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„Und ich kann noch mehrere, ich kann auch bald die ganze Weihnachtsgeschichle. Willst Tu sie mir nicht auch einmal erzählen?" Vom Torfe her klangen die Kirchenglocken, zum Gottes dienste ladend. Es wurde der Gräfin mit einem Male so weich und wehmütig ums Herz. Innig küßte sie ihren kleinen Liebling, ihn auf später vertröstend; dann nahm sie ihr Gebetbuch und schritt tiefbewegt dem Gotteshause zu. Andächtig tauschte sie den Worten des greisen Pfarrers, der so fromm über die Geburt Jesu Christl zu predigen ver stand., .Friede den Menschen aus Erden, die eines guten Willens sind!" drang cs tröstend und ermahnend zugleich an ihr Ohr; und hatte ihr es nicht am guten Willen gcsehlt, heil« sie nicht selbst in der Verbitterung allen göttlichen und menschlichen Trost von sich gewiesen? Der Mund des un schuldigen Kindes hatte die Eisdecke über ihrem Herzen ge sprengt, daß es wieder austaute zu neuem Leben und beseli gender Friede in dasselbe einkehrte. Der Gottesdienst war vorüber und noch immer weilte die Gräfin allein im stillen Winkel der Kirche, bis eine Frage an ihr Ohr tönte und iie aus ocm Brüten weckte. „Haben Sie denn Ihre alten Freunde ganz vergessen, Frau Gräfin?" Es war der greise Psarrer, der mit weicher, bewegter Stimme also zu ihr sprach. Wortlos und mit tränenscuch- tcn Augen ergriff die Witwe die ihr dargebotene Freundes hand; aber ihre Tränen sagten mehr als Worte. Der edle Priester geleitete sie bis zum Parklore, und Balsam fürs genesene Her; dünktcn ihr die warmen Trostesworte. „Gott schenke Ihnen den heißersehntcn Weihnachtssric- den, gnädige Frau", sprach der Psarrer beim Abschiede. „Ja, wir wollen uns des lieben Festes sreuen, und Ihre Armen sollen daran teil nehmen, hochwürdiger Herr." Daheim las sie das Weihnachtsevangelium noch einmal durch, dann rief sie mit glücklichen, Lackeln ihre Roberta zu sich. „Sing' mir noch einmal Tein Weihnacktslicd", bat sie. Roberta ließ sich das nicht zweimal lagen, denn sie sang ja zu gern. Daraus erzählte ihr die Mutter von den Engelein, die in der heiligen Rächt zu den Hirten gekommen waren; und die Erzählerin wunderte sich selbst, daß sie heute seit Jahren wieder heiler und fröhlich sein konnte. Zärtlich drückte sie die Kleine an ihr Herz. „O, wie freue ich mich aus das Weihnachtssest", jubelte Roberta, als sie dann am Abend der geliebten Mutter den Gutenachtkuß bot. Roberta lag längst in süßen Träumen; an ihrem Bett- chen aber lnielc die Mutter und dankte Gott unter Tränen, daß er milde ibr Herz erleichtert und durch die unschuldigen Worte des Kindes ihre Seele ans der Umnachtung gerettet. Ja, jetzt konnte sie das Weihnachtssest seiern, sich selbst und dem ganzen Hause zum Segen, da ihr die Verheißung in Er füllung gegangen: Friede den Menschen ans Erden! Lin fröhliche Christfest. Erzählung von P. Saget. Nachdruck verboten. Man schrieb den 24. Dezember 1849; der Weihnachts abend, aus den namentlich die Kinder sich seit Wochen schon gefreut, Ivar gekommen, und in den meisten Häusern der rheinischen Stadt Bonn wurden die letzten Vorbereitungen zu der üblichen Chrislbcschcrung der kleinen Lieblinge ge troffen. In den auf dem Marktplatze ausgeschlagcnen Ver kaufsbuden, in welchen Spielwaren, Lebkuchen und derglei chen das Kindcrherz erfreuende Sachen mehr seil geboten wurden, rüsteten sich die Vcrkäuser und Verkäuferinnen zum Gcschästsschluß. Sic waren durchweg nicht sonderlich zufrie den mit der erzielten Einnahme, denn das Geschäft war flau gewesen. Manche hätten zwar gerne Einkäufe gemacht, allein es fehlte ihnen am Gclde. Tic Rachwehen des „tollen" Jah res 4848 übten noch einen lähmenden Einfluß aus Handel und Verkehr, und viele Leute, die auf einen Verdienst ange wiesen waren, hatten ihre liebe Rot, um sich ehrlich durch- znscklagcn. Tie „schlechten Zeiten" trugen also die Schuld daran, daß das Weihnachtsgeschäft kein gutes gewesen. Den Mangel an Absatz ihrer Waren empsand vor allem schmerz lich eine der Verkäuscrinnen, die „alte Kathrin", eine Witwe von etwas siebcnzig Jahren, die nicht nnr sür sich selbst, ländern auch 'ür einen krank'N — ebn denen Gattin 'M Trüb jahre gestorben war, und vier kleine Enkel den Lcbcnsunter- halt zu beschaffen hatte. Die Matrone saß, in einen wattier ten Mantel aus Zitzekattun gehüllt, auf einem niederen Holz schemel in ihrer kleinen Bude, die mit Leinwand überspannt und wenig Schutz gegen die Winterkälte bot, und harrte sehnsüchtig aus einen Käufer. Ab und zu zog sie unter ih rem Kleide einen eisernen Behälter hervor, in dem Holz kohlen glühten, um ihre zitternden Hände an dem schwachen Feuerchen zu erwärmen. „Ach", seufzte sie dabei, „es sind doch recht schlechte Zei ten, noch nicht einen preußischen Taler habe ich in den drei letzten Tagen eingenommen. Was soll aus mir, dem armen Kaspar und den kleinen Kindern werden? Und wovon soll ich den Herrn Knaus bezahlen, der mir die Spielsachen aus Kredit geliefert hat? Ein so trauriges Christfest habe ich noch nie erlebt, wie in diesem Jahre. Die Alte faltete die Hände, und Helle Tränen rannen über ihr runzeliges Gesicht. Eine Stunde mochte der Armen so unter Seufzen und Beten vergangen sein, da kamen durch die Budenreihe einige junge Herren, dem Anscheine nach Studentem Jetzt hatten sic den Stand der „alten Kathrin" erreicht, und die Frau hielt es sür geraten, den Versuch zu machen, die Herren zum Kaufe einzuladen. Mühsam erhob sie fick von ihrem Sitze und sprach mit bewegter Stimme: „Ihr lieben Herren, kauft einer armen Witwe ein Christkindchen ab." Die Angcredctcn wollten vorübergchen an dem kleinen, von zwei zinneren Oellämpchen spärlich beleuchteten Kram, nur einer derselben, eine hochgewacksene, breitschulterige Ge stalt mit schönen, anziehenden Gcsichtszügcn und mildblicken den Augen, hcnimie seine Schritte und trat an die Bude heran. „Guten Abend, Mutter", sagte er, „wie gcht's Geschäft?" „Schlecht, sehr schlecht, lieber Herr," erwiderte die Ma trone, „ich habe in drei Tagen nock keinen preußischen Taler gelöst. Und jetzt ist's Christabend und daheim warten ein kranker Sohn undi vier kleine Enkel aus Nahrung und . . ." „So schlimm sieht's bei Euch aus", unterbrach sie der Fremde, „das ist ja sehr traurig." „Tie „alte Kathrin" nickte schweigend, während ihr von neuem Tränen in die Augen traten. „Nicht weinen, nicht weinen, Mütterchen", bat bei die sem Anblick gerührt der junge Herr, „es kann noch alles gm werden, Ihr und die Eurigen könnt noch ein fröhliches Christ fest feiern." In das Herz der bekümmerten Matrone fiel ein Schim mer freudiger Hoffnung. „O lieber Herr, wie würde ich Euch dankbar sein, wenn Ihr mir etwas abkausen wolltet," sprach sie bewegt. „Davon später", entgegnete der andere, und sich nach sei nen Begleitern, die inzwischen auch näher getreten waren, umwendend, meinte er: „Meine Freunde, jeder von uns kann noch eine Anzahl von den Sachen dieser guten Frau zur Chrislbcschcrung gebrauchen, und damit sie ein Geschäft macht, wollen wir ihr gleich den ganzen Vorrat abnehmen. Wie?" Die Angcredctcn stimmten zu. „Besten Tank", sagte der Hochgewachsene mit freundlichem Lächeln und legte dann seine Hand auf den Kramtisch mit den Worten: „Mütterchen, alles, was Ihr in der Bude habt, gehört uns, seid Ihr mit einem Preise von fünfzig Talern preußisch Courant zufrieden?" Die „alte Kathrin" traute ihren Ohren nicht. Den ganzen Vorrat wollen Sie mir abkaufen und für fünfzig Taler?" „Ja, dünkt's Euch zu wenig?" „O lieber Herr!" stotterte die Alte. „Laßt sehen, was Ihr habt!" rief der Student, denn ein solcher war der Fremde in der Tat, und damit musterte er auch schon die ausgelcgten Gegenstände. „Famos", sagte er dann zu seinen sich schweigsam ver haltenden Äcglcitcrn. „Hübsche Reiter zu Pferde aus Holz, Puppen, Kinderrasseln, Hampelmänner, Schubkarren, Fracht- wagen, alles gediegene Ware. Wir wollen noch zehn Taler zulegcn, dann wird Mütterchen Wohl zufrieden sein. Also 90 Taler. Mutter, seid Ihr einverstanden, dann sind wir Handels einig." „Mein Gott, lieber Herr, sechszig Taler? Tas ist Euch wohl nur Spaß: der ganze Kram . . ." „Gehört uns", ncl der Student der Matrone in die