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8416 Nichtamtlicher Teil. ^ 231, 4. Oktober 1904. Diese scharfe Scheidung gilt selbstverständlich auch für solche Werke der bildenden Künste, die in der Öffentlichkeit dauernd ausgestellt sind; für Denkmäler, den malerischen Wandschmuck an Häuserfassaden oder Bauwerke überhaupt. Wenn der Künstler seine Einwilligung gibt, daß sein Kunstwerk an der Straße bleibend aufgestellt wird, so ge währt er naturgemäß damit dem Publikum den Anblick und ästhetischen Genuß der Außenansicht des Werks. Der Entwurf gibt aber dem Publikum noch eine weitere Befugnis, nämlich die der wirtschaftlichen Nutzung der gleichen Außenanstcht. Eine derartige Ausnahmebestimmung, die mit allen Grundsätzen des Urheberrechts in Widerspruch steht, ließe sich nur durch sehr schwerwiegende praktische Gründe rechtfertigen. Die Motive haben indessen eine solche Rechtfertigung nicht gegeben. Sie stützen sich im wesentlichen auf die Übung, die einem gesunden Rechtsempfinden ent spreche. Ich meinerseits erkenne die Übung an, halte sie aber für eine mißbräuchliche, und das Rechtsempfinden, falls es vorhanden ist, für ungesund. Ich bin im Gegensatz zu den Motiven der Ansicht, daß abgesehen von dem materiellen Schaden, der dem einzelnen Künstler, vor allem dem Bau künstler erwächst, die Anerkennung der Crispinusmoral in einem Gesetz immer nur verwirrend und demoralisierend wirken kann. Denn wenn der Gesetzgeber ohne zureichende Gründe, wesentlich aus Gefühlsrücksichten, die Rechte des Künstlers gerade in solchen Fällen aufhebt, in denen die intensivste wirtschaftliche Verwertung seiner Schöpfung möglich ist, so rührt er an die Grundlage des gesamten Urheberrechts. Der eigentliche Grund dieser Freigabe ist die menschen freundliche Tendenz, die patriotisch oder ästhetisch bildenden Wirkungen eines öffentlich aufgestellten Kunstwerks zu ver stärken und dem Werk zur weitesten Verbreitung zu ver helfen. Wenn auch öffentliche Denkmäler vielfach der Zweck kunst, und somit einer ästhetisch untergeordneten Kunst gattung zugerechnet werden, so scheint es doch unzulässig, aus der dauernden öffentlichen Ausstellung des Kunstwerks zu schließen, daß die weiteste Verbreitung und Zugänglich machung des Werks im Publikum auf Kosten des Künstlers erfolgen soll. Jede Aufstellung eines öffentlichen Denkmals findet auf Grund einer besondern Widmung von seiten des Staats oder einer Gemeinde oder einer besondern Stiftung statt. Wer die dauernde Aufstellung eines Kunstwerks an öffentlichen Orten verfügt und als Besteller oder Käufer eines Werks mit dem Künstler verhandelt, wird immer in der Lage sein, sich vom Künstler diejenigen Rechte oder Ge nehmigungen (Lizenzen) übertragen zu lassen, die erforderlich sind, um das Werk in weitestem Umfang zu vervielfältigen und zur Verbreitung zu bringen. Heute denkt der Besteller eines Werks selbstverständlich hieran niemals. Daher werden die Honorare, die dem Künstler bezahlt werden, auch immer nur im Verhältnis zum Wert des einen Originals bemessen, aber. ohne Rück sicht auf die spätere Verwertung des Werks durch Verviel fältigung und Vertrieb. Wem kommt nun die Freigabe zugute? Dem Publikum kaum. Denn das Publikum muß für Nachbildungen zahlen, ob der Urheber geschützt ist oder nicht. Dem Publikum würde selbstverständlich die Möglich keit, Nachbildungen zu erwerben, auch nicht entgehen, wenn das Urheberrecht des Künstlers nicht beschränkt wäre. Denn auch der Künstler wird in der Regel die weitre wirtschaft liche Nutzung seines Werks durch die Verbreitung von Nach bildungen nicht ablehnen, und die Preise werden auch hier überall bestimmt durch das Verhältnis von Nachfrage und Angebot. Es scheint mir aber anderseits, daß ein Schutz des Künstlers größere Sicherheit dafür bieten würde, daß gute Nachbildungen zu verständigen Preisen an das Publi kum gelangen. Denn die Regelung des Wettbewerbs, die der Urheberschutz mit sich bringt, bietet dem Industriellen und dem Händler viel eher die Möglichkeit, gute Nach bildungen herzustellen und zu billigen Preisen zu verkaufen, als der unbeschränkte Wettbewerb, bei dem die dauernde Unterbietung regelmäßig auf Kosten der Güte der Nach bildungen erfolgt. Die heutige Freiheit der Nachbildungen solcher öffent lichen Denkmäler kommt also nicht dem Publikum, sondern lediglich den an der Vervielfältigung beteiligten Industrien und dem Zwischenhandel zugute. Aber auch hier darf der Wert der Nachbildungsfreiheit und des freien Wettbewerbs nicht überschätzt werden. Denn wenn ein Kunstinstitut in der Lage sein soll, künstlerische Reproduktionen mit Liebe auszuführen und dem Publikum zu angemessenen Preisen anzubieten, muß es auch gegen eine minderwertige Kon kurrenz geschützt sein. Die Begründung des Entwurfs verrät eine besondere Fürsorge für die kleinen Gewerbetreibenden, »deren Interessen sich an den freien Verkehr mit Ansichtspostkarten und Photo graphien knüpfen«. Bei dem enormen Aufschwung der Postkartenindustrie läßt sich beobachten, daß dieser Gewerbe zweig allmählich zur Ausbildung der Großindustrie führt. Die vollkommene Freigabe würde auf die Dauer vermutlich gerade zur Ausschaltung der kleinern Betriebe und zur Kon zentrierung auf einige große Firmen sichren, die sich gegen seitig durch starkes Unterbieten schädigen und darauf an gewiesen find, immer billiger zu produzieren, um mit den Preisen auch immer heruntergehen zu können. Wer einiger maßen mit den Verhältnissen unsrer Postkartenindustrie ver traut ist, wird die Beobachtung machen, daß, sowie einige neue glückliche Muster von Ansichtspostkarten und ähnlichen Erzeugnissen erscheinen, sofort eine Reihe von Konkurrenten sich auf die gleiche Sache stürzen und dabei die Grenzen, die die Achtung vor fremdem Eigentum ziehen sollte, durch aus nicht immer einhalten. Will der Gesetzgeber gerade die kleinen Betriebe und Zwischenhändler, die am Vertriebe von Ansichten und Photographien beteiligt sind, schützen, so lasse er die für den Künstler unbillige und schädliche Freigabe fallen und ermögliche es so dem Besteller oder Stifter des Denkmals, durch Ablösung des Nachbildungsrechts die Her stellung und den Vertrieb an einheimische Gewerbetreibende zu übertragen und diesen zu sichern. Hierbei würden das Publikum, die graphischen Industrien, die Zwischenhändler und vor allem die Künstler am besten fahren. Viel erheblicher scheint das in der Begründung vor gebrachte Bedenken, daß ein Schutz der öffentlich aufgestellten Kunstwerke sich praktisch nicht durchführen lasse, weil man die Wiedergabe öffentlicher Straßenbilder nicht verhindern könne und eine Grenze zwischen solchen Wiedergaben und der Nachbildung einzelner Werke nicht zu ziehen sei. Es ist zuzugeben, daß in einzelnen Fällen die Ent scheidung dem Richter nicht leicht fallen wird. Indessen ist dies eine technische Schwierigkeit, die allein nicht genügt, um eine an sich unbillige und unzweckmäßige Bestimmung zu rechtfertigen. Begrifflich läßt sich die Grenze zwischen der Wiedergabe des einzelnen Werkes durchaus scharf ziehen, und bei einer klaren Erkenntnis dieses begrifflichen Unterschiedes wird auch in den meisten Fällen der Praxis eine Ent scheidung zu treffen sein. Es wird dabei vor allem Rück sicht genommen werden müssen auf die Art der Aufnahme und der Reproduktion, auf den Charakter der ähnlichen, von dem gleichen Verlage oder Händler feilgebotenen Ansichts karten oder Photographien. Nehmen wir ein bestimmtes Beispiel, das Begassche Denkmal vor dem Reichstage. Wenn ein Photograph eine Aufnahme in kleinem Format von der ganzen Gruppe machen will, wird er seinen Apparat so 1 weit zurückstellen müssen, daß auch ein Teil des Platzes und