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halben, wo die Lokalfrage brennend ist, heißen: die Bier- und Beköstigungsfrage hat in den Hintergrund zu treten. Zuerst ein zweckmäßiges Lokal, mit genügendem Raum, mit freien Wandflächen, ohne Störung von außen und mitguter Beleuchtung; dann erst frage man nach den Bierv.erhältnissen. Man zahle lieber dem Wirt etwas Miete, als daß man sich zum regen Trinken verpflichtet. Es geht manchmal sogar ohne Trinken! Um so kürzer, aber inhaltsreicher werden die Sitzungen, je weniger sie durch Trinken gestört werden; lieber nach getaner Arbeit in einem anderen Raum oder Lokal ein guter Trunk! Man lasse auch in kleinsten Städten kein Mittel unversucht, zu einem eigenen Vereinslokal zu kommen. Wo in offiziellen oder halboffiziellen Häusern, in Museen, Schulen, Rathäusern usw. kein Raum — und sei es auch nur zu außerordentlichen Sitzungen alle zwei Monate — zu haben ist, versuche man mit befreundeten Vereinen aus Privathand ein oder mehrere Zimmer zu mieten. Wenn sich solche in Häusern befinden, in denen sich auch eine Wirtschaft befindet, so kann diese die Be köstigung leicht übernehmen. An vielen Orten wird es möglich sein, gemeinsam mit der Prinzipalschaft einen Vereinsraum zu mieten. Auch Gewerk vereine sind in dieser Beziehung empfehlenswert, doch brauchen letztere in der Regel weit größere Räume zu ihren Versamm lungen. Auch Gesang- und Unterrichtsvereine (Stenografenz.B.) haben vielfach Not an guten Lokalen. Sollte sich da und dort nicht in irgend, einer Weise ein gemeinsames Handeln er möglichen lassen? Ein gutes, zweckmäßiges Heim ist Grundbedingung für eine kräftige und fruchtbringende Vereinsarbeit. Die Lokal frage ist die Vorfrage zu allen andern! Und wo in kleinen Orten die vermeintlichen Gegensätze der Interessentengruppen einer gemeinsamen Lösung der Lokalfrage entgegenstehen, wende man sich an eines der in verschiedenen Städten sitzenden Vorstandsmitglieder des Verbandes zwecks Anbahnung einer Verständigung. Ich zweifle nicht, daß es überall in irgend einer Weise gelingen wird, die Lokalfrage befriedigend zu lösen. Aber man fange sofort an damit! C. Kulbe. Breslauer Brief November 1903 Die in Buchbindereien, Liniiranstalten, Kontobuch-, Kartonnagen- und Etuisfabriken beschäftigten Arbeiter und Arbeiterinnen sind in eine Lohnbewegung eingetreten und haben in öffentlicher Versammlüng beschlossen, den Arbeitgebern folgende Forderungen zu überreichen: 1. Die Arbeitszeit für Arbeiter und Arbeiterinnen betrage täglich 91/2 Stunden, an Sonnabenden und Tagen vor kirchlichen Feiertagen 81/2 Stunden. 2a. Der Lohn für Arbeiter betrage wöchentlich 18 M; b. für Ausgelernte im ersten Jahre nach beendeter Lehrzeit wöchent lich 16 M.; c. für Spezialarbeiter wöchentlich 22 M. 8 a. Für geübte Arbeiterinnen wöchentlich 9 M.; b. für ungeübte wöchentlich 6 M.; c. für Spezialarbeiterinnen wöchentlich 12 M. 4. Die Akkordpreise werden nach den vom Verband Deutscher Buchbindereibesitzer mit dem Deutschen Buchbinder-Verband vereinbarten Minimaltarifen be rechnet. 5. Arbeiter und Arbeiterinnen, welche die geforderten Mindestlöhne bereits beziehen, erhalten einen Lohnzuschlag von 10 pOt. 6. Ueberzeitarbeit wird mit einem Zuschlag von 25 pOt. be zahlt. 7. Errichtung eines paritätischen Arbeitsnachweises. 8. An erkennung des Deutschen Buchbinder-Verbandes als vertragsschließende Körperschaft. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Arbeitgeber diesen Forderungen gegenüber verhalten werden. Eine Breslauer Buchdruckerei hatte verabsäumt, für einen bei ihr beschäftigten Lehrling die vorschriftsmäßige Zahl Invaliden-Versiche- rungsmarken einzukleben. Unglücklicherweise mußte der junge Mann bald nachher seine Rente beanspruchen, wurde jedoch wegen der fehlenden Marken von der Versicherungsanstalt abgewiesen. Die Firma wurde deshalb auf Schadenersatz verklagt und vom Gericht zur Zahlung einer dem Jahresbetrage der Invalidenrente gleichkommen den Rente von jährlich 123 M. 60 Pf. verurteilt. Der Schriftsetzer Otto Bannert, der für die Druckerei, in welcher er arbeitete, zugleich als Stadtreisender tätig war, hat sich eine eigen artige Betrügerei zu Schulden kommen lassen. Er hatte von einem Kunden einen Auftrag auf Lieferung von 1000 Stück Papierservietten zum Preise von 10 M. erhalten, den Auftrag jedoch nicht seinem Chef übergeben, sondern die Servietten von einer fremden Firma zum Preise von 5 M. anfertigen lassen. Er erlangte auf diese unredliche Art einen Nebenverdienst von 5 M. Der Betrug wurde später ent deckt und der unredliche Beamte zu 1 Monat Gefängnis verurteilt. Als neues politisches Wochenblatt erscheint jetzt in Breslau die ^Montags-Postt, welche — wie der Name andeutet — jeden Montag früh herauskommt. Verlegerin ist die Firma Theodor Schatzky hier, Redakteur ist Herr Rudolf Cuno. Eine zweite neue Zeitung ist der ^Schlesische Handwerkerfreunds, welcher allwöchentlich Sonnabends im I Verlage von Paul Kühn in Lüben herauskommt und die Erörterung und Förderung der verschiedenen Handwerkerfragen zu seiner Aufgabe machen will. In Kattowitz wird von Pfarrer Dr. Stephan die »Katto- witzer Volks-Zeitungs neu herausgegeben. Der Breslauer Kunstgewerbevcrein, der kürzlich seine General versammlung abhielt, zählt gegenwärtig 543 Mitglieder. Wie aus dem Kassenbericht hervorgeht, macht die Entwicklung des Vereins erfreu liche Fortschritte, auch die Finanzlage ist günstig. Die Versammlung beschloß infolgedessen, dem Stipendienfonds aus Vereinsmitteln 700 M. zuzuwenden und denselben dadurch auf 4000 M. zu bringen. Ein Opfer seiner Vorliebe für Ansichtskarten wurde der Postgehilfe Kurt Schmidt in Silberberg. Er ließ bei dem Sortiren von Postsachen die schönsten Karten in die eigene Tasche wandern, um seine Samm lungen zu bereichern. Er wurde unter Zubilligung mildernder Um stände zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Sch. Plakat-Entwürfe Im chromolithografischen Fach greift die Konkurrenz, um Aufträge zu erhaschen, immer mehr zu gemeinschädlichen Mitteln. Während meiner 30jährigen Tätigkeit als Reisender im Luxuspapierwarenfach ist es von Jahr zu Jahr schwieriger geworden, lohnende Aufträge auf Plakate u.dgl.zu erzielen, weil fast alle Firmen dieses Faches den Käufer sozusagen mit der Nase darauf stoßen, vor Erteilung eines Auftrages sich erst kost spielige Entwürfe auf Risiko der lithografischen Anstalt anfertigen zu lassen. Erklärte der Kunde, er werde, gefällt ihm der eine Entwurf nicht, sich von der Anstalt einen anderen anfertigen lassen, aber jedenfalls bestellen, dann wäre es gut, aber meist sagt der Kunde: »ich habe bei 5 oder 6 Firmen Entwürfe bestellt, die können mit- konkurriren«. Trifft nun die Anstalt nicht den Geschmack des Kaufenden, oder ist ihre Arbeit, weil sie mehr Farben erfordert, nicht die billigste, so hat sie das Nachsehen. Der Käufer hat meist kein Verständnis für Farbenwahl und künstlerische Ausführung. Eine Schwierigkeit für die Kunstanstalt, das Richtige zu treffen, liegt auch darin, daß der Besteller fast nie genau weiß, was er will. Er braucht ein Plakat, fuchtelt mit der Hand dem Reisenden vor den Augen herum, beschreibt mit ihr Kreise und Spiralen und gibt schließlich den Text allein an, das andere soll der Reisende oder der Zeichner er finden. Immer soll das Plakat sprechen, bei Haarwasser, Zahnpasta, Toilettenseifen, Sekt, Kindernahrungsmitteln usw. geht das, aber bei vielen Erzeugnissen nicht. Dem Reisenden, der trotz eifrigster Mühe 3 bis 4 oder gar 8 Tage keinen Auftrag einsenden kann, wird z. B. von inem Kunden gesagt: »Sie können sich an der Konkurrenz von 5 bis 6 bis 10 anderen mitbeteiligen, wer das Beste und Billigste bringt, erhält den Auftrag«, Er hat Angst vor Kündigung seiner Stelle, muß Günstiges an sein Haus berichten und schreibt: »X. braucht Plakate, Entwurf bestellt, konvenirenden Falles Ordre sicher versprochen, Skizze so und so«. Er verschweigt, daß der Kunde keine Verpflichtung zum Bestellen übernommen hat, und daß seine Firma nur mitkonkurriren darf. Häuser, die derart verlangte Entwürfe ausführen lassen, haben am Ende des Jahres für 10 bis 15 000 M. unerledigte, meist unbrauchbare Entwürfe und suchen sich einen anderen Reisenden, der da anfängt, wo sein Vorgänger aufgehört hat. Um diesem Unfug zu steuern, sollte jede Firma ihren Reisenden unter Androhung der Kündigung vor schreiben, daß sie bei Bestellung von Entwürfen stets genau mitteilen, ob auch andere Firmen zum Mitbewerb aufgefordert werden. Eine rechnende lithografische Anstalt wird sich an solchen Wettbewerben nicht beteiligen, denn von 6 bis 10 Mitbewerbern kann nur einer den Auftrag bekommen. Die andern werfen Geld und Arbeit auf die Straße. Das Plakatfach ist in Deutschland mit Riesenschritten vorange gangen, wir werden heute vom Ausland nur in der Eigenart und im flotten Hinwerfen der Darstellung übertroffen, hauptsächlich weil die ausländischen Kunstanstalten von ihren Auftraggebern unterstützt werden. Diese kleben nicht immer an ihrem Erzeugnis, sondein ihnen ist jede Darstellung lieb, die den Blick des Publikums fesselt. Man sehe Bass-Stout, Palmers Biscuit, Gold Hair usw. an, technisch unvoll kommen, doch in Beziehung auf Reklame-Zwecke großartig. Es ist ein deutscher Fehler, an dem Gegenstand der Fabrikation zu kleben, auf Plakaten unmögliche Fabrikansichten anzubringen, die kein Mensch ansieht. Zum Ueberdruß sieht man auf Plakaten Heinzelmännchen, Wassernixen oder mythologische Figuren, aber keine Darstellung aus dem Leben. Ich ließ vor etwa 8 Monaten von einem jungen Maler einen Likör - Entwurf anfertigen, eine Gruppe herrlicher Dachshunde neben einem Korbe voll Likörflaschen, mit einer Likörflasche spielend, und bot den Entwurf großen Likörfabrikanten an, wurde aber fast überall mit höhnischem Lächeln abgespeist. 14 Tage darauf verkaufte ich den Entwurf in London für eine große Auflage, und heute hat meine Firma 6 Anfragen nach ähnlichen Entwürfen. Unsere Ausfuhr nach dem Auslande ist groß, weil wir für das Ausland anders arbeiten können als für Deutschland. Trotzdem gibt es keine deutsche Korsettfabrik, die ein richtig gezeichnetes Korsett von uns haben kann. Ein bedeutendes elektrisches Werk Deutschlands, das nur in Deutschland arbeitet, brauchte 5 bis 10 000 Plakate und ersuchte meine Firma um Entwurf ohne Verpflichtung zum Bestellen. Ich war gerade am Platze der Firma und hörte von einem Ingenieur, daß schon 80 bedeutende Firmen vergebens Entwürfe für das gegebene Thema: »Kraft und Licht« gesandt haben, und man sich nun nach Amerika