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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 17.09.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190109178
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19010917
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19010917
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-09
- Tag 1901-09-17
-
Monat
1901-09
-
Jahr
1901
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 17.09.1901
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(Forts, folgt.) durch seine Züge gingen. Mac Kinleys ideales Heim. Wenn Präsident Mac Kinley nicht im „Weißen House" war, fand man ihn gewöhnlich in seinem Landhause in Kanton, der Stadt, wo er feine Frau kennen lernte und sich in jener rührend schlichten Art verlobte. Ida Saxton war die Tochter des Bankiers der Stadt; sie arbeitete in ihres Vaters Geschäft und bewies fo her vorragende Fähigkeiten, daß sie bald zur Kassirerin ausrückte. Damals lernte William Mac Kinley, der noch Rechtsanwalt war, sie zuerst kennen und heira- thete sie am 25. Januar 1871. Zwei Kinder, welche ihnen geboren wurden, starben beide ganz jung; Mrs. Mac Kinley, die leicht erregbar und nervös ist, hat sich von diesen furchtbaren Schlägen nie wieder erholt. Sie ist seitdem immer leidend. Trotzdem begleitete sie ihren Gatten aus seinen Reisen, und ihre Gegenwart ermunterte ihn zu den größten Anstrengungen. Sie hat alle Stadien seiner Laufbahn mit ihm durchgemacht. Wenn man sich eine Frau von mittlerer Statur mit einem klaren, sanften, wenn auch festen Antlitz, das eine ganz kleine Spur von Koketterie zeigt, mit großen dunklen Augen, mit kurzem, lockigem, braunem Haar, das einen kleinen, fein geformten Kopf umgiebt, mit einer wohlgebauten Gestalt vorstellt, so h^t man ein Bild von der ersten Dame Amerikas. Mrs. Mac Kinley ist hauptsächlich und zunächst eine Hausfrau. Ein flüchtiger Blick auf das kleine malerische Fachwerk haus, in dem Mr. und Mrs. Mac Kinley vor seiner Erwählung zum Präsidenten lebten, bestätigt das; aber nur wenige Begünstigte haben den Vorzug, diesen An- blick zu erlangen. Was dem Besucher zuerst auffällt, ist, daß blau Mrs. Mac Kinleys Lieblingsfarbe ist, die sich gleich in dem Tep ich und den Tapeten des Wohnzimmers findet. Daß Mrs. Mac Kinley einen feinen künstlerischen Geschmack besitzt, zeigt sich in der Ausschmückung der Zimmer. Ueber dem Kamin hangt eine große Photographie des ältesten KindeS, das da mals zwei Jahre alt war. Das große Bild von ihr mit einander gemein. Ich will Euch nie wieder in meinem Hause sehen; Ihr seid fortan für mich Lust, nie ich es bis jetzt für Euch war." Dora glitt von ihrem Sessel empor; auf ihrem für cewöhnttcb graublassen, spitzen Gesicht lag ein grünlicher Schimmer. „Mein Bruder wird das letzte Wort sprechen!" fischte sie. „Für Herne gehe rch; Du wirst wohl Nach denken nnd zur Einsicht kommen." Hele: e stieß die Thür aus und riegelte sie hinter der Fortgehenden zu. Airs dem nächsten Stuhl brach sie zusammen. Und als ob ihr jemand unaufhörlich Faustschläge in dcn Nacken veistsre, stieß ein rnckweises, überlautes, schreiendes Schluchzen durch ihre Kehle. Geld! Das Geld! Ihr Geld! Was schon lange wie umrißlose Ahnung in ihr gelebt, war im Hand- umdrehen zur Gewißheit geworden. Ihr Geld hatte >.r geheirathet, — sie war die lästige Dreingabe, das überflüssige Anhängsel! Allmählig wurde sie ruhiger; ihr Weinen ver. stammte. Ein ganz eigenes Gefühl war in ihr zurück geblieben, als ob etwas in ihr zersprungen, zerrissen sei; als ob sie etwas verloren hätte, etwas Kostbares, Unwiederbringliches Draußen glänzte ein wundervoller Frühherbsttag über der Erde. So viel Sonne! Wie ein strahlen gesponnenes Netz spannte sie sich über dem Kirchen dach; in warmen Strömen rieselte sie am grünen Ge mäuer nieder; die herbstlichen Linden putzte sie zu Weihnachtsbäumen mit ihrem funkelnden Lichteispiel. Ja alle Ecken und Winkel drängte sie sich hinein, die liebe Sonne, und ersüllt sie mit ihrem Glanz; sie Ebenso wie die gesammte amerikanische öffentliche Meinung verlangen auch die bisher vorliegenden außer amerikanischen Preßstimmen strengere Vorkehrungen gegen anarchistische Anschläge, und Sympathiekund- gedungen für die schwer getroffene amerikanische Nation laufen aus aller Herren Ländern ein. Anläßlich des Ablebens des Präsidenten Mac Kinley schreibt die „Nat.-Ztg.": „Die Nichtswür digkeit des Verbrechens, dem Mac Kinley zum Opfer gefallen ist, würde nicht geringer sein, wenn er die Verwundung überlebt hätte. Gleichwohl wird der tödtliche Ausgang vermuthlich in Amerika wie dies seits des Ozeans den Eindruck noch verstärken, den die Unthal alsbald nach ihrer Verübung hervorgebracht hatte. Wird dadurch endlich der sträflichen Unent- schlossenheit und Uneinigkeit der Regierungen gegenüber der internationalen Verbrecherbande ein Erde bereitet werden? Es ist nicht zu viel gesagt, daß diese, wie die Dinge jetzt stehen, einen wesentlichen Einfluß auf die Wirkung der Verfassungen der zivilisirten Welt übt. Verlumpte Missethäter rufen in den Monarchien die Thronfolger vor der Zeit zur Regierung und be stimmen in den Republiken über die Amtsdauer der Präsidenten, allem Anschein nach vermittelst wohler wogener Beschlüsse ihrer Konventikel; so haben sie Viktor Emanuel III. anstatt Humberts I. zum König von Italien gemacht, so in Frankreich die Präsident schaft Carnots, in den Vereinigten Staaten die Mac Kinleys nach ihrem Belieben beendet. Daß die Ver- brecher, welche die beschlossenen oder durch die anar- chistischen Lehren veranlaßten Mordthaten verüben, mit dem Tode bestraft oder auf andere Art unschädlich ge- macht werden, ist durchaus bedeutungslos. Thun die zwilisirten Staaten sich nicht zusammen, um, da kein einzelnes Land wirksame Abhilfe zu schaffen vermag, nach einem übereinstimmenden Plan überall die Brut- Kaisertage. Die „Nat.-Ztg." schreibt: „Der Abschied des Kaisers von Rußland vom Kaiser Wilhelm gestaltete ich nach der jüngsten Zusammenkunft um so herzlicher, wie der ganze Verlauf derselben innig gewesen war und für die Fortdauer der traditionellen freundschast- Beziehungen der beiden Monarchen vollgiltiges Zeug- niß ablegte. Auch die Unterredungen des deutschen Reichskanzlers Graf von Bülow mit dem russischen Minister des Auswärtigen Grafen Lamsdorff ergaben volle Uebereinstimmung hinsichtlich des friedlichen Charakters der allgemeinen Politik beider Regierungen. Als „gut und vertrauensvoll" werden uns von unter richteter Stelle die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland bezeichnet; dies ist insbesondere von russischer Seite nicht blos vom Kaiser Nikolaus und dem Grafen Lamsdorff, sondern auch von den übrigen russischen Persönlichkeiten in der Begleitung des Zaren betont worden. Wir glauben nicht bei der Annahme fehlzugehen, daß, abgesehen von den vortrefflichen per sönlichen Beziehungen, auch politische Gegenstände bei der Unterredung der beiden Kaiser und der leitenden Staatsmänner erörtert worden sind." — Der „Reichs anzeiger" veröffentlicht eine lange Reihe von auläßlich der Anwesenheit des Kaisers in der Provinz West- preußen bei den diesjährigen Herbstmanövern des 1. und 17. Armeekorps verliehenen Auszeichnungen. Der Oberpräsident von Westpreußen, v. Goßler, er hielt vom Kaiser dessen Marmorbüste. Der „L.-A." schreibt: In Betreff der politischen Ergebnisse, zu denen die Kaiser-Zusammenkunft bei Danzig geführt hat, können wir aus zuverläßlicher Quelle mittheilen, daß in den Unterredungen der beiderseitigen, leitenden Staatsmänner eine Verstän digung über die Grundlagen der zukünftigen deutsch- russischen Handelsbeziehungen noch nicht erreicht werden konnte. Zur Ausübung des Ueberwachungsdienstes während der Danziger Kaisertage ist gestern unter Führung des Polizeileutnants Stephens, von Königsberg i. Pr. kommend, ein Kommando von zwei Polizeiosfizieren, 10 Wachtmeistern und 100 Schutzleuten der Berliner Schutzmannschaft in Danzig eingetroffen. Danzig, 14. Sept. Se. Majestät der Kaiser, welcher die Uniform der Leib-Husaren trug, zog mit dem Ehrengeleit des ganzen 1. Leib-Husaren-Regiments, das vcr dem Bahnhof aufmarschirt gewesen war, durch das „Hohe Thor" in die Stadt ein. Das Publikum bereitete Sr. Majestät lebhaste Huldigungen. Vor dem alten Artushofe begrüßte Oberbürgermeister Delbrück, umgeben von Vertretern der Stadt, den Kaiser mit einer Ansprache uno brachte einen Ehrentrunk dar. Se. Majestät erwiderte darauf und leerte den Pokal. Die Rede hat folgenden Wortlaut: Mein lieber Herr Oberbürgermeister! Ich komme soeben von der hochbedeutsamen Begegnung mit meinem Freunde, dem Kaiser von Rußland, welche zu unser beid,r vollsten Zufriedenheit verlaufen ist und durch welche hinwiederum die Ueberzeugung unerschütterlich befestigt wird, daß für lange Zeiten der europäische Frieden für die Völker theile übersehen und mit Freude bemerkt, daß Sie an dem Stile Ihrer Väter festhalten und daß Sie das schöne, eigenthümliche Gepräge und Bild, das einem jeden eingegraben bleibt, der einmal Danzig gesehen hat, festzuhalten und zu entwickeln bestrebt sind. Sie sehen an Mir noch die Zeichen der Trauer, aber eines Meiner letzten Gespräche, welches Ich im vergange nen Sommer mit Meiner schon damals schwer leidenden Mutter gehabt habe, das war über die Entwickelung der Stadl Danzig, weil Ihre Majestät wußte, daß Ihr Re giment nunmehr auch hier eine Hcimstätte finden würde. Und die hochselige Kaiserin sprach damals den Wunsch aus, sie hoffe, daß die Danziger ihre Vergangenheit nicht vergessen möchten und vor allem ihren schönen Stil, das Erbtheil ihrer Väter, wahren und fortent wickeln möchten. Ihnen aber, meine Herren, spreche Ich Meinen herzlichsten, tiefgefühltesten Dank aus für den schönen Empfang, für den herrlichen Schmuck Ihrer Stadl und die freudige Stimmung Ihrer Bürgerschaft. Ich freue Mich, daß es nach manchen Schwierigkeiten gelungen ist, den Wünschen der Stadt zu entsprechen und ihr vorwärts zu helfen. Der Herr Oberbürger meister wird da? selbst am besten wissen, daß wir zu sammen manchen harten Strauß haben fechten müssen, zumal der Finanzirung wegen. Und nicht zum Geringsten rechne Ich es Mir zum Ruhme, wenn Ich sagen darf, daß Ich Ihre Brücke durchgebracht habe. Sie können sich versichert halten, daß nach wie vor Mein Interesse für die Hebung und Fortentwickelung Ihrer Stadt dasselbe bleibt, und Sie werden Mich lange genug kennen, um zu wissen: Wenn Ich Mir etwas vorgenommen habe, führe Ich es auch durch. Sie können sich denken, daß alle Phasen Ihrer Entwickelung von Mw mit landesväter. Uchem Interesse, Meiner Huld und Meinem Schutz begleitet werden. So trinke Ich denn diesen Becher mit deutschem Wein auf das Wohl und die Ent wickelung der Stadt Danzig! — In dem großen neuen Saal, welcher die Kasinos der beiden Leibhusarenre- , gimenter verbindet, fand Mittags ein Festakt statt, bei welchem Se. Maj. der Kaiser die von ihm für den - i Saal geschenkten drei Schlachtengemälde von Kossak , übergab. Um 1 Uhr kehrte der Kaiser auf die „Hohen- zollern" zurück, welche inzwischen bei der kaiserlichen Werft angelegt hatte. Der Kaiser nahm beim heutigen Frühstück im Kasino der Leibhusaren die Meldung des Prinzen Heinrich als Admiral entgegen. Abends begab sich der Kaiser in vierspännigem Wagen nach Langfuhr, um bei den Olfiziren der Leibhusaren-Brigade zu speifen. Gleichzeitig fand in dem Kasino des Leib- Husaren-Regiments ein Fest statt, welches die Stadt Danzig den Mannschaften der Brigade gab. Die Kaiserin wohnte Nachmittags um 5^ Uhr der Ein weihung des Augusta V.ctoriahauses am Diakonissen hause bei. Die Stadt war illuminirt. Wien, 15. Sept. Zu der gestrigen von Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser in Danzig gehaltenen Rede bemerkt das „Fremdenblatt": Einen wirkungs- volleren, für Europa erfreulicheren Kommentar konnte die Danziger Entrevue gar nicht finden. Ganz Europa wird die Worte des Kaisers mit freudiger Genug- > chuung vernehmen, und gewiß mit Gefühlen des DankeS für die zwei Herrscher, welche neuerlich bewiesen haben, welch mächtigen und aufrichtigen Bürgen des Friedens vergoldete den Kohlenstaub zwischen den Eisenbahn schienen; erwärmend, versöhnend, verklärend breitete sie ihren Hauch auch über alles Dunkle, Kalte, Schmutzige, Niedrige der Erde. Helene wandte sich ab. Sie fröstelte. So viel Licht und doch keine Helle! So viel Sonne uud doch keine Wärme! Nur tote Gegenstände erwärmt und ver klärt sie. Ins Herz hinein fällt kein Strahl, — in die dunkle, traurige Seele kommt kein erhellender Schein, lein einziger. — Gegen acht Uhr kamen die Herren zurück, in heiterster Stimmung, angeregt von der schönen Fahrt und dem köstlichen Rüdeshfimer Tropfen. Selm stellte seiner Fran die sremden Herren vor; ihre Blässe und ihr gedrücktes Wesen fielen ihm nicht weiter auf. Der Tisch war schon gedeckt, und es konnte gleich serviert werden. Die Herren lobten das vorzügliche Essen; der Hausherr verflieg sich zu einer schmunzeln den Anerkennung. Ihre Küche verstand sie, die Helene, das mußte ihr der Neid lassen! Die Unterhaltung bei Tisch drehte sich um die Rüdesheimer Fahrt; man beabsichtigte noch, am Abend einen Abstecher nach Koblenz zu machen. Einer der Herren, ein Berliner, machte den Vorschlag, den Abend lieber in X. zu bleiben, aber Selm widersprach lebhaft. Während die Debatte noch im Gange war, ver- ließ Helene den Tisch, um aus dem anstoßenden Zim mer eine Fruchtschale zu holen. Die lauten Stimmen der Herren folgten ihr. „'ne Schande, den jöttlichen Abend in der Wirtt- stube zu vertrödeln," rief der Berliner. „Das Mainzer erhalten bleiben wird. Dieses Faktum macht auch Mir daS Herz leichter, wenn Ich in die Mauern dieser alten schönen Handelsstadt einziehe. Als Ich daS erste Mal Danzig besuchte, konnte Ick Mir aus dem damaligen Zustande der Stadt schon die Aufgabe vorzeichnen, welche darin bestand, die Stadt wieder zum Emporblühen zu bringen und zum Lorwärtsschreiten, die schönste Aufgabe, die einem LandeSvater und Regenten blühen kann. Ich hegte keinen Zweifel, nachdem im Rathhause Mir die Ab sichten der Stadt in Wort und Bild mitgetheilt worden waren, daß bei dem alten Hansageist, der in unseren Kaufleuten sitzt, bei dem Entschluß der Danziger, sich emporzuraffen, die Aufgabe, wenn auch nicht leicht, so doch ausführbar sein würde. Frei von dem bannenden Nebel parteipolitischer Rücksichten, die lange die Stadt Danzig zu ihrem Schaden bedrückt und niedergehalten haben, statt sich um ihre Interessen zu kümmern, sehe Ich die Stadt jetzt vor Mir aufblühen unter der sicheren Hand seines klugen, weitblickenden Stadthauptes; wie die Entwickelung der Stadt mächtig emporstrebt, das zeigt sich in den gefallenen Wällen. Mit stau nender Bewunderung hat Mein Blick die neuen Stadt Phinchen und die Jeuerei laufen nicht davon. Setzen wir uns lieber ein bissel auf die Aussichtsterrasse am Rhein und trinken 'n Viertelchen. Ihre junge Frau begleitet uns vielleicht, ist so den ganzen Tag allein gewesen." „Die habe ich mir gut gezogen," lachte Selm, „beim ersten Stück Brot eingewöhnt. Liebe es nicht, mich mit G päck zu beschweren." „Na, nc, wer wird so sein! So'n junges Frau chen braucht doch auch mal 'n bissel Zerstreuung." Ein langes, undeutliches Gemurmel, dann schal- lendes Auflachen. „Schneidiges Kerlchen, unser O:to- chen. Er soll leben " Um neun Uhr war das Haus wieder still, wie ausgestorben. In seinem Wohnzimmerchen im ersten Stock saß der alte Preetzmann am cffenen Fenster und trank seinen Thee; er hatte sich heute zu müde gefühlt, um in Gesellschaft zu speisen. Das letzte Zwielicht des scheidenden Tages schwankte über das weißgedeckte Tischchen; die Ecken und Wände lagen schon im Schatten. Helene saß aus dem Schoße des Vaters, fo wie sie es als ganz kleines Mädchen gethan hatte, die Arme um seinen Hals geschlungen, den Kopf an seine Schulter gelegt. Und so beichtete sie ihre Last vom Herzen herunter, alles, was man ihr augethan diesen Nachmittag, nnd dabei stieg wieder daS wilde, heiße Schluchzen in ihre Kehle, so daß sie nur stoßweise die Sätze hervorbrachte. Sanft streichelte die weiche, kühle Hand des Grei ses ihre erhitzte Stirn, ihre brennenden Wangen. Als sie endlich ruhiger werdend, aufblickte, sah sie, laß feine Augen naß waren, und cin wunderliches Zuclen feinem Tode bei dem Cook County-Gesängniß treffen und uns jeden Anarchisten hängen helfen, einschließlich Emma Goldman. Gezeichnet Charles Weinland. John L. Pierce. Edward Hufers." — In Buffalo sind die Straßen um das Gefängniß, worin CzolgoSz sitzt, mit Stricken abgesperrt. Bei der Todesnachricht versuchte! die Menge das Gefängniß zu stü.men, wurde aber von der Polizeireserve zu Pferde und zu Fuß zurück- getrieben. DaS 65. und 64. Regiment werden in ihren Kasernen bereit gehalten, falls die Menge den Angriff erneuert. Der Mörder ist übrigens von Buffalo nach Erie gebracht worden, aus Furcht, daß der Pöbel ge- waltsam den Zugang zum Gefängniß erzwingen möchte. Chicago, 15. Sept. Die Polizei hat thatsäch- lich mangels aller Beweise die Annahme vom Vor- handensein eines Komplotts zur Ermordung des Prä sidenten Mac Kinley aufgegeben. Cleveland, 15. Sept. Der Vater des Mör ders Czolgosz ist nach Buffalo gereist, um seinen Sohn zu bewegen, Alles zu sagen, namentlich auch bezüglich eines etwaigen Komplotts. Die Nachrichten über Geständnisse des Mörders, daß Komplizen oder Anstifter vorhanden seien, sind unsicher. Aber vielleicht leitet das rohe Verhalten eines Senators, der seine Freude über das Attentat ausgesprochen Hai, auf Spuren von Urhebern. Die Aeußerungen Mac Kinleys, daß eine wirthschastliche Wandlung sich empfehle, waren unvorsichtig, denn an das bisherige System sind viele Unternehmer und Spekulanten mit ihren Plänen und Aussichten gebun den. Viele dieser Herren sind thatenlustig. Wir er innern an die Schilderungen, die der Verein für So zialpolitik 1894 über amerikanische Trusts veröffent licht hat. Ihre Aufforderung an Kaufleute und Ge werbetreibende, dem Trust ihre Geschäfte abzutreten und seine Kommis zu werden, war mit der Drohung gepaart: Wir fetzen Dir sonst einen Konkurrenten auf den Hals, der zu Schleuderpreisen verkauft und Dich aushungert. Gewaltthaten und verbrecherische An schläge waren nicht selten, z. B. der vom Whisky-Club gemachte Versuch, einen amtlichen Aichmeister zu be stimmen, daß er bei Ausführung seines Geschäfts eine Bombe unter einen Spiritustank eines renitenten, ka pitalstarken Geschäftsmannes lege. Die Sache kam zur richterlichen Kenntniß, aber der mächtige Trust erreichte die Niederschlagung der Untersuchung. Danzig, 14. Sept. Nach Eingang der Nach richt vom Tode des Präsidenten Mac Kinley hat Se. Maj. der Kaiser besohlen, daß die Flotte die Flaggen halbmast zu führen und die amerikanische Flagge am Großtopp auf Halbmast zu setzen habe. stätten des anarchistischen BerbrecherthumS zu vertilgen, so wird man wahrscheinlich ganz andere Dinge erleben, als bisher." Die „Nordd. Allg. Ztg." widmet dem verstor benen Präsidenten Mac Kinley einen warmen Nachruf, in dem rS u. a. heißt: „Wahrhaft tragisch jat sich daS Geschick eines der hervorragendsten Prä- identen Amerikas ersüllt. Mac Kinleys Amtsführung iel mit mit der seltenen Zeit politischer Machtsteigerung und wirthschastlichen Aufschwungs der Vereinigten Staaten zusammen. Wenige Nachfolger George Wa shingtons genossen auch außerhalb Amerikas persönlich und politisch ein ähnliches Ansehen. Erschüttert durch den Ausgang seines heldenmüthigen TodeSringens stimmen wir mit dem Volk und der Regierung der Vereinigten Staaten in die Trauer um den vortreff lichen Mann ein, der an einer Glanzstätte amerika nischer Kultur, als er sich vertrauensvoll unter seinen Mitbürgern bewegte, von der Kugel des Meuchelmör ders getroffen wurde. Es schmerzt uns tief, daß die stammverwandte große Republik abermals das nativ- nale Unglück eines Präsidentenmordes in voller Schwere empfinden muß. — Die „Berl. N. Nachr." führen aus: „Die deutsche Nation spricht dem amerikanischen Volke ihr aufrichtiges Beileid zu dem Verlust ihres Führers aus, der, Amerikaner in jeder Fiber, mit sel tener Festigkeit und Entschlossenheit an die Verwirklich, ung derjenigen Ziele helanging, die er im Interesse seines großen Vaterlandes für erstrebenswerth und den Wünschen der Volksmehrheit entsprechend hielt. Der Verstorvene zeichnete sich weniger durch urwüchsigen Gedankenreichthum, als durch die Gabe aus, die der Vorherrschaft entgegendrängenden Strömungen zu er fassen und sich theils von ihnen tragen zu lassen, theils sie dem Ziele, dem sie zustreben, mit starker, zäher Hand entgegenzulenken. Sicher ist, daß Mac Kinley neben Grant und Lincoln zu den bedeutendsten Prä sidenten der Vereinigten Staaten ans der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts gehör! und daß seine Amtszeit in der Geschichte der Union für alle Zeit eine hervorragende Stelle einnehmen wird!" — Die „Voss. Ztg." schließt ihren Nekrolog mit folgen den Worten: „Ganz anders, als er ihn aus den Händen seines Vorgängers Cleveland übernommen hat, läßt Mac Kinley den nordamerikanischen Staat zurück. Sein Name bleibt eingegraben in die Tafeln der Ge schichte. Die Todtenkränze, die an seiner Bahre nie- dergelegt werden, gelten einem Manne, der seine Zeit , verstanden hat und sich daher würdig anreiht den l größten Präsidenten, die Nordamerika bisher gehabt hat. Geld. Nowlle von M. Böhme. l0. Forti. ^Nachdruck verboten.) Helene fuhr wie von einem Peitschenhiebe getroffen herum. Unter der dunkelrotden Gluch. die ihr Gesicht bedeckte, schimmerten die straffgesä wolle: ,n Sttrn- und SchläsenaLern beängstigend blau hervo. „Sanftmuth und Demuth, ja, die will ich von Dir leimen!" brach es zwischen ihren Lippen hervor. „Heute zum erstenmal hab ich sie kennen g» lernt, di Sanftmuth m t den Raubchierkrallen unterm Schafpelz; die heuchlerische Demuth, unter der sich die gonlvs sie Frechheit und eine bodenlose Unverschämt^ il verk i-ch.n. Und so was schämt sich nicht, in dems lben Athem, in dem es seine ganze Gemeinheit und Nichte- würdnkeit in ihrer erbärmlichen Nacktheit bloßlegt, von Demuth und Gottergebenheit und waS weiß ick, zu reden. — Nicyi zu clauben! — Und dabei muß ich Dir dankbar sein. Ich bin jetzt blind durchs Leben gegangen, mit verbundenen Augen. Du hast mir die Binde heruntergerissen, — ganz sanft und lind, — das muß man Dir lasfen. Viel kann ich von Euch lernen, alles, was recht ist. Mit frommen Spiüchel- chen auf den Lipven d^s Ellenbogens cht brauchen, im lieben Ich den Superlativ deS MenschenlhumS er- blicken und dabei fromm die Augen verdrehen und von Demmh und Nächstenliebe reden: das ist eine Kunst, die ich bis jetzt nicht verstand, und für die zu l rnen ich auch danke. Doch genug, — zwischen uns ist schon viel zu viel gesprochen. — Da —" ihre Stimme nahm einen durcbdringenden metallisch vollen Ton an, mit einer gebietmiichni B-Wegung wies sie n cch der Thü>. „Und nie wieder! W r haben nichts mehr elbst wurde gemalt, als sie vor ihrer Heirath in Zerlin war, und daneben hängt ein Bild ihres aus gezeichneten Gatten. Der kleine Schaukelstuhl ihres ältesten Kindes ist eine traurige Erinnerung einer glücklichen Vergangenheit, da sie Kinder ungewöhnlich gern hat. Keine Frau kann ihrem Gatten mehr er- eben sein als Mrs. Mac Kinley. „Er hat nicht sei- lesgleichen", und wenn sie von ihm spricht, streckt sie die gefalteten Hände aus und sagt: „ES giebt 75 Millionen Menschen im Lande, aber nur einen William Mac Kinley." Wenn er abwesend war, schrieb er ihr täglich zweimal, telegraphirte morgens, mittags und abends und, wenn möglich, wurde auch das Telephon benutzt, um die Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Vorübergehende Besucher wurden in der Bibliothek empfangen. Das Haus ist mit der Kirche telephonisch verbunden, so daß Mrs. Mac Kinley, obgleich sie nicht zur Kirche gehen kann, doch dem Gottesdienst beiwoh nen kann. Der Präsident war ein Kurator der Methodistenkirche und besuchte sie regelmäßig, wenn er in Kanton weilte. Obgleich sie natürlich mit Ein ladungen überschwemmt wurden, zogen der Präsident und seine Frau vor, ihre Zeit ruhig in ihrem Hause zu verbringen, wenn es ihnen die durch ihre Stellung ihnen auferlegten gesellschaftlichen Verpflichtungen nur irgend erlaubten.
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