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Nr. 18 PAPIER-ZEITUNG 643 4. Die Frage der Bildgröße und der Normal-Linie bei Brotschriften ist in erster Linie empirisch zu lösen; sie ist zugleich eine ästhetische und eine augenhygienische Frage. 55Die Anwendung der punktierten Linie kommt nur für Kegel von Korpus bis Text wesentlich in Frage; sie als grundlegende Forderung zu betrachten, entspricht nicht der Wichtigkeit der unter 4. genannten Punkte. 6. Die typographischen Gesellschaften, die Buchdruckereibesitzer und Schriftgießereibesitzer-Vereine sollen Hand in Hand die Lösung der Normal-Linien- und -Größenfragen vornehmen. [7. Vom 1. Januar 19C5 ab soll keine neue Schrift mehr anders als i auf Normal-Linie (und -Größe) geschnitten werden. Für die Größen schmaler, hoher Anzeigen- und dergl. Schriften in den Kegeln von Mittel an bleiben Abweichungen vorbehalten, die E M4 ebenfalls festgelegt werden. Herr Sehriftgießereibesitzer Graumann erklärt, daß er den Ausführungen des Referenten und des Herrn Kulbe mit Inter esse gefolgt sei, daß er die Sache aber noch nicht für spruch reif halte. Der Firma Genzsch & Heyse könne man den Vor wurf nicht ersparen, daß sie die Angelegenheit in die Oeffent- lichkeit gebracht habe, ohne sie vorher innerhalb der Ver einigung der Deutschen Schriftgießereien zu erörtern. Bei der ungeheuren Menge von Material, das heute am Markte sei, werde es nicht leicht sein, eine Universal-Schriftlinie einzuführen. Außerdem werde es noch vieler Versuche bedürfen, um den geeignetsten Weg zur Einheitlichkeit zu finden. Sehr richtig habe Herr Kulbe bemerkt, daß die Verkürzung der Unterlängen bei manchen Schriften den Gesamteindruck schädigen werde. Die bevorstehende Generalversammlung der Vereinigung der Deutschen Schriftgießereien in Frankfurt a. M. werde sich ein gehend mit der Angelegenheit beschäftigen und die Typo graphische Gesellschaft möge heute noch keine bindende Er klärung abgeben, sondern durch weitere Beratungen die Frage erst zur Klärung kommen lassen, um dann gemeinsam mit den Schriftgießereien in Beratung zu treten. Herr Könitzer weist darauf hin, daß voraussichtlich noch lange Zeit vergehen werde, bevor eine einheitliche Schriftlinie durchgeführt sei, selbst wenn sie jetzt beschlossen würde. Dies beweise die Tatsache, daß wir jetzt nach 30 Jahren noch nicht einmal gleichmäßige Schrifthöhe hätten. In Amerika sei es leichter gewesen, weil dort die Zahl der Schriftgießereien im Verhältnis zu den Buch druckereien sehr klein sei. Bei einzelnen modernen Schriften sei die Normallinie auch von vornherein ausgeschlossen, denn ein größeres Auge in den Buchstaben erfordere auch ein größeres Bild und eine bestimmte Größe der Unterlängen. Schwierig werde es auch sein, lange und breite Brotschriften in eine Linie zu bringen. Herr Erler meint, man dürfe die Sache mit dem Linie halten nicht zu ernst nehmen. Seien wir bis heute mit dem Material fertig geworden, so sei auch kein Grund, die Sache über das Knie zu brechen. Glücklicherweise habe die Kund schaft auch im allgemeinen nicht das geübte Auge für geringe Differenzen. Im übrigen läge es im Interesse der Schrift gießereien, den Buchdruckereien entgegen zu kommen. Auch die Firma Genzsch & Heyse habe nicht alle ihre alten Schriften auf Linie gebracht. ENach weiterem Meinungsaustausch, an welchem sich außer den bereits genannten die Herren Brandt, Taubei und Woller mann beteiligten, tritt Herr Kulbe noch einmal dafür ein, daß die Typographische Gesellschaft Stellung zu der Sache nimmt, indem sie erklärt, daß sie in dem Vorschläge der Firma Genzsch & Heyse einen Fortschritt erblickt, der gefördert werden müsse. Das Ergebnis der Beratungen faßt Herr Könitzer dahin zu sammen, daß die Gesellschaft die Anregung der Firma Genzsch & Heyse begrüßt und wünscht, daß die Gießereien in Gemein schaft mit den Buchdruckereien Schritte unternehmen, um die Universal-Schriftlinie zum Gemeingut aller zu machen. Schließ lich unterzieht Herr Könitzer die ausgestellten Neujahrskarten und Kalender noch einer Besprechung. Nach seinem Urteil liefern die ausgestellten Drucksachen den Beweis, daß bei der Satz technik die Schrift bevorzugt und lebhafte Farben gewählt worden seien, daß der früher oft zu reichlich angewendete Zierat vermindert worden sei, und daß das leichtere Material der Gießereien vielfach angewendet worden sei. Auch die Kalender zeigen erfreuliche Fortschritte. Bemerkenswert sei, daß eine Anzahl graphischer Vereinigungen Wettbewerbe für eine Neujahrskarte erlassen haben. Es sei zu wünschen, daß dieser Vorgang häufig Nachahmung finde. Schluß der Sitzung 12 Uhr. Wie lerne ich sehen? Mancher wird meinen, es sei etwas Selbstverständliches, zu schauen, und es bedürfe keiner besonderen und umständ lichen Anleitung. Wie wenig aber die Leute im allgemeinen zum wirklichen Sehen, zum reinen Schauen, sich erzogen haben, kann man daraus ersehen, daß sie häufig nicht die ein fachsten Sachen sich genau vorzustellen vermögen und aus dem Gedächtnis nicht einmal flüchtig skizzieren können. Das I soll kein Vorwurf sein. Mit wenigen Ausnahmen haben wir j wohl Zeichenunterricht genossen, leider aber haben wir hierbei das am wenigsten gelernt, was wir am notwendigsten brauchen: das Auge, den Formensinn, Geschmack und Gefühl zu bilden. Wohl werden dank der Reform unsere Kinder nicht nur Zeichenunterricht haben, sondern auch zeichnen lernen. Deshalb ist es für uns zwingende Notwendigkeit, wollen wir nicht Zurückbleiben, uns selbst weiter zu helfen und alles, was wir tagtäglich sehen, genauer, bewußter, länger und öfter zu betrachten; systematisch, heute diesen Teil, morgen jenen, und auf diese Weise dem Gedächtnis einzuprägen, sodaß dann die | im Laufe der Zeit deutlicher erkannten Formen, Farben und | Linien der Geschmacksbildung, und damit der selbständigen Bildung und Urteilskraft überhaupt, als Norm vorausgehen, um mit ihrem Maßstabe alles andere zu beurteilen. Das reine Schauen soll das Erste sein, das Urteilen das Zweite: das ist reine Kunstbetrachtung und reiner Kunstgenuß. Gewöhnlich begnügt man sich damit, ein abfälliges Urteil auszusprechen, anstatt zu fragen, was ist an dieser Arbeit schön. Künstlerisch bedeutsam sind oft Briefmarken, Lithographien, Tapeten, Vor satzpapiere, Gewebe, doch wir gehen an ihnen als alten, lang weiligen Bekannten vorbei; das ist ein Zeichen mangelhafter Bildung. Zweck dieser Zeilen soll sein, auf die Hauptsache, das Betrachten hinzulenken. Wer sich daran gewöhnt, beim Besuche von Museen usw. Einzelheiten in Form und Farbe dem Gedächtnis einzuprägen, der wird als Graphiker eine Fülle von Motiven für die tägliche Berufsarbeit sammeln. Weil ich mehr Gewicht auf das Erkennen, das bewußte Sehen und Empfinden lege, weniger auf das Beurteilen eines Erzeug nisses, das uns interessiert, kann ich mich mit zwei Beispielen [begnügen. Ich wähle zuerst die Bordüre einer Tischdecke; die Beispiel 8 Skizze 1 läßt freilich den Reiz der Farbe (schwarz und indisch gelb auf chamois Grund) nicht ahnen. Nur wenige Setzer werden imstande sein, das Motiv für eine typographische Arbeit zu verwerten, wie durch Beispiel 2 angedeutet. Je nach dem Text lassen sich in dieser Weise ganz verschiedene Ein teilungen bilden. Beispiel 3 soll ein Beispiel für Liniensätze nach architektonischen Motiven sein. Die Kunstzeitschriften enthalten eine Menge Vorlagen, die sich auf typographischem Wege wiedergeben lassen, ohne daß die Eigenart des Buch- ! druckes unberücksichtigt bliebe. Zu einer vollen Wirkung ' fehlt freilich noch die Farbe. 0. Pester Die »Studien-Ausstellung« des Ortsverbandes Berlin der Renten- und Pensions-Anstalt für deutsche bildende Künstler wird gleichzeitig mit der »Skizzen-Ausstellung« am 2, März im Hause Markgrafenstraße 51 eröffnet. (Vergl. Nr. 17, S. 605.)