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Nr. 88 PAPIER-ZEITUNG 3151 Die meisten Buchstaben der Kaiserzeit lassen sich ungefähr in ein Quadrat oder einen Kreis schließen, so das C D G N 0; andere aber, wie B E F K L P S, sind etwa doppelt so hoch wie breit; bei E und F liegt der mittlere Querbalken genau in halber Höhe und ist nicht kürzer als die anderen; das M berührt mit der Mittelsenkung den Boden, die äußeren Ab striche stehen schräg nach außen, nicht senkrecht. Die Buchstaben haben Schraflirungen, die aber sehr maßvoll ge halten sind. Mit der Zeit freilich ändert sich das, die Formen werden schmaler, der Unterschied zwischen Druckstrichen und Haarstrichen stellt sich ein, der Gesamteindruck der Inschriften wird zierlicher und kraftloser, wiewohl sie Jahrhunderte hin durch die alte klassische Haltung wahren. Aber ganz andere Aenderungen sollten auf anderm Wege mit der lateinischen Kapitale vor sich gehen, Aenderungen, die zunächst durch das Material bedingt waren. Wie die hieratische Schrift durch das Schreibrohr, die chinesische durch den Pinsel, die Keilschrift durch den kantigen Stab ihre eigentüm lichen Formen erhielten, so hat auch hier die Schreibmanier die Formbildung beeinflußt und mit der Zeit die Spaltung der Kapitale in die berühmten acht Alfabete bewirkt, mit deren Erlernung heute, wie es heißt, die deutschen Schulkinder ge quält werden. Auch noch ein anderer Seitenzweig, ein etwas wilder Schößling, ist aus der lateinischen Kapitale entsprossen, nämlich die germanische Runenschrift. Ueber die Abstammung der Runen ist man lange im Un klaren gewesen; man hat sie mit der lateinischen, griechischen, fönizischen Schrift zusammengebracht, man hat sie sogar für autochthon gehalten und mit ihren steifen und eckigen Zügen als ein grafologisches Abbild des germanischen Wesens preisen wollen. Aber diese Züge sind lediglich eine Folge des Materials, auf dem man die lateinischen Buchstaben anzubringen bemüht war. Statt Stein und Wachs und Papyrus verwendete der Germane hölzerne Stäbe, Runenstäbe (vgl. dasWort »Buchstaben«) die dem lesenden Priester die Zauberformel zuraunten, deren er sich bei Beschwörungen zu bedienen hatte. In diese Stäbe wurden die Schriftzeichen eingeritzt und dann mit roter Farbe nachgemalt; daher bedient sich auch die älteste deutsche Sprache statt des späteren lateinischen Fremdwortes »schreiben« (scribere) der Wörter writan (ritzen, reißen, vergl. Reißbrett, Reißfeder; engl. to write) und meljan, malen. Denkt man sich nun einen flachen Stab von einer gewissen Breite, Langholz, so ist selbstverständlich das ritzende Messer auf bestimmte Linienzüge beschränkt. Es kann sich weder horizontal be wegen — denn da würde es ausgleiten —- noch über die obere und untere Grenzlinie hinausgehen, noch Kurven schneiden. Daraus ergeben sich dreierlei Veränderungen der römischen Buchstaben: 1. die Verwandlung der Querstriche in Schrägen, 2. das Ansetzen dieser Schrägen innerhalb des Schriftkörpers, 3. die Verwandlung der Bogen in Winkel mit geraden Schenkeln. Der Vortragende macht diese Wandlungen durch Dar stellung des Runenalfabets »Futhark« und der Inschrift des Horns von Tondern an der Tafel klar. Diese Schrift, deren Zeichen ähnlich wie die fönizischen akrologisch mit germanischen Namen bezeichnet wurden, ist völlig aus dem Gebrauche verschwunden; das bedeutet keinen Verlust, denn sie hat auch, wo sie in Stein eingehauen wurde, nirgends die geringste Veredlung erfahren. Als einzigen Rest gebrauchen die Isländer noch jetzt das Runenzeichen für den Zischlaut th, das Thorn. Den Runen entgegengesetzt sind die Wandlungen, denen die Schriftzeichen unter dem Schreibrohre auf dem Papyrus unterlagen. Die Hand neigt dazu, die Striche abgleiten zu lassen und die Ecken abzurunden. So hat sieh schon in griechischen Papyrushandschriften vorchristlicher Zeit eine ab- geschliffenere Schreibschrift entwickelt, die besonders durch die drei rundlichen Unzialformen für E s und 2 karakterisirt wird. Sie hielt sich ziemlich unverändert in der byzantinischen Zeit, wurde dann für die südslavische Sprache verwendet und ist so die Vorläuferin der russischen Schrift geworden. Fortsetzung folgt Lohnbewegung unter den dänischen Buchbindergesellen. Dio Ueber- einkunft im Buchbinderfache in Kopenhagen, die erst nach langen Verhandlungen im Frühjahr 1902 zustande kam, wurde von dem Fach verein der Buchbindergesellen schon zum 1. Februar 1904 gekündigt. Der von dem Fachverein übersandte Vorschlag zu einer neuen Ueber- einkunft verlangt eine Reihe Verbesserungen der Lohn- und Arbeits bedingungen. Auch die Fachvereine der Gesellen in den Provinzen haben die bestehende Uebereinkunft gekündigt und verlangen be deutende Lohnerhöhungen und Verkürzung der Arbeitszeit. F. Das Schriftbild und seine Entwicklung In der Vortragsreihe über »Die Herstellung des Buches«, vergl. Nr. 86, hielt am 23. Oktober Herr Professor E. Doepier der Jüngere einen Vortrag über obiges Thema. Er begann seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, daß wir über die Entstehung einer der ältesten Schriften, der ägyptischen Hieroglyfen, fast nichts wüßten, trotzdem diese Zeichen allem Anschein nach sehr langsam ausgebildet wurden. Aehnlich sieht es auch mit vielem Anderen im Schriftwesen aus, dessen Ursprung wahrscheinlich stets geheimnisvoll bleiben wird. Der Vortragende beschrieb hierauf die verschiedenen Stoffe, die nacheinander und nebeneinander zur Aufnahme der Schrift gedient haben, und wies darauf hin, daß die Form der Schrift stets, und häufig auch ihr Charakter durch den Träger, die Art der Behandlung und das Werkzeug bestimmt werde. Die stärksten Beweise hierfür seien die assyrische Keilschrift und die altnordischen Runen. Redner erwähnte dann die Ent wicklung der römischen Schriftzeichen aus dem fönizischen und griechischen Alfabct und ging dann auf die Entfaltung des Schriftwesens im alten Rom näher ein. Wir verdanken Rom die Kapitalschrift, die für alle monumentalen Zwecke vor jeder anderen Schrift den Vorzug größter Ruhe und Klarheit hat. Die Kapitalschrift hat von Rom aus ihren Siegeszug um die Welt angetreten, und trotz ihres Alters ist ihr Gebiet noch im Wachsen begriffen. Schon im alten Rom empfanden die Vielschreiber das Bedürfnis, die Schrift zu vereinfachen und zu kürzen. Zu diesem Zwecke wandte man einerseits umfangreiche Abkürzungen an, anderseits eine gut ausgebildete Kurzschrift. Im vierten Jahrhundert der christlichen Zeit rechnung erschien dann die Bibel des Ulfilas und der Codex argenteus, deren Schrift eine Mischung griechischer Schrift zeichen, nordischer Runen und römischer Buchstaben bildete. Irische Priester brachten im achten Jahrhundert die Minuskel nach Deutschland, und in den Klöstern und Gelehrten-Schulen des frühen Mittelalters bildete sich die Gotisch aus. Die Hand schriften wurden durch sorgsam ausgeführte Verzierungen der Kapitelanfänge, durch gemalte Einfassung der ganzen Seiten und durch Verschnörkelung der Buchstaben prächtig geschmückt, und Gutenbergs Erfindung hatte dem gegenüber mit ihrem einfachen Schwarz, das höchstens durch roten Eindruck einzelner Buchstaben ausgezeichnet wurde, einen schweren Stand. Die Drucker versuchten daher bald den damals allgemein geübten Messer-Holzschnitt in Langholz für ihre Erzeugnisse zu ver werten. Man schnitt die Initiale in Holz und ließ sie nachher von Hand koloriren. Das Ergebnis war gewöhnlich nicht sehr schön, immerhin lieferte dieses Verfahren gedruckte Bücher, die ähnlich bunt aussahen wie die geschriebenen; sie ent sprachen dem Bedürfnis der Uebergangszeit. Die nächsten Jahre brachten dem deutschen Buchdruck die Mitwirkung großer Künstler wie Albrecht Dürer, Schäufelin, Hans Burgk- mair, Hans Holbein und andere. Sie arbeiteten für den Holz schnitt und führten diese Technik zur höchsten künstlerischen Vollendung. Der Blüte des Buchdruckes, die zugleich mit der künstlerischen Renaissance in Deutschland einsetzte, folgte indessen sehr bald vollständige Versandung aller künstlerischen Bestrebungen im Buchdruck. Der 30jährige Krieg vernichtete die letzten Ueberbleibsel, und man war später z. B. gewissenlos genug, denselben Holzstock als Bild der verschiedensten Städte zu verwenden. In den folgenden Jahrhunderten versuchte man in Frankreich den Kupferstich für das Buch nutzbar zu machen, zerstörte aber damit den ganzen Zusammenhang zwischen Text und Bild. Erst später, als man leichte und zierliche Schriften zugleich mit den Einfassungen in Kupfer stach, wurde das Buch wieder einheitlich. Diese Besserung erstreckte sich aber nur auf wenige, mit großen Kosten hergestellte französische Werke. In Deutschland war man nicht soweit gelangt. Wenn auch Chodowiecki alle seine Arbeiten drucken ließ, und hin und wieder ein Künstler Buch-Illustrationen entwarf, so war dem Buchdruck doch das Streben nach Vollendung ganz abhanden gekommen. Die Erfindung der Stereotypie, der eisernen Handpresse und im Anfang des 19. Jahrhunderts der Schnellpresse, sowie das Auftreten des Steindrucks brachten einen neuen Anstoß; es wurden zu den vorhandenen Schriften Fraktur, Antiqua, Gotisch und Schwabacher einige neue ent worfen, man suchte wieder die Mediaeval hervor und bemühte sich, die Schriften für verschiedene Zwecke breit, schmal, fett und mager zu machen. Amerika erwarb sich ein bedeutendes Verdienst, indem es die Reklameschriften erfand. Sie er schienen zuerst auf Plakaten und fanden, als man ihre Wirk-