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Donnerstag, den 9. November 1905. 55. Jahrgang. WM" Notariell beglaubigte tägliche Auflage: 41V2 Exemplare. "MW Er. 261 K«fer«tr nehmm außer der Expedition auch die Austräger auf dem Lande entgegen, auch befördern die Annoncen- Expeditionen solche zu Originalpreisen. Erscheint jeden Wochei'tag aknnds für den folgenden Tag und kostet durch die Austräger wo Quartal Mk, 1Hb durch die Post Mk. 1,92 frei in'S HauS. Hollenstein Ernstthal, Oberlungwitz, Gersdorf, Kugau, Hermsdorf, Kernsdorf, Zangenberg, Falken, Langenchursdorf, Meinsdorf, Rußdorf, Wüstenbrand, Grüna, Mittelbach, Ursprung, Erlbach, Kirchberg, Pleißa, Reichenbach, Callenberg, Tnschheim, Kuhschnappel, Grumbach, St. Egydien, Hüttengrund u. s. w. für das Königliche Amtsgericht und den Ltadtrat zu Yohemlem-Lrmtthat. Vrgcrn crllsE GerneinöKsVerrr»or1trrngen öss nirrliegerröerr Ortschaften» Anzeiger für König Wns in AuWM. Am gestrigen Dienstag Vormittag 11 Uhr fand in Berlin im Lustgarten die Vereidigung der Truppen der Garnisonen Berlin, Char lottenburg, Spandau und Lichterfelde statt. Die Kaiserin erschien an einem Fenster des Schlosses. Der Kaiser in der Feldmarschallsuniform und der König von Spanien in Generals uniform, beide mit dem Bande des Schwarzen Adlerordens geschmückt, erschienen zu Pferde: mit ihnen der Kronprinz, Prinz Eitel Friedrich, der Ehrendienst und das Gefolge des spanischen Königs. Nach Ansprachen der evangelischen und katholischen Geistlichen erfolgte brigadeweise die Vereidigung. Hierauf hielt der Kaiser eine Ansprache. Er erinnerte die Rekruten an das Gefühl der Ver antwortlichkeit vor dem Höchsten und begrüßte sie als seine Soldaten. Sie sollten des Vorzugs ein gedenk sein, dem Gardekvrps mit seinen großen Er innerungen anzugehören und ihrem Fahneneid treu bleiben wie ihre Kameraden, die seit zwölf Monaten draußen den schweren Kainpf für das Vaterland kämpften. Der heutige Tag müsse ihnen in ernster, erhebender Erinnerung bleiben, zumal der König von Spanien durch seine Anwesenheit bei der Ver eidigung das Gardekorps geehrt hätte. Der Kaiser schloß mit einem dreifachen Hurra auf den König von Spanien. Die Musik spielte die spanische Nationalhymne. Der kommandierende General von Kessel brachte ein dreifaches Hurra auf den Kaiser aus, worauf die Musik die deutsche Nationalhymne spielte. Nach dem Vorbei marsch der Fahnenkompaznie kehrten die Monarchen in das Schloß zurück. Der Kaiser in der Uniform eines spanischen Generalkapitäns und der König von Spanien in der Uniform des 66. Regiments begaben sich um 12l/, Uhr im offenen Zweispänner nach der Kaserne des 2. Garde-Regiments, auf dem Wege von einer vieltausendköpfigen Menschenmenge mit lautem Jubel begrüßt. Gefolge und Ehrendienst folgten dem Wagen der Majestäten. Auf dem Kasernenhofe sand zunächst Vorexerzieren der 1. Kompagnie des Regiments statt; alsdann nahmen die Monarchen an dem Frühstück in der Offiziersspeiseanstalt des Regiments teil. Nachmittags 3 Uhr empfing König Alfons in seiner Wohnung den Reichskanzler Fürsten v. Bülow in längerer Audienz. Um 4 Uhr empfing der König in den Königskammern das diplomatische Korps. In Verbindung mit der Anwesenheit des spanischen Königs in Berlin tauchten auch sofort Verlobungsgerüchte auf. Und zwar ist es dieses Mal die Herzogin Marie Antoinette von Mecklenburg-Schwerin, die angeblich als Braut des Königs Alfons in Be tracht kommen soll. Tatsache ist, daß diese junge, am 28. Mai 1884 in Venedig geborene Herzogin, am Sonntag bei der Kronprinzessin Cecilie in Berlin eingetroffen ist. Sie ist bekanntlich katholisch, da ihre Mutter, die Prinzessin Marie zu Windisch- Graetz, seiner Zeit ihre aus der Ehe mit dem Herzog Paul von Mecklenburg entsprossenen Kinder katholisch werden ließ. Auch der Herzog nahm den katholischen Glauben an und entsagte ollen Rechten auf die Thronfolge in Mecklenburg-Schwerin. Der jüngere Bruder dcS Herzogs, Herzog Johann Albrecht, wurde dann auch Verweser des Großherzogtums, so lange der jetzige Großherzog noch nicht das regierungs fähige Alter besaß. Zu der gestern gemeldeten Verhaftung dreier Spanier in Magdeburg wegen Attentatsverdacht erfahren wir von zu ständiger Stelle, daß die Verhafteten keine Anarchisten, sondern mittellose spanische Doktoren sind. Sie befinden sich im Besitz von Fahrkarten 4. Klaffe und Empfehlungsbriefen Berliner Professoren. Ihre Haftentlassung wird jedenfalls erfolge«, sobald die telegraphischen Recherchen die Richtigkeit ihrer Angaben ergeben haben. Aus dem Reiche. Vom Kaiser. Die vom „Berl. Tagebl." aus Kiel verbreiteten und von vielen Zeitungen kritiklos nachgedruckten Angaben über eine neue Mittelmeer reise des Kaisers sind durchaus verfrüht, da es feststeht, daß Kaiser Wilhelm über irgend welche Reisepläne für das nächste Jahr noch keine Bestimmung getroffen hat. Nach russischem Muster! Einer Blättermeldung auS Breslau zufolge beschloß der dortige sozialdemokratische Verein, die Parteileitung aufzufordern, unverzüg lich zu erwägen, ob nicht am Tage nach dem Wieder zusammentritt des preußischen Landtags, am allge meinen Bußtage, in der ganzen Monarchie, ins besondere aber in den Industriezentren, Straßen- demonstrationen zur Beseitigung des schlechten Landtagswahlrechtes anzustellen seien. Zur „Vorwärts "-Affäre. Unter der Aufschrift „M eine Antwort" ergreift jetzt August Bebel selbst das Wort gegen die „edlen Sechs". Es scheint ihm vor allem an dem Nachweis gelegen zu sein, daß, wenn in der Sozialdemokratie Personenkultus getrieben würde, gerade die bisherigen „Vorwärts"-Redakteure sich darin am meisten hervorgetan hätten Bebel ist allerdings in der Lage, für die Ekstase, in welche der „Vorwärts" über jede seiner Parlamentsreden geriet, einige hübsche Beispiele anzuführen. Dafür indessen, daß er sich solche Schweifwedeleien ernstlich verbeten hätte, kann er außer einer schwachen Ver mahnung, aus der Herr Eisner wahrscheinlich das Gegenteil herausgelesen hat, nichts Stichhaltiges nach weisen. Im übrigen hat auch Bebels Sprache gegen die Gemaßregelten vollkommen das große Leipziger Vorbild erreicht: „eine perfide, mit den Tatsachen in Widerspruch stehende Taktik", „klatschende Ohrfeigen", „grobe, wider besseres Wissen ausgesprochene Un wahrheiten", „Fälschungen" usw. Zum Schluß er hält der Revisionismus folgenden, nicht mißzuoerstehenden Wink: „Ich weist auch nicht erst seit gestern, dast ich gewissen Personen in jenem Lager, daS in der Partei das rev i- si 0 ntstische heißt, ein Dorn im Auge bin, und mehr als einer, der in jenem Lager weilt, hegt den frommen Wunsch, es möge mir und noch diesem und jenem recht bald das Schick sal Liebknechts beschieden sein. „Sind erst die paar- Alt e n g e st 0 r b e n, dann ioerfen wir die Rassel bande zur Partei hinaus." Die Eisner und Ge nossen haben sich nun ganz enthüllt. Sie ahnten nicht, daß, indem sie Parieivorstaud und Prestkommission als Marionetten in ine ner Hand dai zustellen suchen, sie neben der > ichtswürdi- gen Verleumdung dieser Organe auch die schwerste Beleidigung gegen die Vertreter der Partei auf dem Parteitage und in letzter Instanz gegen die Berliner und die geiamte Partei aus sprachen, die solche H a m p e l m ä n n e r zu ihren Vertrauens personen wählt. Mich, den man verbrennen will, macht man zu einer " rl Halbgott auf Kosten derjenigen, für deren In teressen einzutreten die Sechs vorschützen. Ich zweifele nicht, daß die Partei zu gegebener Zeit den Sechs die passende Ant wort gibt." Warin und wo wird diese „passende Antwort" erfolgen? Ein Skandal von dieser Güte könnte doch nur auf einem Parteitag, und zwar in öffentlicher Erörterung, verhandelt werden. Schreckt der Parteivorstand davor nicht zurück oder ist er überzeugt, die Vollmar, Südekum, Heine usw. werden auch dort „Marionetten" in seiner Hand sein? Der Vorstand des Sozialdemokratischen Vereins für Dresden-Altstadt hat in seiner gestern abge- aaltenen Sitzung folgende Resolution be schlossen . „Der Vorstand erklärt, nachdem er von der Denkschrift des Parteivorstandes und der Preß kommission des „Vorwärts" Kenntnis genommen, daß er das bei Entlassung der „VorwärtS"-Redukteure angewendete Verfahren nicht billigen kann." Urne Kämpfe in Kiidmestafritm. In der Gegend zwischen Nueub und Awadaob, östlich von Auob, fanden vom 27. bis 29. Oktober kleine Z u s a m m e n st ö ß e mit den Hottentotten Simon Koppers statt. Hierbei fielen im ganzen 30 Hottentotten, auf deutscher Seite wurden drei Reiter verwundet. Die bisher in Aminuis statio- nierten Truppen unter Major von der Heydt und die unter Hauptmann M 0 raht bei Stam- prietfontein gesammelte Abteilung setzte die Be kämpfung dieser Banden fort. Auf der Verfolgung C 0 r n e l i u s' kam es 29. Oktober zu einem kurzen Gefecht der 4. Er satzkompagnie am Chamhawib-River. Ehe der die Verfolgung leitende Hauptmann v. Letow-Bor- beck mit seinen beiden anderen Kompagnien heran kommen konnte, hatte sich Cornelius wieder zurück gezogen, durchquerte abermals den Schwarzrand und überfiel schon am 2. November am Uibib-River, nördlich ron Gellap, einen Wareniransport, wobei vier deutsche Reiter fielen. Außer der Abteilung Lettow nahmen je eine Kom pagnie iiber Berseba und über Tses seine Verfol gung auf. Die in der Gegend von Gründorn ge meldeten feindlichen Banden teilten sich, ehe Major v. Estorfs sie angreifen konnte. Einen Teil ver- ölgt Hauptmann Brentano in nördlicher Richtung, andere scheinen sich Cornelius angeschloffen zu haben. Die Zustände in Rußland ind von Ruhe und Orduung immer noch weit entfernt und es erscheint auch kaum wahrscheinlich, daß sich die erregten Gemüter sobald zufrieden geben werden. Heute verzeichnen wir folgende Nachrichten: Petersburg, 7. Nov. Von hier sind gestern einige Personenzllge und ebenso derExpreß- zug bereits in Warschau eingetroffen. Von War- chau sind andere Züge nach Petersburg abgegangen, doch ist der Anschluß unsicher. — Aus Riga wird gemeldet, daß es in der Moskauer Vorstadt zu einem blutigen Zusammenstöße zwischen Natio nalisten, die ein Kaiserbild trugen, und Juden kam. 12 Personen wurden getötet, viele verwundet. — Der gestern früh in Kiew fällige Zug aus Odessa w urde in Rasdjelna angehalten. Von ven Passagieren wurden 12 Juden getötet und viele verwundet. Die Eisenbahnverwaltung weigert sich, den Juden Eisenbahnkarten nach Bender, Odessa und RoSdeljnaja zu verkaufen, weil sie ihnen keinen Schutz während der Fahrt gewähren kann. Odessa, 7. Nov. Die fremden K 0 tt - uln begaben sich zum Gouverneur Kaulbars, welchem sie drohten, die Kriegsschiffe, welche im Bosporus stationiert sind, nach Odessa kommen zu lassen, falls die Anarchie fortdauere. Graf Witte hat den Gouverneur telegraphisch aufgefordert, den Exzessen energisch ein Ende zu machen. Kutais, 7. November. Im Kreise Osnrgety sind durch Bomben der Kreischef, der Friedens richter und dessen Frau und eine große Anzahl Kosaken getötet worden. Bukarest, 7. November. Nach hier einge gangenen Meldungen steht die russische Stadt IsmaiIia in Flammen. Scharen von Plünderern durchziehen die Stadt, berauben und ermorden die Juden. Infolge des Eintreffens des rumänischen Konsuls, der wegen Abhilfe dringend vorstellig wurde, kamen Dragoner aus Bender, welche einen Angriff auf die Plünderer machten, wobei 42 Personen getötet und 114 verwundet wurden. Lando«, 7. November. Der Petersburger Korrespondent des „Daily Expreß" telegraphiert, daß in sämtlichen kaukasischenProvinzen Anarchie herrsche. Die Unterdrückung der Un ruhen sei dadurch sehr erschwert, daß die Aufstän dischen alle Transportwege zerstört haben. Siebzehn Eisenbahnbrücken wurden in die Luft gesprengt, deren Wiederherstellung viele Monate beanspruchen wird. Die Eisenbahngleise sind an 40 verschiedenen Stellen, meistens auf längere Strecken, vollständig aufgerissen. Die Städte Georgia und Daghestan sind von der übrigen Welt vollständig abgeschnitten Kalisch, 7. Nov. In Kalisch, Radom, Lomza und anderen Provinzstädten haben polnisch- nationale Massenversammlungen tattgefunden, in denen beschlossen wurde, an Witte wlgende Forderung zu stellen: 1. Vollständige Autonomie Russisch -Polens und Litauens mit einem aus allgemeinem Stimmrecht hervorge gangenen Landtage in Warschau. 2. Einführung der polnischen Unterrichtssprache für alle Schulen. 3. Polonisierung der Gerichte. 4. Einführung des Polnischen als Verkehrssprache der Verwaltungsbe hörden mit dem Publikum. 5. Zulassung der Polen zu allen Beamtenstellen in Russisch-Polen. Petersburg, 7. Nov. Schipow, früher Direktor der Kreditkanzlei, zuletzt Vizedirektor der Kanzlei des Finanzministers und Wittes Begleiter in Portsmouth, wurde zum Finanzminister ernannt. Schipow gilt als tüchtiger Finanztechniker. Der Arbeitskampf in den Webereien. Die in Glauchau am Montag Nachmittag abgehaltenen Textilarveiterversammlungen nahmen die Antwort der Unternehmer auf die am 6. d. M. angenommeuen Resolutionen entgegen und beschlossen, die Arbeit nicht früher aufzunehmen, bevor die Unter nehmer nicht befriedigende Zugeständnisse gemacht haben. In den Webereien in R e i ch e n b a ch i. V., die von der Aussperrung betroffen worden waren, nahmen am Montag insgesamt 150 Arbeiter die Arbeit wieder auf. Die Betriebe sind sämtlich in Gang gesetzt. In Mylau betrug die Zahl der Arbeitswilligen bei den Firmen Moritz Merkel und Hopf und Merkel ungefähr 50 Proz. In den übrigen Arbeitsstätten arbeiten nur etwa 10 Proz. Im Vergleiche mit dem Montag ist die Zahl der Arbeitswilligen um einige Personen gefallen. Von den in Netzschkau ausgesperrt gewesenen Webern, deren Zahl ca. 1200 beträgt, kehrten am Montag ungefähr 130 Personen (10 Proz.) in ihre Betriebe zurück. Die Höchstzahl, ungefähr 40 Per sonen, arbeiten bei der Firma Franz Anger; in den anderen 11 in Fruge kommenden Fabriken arbeiten durchschnittlich neun Zwölftel Weber. Die Fabriken sind von Streikposten umlagert, trotzdem herrscht größte Ruhe, und ist es zu Ausschreitungen bis jetzt noch nicht gekommen. Die Zahl der Arbeitswilligen ist am DienStag dieselbe geblieben wie gestern. Wie aus Greiz gemeldet wird, ließ der Mon tag ein klares Bild über die Lage nicht zu. Arbeits willige sind so gut wie nicht vorhanden. Große Betriebe mit 300 und mehr Arbeitern hatten kaum 10 Arbeitswillige aufzuweisen und die Arbeitswilli gen waren alte, im Dienste der betreffenden Firmen ergraute Jubilare. Die bemeikenswerte Tatsache, daß weit weniger Arbeitswillige an die Webstühle zurllckkehrten, als anfänglich Anmeldungen Vorlagen, erklärt sich in der Hauptsache dadurch, daß die Ar beitswilligen glauben, es kommen ja doch nicht genug Arbeiter zusammen, dann beginnt Montag, den 11. November, die Anssperrung aufs neue und die so genannten Streikbrecher kommen dann ai s die schwarze Liste, ohne die friedliche Beilegung erreicht zu haben. In den am Dienstag in Greiz und Umgegend statt- gefundenen fünf Versammlungen wurde eine Reso lution angenommen, die die erneute Androhung der Aussperrung als eine Verhöhnung der Arbeiterschaft bezeichnet und des weiteren ei klärt, daß die Arbeit nicht eher wieder ausgenommen werden soll, als bis