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nicht zu sehr gedrückt wird. Dem Auftraggeber wird leicht klar zu machen sein, daß ungeschickte Reklamezettel zur Hälfte weggeworfenes Geld bedeuten. Der Satz: »Suche die Aufmerksamkeit zu erregen« kann durch Beobachtungen illustrirt werden, die man in den Straßen Berlins und wohl auch anderer Großstädte häufig zu machen Gelegenheit hat. Die nichts bedeutenden einfachen Zettel flattern sofort in alle Winde, Preisbücher werden schon mit genommen. um scheinbar ■wertvollere Sachen aber reißen sich alle Leute. So stand neulich ein Mann in der Bellealliance straße, der aus einem Sack kleine runde Taschenspiegel nur an Erwachsene verteilte. Der Mann hatte Mühe, alle Lieb haber dieser nützlichen Dinger zu befriedigen und die lieben Kleinen zurückzudrängen, die ihn förmlich belagerten. Ich muß gestehen, daß ich selbst einen dieser Spiegel in der Tasche herumtrage, und daß mich die hinten unter Glasdecke befind liche Reklame für ein Möbelgeschäft nicht stört. Der Papierwaren-Fabrikation stehen viele Mittel zu Gebote, ihre Erzeugnisse in ähnlicher Weise zu verwerten. Büchelchen, die in Form einer Truhe, einer Vase, eines Tellers ausgestanzt sind, werden auch von besser gekleideten Leuten gern ent- gegengenommen. Manche alte Stanze, die ihr Geld längst verdient hat, kann in solcher Weise fröhliche Auferstehung feiern. Sachen, die für den Empfänger einen wenn auch noch so geringen Nutzen bedeuten, werden ihren Zweck noch besser erfüllen. Ich bin gewiß, daß man sich um kleine gepreßte Pappschächtelchen von 3x4 cm, in denen eine Miniatur-Preis liste enthalten sein könnte, auf -der Straße ebenso bemühen würde, wie um die vorerwähnten Spiegel. Solche Schächtelchen bringt man der Frau mit, oder man bewahrt sie in der Westen tasche auf, um sie am Biertisch zu zeigen — kurz, der Zweck der Reklame wird erfüllt. Täschchen, welche Preislisten ent halten, und winzige Notizbüchelchen mit der Adresse des Gebers auf jeder Blatt-Rückseite sind ähnlich begehrenswerte Reklame-Artikel. Wer seinen Stanzen-Vorrat durchsieht, wird sicher noch manches Muster finden, das in solcher Weise der Reklame nutzbar gemacht werden könnte. Nun sind die, die derartige Artikel herstellen, meist nicht auch Drucker, denen man Reklame-Gegenstände in Auftrag zu geben pflegt. Es empfiehlt sich auch gar nicht, durch direkten Verkehr den’Reklame-Druckern Schaden zufügen zu wollen. Die Fabrikanten von Papierwaren der erwähnten Art können aber doch Kollektionen geeigneter Artikel an die Drucker ver senden, möglichst mit Lied und Beschreibung für schwerfällige Leute. Wer weiß, ob sich da nicht ein ganz lohnender Sonder zweig der Papierwaren-Fabrikation herausbilden könnte? Entwicklung der Schrift Vorträge im Kgl. Kunstgewerbeimiseum zu Berlin von Dr. Gustav Kühl Schluß zu Nr. 102 von 1903 VIII. Vortrag Es bleiben nun noch einige Nebengebiete zu besprechen: die Schreibschrift, die Zahlzeichen und das Monogramm. Was die Schreibschrift anlangt, so ist bereits betont worden, daß man schon im Altertum und' im frühen Mittelalter zwischen der Schrift der Inschriften, Bücher usw. und der Schrift des täglichen Gebrauchs einen Unterschied machte. Dort ver wendete man die Kapitale, die Unziäle, die Rustica, und zwar immer in monumentaler Weise, so daß jeder Buchstabe von seinen Genossen getrennt und selbständig blieb: hier die so genannte Kursive, die das ganze Wort, ja die ganze Zeile in eine fortlaufende Kurvenlinie verwandelte. Die Kursive fand ihre vornehmste Ausgestaltung in den jeweiligen Kanzlei schriften, und auch nachdem in der Karolingischen Minuskel eine neue Form fortlaufender Schrift gefunden war, wurde sie beibehalten. Allmälig aber drangen doch die romanischen und gotischen Buchstaben der Buchschrift auch in die Kursive hin über; ja die gewöhnliche Buchschrift des 15. Jahrhunderts ist fast selber eine fortlaufende Kursive mit Auf- und Abstrichen, mit eckigen m-Strichen und federgerechten Schwüngen in den Ausladungen, ganz wie unsre heutige deutsche Schreibschrift: die Vorläuferin der Kurrentschrift. Wir brauchen sie uns nur noch etwas kleiner und mit weniger Sorgfalt geschrieben zu denken, so haben wir die Schrift, deren sich Luther und Dürer und Holbein, deren sich noch Rembrandt bediente. Allerdings wendet Rembrandt sie auf seinen Zeichnungen nur für Notizen an; seinen Namen schreibt er in schräger italienischer Kanzlei schrift, in der Druckkursive des Aldus Manutius. Diese letztere, die Mutter der lateinischen Schreibschrift, war ja ursprünglich grade für handschriftlichen Gebrauch bestimmt gewesen; ihre Verbreitung als Handschrift verdankt sie aber nur dem Um stande, daß sie durch den Druck von Italien nach Frankreich und weiter getragen wurde. Man schrieb in Frankreich noch während des ganzen sechzehnten Jahrhunderts allgemein die ekige Kurrentschrift, der wir auch in Drucken nicht ganz selten begegnen. Die erste Persönlichkeit dort, von der wir Briefe in lateinischer Schrift kennen, ist Katharina v. Medici — die Florentinerin. Erst um 1600 verschaffte der Schönschreiber Le Gagneur den runden und größeren Zügen das Uebergewicht in Frankreich, und um die Mitte des 17. Jahrhunderts setzten sich diese auch in Holland und Frankreich durch. In Deutsch land aber hielt sich die Kurrentschrift, und zwar zum nicht geringen Teil infolge der übermäßigen Verehrung, die die deut schen Schreibmeister andauernd dem alten Neudörffer zollten. Wie weit die deutsche Kurrent aber durch die lateinische Schrift an Adel und Sicherheit, an Klarheit und Eleganz durch die lateinische Barocksehrift überholt war, zeigt eine Ver gleichung deutscher Schreibmuster mit beliebigen spanischen und englischen des 16. bis 18. Jahrhunderts. In ein neues Stadium tritt die Schreibschrift im 19. Jahrhundert durch die englische Erfindung der Stahlfeder. Das 18. Jahrhundert hatte bereits das Schnörkelwesen, die Freude am dekorativen Schreiberzug auf die Spitze getrieben; die Stahlfeder ermög lichte nun eine Feinheit des Striches, die man mit dem Gänse kiel vergeblich zu erreichen bemüht gewesen war. Dagegen ging der große Schwung verloren, da die Stahlfeder sehr vor sichtig geführt werden muß, um nicht zu spritzen. Wichtiger ist aber, daß durch die Stahlfeder das Verhältnis von Haar- und Druckstrichen völlig verschoben wird. Während früher, bei breiter Feder, der »Druck« sich von selbst einstellte, so daß die Hand die Feder leicht in der zweidimensionalen Rich tung der Ebene herumführen und dennoch kräftige Striche erzeugen kann, erfordert die spitze Stahlfeder für jeden fetten Strich einen wirklichen Druck, d. h. eine Bewegung der Finger in der Richtung der dritten Dimension; dies bedeutet für die Hand eine viel komplizirtere Muskeltätigkeit, also auch viel größere Anstrengung. Es ist das große Verdienst Soenneckens, zuerst auf die Verderblichkeit der spitzen Federn hingewiesen und einer Besserung vorgearbeitet zu haben. Noch eine andere Eigentümlichkeit scheint durch die spitze Feder hervorgerufen zu sein: die übertriebene Schräglage der Schrift. Die spitze Stahlfeder bringt einen glatten Druckstrich nur dann hervor, wennsie gerade herabgeführt wird, senkrecht zu ihrer Querachse. Da man nun eine Steilschrift seit langer Zeit nicht mehr kannte, so mußte man die Hand viel weiter nach rechts drehen und den Ellbogen eng an den Körper rücken, um beim Abstrich die Feder in richtiger Lage zu haben. Dann aber geriet die Hand beim Schnellschreiben doch wieder in die natürliche Richtung, nämlich schräg von rechts oben nach links unten, und so steigerte die Schräglage sich selbst wie eine Dynamomaschine. Gegen die Schrägschrift ist ja nun in neuerer Zeit viel geeifert worden, die »Steilschrift« hat begeisterte Anhänger gefunden und wird hie und da schon offiziell in den Schulen gelehrt. Allein das Richtige ist damit auch nicht gefunden, denn die Steilschrift ist ebenso wenig natürlich wie die ganz liegende Schrägschrift. Wenn schon die Römer beim Schnellschreiben die schräge Lage bevor zugten, wenn seit Jahrhunderten in allen Nationen schräg ge schrieben wird, wenn unsre stenografischen Systeme durchweg schräg liegen, so muß doch wohl in den natürlichen Bedürf nissen der schreibenden Hand etwas sein, was dazu hinführt. Die Hand macht zweierlei Bewegungen beim Schreiben: einmal ein Auf und ab, an dem die Finger teilnehmen, und dann ein Rücken von rechts nach links, das der Arm mit macht; durch die eine Bewegung kommt der Buchstabe zu stande, durch die andre das Wort und die Zeile. Legt man die Arme in bequemer Lage auf den Tisch, so daß die Hand ziemlich in der Mitte vor dem Körper liegt, so gehen die na türlichen Bewegungen der Finger im Zusammenziehen und Ausdehnen ungefähr senkrecht zum Tischrande — ein wenig schräger. Das Weiterrücken der Hand aber und des Arms geht nicht parallel zum Tischrande vor sich, sondern senkrecht zum Arme: in einem schrägen Kreisbogen, dessen Mittelpunkt der Stützpunkt des Armes am Tischrande bildet. Daraus folgt, daß auch das Schreibbuch schräg, nämlich senkrecht zum Arme liegen muß; die Richtung des Grundstrichs, die von einer