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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 30.06.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-06-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190106306
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19010630
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19010630
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-06
- Tag 1901-06-30
-
Monat
1901-06
-
Jahr
1901
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 30.06.1901
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MMm-EMMItt TilBIiltt. Amtsblatt. Nr. 150. Sonntag, den 30. Juni 1901. 1. Beilage. Politische Wocheusch» Einer alten Tradition entsprechend pflegen bei unk mit dem Sommersbeginn allerhand Krisen- gerüchte aufzutauchen, welche sich auch diesmal bereits eingestellt haben. An Motiven für solche Gerüchte pflegt es ja, wenn man sich nur einige Mühe giebt, nie ganz zu fehlen. Diesmal mußten die an geblich geplanten neuen Militärforderungen „beregtem Zwecke" dienen, aber eS war und ist diesmal keine rechte Stimmung für solche Krisengerüchte vorhanden, da es eben völlig an dem positiven Untergründe fehlt. Die angeblich geplanten Militärforderungen mögen hie und da gewissen parteitaktischen Wünschen entsprechen, aber im Ernst wird es Niemand für möglich halten, daß die Regierung eine Reichstagssession, welche bereits mit dem nunmehr dem Bundesrath zugegange- nen Zolltarif belastet ist, noch um den Zankapfel einer Militärvorlage bereichern wird. Mit den Kriseu- gerüchten ist es also für diesmal nichts. Eine sehr bedenkliche Krisis ist eS dagegen, die auf dem deutschen Geldmarkt bereits seit längerer Zeit zum Ausbruch gekommen ist und in immer neuen Formen in die Erscheinung tritt. Der Zusammenbruch der Preußischen Hypothekenbank und der deutschen Grundschuldbank bedeutete den Anfang dieser Krisis. An diesen vielversprechenden Anfang knüpften sich alsbald die Katastrophen bei der Pommer- schen und der Mecklenburg-Strelitzschen Hypotheken bank, bei der Aktiengesellschaft Differdingen-Dannen- bäum, bei der Dresdner Creditanstalt und ihrer Tochtergesellschaft, den Kummerschen Elektrizitätswerken. Nunmehr ist als weiteres Glied in dieser Kette der Zusammenbruch der Leipziger Bank erfolgt und in Verbindung damit der Krach bei der Casseler Treber, trocknungsgesellschast. Wie viel bei diesem Zusammen bruch für die trauernden Gläubiger herauskommt, das bleibt abzuwarten; daß für die Aktionäre nichts als das Nachsehen bleibt, das scheint schon jetzt einiger maßen sestzustehen. Hoffentlich gelingt es wenigstens in diesem Fall, an den Direktoren und den Aufsichts- räthen, die auch hier wieder einmal die ihnen auf erlegten Pflichten gröblich vernachlässigt haben, ein abschreckendes Exempel zu statuiren. Ein abschreckendes Exempel ist soeben auch in Frankreich statuirt worden, und zwar an einem der Häupter derjenigen Partei, welche dort die Re publik zu Gunsten eines monarchistischen Regimes Um stürzen will. Die Verschwörung des Grafen Lur-Saluces, welche in der verflossenen Woche den französischen Staatsgerichtshof beschäftigt hat, war freilich nicht viel mehr als eine Operettenverschwörung. Mit den Mitteln, welche die in sich vollkommen ge spaltenen französischen Monarchisten zur Verfügung haben und in Anwendung bringen, ist der republika nischen StaatSform nicht der Garaus zu machen. Diese Erkenntniß hat denn auch den Staatsgerichtshof zu einem milden Urtheil bewogen. Der Graf Lur- Saluces ist auf fünf Jahre verbannt worden und wird sich mithin für diese Zeit statt in Paris in einer anderen europäischen Großstadt amüsiren müssen. Wahrscheinlich wird dec Graf Lur-SaluceS seine Verbannung mit derselben Wurschtigkeit ertragen, wie sein Leidensgefährte in China, der ebenfalls ver- bannte Prinz Tuan. Seine Verbannung hat den Prinzen Tuan nicht gehindert, sich an die Spitze einer ganz ansehnlichen Truppenmacht zu stellen, mit der er dem kaiserlich-chinesischen Hof weit mehr Kopfschmerzen bereitet, als dem Prinzen Tuan die Verbannungs dekrete deS HofeS verurfacht haben. Voraussichtlich wird man von dem Prinzen Tuan noch mehr hören, als den Mächten lieb ist, denn auch sonst macht sich bereits seit dem Abzug des Gros der internationalen Truppen in China mehrfach wieder die fremdenfeind liche Bewegung bemerkbar. Rosig sind die Aussichten in China gerade nicht, aber es wird nunmehr Sache der chinesischen Regierung, gegen die sich diese Beweg ung ebenfalls richtet, sein müssen, sich ebenfalls ihre Haut zu wehren. Auch der blutige Krieg in Südafrika nimmt unverändert seinen Fortgang. Oder vielmehr nicht unverändert, denn in letzter Zeit scheint sich wenigstens in der Kapkolonie die Lage wesentlich zu Gunsten der Buren und zu Ungunsten der Engländer geändert zu haben. Die barbarische, aller Menschlich keit hohnsprechende Kriegführung, mit der die Eng länder das zu erreichen hoffen, was ihnen in ehrlicher Feldschlacht nicht gelang, hat, weit entfernt davon, den Muth der Buren zu br chen, deren Erbitterung und wilde Kampflust nur noch mehr entflammt. Immer hoffnungsloser wird die Stimmung in der englischen Armee und das englische Volk, welches unter den un geheuren Opfern dieses unseligen Krieges seufzt, ist kriegsmüde bis auf die Knochen. Und doch zeigt sich noch nirgends irgend eine Aussicht auf ein absehbares Ende dieses grausamen und blutigen, dieses unmorali schen und verbrecherischen Krieges. Kismarck. — BtSmarck-Erinnerungen beginnt Joh. Trojan in der „Nat.-Ztg." zu veröffentlichen. Mit launigem Humor schildert ec seine fachmännische Thä- tigkeit in der seit 1891 alljährlich tagenden „Bismarck wein - Prüfungskommission" : Die Aufgabe dieser Männer war es, unter Vorsitz des bekannten Berliner Moselweinwirthes Haußmann, den besten Tropfen auszusuchen, der jeweils zum 1. April nach Friedrichs- ruh geschickt werden sollte. Diese Sendungen, die immer an Oberförster Lanze gerichtet wurden, ver mittelten Trojans Bekanntschaft mit diesem vielge nannten Forstmann. „Im Frühling 1893 lud Lange, so erzählt T. des weiteren, Heinrich Haußmann und mich ein, ihn auf ein paar Tage zu besuchen, damit wir den Sachsenwald im jungen Buchengrün sähen, und wir sagten zu. Ein paar Freunde schlossen sich uns an, und am Himmelfahrtstage, dem 11. Mai machten wir uns auf nach Friedrichs! uh. Dort vorbei zufahren war abel leichter als hinzukommen, denn die Schnellzüge hielten in Frieorichsruh nicht, sondern fuhren nur langsam durch, um Postsachen abzugeben und einzunehmen. Aussteigen durfte niemand, auch wenn er es hätte wagen wollen. Wir wendeten uns daher an den Zugführer mit d m Anliegen, in Friedrichsruh halten zu lassen. „Ja," sagte er, „das ist nicht so einfach. Wollen Sie zum Fürsten?" „Selbstverständlich," erwiderten wir, und ras war ganz der Wahrheit gemäß, denn wir hatten den Wunsch, außer dem jungen Buchengrüi. auch den alten Bismarck zu sehen, und zwar, wenn nur eins von beiden zu sehen wäre, lieber den alten Bismarck. Da sah er uns — er stand vor dem Wagen, in dem wir Platz genommen hatten — ein wenig mißtrauisch an und bemerkte: „Herr- schäften, die zum Fürsten wollen, pflegen nicht dritter Klasse zu fahren." Das erschien uns denn doch ein bischen staik, und wie aus einem Munde entgegneten wir: „Gerade die fahren dritter Klasse!" Ich wollte noch verschiedenes hinzufügen, aber der Zugführer schnitt mir die Rede ab mit den Wor ten: „Wir fahren sogleich ab, also kurz und gut: Haben Sie eine Einladung vom Fürsten?" Da hatte Heinrich HauSmann, und dafür werde ich ihm immer dankbar bleiben, die Geistesgegenwart, den Brief des Oberförsters Lange aus der Tasche zu ziehen und ihn mit dem einzigen Worte „Da!" dem Zugführer hin- zuhalten. Der warf nur einen einzigen Blick darauf, dann sagte er: „DaS ist etwas anderes, dann wird für die Herren in Friedrichsruh gehalten werden." — Tags darauf waren die Berliner Herren beim Fürsten zum Essen g°laden, d°r bei d'eser Gelegenheit seinen bekannten guten Appetit entwickelte. „Einen mächtigen kalten Hirschbraten, der vor ihm stand, schälte er or dentlich mit dem Messer a, indem er zu mir sagte: „Von solchem Braten ist das Aeußere, Braune und Knusperige das Beste, darum nehme ich mir das nach dem Hausherrnrecht." Die beste Würze des Mahles waren die „Tischreden" des Hausherrn, wie ich mit einem Anklang an die Lutherschen „Tischreden" mich ausdrücken möchte. Er erzählte aus seinem Leben und sprach über vielerlei mit großer Lebhaftigkeit, zu- wnlen das politisch: Gebiet streifend. Ich erinnere mich, daß er aus das wilde Schwein zu sprechen kam. „Das wilde Schwein", sagte er, „ist etwas gar nicht so schlechtes, es wird aber verkannt." Ein Augen- blickchen schwieg er, dann fetzte er hinzu: „Wie ein Reichskanzler auch". . . Es kam allerlei Warmes und Kalte- auf den Tisch, und zu trinken gab es Bor deaux, Moselwein, Sekt, bayrisches Bier und Braun- schweiger Mumme. Von der Mumme wurde etwas dem Bier zugesetzt, das gab ein ganz gutes Getränk. Es stand auf dem Tisch auch eine Flasche mit Kornbranntwein, von dem schenkte der Fürst sich selbst und mir ein Gläschen voll und sagte: . „Es ist fünf zigjähriger Korn — was sehr Gutes." Nachdem wir getrunken hatten, sagte er: „Was meinen Sie? Von dem, glaube ich, können wir noch einen nehmen", und schenkte noch einmal ein. Dann fügte er hinzu: „Ich habe auch älteren noch, von dem bekommen Sie aber nichts." Schließlich trank der Fürst noch auf das Wohl des „Kladderadatsch", dessen Leiter Trojan damals war und heute noch ist. Hübsch meint der Erzähler zum Schluß: „Wir könnten uns wohl sagen, daß mancher für das, was uns zu Theil geworden war, gern ein großes Stück Geld gegeben hätte, wenn er es dafür hätte bekommen können Aber es liegt etwas von ausgleichcnder Gerechtigkeit darin, daß die besten Dinge für Geld nicht zu haben sind " -i- * * (Bismarck und Begas.) Ueber die Begeg nungen zwischen Bismarck und Begas, dem Schöpfer des Bismarck-Denkmals in Berlin, macht Heinrich v. Poichinger im Feuilleton der „N. Fr. Pc." interessante Mittheilungen. Schon vor 1si Jahren fand Begas durch Lenbachs Vermittelung Gelegenheit den Alt reichskanzler kennen zu lernen und seinen K ps zu modelliren. Er erbat sich damals eine halbe Stunde von Bismarck, der an dem frischen, genialen Wesen des Meister- Gefallen fand, gab aus freien Stücken eine Stunde zu und meinte schließlich: „Wenn Sie so weit sind, daß Sie Ihrer Sache sicher sind, will ich Ihnen zum Abschluß bereitwilligst noch einmal sitzen" — ein Anerbieten, von dem BegaS selbstver ständlich Gebrauch machte. AIS vor vier Jahren der Entwurf von BegaS für daS beschlossene Bismarck- Nationaldenkmal gebilligt war, konnte der Künstler noch einmal — durch SchweningerS Vermittelung — zu BiSmarck gelangen. Er gehörte zu den wenigen aus rl-senen Besuchern, die um jene Zeit in Fried- richSruh empfangen wurden. Am 17. Mai — etwa 10 Wochen vor BiSmarckS Heimgang — trat er die Reise an. BegaS, erzählt Poschinger, traf in Fried- rich-ruh zum Frühstück ein nnd fand dort den Pro- fessor Schweninger, den Grafen Rantzau und Ge- mahlin und Dr. Chrysander. BiSmarck wurde auf dem Rollstuhl in den Speisesaal gefahren und begrüßte den Bildhauer in der liebenswürdigste Weise; man sah ihm die Krankheit schon an; er klagte über seine Gesichtsschmerzen, zu deren Linderung Cocain gebraucht wurde und über daS Bein, das er, auch bei Tisch, ausgestreckt halten mußte. Dagegen konnte BegaS wahrnehmen, daß sein Humor und seine Geisterfrische nicht gelitten hatten. In alter Weise beherrschte er bei Tisch daS Gespräch, bald mit liebenswürdigem Scherz, bald mit Satire in allen Dingen den Nagel auf den Kopf treffend. Nicht mit einer Silbe verrieth Bismarck den Unmuth, den er über den Gang der Dinge innerlich empfand, und als das Gespräch aus den Zweck führte, der Begas nach Friedrichsruh ge führt hatte, bemerkte der greise Fürst: „Gott, war wollen Sie mir denn ein glänzendes Denkmal setzen? Stellen Sie mich dar auf Krücken gehend!" Nach Tisch las der Fürst seine Zeitungen, während die Herren eine Partie Skat spielten. B.'i der Abend mahlzeit meldete BegaS dem Fürsten, er sei im Park ausgerutscht, habe sich das Knie verrenkt und könne kaum gehen. „Nun, so legen Sie sich mal hier hin", bemerkte Bismarck, und dann zum Diener gewendet: „Holen Sie mir meine Stöcke!" Da aus wählte er einen aus, der von einer jungen Buche geschnitten war, und schenkte ihn BegaS als Andenken. Begas blieb noch die Nacht und den folgenden Tag im Schlosse; er erhielt das Schlafzimmer angewiesen, daS in der Regel für einen Besuch des Kaisers reservirt blieb. Gearbeitet hat der Meister draußen nichts; es war ihm nur darum zu thun, noch einmal den leben digen Eindruck von Bismarck zu erhalten und dann unter diesem Eindruck zu Hause zu arbeiten. Wohl Niemand, selbst Schweninger nicht, ahnte, daß die Tage des Fürsten bereits so sehr gezählt seien, hatte Begas doch das Gefühl, daß er dem Einzigen für immer Lebewohl sagen müsse, und deshalb wollte er beim Abschied die Hand Bismarcks küssen. Doch Bis- morck wehrte ab. „Ach nein, dies nicht. Da geben Sie mir lieber einen Kuß auf den Mund." * * * Eine sehr harte Beurtheilung erfährt das Bis marck-Denkmal in Berlin in der „B B -Ztg ", die wohl sehr über das berechtigte Maß hinausgeht, aber doch auch manchen richtigen Gedanken enthält. ES heißt daselbst: Haben wir den Platz deS Monu- menteR, einen stillen und doch leicht erreichbaren Platz gefunden, so besteht über das Aeußere des Denkmals In letzter Stunde. N-velle von C. Vollbrecht. (Nachdruck verboten.) !. Der Herr ActuariuS. Ein kleines, sächsisches Städtchen — zu jener Zeit — da man mit Leidenschaft und unter strömen den Thränen allenthalben den „Werther" las. ES ist Sonntag, ein heißer, drückender Sonntags nachmittag. Greller Sonnenschein liegt auf dem im Augenblick ganz menschenleeren Marktplatz und spiegelt sich glitzernd in der Oberfläche des Brunnens in dessen Mitte. Der Wasserstrahl, den ein Triton in das alterthümliche Becken gießt, fließt schläfrig und mit monotonem Sang. Unweit davon liegt faul und lang hingestreckt ein weißer Pudel. Er scheint zu schlafen, zuweilen aber fährt er auf, um ein paar der kecken Fliegen zu schnappen, die vor feiner Nase in der Luft tanzten. Vor dem Gasthaus, über dessen breiter Thoreinfahrt ein silberner Schwan auf blauem Feld in den Tag hineinleuchtet, steht eine Extrapost. Der Postillon hat soeben die Pferde ausgespannt und führt sie zum Stalle. Vom Hof her schallt das Aufschlagen ihrer Huse und das Rasseln des Riemenzeuges. Vom Thurme des Rathhauses ertönt jetzt die dritte Stunde und gleichzeitig tritt aus einer Seiten gasse ein junger Mann und schreitet jener Seite des Marktes zu, der entlang ein schmaler Schatten streif sich hinzieht. Er ist offenbar ein Elegant des Städtchens. Seine Kleidung entspricht der Mode — blauer Frack und Kniestrümpfe — von den Schultern hängt ein femmelfarbener Staubmantel herab. Das Antlitz deS jungen Mannes ist anziehend und ver trauenerweckend, wenn auch von allzugroßer Weichheit. Ueber dem zarten Jabot rundet sich ein Kinn von frauenhafter Form. Die blonden Haare sind von der Stirn zurückgestrichen und fallen wallend in den Nacken. Um den fein geschnittenen Mund liegt, be kräftigt durch den schwärmerischen Blick der großen blauen Augen, jener Zua, der ein bewegliches Seelen- leben verkündet. Der Herr Actuar Hegenbart war der beliebteste junge Mann des Ortes Tonangeber des vornehmsten Kreises desselben. Er war jederzeit froher Laune und ein vortrefflicher Tänzer. In der Gavotte und Allemande schlug er die graziösesten Entrechats, und die hübschesten Mädchen kannten keinen höheren Wunsch als — ihn als Adorateur zu erobern. Doch wendete er seine heimlich; und doch allen sichtbare Anbetung unbeirrt immer der „Einen" zu, seine gesell schaftlichen Talente aber gehörten aller Welt. — Wo es Maskenbälle, Schlittenpartien, Kränzchen zu arran gieren gab, war er der Unternehmer. In jeder ge selligen Unterhaltung wußte er durch reizende Ab weichungen vom Altgewohnten zu überraschen. Im Erfinden neuer sinnreicher Cotillontouren that eS ihm keiner gleich. Keiner wie er aber war auch so begehrt beim Pfänderspiel und Vielliebchenessen. Bei gemeinschaftlichen Landpartien schritt er allen voran, die Guitarre am grünen Bande im Arm, denn er hatte ein gar großes Talent zur Musik nnd ohne viclen Unterricht gehabt zu haben, spielte er fast alle Instrumente. Der Wille seines Vaters hatte ihm ver wehrt, sich ganz seiner Lieblingskunst zu widmen, und so war er ein pflichttreuer, wenn auch träumerischer und manchmal etwas zerstreuter Beamter geworden. Auch heute trägt er eins feiner Lieblingsinstru mente, die Geige, in der linken Hand und während er sich dem stattlichsten Haus derReihe nähert, streift sein Blick mit freudiger Erwartung daran empor. Aus einem geöffneten Fenster quellen die Accorde eines Klaviers und die näselnden Töne eines Violoncellos. Hier wohnt der Herr Steuereinnehmer Findeisen, ein großer Musikfreund. Er selbst spielt mit Bravour die Bratsche, seine Tochter Cora recht artig, menn auch ohne Seele, das Klavier nnd an Sonntagnachmittagen werden die neuesten Piöccn von Mozart und Beethoven unter Beihilfe einiger Amateure geschmackvoll wieder- gegeben und auch des alten Bach wird nicht ver- gessen . . . Der Actuar betritt durch die mit Eisennägeln schwer beschlagene HauSlhür eine weite, gepflasterte Hausflur, in deren Hintergrund eine Wendeltreppe mit verschnörkeltem Eisengeläuder nach oben führt. Die Kühle des dämmerigen Raums mutet ihn wohl- thuend an. Er zieht sein Taschentuch und sährt da mit über die Stirn — als er dann weiterschreiten will, fühlt er sich zu seinem Erstaunen am Roquelaure festgehalten und erkennt, zurückblickend, daS Dienst mädchen seiner Angebeteten, welche mit horchrothem Angesicht im Thürwinkel steht, allwo sie auf ihn ge lauert zu haben scheint. „Ei, ei, Karline" — sagte nicht wenig verwundert der also Gesangene. „Ist Sie noch nicht hinaus zu den .Drei L'nden', allwo heut Tanzmusik ist und der Charmante wohl lange schon Ihrer in Sehnsucht harret?" . . . „Ach Gott — Herr Actuacius — das hat gute Wege — der kann warten," entgegnet hierauf die Karline und umklammert den Rockzipfel nur nm so fester. „Ich bin eigens zu Hause geblieben, um ein verschwiegenes Wörtchen mit Ihnen zu reden, Herr ActuariuS." „Mit mir?" fragte der junge Mann mit Be- fremden und trat einen Schritt zurück. Denn obgleich leutseligen und gütigen Herzens, gehprte er dennoch nicht zu denjenigen, die sich mit jedermann aus gleichen Fuß stellen. Jedoch die Karline ließ sich nicht einschüchtern, sondern Hub leise und eindringlich an: Du meine Güte, Herr ActuariuS, nehmen Sie es mir nur ja nicht übel. Sie sind allezeit immer so generös und freigebig zu mir gewesen und haben am Weihnachten und zum neuen Jahr niemals auf mich vergessen, seit Sie hier im Hause aus- und eingehn. Da kann ich es nun auch nicht länger mit ruhigen Augen ansehen, daß man Sie bei uns oben hintergeht." „Mich hintergeht ? Wie meint Sie daS?" „I — Herr Jeses — der neue Apotheker. Merken Sie denn das nicht? — Der scherwenzelt ja schon lange um die Mamsell Cora herum." „Drücke Sie sich manierlicher aus, wenn Sie von Ihrer Herrschaft spricht, Karline," unterbrach sie der Actuar und befreite mit einem Ruck seinen Roquelaure aus ihren Händen. „Den Provisor — den lasse Sie mir ungeschoren. Der spielt die zweite Violine, daS ist die ganze Geschichte." Encrüstet wendete er sich ab, schritt der Treppe zu und nickte noch von der ersten Stufe der Karline zu, die ihm bestürzt nachrief, er möge sie nicht verrathen. Allmählich aber überschlich ihn eine, mit der Zahl der Stusen, die er hinter sich zurückließ, an wachsende Beklemmung, die auch nicht von ihm wich, als er die Stube betreten hatte, wo er die anderen Quartettmitglieder antraf. Ihm war zu Mute wie einem, der lange mit einer Binde vor den Augen umhergetappt und, derselben plötzlich beraubt, blinzelnd in den grellen Tag hinein sieht. Coras Gruß er- schien ihm gezwungen; die Röthe ihrer Wangen war ihm in diesem Augenblick ebenso verrälherisch wie die auffallend gute Laune des Apothekers. Schnell ent schlossen, legte er seine Geige auf das Piano und bat den Vater der Geliebten um eine Unterredung unter vier Augen — und nachdem dieser mit ihm in daS Nebengemach getreten war, hielt er in kurzen, herz lichen Worten um Coras Hand an. Der Stenereinnehmer Findeisen war ein Mann mit einem runden, bläßlichen Advokatengesichl, der noch an der veralteten Mode des ZopfeS festhielt.
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