und da war ihr schon das höfliche Wesen dieses Mannes ausgefallen. Eines Tages stellte Erika fest, daß auch solche Männer Augen im Kopfe haben, daß nämlich dieser Mann mit den gebieterischen Armbewegungen die Regelmäßigkeit von Erikas Erscheinen sehr wohl wahrgenommen hatte. Erika schien es, als ob es ihm eine besondere Freude sei, die Straße eigens für ihren Uebergang zu sperren. Da hatte sie einmal, ganz ohne Absicht, ihm sogar zugelächelt. Das alles war vielleicht alltäglich und doch sonderbar. Denn Erika war eine elegante Frau, eine von jenen, die für viele eine andere Welt bedeuten. Aber diese Männer wissen ja nicht, daß sich solche Frauen mitunter schrecklich langweilen, insbesondere dann, wenn sie zu Hause einen Mann haben, dem die Arbeit wichtiger ist als Gesellschaften und Vergnügungen, und der daher in der Frau ein Gefühl von Einsamkeit weckt, obwohl er selbst meist der Einsame ist. Auch Frau Erika zog es vor, ihre freie Zeit beim Tennis, Tanztee und bei Freundinnen zu verbringen. „Amüsiere dich gut", sagte der Mann stets freundlich, wenn sie fertig angekleidet zu ihm ins Zimmer trat; dann beugte er sich wieder still und ernst über seine Arbeit. Erika war jung und eitel. <Ae spürte deutlich, daß sie dem Verkehrspolizisten etwas Besonderes schien; sic ver hehlte sich auch nicht, daß dieser Mann sie interessierte. War das schlimm? Es war aber doch mehr Laune als Ueberlegung, als sie eines Tages mutig an ihn heran trat, sich einen Weg beschreiben ließ, der sie gar nicht inter essierte, und ihm dann eine Eintrittskarte für ein großes Kino gab mit einem unbefangenen: „Sie find sehr freund lich. Darf ich Ihnen auch eine Freude machen?" Der Kavalier in der Uniform war überrascht, aber sogleich gefaßt. „Verbindlichsten Dank, meine Dame", sagte er und legte die Hand grüßend an den Tschako. Davon, daß sie in der Handtasche die Karte für den Platz neben ihm trug, erwähnte Erika nichts. Aber nun kam Unruhe über sie. Vielleicht war es eine Dummheit, was sie da eingefädelt hatte? Wenn der Mann diese Freundlichkeit falsch verstand? Wußte sie denn, ob er nicht enttäuschte, wenn er außerhalb des Dienstes nichts als Mensch war? Sie war nicht für Komplikationen, und sie überlegte immer noch, als der Abend schon da war. Und so geschah es, einfach aus Ratlosigkeit, daß sie zur Verwunderung ihres Mannes zu Hause blieb; und da sie doch den Tag mit einer leicht erregten Stimmung be gonnen hatte, die nicht unnütz verklingen sollte, zog sie ein schönes Kleid an, ließ den Tisch festlich decken — und da hatte sie immer noch nicht damit gerechnet, daß dieser Abend glückliche Stunden bringen würde, ihr und dem Manne, der sich nach langer Zttt wieder im tiefen Emp finden der Gemeinschaft zu Hause fühlte — Drei Tage lang mied Erika die vertraute Straßen kreuzung. Der Polizist, der dort stand, hatte sich gewiß Gedanken über den leeren Platz neben sich gemacht. Und als sie dann doch endlich wieder über Lie Straße schritt, trat er einfach an sie heran und grüßte höflich: „Nochmals besten Dank ..." „War es nett?" fragte sie so unbefangen wie möglich. Er lächelte. „Ich weiß nicht, ich hatte doch die Karte meiner Frau gegeben — sie ist immer allein zu Hause, und sie hat sich wirklich riesig gefreut ..." Da ging Erika weiter. Jetzt gestand sie sich, daß sie im Grunde doch nur an ein Abenteuer, an eine Unter haltung für sich gedacht hatte, nicht daran, einem anderen Menschen Freude zu geben. „Sie ist immer allein . . ." Als Erika nach Hause kam, trug sie viele Pakete in den Händen. Sie dachte an den Abend, der kommen wird, und war ganz glücklich, daß es so leicht ist, Freude zu schenken, und daß man dazu gar keine Menschen braucht, I an denen man nur vorübergehl, wenn es andere gibt, die ! näher sind. I Tauschgeschäfte Von Kurt Lütgen (Nachdruck verboten.) Gerhards Stolz war sein Kanadier-Boot. Er sprach ! fast nur von seinen Fahrten. Seine Kollegen belächelten j ihn deswegen ein wenig und nannten ihn „Chatanooga", ; wie sein Boot hieß. Eines Tages im Sommer aber, als gerade die schönste > Zeit für Wasserfahrten gekommen war, besaß er es nicht > mehr. Vor einiger Zeit nämlich hatte er Lilo kennen- ; gelernt. Und Lilo liebte Wasserfahrten gar nicht. Sie > fand sie abscheulich langweilig. Schneidige Fahrten auf I dem Motorrad waren schon mehr ihr Fall. Gerhard be- I saß nun freilich nicht genug Geld, ein neues Rad zu ; kaufen. Lilo aber wußte einen Mann ausfindig zu » machen, der eine gebrauchte Maschine zu verkaufen hatte I und nach einigem Handeln sogar „Chatanooga" in Zah- i lung nahm. ; Es dauerte nicht lange, da hatte Gerhard wohl noch ? das Motorrad, die Freundin aber nicht mehr. Lilo sand I nämlich bald heraus, daß Gerhard auch durch das Motor- ! radfahren nicht zum schneidigen Mann wurde, wie sie ge- ; hofft hatte. Er war von den vielen einsamen Wasser- ' führten wohl zu schweigsam und unbeholfen geworden. I Und außerdem begann Lilo plötzlich Sehnsucht nach Auto- ! führten zu bekommen. ; Gerhard tat sein möglichstes, ihr diesen Wunsch zu » erfüllen. Er trat in Verhandlungen mit einem Mann, ! der seinen kleinen alten Wagen gern gegen ein schnei- l diges Motorrad vertauscht hätte. Ehe sie aber Handels- ; eins wurden, hatte Lilo schon Abschied genommen. Treulos verlassen von der Freundin, verfiel Gerhard I in den männlichen Fehler, die Umtugenden der einen ! Frau zu verallgemeinern. Frauen sind treulos und aufs ; Autofahren erpicht, also wird es nicht schwersallen, eine ? neue Freundin zu finden, sobald ich ein Auto besitze. Er « bereute es also nicht, sein Motorrad umgetauscht und I noch einiges Geld draufgezahlt zu haben. ; In kurzem aber mußte er die betrübliche Erfahrung ' machen, daß entweder er selbst oder der Wagen keine An- I ziehungskraft auf Mädchenaugen und -Herzen ausübte. I Ungerechterweise gab er dem Auto die Schuld, wenn auch ; erwähnt werden muß, daß der alte Wagen sich dem Ver- ' fall haltlos hingab. > Nun wäre es ja Wohl an der Zeit gewesen, ihn auf ! dem Wege des Tausches in ein anderes Geschäft zu ver- ; wandeln. Doch der Winter ging hin und ein großer Teil ' des Frühlings, und Gerhard strich zu Fuß die Straßen I dahin, denn er mochte weder dem Wagen noch sich selbst ! die Strapazen einer längeren Fahrt zumute». Und als ; er es eines Sonntags doch riskierte, ließ ihn der Motor ' boshafterweisc gerade an dem Bootshaus im Stich, das I einst „Chatanooga" beherbergt hatte. ' Die Panne vor dem Bootshaus war Gerhard vor ; allem deshalb peinlich, weil der Hausverwalter vor der » Tür stand, dem er noch immer einen Rest der Miete schul- I dete. Der Mann hals ihm zunächst einmal die Panne be- I heben. Dabei äußerte er sich zum Erstaunen Gerhards recht ; anerkennend über den alten Wagen und gab zu verstehen, ; daß er solch ein Gefährt gern zu eigen besäße, sofern er I es für einen geringen Preis erhalten könne. i Die beiden wurden bald einig. Der Hausverwalter ; verzichtete auf den gestundeten Mietrest, und Gerhard » erhielt außerdem ein Kanadier-Boot, das der Besitzer als I Pfand für nicht bezahlte Miete hinterlassen hatte. Das ! Boot sah recht verwahrlost aus. Doch Gerhard schaute I es mit freundlichen Augen an. » Am nächsten Sonntag stand er pfeifend vor seinem I Boot, mit Schaber, Sandpapier, Pinsel und Lack bewaff- ! net, um dem neuen Gefährten wieder ein manierliches ; Aussehen zu geben. Als er aber den Namen „Ellinor", » der am Bug stand, behutsam abgekratzt hatte, wurden I seine Augen plötzlich groß vor Erstaunen, und der Scha- I ber fiel ihm fast aus der Hand, denn da stand, schwach ; zwar, doch ganz deutlich unter einer Schicht neuerer » Farbe: „Chatanooga".