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.sIZZ L täubendem Getöse teilt sich der Niese in seiner Leibes mitte . . . Das Mädchen findet gerade noch genug Zeit, um dem fallenden Ungetüm zu entrinnen ... Es zischt und faucht hinter ihr, und wie von allen Furien gehetzt, läuft Alice zur Blockhütte zurück. Sie wagt es nicht ein mal mehr, sich umzusehen. Sie spürt es kaum, das; die Erde unter ihren flüchtigen Füßen zittert. Eine überirdische Warnung lebt in ihr auf, die gute und böse Geister vor ihr seelisches Auge zitiert: das Neue Eden ist ein Tal des Todes . . .!! Flucht . . .!! Brodelnder Hexenkessel . . .!! Atemlos kommt sie zu Hause an. Sie stößt die Tür auf, alle starren ihr verwundert, entgeistert entgegen. Sie steht auf der Schwelle und keucht, daun schreit sie laut: „Joe!" Er kommt mit einem mächtigen Satz an ihre Seite, fängt die halb Besinnungslose in seinen Armen auf. Die anderen springen auf die Beine, reden durcheinander, wol len fragen, stammeln jedoch nur wirres Zeug . . . .„Was ist los, Alice?" fragt Joe und rüttelt das Mäd chen mit sanfter Gewalt. „Habt ihr's nicht gehört?" entgegnet sie mit zitternder Stimme. ' . „Ein Gewitter — ?!" „Sie hat immer Angst vor Gewittern gehabt!" meldet sich Kirker und kommt näher. „Es ist kein Gewitter —", fährt Alice mit unsicherer Stimme fort, „es ist ein Erdbeben — der Baum wurde in der Mitte gespalten." „Welcher Baum?" „Die große Zeder — ich habe Flammen gesehen — es brodelte und kochte unter meinen Füßen — ich bin im letzten Augenblick geflohen — hört ihr's nicht — jetzt schon wieder. . .!!!* Sie spricht immer rascher und ihre Worte scheinen sich zu überstürzen. . . „. . . .Ich weiß — es bedeutet Untergang, wenn wir länger hier bleiben — ich fühle das — spürt ihr denn nichts — die Lust — — — ? Es ist schwül und drückend . . ." Alice befreit sich aus Joes Armen und zeigt zur offenftehenden Türe hinaus. „— Das Wild flüchtet —, die Vögel fliegen da von —!" Alice zieht Joe am Arm zur Tür hinaus ins Freie, und die übrigen folgen neugierig, erschrocken, ungläubig; der Spott gewinnt an Boden. „Sie ist hysterisch ge worden!" brummt John Bell, und Tom Burr nickt zu stimmend. „Wir hörten ein Rumoren", erklärt Joe, „wir dachten an einen Sturm — und der Bach rauscht zu stark —" Er stockt. Ein Rudel Renntiere hastet in wildem Ga lopp an der Blockhütte vorüber, flüchtet nach den ver schneiten Bergpässen . . . Den Renntieren solgen einige Elche und Springhirsche . . . „Dort laufen zwei Bären!" ruft der Deutsche er staunt aus und setzt langsam und bedächtig hinzu: „Bä ren, die winterschlafen sollten . . .!" „Packt auf!" schreit Alice und bebt am ganzen Leib. „Mach schnell, Joe!" Joe ist unschlüssig. Etwas von Alices Angst will aus ihn übergehen, aber er kämpft energisch dagegen an. Was war schon ein umgesallener Baum? Wahrscheinlich haben die heißen Quellen seine Wurzeln zerstört! Wieso Erd beben? Das Rumoren konnte auch durch zusammenstür zende Höhlen entstanden sein, die die heißen Bäche ge wühlt haben! Vulkan? . . . Gab es das in Alaska,-im Cassiar? . . . Joe erinnert sich dunkel eines gewaltigen Vulkanausbruches im südlichen Alaska — kurz vor dem großen Krieg! Eine endlose Strecke wurde unter gelber Asche begraben, die Sonne verfinsterte sich in tausend Mei len Umkreis, beeinträchtigte die Sommerwärme selbst im fernen Europa . . .! War das Tal Reu-Eden weiter nichts als ein alter Krater, den die Jahrhunderte mit Erde füllten, dem die Winde Pflanzenkeime zutrugen, die wie in einem Treib haus gediehen . . .? Wohnte man hier seelenruhig aus einem Pulverfaß der Erde . . .? Ahnte dieses Mädchen mit instinktiver Sicherheit die Gefahr . . .? Ahnte das flüchtige Wild einen Vulkanausbruch. . .? Joe hatte lange in der großen, freien Natur gelebt. Er weiß, daß reine Menschenvernunft sehr ost nichts be deutet und den nüchternen Denker nicht vom verborgenen Abgrund wegzubringen vermag. Joe gibt nach, verwirft die sachlichen Erwägungen, die zum Hierbleiben raten. Er wendet sich zu den übrigen, die ihn erwartungs voll ansehen. „Alice Hal recht, wir müssen so schnell wie möglich weg von hier. In einer Stunde schon kann die Katastrophe Hereinbrechen ..." John Bell lacht. „Und das Gold, das ich zuerst ent deckt habe, das infolgedessen zum größten Teil mir ge hört? Das lassen wir wohl einfach liegen, daß es nachher ein anderer bekommt — Aubin oder du selbst — du willst uns weglocken, selbst einheimsen . . .!!" John Bell gerät ganz außer sich, sein Wüten steckt Tom Burr an, der ihm sofort beisteht ... Joe läßt die beiden anstoben. „Wir müssen fort", sagt er dann, „das Gold können wir nicht mitnehmen. Ich lasse meinen Teil gern im Stich!" „Wir haben nicht viel Zeit!" mahnt Alice. „Unsinn — Weiberideen!" erbost sich John Bell. „Feiglinge!" brummt Tom Burr. Joe lächelt nachsichtig und sagt freundlich: „Vor der Natur sind und bleiben wir alle immer Feiglinge. Stellst du dich unter einen Baum, in den der Blitz schlägt?" John Bell und Tom Burr antworten nichts, sie knur ren weiter. „Er hat recht!* sagt Jack Kirker, „ich gehe selbstver ständlich mit!" Doris versucht, auch ihren Vater umzustimmen: Jack unterstützt sie dabei. Joe rafft währenddessen die nötigsten Ausrüstungsgegenftände zusammen, verpackt den eisernen Proviant und Wärter marschbereit an der Tür. Alice schließt sich ihm gleich an, und Jack Kirker zögert auch nicht mehr lange. Tom Burr folgt mit seiner Tochter dem Beispiel der anderen. Nur John Bell weigert sich hart näckig, am sonderbaren Marsch teilzunehmen. „Ihr seid ja alle verrückt geworden —!" schimpft er, „ich bin froh — geht nur! Ihr seid doch bald wieder hier, es dauert noch keine zehn Stunden — Erdbeben — ver rückte Ideen —!" Die fünf wandern im Gänsemarsch los, klettern müh sam bergan und schauen auf der Paßhöhe zurück ins Neue Eden. Es sticht mit seinem dumpfen Grün seltsam ans seiner weißen Umgebung hervor. Der Anblick hat etwas Unheimliches und Rätselhaftes . . . Siebzehntes Kapitel Fred Aubin hat kaum den CNS.-Dampfer verlassen, als er auch schon zum nächsten amtlichen Bergbau-Büro — dem Departement of Mines — läuft und für sich sechs Ansprüche ini neuentdeckten Tal New Eden nach einem aus dem Gedächtnis entworfenen Ortsplan anmeldet. Aber das genügt ihm noch nicht. Er erfindet die Namen von zwölf Strohmännern, für die er je einen Claim bean sprucht. Seiue Forderungen werden amtlich als ordnungs gemäß befunden, denn Fred Aubin ist Inhaber einer Gold- gräbercrlaubnis und gibt außerdem die eidesstattliche Ver sicherung, daß vor ihm noch niemand das angegebene Minengelände rechtmäßig in Besitz genommen hat. Nach kanadischem Minenrecht sind seine Ansprüche unanfechtbar. Nun beginnt Fred Aubin den Hauptschlag. Er grün det eine Aktiengesellschaft unter dem Namen „New Eden Corf ation" und rührt die Reklametrommel. Er fängt alles auf eine sehr einfache Weise an. Er hebt einige tausend Dollar von seinem immerhin beträchtlichen Bankkonto ab, stopft sich damit die Taschen voll, kauft sich im nächsten staatlichen Bierladen eine Kiste Bier und nistet sich als biederer Ehrenmann und Nord- land-Prospektor in einem Hafenhotel ein. Bald hat er ein Dutzend Saufkumpane um sich versammelt — das geht im halbtrockenen Kanada außerordentlich leicht vonstatten. Farmarbeiter, die arbeitslos in der Pazifitstadt herum- lungcrn, Holzfäller aus dem Norden, Eisenbahner der Canadian Pacific-Co. und ähnliche Leute sind stets zu einem Drink bereit. (Fortsetzung solgt.) - ur L Die Brautschau : Von G. Willinsk y. ! (Nachdruck verboten.) Der eine kommt vierspännig' gesahren, der zweite ! klopft mit einem Blumenstrauß an die Tür seiner Lieb- » sten, der dritte kauft sie sich für schweres Geld auf dem Markt. Aber so wie der reiche Starost von Korsf ist noch I niemand zur Brautschau angetreten. ! Dieser von Korff war ein etwas rauher Herr, der ! im l8. Jahrhundert im Herzogtum Kurland als Origi nal galt. Er besaß nur einen Rock, trug das Haar stets I ungepudert und verachtete das modische Getue und die ! zierlichen Sitten. Erst in seinem vterundvierzigsten ! Lebensjahre entschloß er sich, zu heiraten. Eine sanfte, junge Ehegattin wollte er haben. Als er wie alljährlich zu Johanni nach Mitau kam, ! hatte er sich vorgenommen, nach beendigten Geschäften ! ernstlich Umschau zu halten. Es traf sich gut, daß der Herr ! von Graventhal und Ganskau auch in Mitau war. Ein I Vater von fünf schönen Töchtern, die alle — wie es hieß ! — noch zu haben waren. Herzlich froh, nicht länger suchen ' zu müssen, kündigte der Starost dem Herrn von Graven- I thal seinen Besuch an. Nach Johanni wollte er nach I Graventhal kommen und sich die fünf schönen Fräulein I anschauen; wenn ihm eine gefiele, versicherte er, würde : er sie auf der Stelle nehmen — ohne einen Heller Mit gift. Der Herr von Graventhal war kein armer Mann, ! aber für fünf Töchter den Mann und die Mitgift herbei- k zuschaffen, das ist doch — Sie begreifen — kein Pappen- I stiel! Ist es darum nicht ein Glück, wenn man eine we- I nigstens auf so billige und ehrenvolle Weise an den Mann ; bringt? Herr von Graventhal fuhr also eiligst heim und ' berichtete der erfreuten Familie von dem bevorstehenden I Besuch und den glücklichen Aussichten. Da Hub auf I Graventhal ein Geputze und Gewerke an, wie es sonst I nur vor allerhöchsten Feiertagen zu geschehen Pslegt. Die » Fräulein nähten Rüschen und Bänder an ihre Festtags- I kleider, und alle Spiegel, die es aus dem Gutshofe gab, « waren belagert. Alte Tanten kamen meilenweit über ; Land gesahren, denn sie dursten an einem solchen Tage » nicht fehlen, und aus der Küche zog Kuchen- und Braten- I duft. Nach Stopf- und Schmantkuchen roch es und nach I Steinbier. In der Halle und im Treppenflur war Kal- ; mus gestreut, und in seiner Stube prüfte der Hausherr, » ob der Knaster feucht genug war und die langen hol- I ländischen Pfeifen gut geputzt waren. Die schönen Fräu- I lein aber waren aus Rand Und Band: jede wollte die ; Frau Starostin werden, und darüber gerieten sie sich in . die Haare, daß die Locken so flogen, oder sie malten sich > friedlicher, aber um so phantasievoller aus, wie fein und i großartig sie leben wollten, wenn . . . I Und inzwischen ratterte die Kübitte des reichen » Starosten durch den Sand der Landstraße. Quietschend I malten die Näder. Die Sonne stand brennend am Him- I mel, und hinter den Matten des Planwagens fluchte ; der Freier über die schreckliche Hitze. Er war früh aus- » gefahren, um zur vierten Mittagsstunde in Graventhal I einzuteffen. Das war die geeignete Zeit für eine Braut- I schau, denn zur Kasfeestunde hat jedes Familienmitglied ; das Recht, mitzusprechen. Alles war also ganz klug vom - Starosten vorausbedacht — aber mit der Mittagshitze I hatte er nicht gerechnet. : Wenn man sich eine Frau wählen soll, muß man ; frisch und ausgeschlasen sein — das dachte auch der Sta- » röst. Und da er vor Hitze nicht einschlafen konnte, zog I er den Vorhang seiner Kübitte zu, entledigte sich seiner I Kleider, um, wie weiland Adam im Paradiese, einen ; unbeschwerten Mittagsschlaf zu tun. Dem Diener aber - rief er noch zu: am letzten Kruge zu halten, wo er sich I dann vom Staub der Reise säubern und wieder anklei- I den wolle. Der Diener, der sich zum Kutscher auf den ; Bock setzte, wiederholte schläfrig: „Krug, jawohl!". Die » Kübitte ratterte weiter in der friedlichen Mittagsstille. I Aus dem Wagen klang dumpfes Schnarchen, vom Kütsch- l bock klang doppeltes Echo wieder — und das hielt die » braven Pferde glücklicherweise wach. In Graventhal war alles längst bereit. Untätig stand I das festlich gekleidete Hausgesinde und hielt Ausschau. Da . . . eine Staubwolke ... ein dunkler Punkt aus der j Landstraße . . . Die Fräulein wurden blaß und rot, und ; die Tanten strahlten wie Pfingstrosen. Das Haupt der I Familie aber erhob sich, mahnte zur Würde und bat dann I die ganze Gesellschaft, sich vor die Haustür zu begeben, j um solcherart den Gast zu ehren. > Die klugen Pferde hielten vor der Freitreppe. Von ! dem Ruck und dem Stimmengewirr erwachte der Diener, I sprang schlaftrunken vom Bock und riß den Vorhang der f Kübitte zurück. Der reiche Starost von Korff aber, der wie » im Staude der Unschuld im Innern lag, wähnte vor dem ! Kruge zu sein, griff nach seinem Mantel und sprang, I denselben hinter sich herschleifend, mit beiden Beinen aus j dem Wagen . . . das Lächeln auf den Gesichtern erstarrte, » das Begrüßungswort blieb im Halse stecken, vor der ! Prunkversammlung stand, zur Bildsäule erstarrt, der son- I derbarste Freiersmann. ! , Aber nur einen Augenblick lang. Dann war er wie ; der Blitz in seiner Kübitte verschwunden und befahl dem . Kutscher, so rasch wie möglich davonzufahren. Den fünf I Fräulein von Graventhal und Ganskau standen noch die j Tränen in den Augen, als die Staubwolke hinter dem » Wagen sich längst verzogen hatte. War es Lachen oder ! Weinen? i Der reiche Starost von Korff aber hat sich bald danach j eine junge Frau geholt. Ktein-Katrin und -er Gänserich Von Käthe Kamossa. «Nachdruck verboten.) I Das Wetter ist selten schön. Klein-Katrin ist auf die s Wiese gegangen, um Blumen zu einem Kranz zu suchen, I den sie sich flechten will. Dort hinten an der Schanze ist I die Gänseherde vom Nachbarn Miehlke. Wie mit unsicht- , baren Fäden zieht es Klein-Katrin dorthin. Es ist das s erstemal, daß die Gänse hier bei der Schanze sind, sonst I treibt der Junge sie auf die Wiesen bei Quednau. Katrin hat schon lange einmal mit dem hohen Herrn < Gänserich sprechen wollen. Das ist der, der oft nach den I anderen Gänsen einen langen Hals macht und sie viel I ärgert; außerdem ist sein Schnattern aufgeregter und be- j deutsamer als das der anderen. Klein-Katrin hort ihn oft > sogar abends, wenn sie schon im Bels liegt, im Nachbar- ! stall seine schnarrende Stimme erheben, sicher gebietet er k dann Ruhe, weil es ihm nicht still genug ist. Katrin j nennt ihn heimlich immer den König, weil er sehr stolz . dahergeht, und es könnte möglich sein, daß er eines Mor- ! gens eine kleine goldene Krone auf seinem Gänsekopf trägt. I Klein-Katrin geht mit herzlich freundschaftlichen Ge- f fühlen an die Gänseherde heran. Sogleich erhebt sich der ; Gänserich und kommt mit langem, niedergeducktem Hals , und unverständlich zischähnlichen Lauten auf sie zu. Klein- I Katrin begreift, daß dies keine Freundschaftsbezeigung j ist und flieht. Der Gänserich hinterher. Ueber einen » Hügel stolpert Klein-Katrin. Der Gänserich, der ihren ! Schürzenzipfel im Schnabel hält, läßt ihn los. Klein- I Katrins Fall kommt ihm unvermutet. Dumm steht er da, f rüttelt seine Flügel, legt den Kopf nach rechts und links ' und tut schließlich so, als hätte er nie etwas anderes im ! Sinne gehabt, als im Gras herumzuschnäbeln. „Ach so — spielen wolltest du nur mit mir, lieber > König!" Klein-Katrin hat sich aufgesetzt und streicht zärt- ; lich über seinen dicken weißen Flügel. So etwas ist < dem Gänserich noch nicht vorgekommen. Er macht An- i statten, wieder seinen langen Hals zu machen, hebt den > Kopf hoch, daß er aussieht, als ob er gurgelt, und streckt ; ihn dann bedeutsam zischend nach Katrins Klerderrand. , Aber er besinnt sich, legt den Kopf nach rechts, nach links l und schüttelt seine Flügel. „Ratralrara, ich bin nun mal I so, laß dich lieber nicht mit mir ein!" Damit macht er » sich wackelnd und immer noch mit den Flügeln schlagend ! auf den Rückweg zu den Gänsen an der Schanze, die I mißbilligend schnatternd nähergekommen sind. « „Könige sind eben anders als gewöhnliche Sterbliche", ; denkt Klein-Katrin und geht nachdenklich und ohne Blu- - menkrauz nach Hause. !