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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.04.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190104214
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19010421
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19010421
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-04
- Tag 1901-04-21
-
Monat
1901-04
-
Jahr
1901
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.04.1901
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WMm-ErMhnstr ToBliitt. AmtsUatt. Nr. 92. Sonntag, den 21. April 1901. 1. Vellage. Politische Wocheasch,«. Zu Beginn dieser Woche hat der deutsche Reichs tag seine Arbeiten wieder ausgenommen und in der nächsten Woche nimmt auch der parlamentarische Kampf im preußischen Landtag seinen Fortgang. Der Reichs tag hat noch ein tüchtiges Arbeitspensum vor sich und es wird einer ganz ungewohnten Beschlußfähigkeit bedürfen, um dieser Pensum einigermaßen erfolgreich zu erledigen. Freilich ist cs unterdeß recht fraglich geworden, ob der schon vor seinem Bekanntwerden so heiß umstrittene Zolltarif dem Reichstage wirklich, wie es bisher verkündigt worden war, nach Pfingsten zu gehen wird. Die Stimmen mehren sich, welche es als ausgeschlossen oder wenigstens als höchst unwahr scheinlich bezeichnen, daß der Reichstag noch in dieser Session in die Lage kommen werde, sich mit der Zoll- tarisvorlage zu beschäftigen. Das paßt freilich den jenigen Kanalgegnern gar nicht in den Plan, welche in einer ihren Wünschen entsprechenden Zolltarifvor lage eine Art Kompensationsobjekt für die Kanalvor lage erblicken. Jedenfalls wird der Kampf um den Kanal jetzt endlich in ein entscheidendes Stadium treten müssen, denn einmal muß ja, wie alles in der Welt, so auch die „gründlichste" Kommissionsberathung ihr Ende finden. Sein Ende hat auch der nach jeder Richtung hin harmonisch und nach Wunsch verlaufene Besuch des deutschen Kronprinzen in Wien gefunden. Was diesem an sich unpolitischen Besuch seine Bedeutung gab, das war der Umstand, daß die Reise des deutschen Kron prinzen zwischen die italienische Flottenvisite in Toulon und die Reise des französischen Ministers des Aeußern nach Petersburg fiel — oder gelegt wurde. Nachdem der Touloner Festjubel verrauscht ist, hat man sowohl in Frankreich wie in Italien das nüchterne Fazit der Touloner Feste gezogen und das Ergebniß war mehr negativer als positiver Natur. Wie die herzliche Auf nahme des deutschen Kronprinzen in Wien einen Hin weis an die hierbei interessirten Mächte enthielt, daß das Berhältniß zwischen Deutschland und Oesterreich- Ungarn in unerschütterlicher Festigkeit fortbesteht, so haben sich auch die ernsthaften Politiker in Italien in Wahrheit niemals irgend einem Zweifel darüber hingegeben, daß Italien noch immer seine Rechnung beim Dreibund findet. Die durchsichtige Absicht der Italiener bei ihrer Annäherung an die Franzosen ist die, ihre 2 undesgenossenschast als besonders begehrens- Werth hinzustellen. In dieser Hinsicht sind aber die Touloner Festlichkeiten doch nur sehr bedingt ver- wendbar. In Oesterreich ist auf die harmonisch und frei von jedem Mißton verlaufenen Festlichkeiten zu Ehren des deutschen Kronprinzen alsbald ein schriller politi scher Mißklang gefolgt. Der österreichische Thron folger Franz Ferdinand ist urplötzlich in einer ganz auffallenden und schroff hervortretenden Weise in das Getriebe der Tagespolitik eingetreteu. Franz Ferdi nand, von dem schon lange bekannt war, daß er unter dem Einfluß der Feudalpartei fleht, hat sich als Pro tektor des christlich-sozialen katholischen Schulvereins ausrufen lassen, und ist mit einer so entschiedenen Kundgebung zu Gunsten der Klerikalen in die politi sche Arena getreten, daß die für die österreichische Regierung unliebsame Folge hiervon eine Interpellation im Reichsrath war, bei der der Ministerpräsident von Körber sich nur dadurch zu helfen vermochte, daß er die Kundgebung des Thronfolgers für einen unpoliti schen Akt erklärte, für den er nicht verantwortlich sei. Jedenfalls wird dies Eingreifen des Thronfolgers in den politischen Kampf nur dazu dienen, die Gegensätze der Parteien noch zu verschärfen. Solche schroffe Gegensätze sind es, welche auch die dringend wünschenswerthe Erledigung der chinesischen Angelegenheiten ungebührlich verzögern Wie stark diese Gegensätze zwischen den an der chinesischen Frage interes sirten Mächte sind, das ist nicht nur gelegentlich des Mandschurei-Streites hervorgetreten, sondern zeigt sich auch bei der Erörterung der Entschädigungsfrage, bei der jede Macht bemüht ist, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen und den lieben Nachbarn nichts zu gönnen. Auch sonst sind in dieser Woche besorgnißerregende und be trübende Nachrichten aus China eingelaufen. Die Boxev bewegung, die man voreiliger Weise schon als unterdrückt ansah, beginnt wieder um sich zu greifen und neue kriegerische Expeditionen nothwendig zu machen. Zwei Trauerkunden waren es, die in dieser Woche aus Peking eintrafen Auf tie Ermordung des Hauptmann Bartsch folgte die Brandkatastrophe im Kaiserpalast zu Peking, bei der ein hervorragender deutscher Offizier, der General Schwarzhoff, sein Leben einbüßte und auch der General- Feldmarschall Graf Waldersee in ernste Lebensgefahr gerieth. Auch in Südarfrika dauert der mörderische Kampf in unveränderter Weise fort und Erfolge und Mißerfolge wechseln auf beiden Seiten. Aber zu den Sorgen, welche die Engländer schon jetzt reichlich haben, treten noch immer neue. In Kapstadt gewinnt die Pest an Ausdehnung uud auch in Port Eliza beth droht jetzt die Gefahr des Pestausbruchs. Zn diesen schweren Sorgen ist jetzt die noch schwerere getreten, welche die Bewegung unter den Kaffern in Natal den Engländern bereitet. Unter diesen Um ständen kann es nicht Wunder nehmen, daß man die Abberufung des Gouverneurs Milner aus Südafrika mit einem Anwachsen der Friedensstimmung in Eng land in Zusammenhang bringt. Deutscher Reichstag. Berlin, 18. April. Nach debattloscr Erledigung von Rechnungsvorlagen und des Gesetzentwurfs über viefreiwillige Gericht barkeit im Heere ging heute das Haus über zur Fortsetzung der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs über das Urheber recht an Werken der Literatur und Tonkunst. Di? Ver- suche, an den Commissionsbeschlüffen etwas zu ändern, schlugen überall fehl. Z 14, der von der Uebertragung des Urheberrechts handelt und die Uebersetzung eines Werkes der Tonkunst dem Autor vorbehält, wurde unter Ablehnung aller Abänderungsanträge nach den Commis sionsbeschlüssen angenommen, ebenso 8 16, der dem Ab druck von Gesetzbüchern, von amtlichen Schriften und dergl. für zulässig erachtet, Eine längere Debatte knüpfte sich an ß 18, der den Abdruck von Artikeln unter Quellenangabe gestattet, soweit nicht durch ausdrücklichen Aufdruck dieser Nachdruck verboten ist, und der des weiteren bestimmt, daß Nachrichten thatsächlichen Inhalts und Tagesneuigkeiten aus Zeitungen stets abgedruckt werden dürfen. Gegen diese Fassung der Kommission ist eine Fluth von Petitionen seitens der Schriftsteller und Jour nalisten cingegangen, die den Nachdruck von Artikeln nur mit Erlaubniß des Autors oder gegen Zahlung eines zu vereinbarenden Honorars gestattet wissen wollen. Für die Fassung der Kommission traten mit dem Staatssekretär Nieberding insbesondere ein die Abgg. vr. Oertel (cons.) und Hausmann-Böblingen, während sich Abg. Or Sattler (nl.) gegen den beliebigen Nachdruck von Zeitungsartikeln wendete. Der Paragraph wurde in der Fassung der Kommission angenommen, ebenso gelangte § 19 nach den Vorschlägen der Kommission zur Annahme, der die Auf nahme von Gedichten und Aufsätzen in Anthologien ohne Erlaubniß des Autors einschränkt Die weiteren Para graphen wurden gleichfalls unverändert angenommen. * * * Berlin, 19. April. Heute wurde die Berathung des Urheberrecht- fortgesetzt. Z 24 schreibt grundsätzlich vor, daß die Vervielfältigung eines fremden Werkes nur zulässig sein soll, wenn in den wiederzegebenen Theilen keinerlei Aenderung vorgenommen wird. Gestattet soll jedoch sein die Uebersetzung eines schriftlichen Werkes; wenn es sich um ein Werk der Tonkunst handelt, Auszüge oder Uebertragungen in eine andere Tonort oder Si'mm- lage. Der Paragraph wird mit einem Antrag Richter angenommen, welcher die Gestattung auch solcher Be arbeitungen verlangt, welche sich als bloße Einrich tungen für mechanische Musikinstrumente, insoweit letzteren durch 8 22 die Wiedergabe des Tonwerkes gestattet ist, darstellen. — 8 33 erhöht die Schutzfrist für Bühnenwerke und Werke der Tonkunst hinsichtlich der öffentlichen Aufführung von 30 auf 50 Jahre. Abg. Richter (frs. Bp.) beantragt, dies zu streichen und es bei der 30jährigen Schutzfrist zu lassen. Er berufe sich auf den Aufsatz Spahn's in der „Deutschen Juristenzeitung", der dieses Verlangen der Schutzfrist als ungeheuren Rückschritt für unsere Volksbildung ansehe; das sei ein vernichtendes Urtheil für den Com missionsbeschluß. Ec selbst würde viel eher eine Ver kürzung der Schutzfrist auf 20 Jahre für angezeigt halten. Abschreckend sollte doch das Vorgehen der Wagner'schen Erben wirken, die so sehr rigoros zu Werke gingen. Sei es denn ein erwünschter Zustand, wenn 50 Jahre lang der „Parsifal" nur oder fast nur in Bayreuth aufgeführt werden dürfe? — Staats- sekretär Nieberding: Wenn man dem Vorredner folge und die Schutzfrist auf 20 Jahre herabsetze, so werde man damit, wenn nicht die gegenwärtige, so doch die künftige Stellung der Autoren und Verleger auf daS Empfindlichste treffen. Für Kompositionen bestehe ja zwar auch gegenwärtig eine 30jährige Schutzfrist, aber das bestehende Recht gebe den Autoren allerlei Rechte, die ihnen durch die geaenwärtige Gesetzesvorlage ge nommen werden, so z. B. das unbedingte Vorbehalts recht bezüglich der öffentlichen Aufführung. Nehme man den Autoren dieses Recht, so müsse man ihnen den Ersatz der höheren Schutzfrist gewähren. Die Aufführungen in Vereinen seien jetzt zugelassen; es seien also im Wesentlichen nur die betreffenden Con- cert- und Theaterunternehmer betroffen, und diese könnten zahlen. Nehme Deutschland die längere Schutzfrist, wie sie im AuSlande bestehe, nicht an, so würden die deutschen Komponisten und Mustkalien- Verleger mit ihren Werken in das Ausland gehen, um dort den ihne: hier versagten längeren Schutz zu suchen. — Abg. Dietz (Soz.) plaidirt gegen die Ver längerung der Schutzfrist angesichts der Art der Ver träge, welche selbst hervorragende Komponisten mit ihren Verlegern eingingen. Beim Uebertragen aller zukünftigen Rechte sei kein Zweifel daran möglich, daß alle Vortheile der Schutzfritz doch nur den Verlegern zu Gute kommen würden und nicht den Komponisten. — Staatssekretär Nieberding stellt einer Andeutung des Vorredners gegenüber in Abrede, daß auf ihn oder auf den Reichskanzler oder sonst wen irgend ein Einfluß seitens der Familie Wagner behufs Herbei führung einer verlängerten Schutzfrist ausgeübt oder versucht worden sei. — Abgg. Müller-Meiningen und vr. Arendt treten entschieden für, Abg. Spahn gegen die verlängerte Schutzfrist ein, worauf entsprechend dem Antrag Richter der Paragraph gestrichen wird. ES bleibt also für Bühnenwerke und musikalische Kom positionen bei der 30jährigen Schutzfrist. — Fortsetzung der Berathung morgen. SSchfisches. SO. April lg«I. AittheNungen von allgemeinem Interesse werden dankbar ent» g»oengenommen und eventl. bonorirt. — Lehrlingsverhättnisse der Hand Werker. Am 1. April ist von dem unter dem 26. Juli 1897 erlassenen Handwerkergesetz der Theil in Kraft getreten, der die besonderen Vorschriften über Lehrlinge bei Handwerkern behandelt, während die Bestimmungen über die Lehrlinge in Fabriken schon am 1. April 1898 eingesührt wurden. Der Theil, um den es sich jetzt handelt, bestimmt im Wesentliche« Folgendes: Nur die Handwerker dürfen Lehrlinge halten, die daS 24. Lebensjahr vollendet haben; sie müssen außerdem entweder die von der Handwerker- kammer vorgeschriebene, oder, wenn solche Vorschrift fehlt, wenigstens eine dreijährige Lehrzeit durchgemacht und die Gesellenprüfung bestanden haben — oder fünf Jahre hindurch daS Handwerk persönlich ausgeübt haben, oder als Werkmeister und dergl. darin thäiig gewesen sein. Die Lehrzeit kann auch in einem dem Gewerbe angehörenden Großbetriebe zurückgelegt oder durch den Besuch einer Lehrwerkstätte oder sonstigen gewerblichen UnterrichlSanstalt ersetzt werden. Wer in seinem Betriebe mehrere Gewerbe vereinigt, darf in allen zu diesem Betriebe vereinigten Gewerben Lehrlinge anleiten, wenn er wenigstens für eins dieser Gewerbe den vorstehenden gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Ueberhaupt darf Jemand, der den gesetz- tichen Anforderungen für ein Gewerbe entspricht, auch in verwandten Gewerben Lehrlinge anleiten; welche Gewerbe als „verwandte Gewerbe" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, das bestimmt die Hand werkerkammer. Gehört ein Lehrherr einer Innung an, so muß er eine Abschrift des Lehrvertrages binnen 14 Tagen nach dessen Abschluß der Innung einreichen; er kann dazu durch die Ortspolizeibehörde angehalten werden. Die Innungen können bestimmen, daß der Abschluß des Lehrvertrages vor der Innung erfolgen soll. In diesem Falle muß dem Lehrherrn und dem Vater oder Vormund des Lehrlings eine Abschrift des Lehrvertrages ausgehändigt werden. Soweit durch den Bunde-rath oder die LandeS-Centralbehörde Vor schriften über die zulässige Zahl der Lehrlinge nicht erlassen sind, ist die Handwerkerkammer und die Inn ung zum Erlasse solcher Vorschriften befugt. Die Lehrzeit soll in der Regel drei Jahre dauern; sie darf den Zeitraum von vier Jahren nicht übersteigen. Bon der Handwerkskammer kann mit Genehmigung der Mutter Ortlauds Müder. Erzählung von Hermann Birkenfeld. 4. gorlsttzuni. Nachdruck »erboten Gerhard Tobbe steckte den Kopf durch die Thür öffnung. .Hm! So könnt's lange dauern. Sie er lauben?" Herthas Genehmigung aber wartete er garnicht erst ab, griff nach dem schweren Kessel, goß dar rinnende Wasser von den Bohnen ab und schwenkte den Inhalt des Ganzen mit einem Guß ins Faß. Sie stand erröthend daneben. „Mutter und ich hatten das schon zu zweien versucht." „Kleinigkeit!" sagte er, den entleerten Kessel aus den Boden setzend. „O — Pardon, Fräulein Hertha —". Ohne es zu wollen, hatte seine Hand die ihre gestreift. „Bitte, —" stammelte sie. Nun hatte auch sein Gesicht sich roth gefärbt — wohl von der Anstrengung. Frau Käthe sah ihm vergnüglich lächelnd nach. „Der hat Kräfte!" Hertha erwiderte nichts. Ihrem feingestimmten Empfinden bangte jedesmal vor der zugreifenden Derbheit des Riesen. Eine Stunde später etwa kam die Prozession zurück. Vor dem kleinen Schulhause war eine „Station" gebaut: als Altar ein weißgedeckter Tisch mit ein paar Kerzen in gläsernen Leuchtern, den bunten GipS- statuen der Himmelskönigin, des heiligen Joseph und des heiligen Meinolf, überragt von dem Bildniß des Gekreuzigten und umrankt von einem laubenartigen Dach aus Tannen- und Buchenreisern. Da spendete uun der Rödecker Pfarrer den Gläubigen seinen Segen; denn für die Leute aus Löffel wie für manchen anderen war die kurze Wallfahrt hier zu Ende. Auch für der Freiherrn von Finnenberg, der sich mit einer ritterlicher Verbeugung und einem flüch- ngen Händedruck vom Pfarrer verabschiedete und auf das Ortlandsche Haus zuging, vor dem der gelbe Jagdwagen schon seit zwanzig Minuten seiner harrte. Hertha hatte recht, er war ein stattlicher Mann. Wie er jetzt in dem kleinen Besuchszimmer ihrem Bruder gegenüberstand, mit seinem sreimüthigen Lächeln im Gesicht auf die verwünschte Hitze schimpfend, neigte er sich unwillkürlich ein wenig vornüber, so groß war er. Und sein Kopf — ein TituSkopf, mit dunklem, krausem Haar und einer Schmarre über der Stirn — eine Erinnerung an den Franzosenkrieg, den er als junger Fähnrich mitgemacht hatte. Seine von einem wohlgepflegten Schnurrbart um- schattete Oberlippe schien ein wenig zu kurz geraten, aber die tadellosen Zähne, die darunter hervorschimmerten, bildeten nur einen Reiz mehr. Wechselvoll war der Ausdruck seines Auges. ES konnte, wie eben jetzt, nach ritt.-rlicher BiedermannSart anderen ins Gesicht sehen, dann plötzlich unstät wie in verlegener Scheu von einem zum anderen den Blick huschen lassen, ge meinhin aber zeigte eS unter nur halbgeöffneten Lidern — gewollt oder ungewollt — eine vornehme Müdig keit, die sich dann auch in seinem ganzen Wesen kundgab. „Bin natürlich nicht gekommen, Sie mit einem Gespräch über das Wetter zu langweilen, Herr Ort land," sprach er nun, nachdem er in einen von Frau Käthes grünen Plüschsesseln gesunken war. „Und Sie werden errathen —" „Ich irre wohl nicht in der Annahme, daß die Pachtangelegenheit Sie herführt." „Sehr richtig. Da der Kontrakt achtzehnhundert, neunundachtzig, also in drei Jahren, abläuft —" „So steht der Kündigungstermin nahe bevor. Er muß also erneuert werden. — Zweifelten Sie daran?" „Ich?" Der Baron strich seine braunen Glaces auf den Knieen glatt. „Ich nicht im gering sten, aber die Leute n, 's ist also dummes Zeug? Sie werden die Fabrik nicht aufgeben?" „Der bloße Gedanke daran würde meine Mutter krank machen," antwortete Lutz aufs Höchste erstaunt. „Im Gegentheil beabsichtige ich eine Erweiterung des Betriebes, Anlage zeitgemäßer Gasfeuerung, später — möglicherweise — noch sonstige Aenderungen —" „Ah, Sie haben Pläne? Und ich vermuthete in Ihnen den grauen Theoretiker. Sehr gut, sehr gut, Herr Ortland," rief der Baron befriedigt. Letzteres war er wirklich; hatte er doch nun die Gewißheit, die Pacht erheblich höher ansetzen zu dürfen, als er sich vorgenommen. „Nur, begann er nach kurzem Besinnen, „werden Sie einsehen, daß der letztgezahlte ZinS nicht mehr völlig der Zeit entspricht —" „Mutter und ich billigen das vollkommen." „Ich müßte ihn also bei einer Erneuerung des Pachtvertrages um ein paar — sagen wir fünfund- zwanzig vom Hundert — erhöhen —" Das war denn doch etwas viel und Lutz in Verlegenheit, was zu antworten. Zum Glück aber zeigte sich gerade in diesem Augenblick seiner Mutter behäbige Gestalt im Thürrahmen. Sie trug ein saubere- aber sehr einfaches Hauskleid. „Ach was!" hatte sie bei der Toilette zu Hertha gesagt, „der Mann kommt in Geschäften, und ich habe heute nicht Feiertag wie er. Du — meinethalben! Du magst immerhin ein besseres Kleid anziehen; denn was Gescheidtes wird beute — Gott sei's ge klagt — aus der Hausarbeit doch nicht mehr. UebrigenS möchte ich den kennen lernen, der diesen Händen ansieht, daß sie heute schon einen Zentner BitSbohnen eingeknetet haben." Dabei hatte sie Hertha lachend ihre kräftige aber tadellose Hand hingehalten, auf die sie nun einmal stolz war. Die Forderung des BaronS, ein Viertel mehr an Pachtzins zu erhalten, hatte sie beim Eintreten noch gerade gehört und rief nun, ihm die Hand reichend: „Fünfundzwanzig? Nein, Herr Baron. So viel auf keinen Fall. Ueber fünfzehn vom Hundert hin- auSzugehen wäre unser Ruin." „Aber verehrte Frau Ortland — — Ah!" Dieses Ah war nicht etwa ein Ausdruck deS Schmerzes über Frau Ortlands kräftigen Begrüßungs- Händedruck, sondern galt vielmehr der Erscheinung ihrer Tochter Hertha, die ihr auf dem Fuße folgte und vor Befangenheit über daS unumwundene Un starren des adligen Herrn beinahe das Tablett mit den Gläsern hätte fallen lassen, das sie trug. UebrigenS hatte daS „Ah" seine Berechtigung. Wie sie jetzt des Barons tiefe Verneigung mit einem vorschriftsmäßigen Tanzstundenkompliment er widerte, bot sie in ihrer holden Befangenheit ein Bild so liebreizender Jungfräulichkeit, daß die Bezeichnung Knospe auf kein sterbliches Wescn treffendere An wendung gefunden hätte. DaS lichtblonde, fast goldige Haar glatt gescheitelt und in einer anspruchslosen Flechte um den Kopf gelegt, die fcühlingSzarten Formen ihrer Gestalt in einem duftig weißen Batistkleide, mit keinem anderen Schmuck als einer einzigen Tbeerose im Gürtel, war sie die Anmut selbst. Eine Psyche, Natürlich, daß das Gespräch durch ihr Eintreten eine neue Wendung erhielt. Die beiderseitig in der Hauptstadt der Provinz verlebte Zeit gab zwischen ihr und dem Baron ja so mancherlei Anlaß zum Meinungsaustausch, zum Aufsuchen gemeinsamer Be- Ziehungen Lutz konnte hier nicht mitreden und seine Mutter noch weniger, aber beide freuten sich an Hertha sonnigem Wesen wie an der bescheidenen Schlagfertig keit, mit der sie Rede stand. Und dann wurde der Baron einmal nachdenklich, klavpte das Visir seiner Augen herab und ächtze.
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