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642 Sachliche Mitteilungen finden kostenfreie Aufnahme Buchdruck *** *** Steindruck Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Nr. 18 Berliner Typographische Gesellschaft Die Sitzung von 23. Februar wurde vom 1. Vorsitzenden, Herrn Könitzer, um 91/4 Uhr eröffnet. An Eingängen waren zu verzeichnen zahlreiche Schrift probenblätter der Firmen H. Berthold - Bauer & Co., Schrift gießerei Emil Gursch, Wilhelm Wöllmer und Wilh. Gronau, ferner der Rechenschaftsbericht des Deutschen Buchgewerbe- Vereins für das Jahr 1903 mit einer Einladung zu der am 28. Februar stattfindenden 16. Generalversammlung; Prospekt und Musterblätter von der Aerograph Co. Limited durch Herrn Frederik W. King und ein neues Heft der Deutschen Typo graphischen Zeitschrift des Herrn P. M. Weber. Die »Buch drucker-Woche« hatte aus Anlaß des heutigen Vortrages den Sonderabzug eines Aufsatzes des Herrn C. Kulbe veranstaltet, welcher .'den Gegenstand des heutigen Vortrages, die Normal schriftlinie, behandelt, und Exemplare desselben den Mit gliedern zur Verfügung gestellt. Der Vorsitzende dankte den freundlichen Gebern, ganz besonders aber Herrn Wollermann für die Sonderabdrücke der »Buchdrucker-Woche«, und teilte mit, daß der Fachverein in Posen, welcher bereits 60 Mit glieder zählt, ein Agitations-Zirkular übersandt habe. Sodann wurden Karten zu einer Führung durch die Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt ausgegeben. Als Mitglied wurde Herr Eugen Dreyer aufgenommen. Im Buchgewerbesaal waren zahlreiche Neujahrskarten, Kalender und neue Schriftgießerei-Erzeugnisse ausgestellt. Hierauf nahm Herr Könitzer das Wort zu einem Vortrage über: Schriftgießerei-Neuheiten. Redner bemerkte, daß genauere Kenntnis des Materials für den Akzidenzsetzer notwendig sei, er müsse wissen, wo dies und jenes Material herstamme. So sei zum Beispiel kürzlich bei einem Wettbewerbe die Beteiligung nur gering gewesen, weil die Verwendung bestimmten Materials zur Bedingung gemacht war. Im allgemeinen werde über Ueberproduktion geklagt, diese biete dem Buch drucker durch die größere Auswahl bei Neuanschaffungen Vorteile, während sich die Tätigkeit des Akzidenzsetzers durch die Mannigfaltigkeit der ziemlich ähnlichen Schriften beim Wechsel der Kondition schwieriger gestalte, weil trotz der Aehnlichkeit eine Schriftgarnitur anders läuft als die andere. Bei der großen Menge von Neuheiten im letzten Jahre ist es bedauerlich, daß oft ganz verschiedene Schriften gleiche Namen führen. Ein bereits vorhandener Name für eine Schrift sollte von einer anderen Gießerei nicht wieder gewählt werden. Unter den Neuerscheinungen sind Groteskcharaktere besonders bevorzugt; hierin sind etwa 25 Sorten vorhanden. Der Referent spricht dann der Reihe nach über die Neuheiten im Charakter der Behrens-Schrift, der Siegfried, der reinen Frakturschriften, der Reklame-, Zier- und Schreibschriften und bemerkt, daß in Linien und Ornamenten eine Reaktion ein getreten sei, indem man sich den leichteren Erzeugnissen zu gewendet habe. In Reihen-Ornamenten sei die Weinrebe bevor zugt, und bezüglich der Vignetten habe man sehr vorsichtig gearbeitet. Es sei zu wünschen, daß die Gießereien die neue Orthographie auch in ihren, Schriftproben strenger innehaltcn möchten. Zum zweiten Punkt der Tagesordnung gab Herr Albin Weber einen Bericht über die von der Firma Genzsch & Heyse in Hamburg eingeführte Universal-Schriftlinie, welche bekanntlich bezweckt, die Linie der Schrift so zu stellen, daß nicht nur alle verschiedenen Schriften eines Kegels mit einander Linie halten, sondern daß alle Grade beim An setzen einer punktierten Linie mit systematischen Durch schüssen in Linie gebracht werden können. Uebrigens sei bereits ein Streit über die Priorität dieser Erfindung zwischen den Firmen Genzsch & Heyse und Scheiter & Giesecke ent brannt, weil letztere behauptet, diese Neuheit bereits seit 15 Jahren im Gebrauch zu haben. Daß die Universal-Schrift linie sehr wichtig und für den Buchdrucker von großem Vor teil sei, werde niemand bezweifeln, doch könne man leider wohl annehmen, daß von der lebenden Buchdrucker-Gene ration niemand den Tag erleben werde, wo der letzte un systematische Buchstabe in den Schmelztiegel wandere. Der Vorsitzende dankt Herrn Weber für seine Anregungen und wirft die Frage auf, ob es möglich sein werde, dieses System allgemein einzuführen, oder ob etwa von anderer Seite vielleicht noch ein besserer Ausweg zur Erreichung desselben Zieles gefunden werde. Zu wünschen sei nur, daß nicht jede Gießerei nun eine eigene Linie für ihre Erzeugnisse wähle, sondern daß eine Einigkeit darüber erzielt werde. Herr Kulbe äußert sich auf Wunsch zu seinen Ausführungen in der Buch drucker-Woche und bemerkt zunächst, daß diese nicht für den heutigen Abend geschrieben seien, sondern daß nur der Zufall dies Zusammentreffen gefügt habe. Im übrigen hält er die Einführung einer Universal-Schriftlinie für möglich und die Anregung der Firma Genzsch & Heyse für zeitgemäß, wenn sie auch durchaus nicht neu sei, denn sie bezwecke nur das, was Scheiter & Giesecke sowohl als auch die Inland Type Foundry in Chicago bereits machen. Notwendig sei, daß alle deutschen Gießereien ihre Schriften auf eine gemeinschaftliche Linie stellen. Die Methode der Firma Genzsch & Heyse sei ziemlich barbarisch, sie bedinge, daß die Unterlängen der Schrift ver kürzt werden, wenn man z. B. drei Schriftgrade auf eine ge meinschaftliche Linie stellen wolle. In vielen Fällen werde es jeder Schriftgießerei angenehm sein, wenn sie wisse, auf welche Linie sie eine neue Schrift zu stellen habe. Ohne Ausnahmen werde natürlich auch die Universal-Schriftlinie nicht sein, denn eine hohe, schmale Antiqua z. B. könne mit einer normalen Antiqua nicht auf eine Linie gestellt werden. Die Schriftgießerei Genzsch & Heyse hätte der guten Sache einen größeren Dienst erwiesen, wenn sie vorher die deutschen Schriftgießereien um ihre Meinung befragt hätte. Im übrigen könne wohl kaum ein anderes System als das von Genzsch & Heyse vorgeschlagene allgemein angenommen werden, wenn auch in Einzelheiten vielleicht abgewichen werden müsse. Es sei z. B. nicht angegeben, wie Borgis, Petit und Colonel zu unterlegen seien. Zunächst würden die Buchdruckereien sich zur Einführung einer Universal-Schriftlinie nicht verstehen wollen, weil eine solche neue Schrift zu den vorhandenen halb fetten und anderen Auszeichnungsschriften nicht stehe. Es müßte also das Alte bestehen bleiben und nur das Neue über einstimmend auf gleichmäßige Grundlinie gebracht werden. Es sei wünschenswert, daß sich eine gemischte Kommission mit dieser Frage beschäftige und dabei vielleicht gleich andere Fragen, wie die der allgemeinen Schrifthöhe und die Dickte der Buchstaben mit berate. Die Typographische Gesellschaft möge sich dahin äußern, daß in der Frage einer gemeinsamen Schriftlinie und der Höhe der Brotschriften etwas geschehen sollte, und andere Gesellschaften, vielleicht durch Vermittlung des Verbandes der Typographischen Gesellschaften, ersuchen, sich ihr anzusschließen. Die in dem Aufsatz von Herm Kulbe auf gestellten Forderungen sind die folgenden: 1. Die Normal-Linienfrage zu lösen, ist vor allem bei den Brot- und Auszeichnungsschriften nötig, also bei den Graden von Perl bis Cicero. Auch alle kleinen Grade von Titelschriften sollen zu den Brotschriften in Uebereinstimmung gebracht werden. 2. Auch bei allen anderen Schriftgraden von Mittel an aufwärts empfiehlt sich selbstverständlich die Einführung der Normal-Linie; wenigstens sollten alle jene Garnituren übereinstimmen, bei denen die Möglichkeit einer Vermischung vorliegt. (Tertia Rundschrift mit Tertia schmaler halbfetter Zeitungsfraktur in eine Linie zu bringen, ist von nur akademischem Wert.) 3. Es ist nötig, im Zusammenhänge mit der Normal-Linien-Frage auch die Normal-Größen-Frage zu lösen, besonders soweit Brot- und Auszeichnungsschriften in Frage kommen.