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3346 PAPIER-ZEITUNG Nr. 93 Auf verschiedene Reklamationen dieserhalb antwortete der russische Rechtsanwalt teils ausweichend, teils gar nicht. Auch war eine Anfrage beim deutschen Konsulat bisher erfolglos. Trotz des in allen Teilen zu Gunsten der Firma X. aus gefallenen Urteils hatte sie also rund 115 M. Unkosten, gleich rund 15 pCt. des Guthabens, womit der Verdienst aufge zehrt war. Man könnte derartigen Mißständen aus dem Wege gehen, wenn man als Erfüllungsort für die Zahlung den deutschen Niederlassungsort des Lieferanten vereinbarte, um bei einem deutschen Gerichte klagen zu können, allein es besteht zwischen Deutschland und Rußland noch keine Abmachung, wonach letzteres Land Urteile deutscher Gerichte vollstrecken müßte. Urteile ohne Recht auf Vollstreckung haben aber keinen Wert. V. 0. Wiener Papier- und Schreibwaren Eigenbericht Seitdem die Schulen begonnen haben, ist auch eine bessere Zeit für die Papierhändler eingetreten. Waren im ver flossenen Sommer auch mehr Fremde in Wien als sonst, so spürte man doch das launenhafte Wetter. Die Vorläufer der heurigen Saison sind bereits erschienen. Wo man hinblickt, gibt’s nur Leinenpapier. Sämtliche ein heimischen Fabrikanten bemühen sich, vor dem großen Kladderadatsch, der in dieser Art der Papierausstattung nur zu bald eintreten wird, ihr Schäfchen zu scheren. Das große Publikum wird langsam müde immer wieder dasselbe zu kaufen und sehnt sich nach Abwechslung. Qualitativ am höchsten steht »Batiste«, ein schönes weißes Papier mit Leinenpressung und zartem violettem Rand. Die Schachtel ist weiß überzogen, hat violette Kanten und zeigt am Deckel in einer energischen Handschrift das ebenfalls violett geprägte Wort »Batiste«. Diese Fabrik heißt es »Toile d’Alsace«, jene »Linen Paper« bezw. »Damask Paper«, die dritte »Finest Linen« usw. Alle Tönungen sind vertreten, und fast alle Papiere haben farbige Ränder; z. B. rosa mit dunklerem rosarotem oder weißem Rand, grün mit grün oder gold, blau mit blau, oder weißgrau mit weiß oder schwarz (letzteres als Halbtrauerpapier), drap mit rot usw. Die meisten dieser Papiere und die in gleichen Farben erschienenen Karten (Billets de correspondance) haben Umschläge mit modernem, spitzem, tiefreichendem Schnabel verschluß oder sackförmigem Seitenschluß. Mit Papier von der Farbe des Inhalts sind die Schachteln überzogen und tragen bei »Toile d’Alsace« den Titel in Stickereiimitation auf geprägt, bei »Linen und Damask Paper« einfach aufgedruckt. Dem s. Zt. erwähnten »White American Leather« wurden Nach folger gegeben in einem etwas kleineren sogenannten Herren quartformat, Blattgröße gefaltet 13'/ 2 X 17 cm. Es erschienen ein zartes, fast weißlich scheinendes Heliotrop mit dem Unter titel »Steel« (Stahlfarbig), ein etwas kräftiger gefärbtes »Helio trope« und ein blaues, pastellartiges »American Vellum Sky- blue«. Die Kartons, wie jetzt üblich, enthalten in besonderem Fach 20 Umschläge, die Briefbogen liegen darüber. Von Schöpfpapieren ist das »Original Rye Mill Handmade« neu. Ein selten schönes und dabei sehr glattes weißes oder bläuliches, echtes Büttenpapier mit Spitzschnittumschägen ähn lich dem s. Zt. so beliebten englischen Chaucer-Paper. Es gibt darin nur zwei Größen ähnlich dem englischen Small 8° (111/2 X 18 cm) und large 8° (13 X 201/2 cm). Die äußere Ausstattung ist sehr hübsch, für das weiße gelbbraun, für das bläuliche nachgeahmte violett Ecrasleder. Der Unterteil hat Vorstehkanten, der Oberteil ist darauf gestülpt, und der wattirte Deckel trägt die Inschrift in Goldheißdruck, wozu eine sehr schöne Antiqua verwendet wurde. Auch ist violettes und graues »St. Mary Cray« in hübsche Schachteln gepackt er schienen. »Un mot ä la poste« heißen Schreibblöcke ähnlich den s. Zt. beschriebenen Letterettes. Sie enthalten flache Karten briefe aus Damaskpaper, die an der oberen Kante mit einer Lochreihe ausgestattet sind. Eine neue Art Kartenbriefe wird aus »Toile d’Alsace« gefertigt, bei welchen die Einlage an der oberen Kante eingeklebt wurde, im Gegensatz zu den be kannten »Cartes-Lettres«, deren Einlage im Falz eingeklebt ist. Eine originelle Attrappe hat Form und Aussehen einer Champagnerflasche, die hübsche Karten enthält. Eine andere Art stellt unsern gelben Briefkasten vor. Die Schachteln sind ja nicht übel, aber vor 10 Jahren war schon so etwas da. In verzierten Briefpapieren wurde heuer ganz außerordent liches geleistet. Für heute seien nur folgende erwähnt. Papier St. Cloud trägt auf zartfarbigem Papier weiß geprägte ornamen tale Kopfleisten. Die rosa überzogene Kassette ist mit ovalem Rahmenornament aus Zweiglein, Palmetten, Rosetten und Schleifen geschmückt; Papier Empire zeigt außen den gleichen Schmuck, auf den Briefen und Billets aber zart modellirte Allegorien in farbiger Bronzeprägung. »Chine« ist eine Kassette, benannt, die zierliche stickmusterartig geprägte Blumenguirlan- den enthält. Eine geradezu großartige und sehr gelungene Nachahmung von echten Soie chine-Bändern bringt das »Papier chine«. — Die mit feinem Gefühl und Kunstsinn in farbigem Buchdruck hergestellten bandartigen Streifen der Briefpapiere täuschen in weitaus besserer Weise die Seidenbänder vor, als es beispielsweise die diesjährigen ähnlichen Pariser Erzeug nisse vermögen. Gab’s im Vorjahre Buehkalender mit Umschlägen aus Seidenstickerei, so ging man heuer noch weiter und brachte derart verzierte Menus und Tischkarten, Gratulations-, Visite- und Postkarten auf den Markt. Die Stickereien, ausschließlich zarte Blätter und Blumen allein oder in Verbindung mit Linien ornamenten sind auf ganz feinem Kanevas oder Leinen ausgeführt und dann auf den Karton geklebt. Stellenweise ist auch der Rand der Karten entsprechend der Zeichnung aus gestanzt. Eine praktische Neuheit für Herren sind Brieftaschen aus feinem Leder mit eingehängtem Wochenvermerkkalender. Die Blattgröße des Abreißkalenders ist doppelt so groß als die der bekannten Westentaschenkalender. Die vom Vorjahre her be kannten Portemonnaiekalender mit Silberecken und Kanten sind heuer wieder erschienen, bloß mit dem Unterschiede, daß der Silberbeschlag statt glänzend polirt, diesmal matt gehalten ist. Auch das letzte Neujahrssymbol »Schwarzwälderubr« in Silber ist auf einem Kalender sehr hübsch angebracht. Die Uhr in gepreßtem Silber enthält Glücksembleme mit der In schrift »366 glückliche Tage«. Als Uhrgewichte sind die 4 Ziffern der Jahreszahl 1904 verwendet. Alpha. Undeutsche Papier-Ausstattung So Mancher, der die Auslagen unserer Papier- und Luxusgeschäfte in Augenschein nimmt, wird erstaunt sein, mit welcher Fülle von aus ländischen Papier-Ausstattungen der deutsche Markt noch über schwemmt ist. Kürzlich stand ich in einer deutschen Haupt- und Residenzstadt vor großen, mit vielem Geschmack ausgestatteten Schaufenstern, welche eine große Auswahl zum Teil sehr gefälliger Papierschachteln enthielten, aber als ich anfing, deren Aufschriften zu lesen, fehlte nicht viel, und ich hätte geglaubt, in London oder Paris zu sein: ^Ivory Papern -»The original Margot Milin »Tinted Linenpapem »Thur Milin »Margaret Milin »Mary Milin »Extra Thickn »High Lifm »Porte bonheum »Des fleursaimeegn »AlguegMaritimegn »Cameenn »Soie Iriseen »Toile d’alsaccn und andere mehr, während ganz bescheiden, gleich einem Veilchen hier und da versteckt, ein Elfenbeinpapier, Segelleinen und dergl. zu finden war. Im Geschäftslokal, das ich betrat, wurden mir alle erstgenannten Herrlichkeiten vorgelegt, bis ich den Verkäufer fragte, ob ich nicht auch deutsche Erzeugnisse haben könne. »Gewiß, mein Herr«, wurde geantwortet, »aber ich erlaube mir zu bemerken, daß fast alle diese Schachteln deutschen oder österreichischen Ursprungs sind, und wir nur noch sehr wenig aus England und Frankreich beziehen!« Im ersten Augenblick begriff ich die Sache nicht recht. Wie sollte ein deutscher Fabrikant dazu kommen, seine Erzeugnisse deutschen Käufern unter diesen gesuchten fremden Namen vorzusetzen? Mein ursprüng liches Erstaunen machte nunmehr tiefer Beschämung Platz. Ich sagte mir: Ist dies der große Fortschritt, den die deutsche Industrie seit mehr als 80 Jahren gemacht hat, daß sie es heute noch nicht wagen darf, ihre Waren unter ehrlicher Flagge an den Markt zu bringen? Wo bleibt da der Nationalstolz, und ist es nicht geradezu traurig, daß die große Menge im Glauben erhalten wird, nur das Ausland sei leistungsfähig? Jeder Laie mit gesundem Menschenverstand, der eine Briefschachtel mit englischer oder französischer Aufschrift kauft, muß doch annehmen, daß er fremdländische Ware erhält, und gefällt ihm diese, so wird er später gewohnheitsmäßig die Fleurs aimes, Margot Mill usw. verlangen. Nur so kann ich es mir erklären, daß mir der Verkäufer sagen konnte: Das Publikum verlangt die »Marke«. Eine nette Entschuldigung! Zum Mindesten machen sich der Fabrikant wie der Händler dem Publikum gegenüber einer Vorspiegelung falscher Tatsachen schuldig. Möge doch der Fabrikant, wenn ei’ ins Ausland liefert und nicht anders kann, die Aufschriften in der Sprache des kaufenden Landes anwenden, dem deutschen Käufer soll er aber so etwas nicht zumuten, dieser hat alles Recht, sich dagegen zu ver wahren! Daß die Händler sich dies alles bieten lassen, ist nicht zu verstehen, und höchste Zeit wäre es,_daß alle, die es angeht endlich