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1996 PAPIER-ZEITUNG Nr. 54 Theorien Seit man wieder lebhafter über die Buch-Ausstattung nach gedacht hat, sind viele Theorien in Umlauf gesetzt worden, von denen einige offenbar falsche Münze bedeuten. So sagt man, daß die Illustration im Buche eigentlich nur geduldet sei, da sie den Text zerreiße. Sie müsse sich jedenfalls in be scheidenen Grenzen halten und dürfe nicht dominieren. Der dies erdacht hat, der hatte vermutlich einen Einzelfall im Auge und mag damals recht gehabt haben. Verallgemeinern läßt sich solch eine Theorie aber nicht, denn das eine Mal wird die Schrift das bessere Mittel sein, etwas darzustellen, ein ander Mal das Bild. Und richtig ist, was diesen Zweck am besten erfüllt. Um ein Beispiel zu finden, sei an ein Wassergefäß er innert. Dessen Form muß in jedem Falle dem Inhalt folgen, muß unten breit sein, um die Schwere, ruhende Masse anzu deuten, und sich nach oben verjüngen und das Ausfließen durch entsprechende Gestaltung unterstützen. Das Ornament aber soll dem Gebrauchszweck nachgehen, es kann bei Zier gefäßen reicher sein und muß bei Kochgefäßen fortfallen. Aehnliche Grundsätze sind bei der Ausstattung eines Buches wie jeder Drucksache maßgebend. Sogenannte Lieb haber-Drucke, die man nur kauft, um sie zu besitzen und die Bibliothek zu füllen, die können so mittelalterlich wie nur möglich ausgestattet werden — rauhes Papier, dicker Druck, eng ineinandergeschobene, schwer lesbare Buchstaben, rätsel hafte Bilder sind hier vielleicht erforderlich, um den gewollten mystischen Eindruck hervorzurufen. Schulbücher dagegen müssen klar, leserlich und frei von Zierat sein. Zwischen diesen beiden Endpunkten der Skala sind unendlich viele Ab stufungen denkbar, die jede Schablone ausschließen. In den meisten Fällen sind gute Illustrationen geeignet, schnelleres Verständnis des Gedruckten zu fördern, ob sie nun in einem Roman angebracht sind oder in einer technischen Abhandlung sich finden. Man wird sich einen Maschinen- Katalog ohne Abbildungen nicht gut denken können, denn die längste und klarste Beschreibung einer Maschine oder eines andern Gegenstandes kann das Bild nicht ersetzen. Aber auch in Gedichtwerken, sowie in vielen Werken beschreibender oder erzählender Art werden gute Text-Illustrationen schnelleres und besseres Verstehen des gedruckten Wortes begünstigen. Was diesem Zwecke dient, ist erlaubt und berechtigt. Es kann also nicht im allgemeinen gesagt werden, daß das Illustrieren des Buches dem künstlerischen Prinzip wider spreche. Betrachtet man das Buch als reines Kunstwerk, und das Gedruckte vorwiegend als Mittel, das Papier zu füllen und zu verzieren, so mag das Bild als nebensächliche Dekoration angesehen werden, die man nach Belieben fortlassen kann. Voraussichtlich wird die Illustration auch da im Wege sein, wo es sich um feinsinnige Stimmungsmalerei handelt, die ver schiedener Auslegung offen ist, sodaß die Auffassung des Zeichners sich vielleicht von der des Lesers entfernt. Dann mögen Konflikte entstehen, fähig, uns den Genuß eines Buches zu verkümmern. Im übrigen aber ist die Illustration am rechten Platze ein ebenso vollwichtiges Ausdrucksmittel wie das ge druckte Wort. Eine andere Theorie, die hauptsächlich von einigen schrift- zeiehnenden Künstlern verfochten wird, ist, daß in den Buch staben und im Wortbilde keine Lücken auftreten dürften. Dieser Anschauung folgend, werden die weißen Löcher in den Figuren L T F usw. durch andere Gestaltung oder durch Hineinziehen von Schnörkeln verdeckt und die Miltelbuchstaben recht hoch gezeichnet, wie in der Zeit der Wiegendrucke. Hierdurch wird aber erreicht, daß die charakteristischen Unter, schiede der einzelnen Figuren des Alphabetes abgeschwächt werden, was die Lesbarkeit der Schrift entschieden verringert. Und bei hohen Mittelbuchstaben vermindert sich der Abstand zwischen Klein und Groß — die Silhouette des Wortbildes Ver flacht sich. Hier sei gleich der Theorie gedacht, nicht nur die Fläche rechteckig mit Schrift zu füllen, sondern sogar jeden einzelnen Buchstaben rechteckig zu formen. Dieser sichtlich aus dem Hebräischen abgeleiteten Anschauung verdanken wir die unten eirunden, oben breitgedrückten o e usw. Ein rundes o alter Art ist aber in der Reihe gerader Buchstaben leichter erkennbar, es bietet dem Auge Anhalt und Stützpunkte für die beim flüchtigen Lesen entstehenden blitzschnellen Gedanken- Kombinationen. Flüssiges Lesen setzt schnelles Erfassen der Wörter und Sätze voraus. Das Auge buchstabiert nicht, sondern errät das meiste, und es bedarf dazu der Hilfe, die ihm die zahlreichen Abweichungen in den Formen der einzelnen Buchstaben und in den Umrissen der Wörter gewähren. Die Theorie, alle diese Unterschiede zu verwässern, ist falsch. Ebenso unbegründet ist die Theorie, das Papier mit grauer Schriftmasse rechteckig zu bedecken und zu diesem Zwecke alle Ausgangszeilen mit Ornamentstücken zu füllen. Ob da durch die Schönheit des Seitenbildes immer gewinnen muß, ist noch sehr die Frage, jedenfalls leidet die Lesbarkeit dar unter. Ausgangszeilen, Einzüge, Rubriken und dergl. sind herkömmliche gute Mittel, den Schriftsatz übersichtlich zu machen, sie gliedern den Text, zeigen Pausen an und bilden daher Ruhepunkte für das sonst leicht ermüdende Auge. Wie man Vieles versucht, wenn man über eine Sache nachdenkt und eine Aenderung für nötig hält, so ist auch die »Linie« bei einigen neueren Schriften verlegt worden. Vordem formte man die Buchstaben so, daß sie auf gemeinsamer Basis sicher zu stehen schienen, jetzt so, daß sie wie an einer Schnur aufgehängt erscheinen. Solches »Schweben« ist dann als künstlerischer Vorzug gepriesen worden, obwohl das Auge dadurch beunruhigt werden muß. Wer Gelegenheit hat, z. B. Sanskrit gegen Arabisch zu vergleichen, der wird die bessere Wirkung einer feststehenden gegenüber einer hängenden Schrift überzeugend beobachten können. Ein anderer namhafter Künstler hat entdeckt, daß Kursiv schriften leichter lesbar und daher als Buchschriften besser geeignet seien denn stehende Schriften. Jene nötigten durch ihre vorwärts-schräge Lage das Auge, zu folgen, während Steilsehriften hemmend wirkten. Es ist sehr interessant, die scharfsinnige Begründung solcher Theorien anzuhören’ — um dann zu sehen, wie wenig sie sich in der Praxis bewähren. Man hat den »handwerksmäßig arbeitenden« Buchdruckern nach Einführung der letzten »neuen« Richtung häufig den Vorwurf gemacht, daß sie sich früher zu Sklaven von Regeln gemacht hätten. Jede Regel sei von Schaden, da sie die In dividualität einschränke. Heute haben wir fast mehr Regeln als zuvor, nur daß sie in den Köpfen als nebelhafte Theorien spuken, während sie früher durch die Erfahrung gezeitigt und durch die Praxis begründet und festgelegt wurden. Theorie oder Regel — was ist besser? Man sehe beide mit klaren Augen an, ehe man ihnen folgt. Steindruck auf Schreibmaschinen-Papieren Von R. Seidel Es ist bekannt, daß die harten und rauhen Schreib maschinen - Papiere dem Steindrucker Schwierigkeiten ver schiedener Art bieten, der Druck sieht zerrissen aus, die Zeichnung leidet besonders in den feineren Partien. Man ist anfänglich diesem Uebelstand insofern aus dem Wege ge gangen, indem man das Papier feucht verarbeitete, leider sieht das Papier nach dem Trocknen unansehnlich aus, und bei großen Auflagen ist diese Manipulation umständlich und zeit raubend. Die Hauptbedingung ist bei solchen Drucksachen die Zeichnung hochzuätzen, wodurch man guten Abdruck erhält. Das Hochätzen geschieht auf folgende Weise: Nachdem der Umdruck übergezogen ist, reibe man denselben an, ent ferne Schmutz und nehme die notwendigen Korrekturen vor. Sodann brenne man die Zeichnung mit der Brennlampe und ätze anfänglich mit leichter Gummiätze. Sobald der Gummi trocken ist, wasche man aus und walze die Zeichnung mit strenger Federfarbe ein; zu beachten ist, daß auch die feinsten Partien gut gedeckt sein müssen. Nun stäube man gut mit Kolo phonium und Talkum ein, wasche sauber ab und brenne nochmals. Durch die Wärme wird das Kolophonium geschmolzen und verbindet sich mit der Farbe zu einer widerstandsfähigen Schicht, man kann also bei diesem Verfahren bedeutend stärker ätzen, und Verätzen der Zeichnung ist bei richtiger Behand lung ausgeschlossen. Gewöhnlich genügt zweimaliges starkes Aetzen, feinere Partien decke man vor dem zweiten Aetzen mit Gummi ab. Ferner klebe man die tiefen Stellen der Zeichnung mit feuchtem Umdruckpapier auf dem Zylinder aus. Sollte bei größeren Auflagen die Zeichnung spitz werden, so wasche man den Stein sorgfältig aus, walze mit Federfarbe ein und über schleife die Zeichnung mit glatter Holzkohle, unter Zu hilfenahme von Terpentin, Tinktur und Wasser. Man darf