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nicht denkbar, daß ein Land, das allgemein Schutzzölle ein geführt hat, diese für einzelne Waren fallen läßt und für andere beibehält. Der Verbrauch aller Waren hängt untrennbar zusammen, und selbst abgesehen von den direkten Zöllen auf die notwendigen Roh- und Hilfsstoffe wirkt jede Zigarre und jedes Lot Tee, welches einer der Arbeiter verbraucht, be lastend auf jedes Erzeugnis. Daher ist nur gänzliches Fallen lassen der Zölle oder deren Beibehalten auf der ganzen Linie denkbar. Ferner spricht der Herr Konsul von »Ueber-Erzeugung in der Papierfabrikation« und knüpft daran eine schwere Be schuldigung gegen die russischen Händler, lautend: »Außerdem entwickeln die als unmittelbare Kunden der Papierfabriken auftretenden Händler große Geschicklichkeit in spekulativer Zurückhaltung beim Einkauf der Ware, wodurch sie die unter einander heftig konkurrirenden Fabrikanten zwingen, mit den Preisen immer weiter herunterzugehen«. Was nun die Ueber- Erzeugung anbetrifft, so fällt mir unwillkürlich ein: »Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort«. Meines Wissens ist es dem hier seit Jahren bestehenden Verein der Papierfabrikanten, der sich als erste Aufgabe stellte, in diese für alle Beteiligten so wichtige Frage Klarheit zu bringen, noch immer nicht gelungen, dies Ziel zu erreichen, was wohl seinen Grund auch darin hat, daß in den stillen Sommermonaten das Angebot stärker ist als die Nachfrage, und mit dem Beginn der Ge schäftsbelebung wieder ein Ausgleich eintritt. Maßgebend ist doch nur, daß in solchen Zeiten die Fabriken Voll beschäftigt sind, wie dies z. B. gegenwärtig der Fall zu sein scheint. Das alte Ammenmärchen von dem bösen Händler und dem armen Fabrikanten wird wohl schwerlich ein Geschäftsmann für Ernst halten. Der Kampf zwischen dem Händler und dem Erzeuger dürfte in der ganzen Welt derselbe sein, und daß sich gerade der russische Händler durch besondere Bösartigkeit auszeichnet, bezweifle ich schon aus dem Grunde, weil er dazu im allgemeinen auf einer viel zu niedrigen Stufe steht und außerdem im ganzen Papiergeschäft eine viel zu unbe deutende Rolle spielt. Hier arbeiten nämlich mehr als in anderen Ländern die Papierfabriken unmittelbar mit den Ver brauchern, und die verschwindend wenigen Papierhändler sind eigentlich nur für Marktwaren, wie Packpapiere und Schreib waren, vorhanden. Es bedarf wohl auch keines Nachweises, daß der Händler außer Stande ist, auf die Dauer den Preis einer Ware zu bestimmen, dieser wird sicherlich von mächtigeren Faktoren als dem Zwischenhandel festgelegt. Ich will damit durchaus nicht eine Lanze für den recht traurigen Zustand, in dem sich der Papierhandel im weiten russischen Reiche befindet, brechen, ich möchte nur derartige, durch die Zeitungen gehende Mitteilungen auf ihren wahren Wert festlegen. In den beiden Berichten über unsere Zustände im Papier fach wird nach meinem Dafürhalten der Gründung von Waldhof in Pernau viel zu große Bedeutung beigelegt. Beide stimmen darin überein, daß sich infolge dieser Gründung ein Teil der früher bestehenden Zellstoffabriken gezwungen gesehen hat, ihren Zellstoff selbst zu verarbeiten. Mir ist nicht ein solcher Fall bekannt, denn die beiden Zellstoffabriken »Sokol« und »Baltische« wurden bald nach ihrer Gründung, ich glaube lange bevor Waldhof auf den Markt kam, mit Papiermaschinen versehen, und bei den anderen Zellstoffabriken hat sich folgender Wandel vollzogen: Die ursprüngliche Furcht, daß der Riesenkonkurrent Waldhof alle anderen tot machen werde, scheint ganz verschwunden zu sein. Alle bisherigen Fabriken sind in Betrieb, und wenn der Verdienst vielleicht auch kleiner geworden ist, so haben doch die Fabriken wahrscheinlich gelernt vorteilhafter zu arbeiten, denn keine ist eingegangen, und es scheint auch gar kein besonderer Ueberfluß vorhanden zu sein! Demnach muß sich der Verbrauch wohl recht be deutend gehoben haben. Für den nächsten Punkt des Berichtes, die traurigen Dividenden der russischen Fabriken, sind mir leider nicht die zur Widerlegung nötigen Ziffern zur Hand, aber auch ohne solche mache ich darauf aufmerksam, welch gute Ergebnisse in Rußland alle mit Sachkenntnis und den erforderlichen Mitteln geleiteten Papierfabriken erzielen. Es wäre wahrlich nicht schwer, bei den wenigen schlecht gehenden Fabriken die Gründe hierfür nachzuweisen. Hierzu kommt, daß ein Teil der Fabriken sich in privaten Händen befindet und keinerlei Abrechnungen zu geben braucht, und gerade diese arbeiten mit gutem Nutzen. Nun komme ich zu einem Punkte, in dem ebenfalls beide Berichte übereinstimmen und leider, leider nur gar zu sehr recht haben. Dies betrifft die unendliel langen Kredite, die in unserem Fache. eingeräumt werden. Diese Unsitte hat Schwindel^ erregenden Umfang angenommen, und was das Schlimmste ist, von einem Zurückgehen ist keine Rede. Die Ansprüche der Kundschaft steigern sich noch fortlaufend derart, daß man sich unwillkürlich fragt: Wohin soll das führen? Soll ernsthaft an der Gesundung unseres Faches gearbeitet werden, so müssen nach meinem Dafürhalten alle Hebel an diesem Punkte angesetzt werden. Die Preise müssen sich naturgemäß von selbst regeln. Sind schwache, unfähige Fabrikanten, unter der großen Zahl der konkurrirenden Erzeuger, so müssen sie zugrunde gehen. Ihnen zu Liebe kann unmöglich dem ganzen Volke eine so wichtige Ware wie Papier verteuert werden. Die Kreditverhältnisse aber, wie sie jetzt liegen, führen sicheren Ruin herbei. Ich brauche nicht zu erläutern, was das heißt, einem Kunden, mit dem man nennenswerten Umsatz macht, Kredit von 18 Monaten einzuräumen! Er erhält dadurch einen mindestens dreimal so großen Betrag, als man ihm unter ge wöhnlichem Ziel gewähren würde. Aber abgesehen davon, daß die Verlust-Möglichkeit durch die Unmöglichkeit, einen Kunden auf so lange Zeit voraus beurteilen zu können, er heblich wächst, hat dies lange Kreditgeben für den Fabrikanten andere große Schwierigkeiten, z. B. das Diskontiren großer Wechselbeträge, im Gefolge. Allerdings müssen wir hier bei unseren enormen Entfernungen und den mangelhaften Transport- Verhältnissen mit ganz anderen Terminen rechnen als in anderen Ländern, aber diese unverhältnismäßige Ausdehnung der Zahlungsfrist hat ihren Grund leider in den fast durch gängig zu schwachen Betriebsmitteln der Verbraucher, die fast ausnahmslos mit den Kapitalien der Lieferanten arbeiten. Leider gilt dies teilweise auch von den Papierfabrikanten, die sich in den stillen Sommermonaten gezwungen sehen, da ihnen die Kraft zum Aufspeichern fehlt, selbst die schwersten Be dingungen anzunehmen. Treten dann wieder lebhaftere Zeiten ein, so ist es dem Einzelnen fast unmöglich, das einmal ein geräumte Zahlungsziel beim nächsten Geschäft zu verkürzen. Die beiden Berichte der Papier-Zeitung stimmen auch darin überein, daß die russische Papier-Industrie schwer unter der finländischen Konkurrenz zu leiden habe. Während aber im ersten Konsularbericht wenigstens der niedrige Zoll erwähnt wird, den dies Papier nach Rußland zu zahlen hat, vermisse ich diese Bemerkung im zweiten Berichte. In beiden sind die großen Vorteile durch die vorhandenen Wasserkräfte, das billige Holz und die besseren Arbeitskräfte hervorgehoben. Wasserkräfte sind aber in Rußland vielfach vorhanden und unausgenutzt, Holz ist im Norden kaum teurer als in Finland, vielfach sogar billiger, und in Bezug auf Arbeitskräfte wurde Finland durch die unverhältnismäßig große Auswanderung in den letzten Jahren ungemein geschädigt. Dagegen beträgt der »unbedeutende Zoll« auf mittlere Papiersorten von Finland nach Rußland, nach Hinzurechnen der sehr bedeutenden Zoll spesen und der Bahnfracht, je nach der Entfernung der Fabriken von der russischen Grenze, ungefähr 1 Rubel aufs Pud, das sind 21/2 Kopeken aufs Pfund, was nahe an 10 Pf. das Kilo ausmacht. Ich glaube, daß man das nicht einen niedrigen, sondern einen ganz erheblichen Zollsatz nennen kann. Der unverkennbare Vorteil--Finlands liegt meines Er achtens nicht so sehr in den von den Berichten angeführten Gründen, als vielmehr in dem in allen Punkten billigeren Zoll tarif des Landes, der, wie schon Eingangs angeführt, auf die Erzeugnisse zurückwirken muß. Wie allgemein angenommen wird, sollen in nicht langer Zeit die finnischen Zölle den russischen gleichgesetzt werden. Wie sich dann die Her stellungskosten der beiden Konkurrenten zu einander stellen werden, bleibt abzuwarten. Leider ist man, wie es scheint, noch ganz allgemein im Dunklen darüber, wann diese Aenderung eintritt, und diese Unsicherheit dürfte der wirkliche Grund folgender im Konsularbericht enthaltenen Angabe sein: »Infolge aller dieser Umstände sind die Aussichten der russischen Papierfabrikation für absehbare Zeit so trübe, daß von Neu gründungen auf diesem Gebiete keine Rede mehr ist.« Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich der Verbrauch von Papier in den letzten Jahren ganz enorm gehoben hat, wenn er auch zeitweilig durch die allgemein ungünstige Handelslage be einflußt ist, und wenn gegenwärtig die russischen Fabrikanten keinerlei Neuanlagen errichten, so hat das seinen Grund namentlich darin, daß man nicht weiß, wann und wie die Frage des finnischen Zolls geregelt wird. Wir können hier in Ruß land unmöglich früher das Wiederaufblühen der Rapier-