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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.08.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190108182
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19010818
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19010818
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-08
- Tag 1901-08-18
-
Monat
1901-08
-
Jahr
1901
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.08.1901
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HchOin-ErMIM TaMN. Amtsblatt. Nr. 192. Sonntag, den 18. August 1901. 1. Beilage. Politische Wocheuscha« Der Tod der Kaiserin Friedrich ist in Preußen politisch nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Erstens gab die Landestrauer, die ja für viele Gewerbetreibende und allerlei fahrendes und nichtfahrendeS Künstlervolk bei diesen ohnehin schlechten Zeitläuften eine empfind- liche Einbuße am Geldbeutel bedeutete, der demokra tischen Presse Anlaß, die Forderung auf Entschädigung und gesetzliche Regelung der ganzen Frage zu erheben. Wie tief sich im Volke das Bedürfniß darnach geltend gemacht hat, davon legt die Thatsache Zeugniß ab, daß auch sogar in konservativen Blättern ein ge wisser Verständniß für die Entschädigungsfrage gezeigt wurde. Ferner übte der Tod der Kaiserin - Wittwe auf die Feierlichkeiten zum Empfang Walderfee's eine dämpfende und dadurch politische Wirkung, da bei ungehemmtem Freude- und Redeerguß sicherlich die Festredner mit Renommiren des Guten zu viel gethan und unS vor dem Auslande ein wenig lächerlich gemacht haben würden. Obwohl so ein unangebrachter Festes- Überschwang verhütet wurde, ist eS dennoch von vielen Seiten getadelt worden, daß Graf Waldersee in seinen Reden diejenige Zurückhaltung und Dämpfung des Tones vermissen lasse, die mit Rücksicht auf die Gefühle des Auslandes am Platze gewesen wäre und dem mehr diplomatischen als militärischen Feldzuge entsprochen hätte. Das „Los von China" wäre nun ja end lich erreicht. Sämmtliche Vertreter der Mächte haben das Friedensprotokoll in Peking unterzeichnet und den chinesischen Unterhändlern übergeben. Damit ist auch einstweilen die Streitaxt zwischen England und Ruß land wegen der Erhöhung der Seezölle, worauf der Russe zum Aerger John Bulls gedrungen hatte, fried- lich begraben, um natürlich früher oder fpäter, wenn China die Entschädigungsgelder nicht aufbringen kann, wieder „auSgebuddelt" zu werden, wie der Berliner sagt. Dagegen scheint Rußland uns gegenüber das Schwert zum Zollkriege zu schärfen. Falls der Zolltarif Gesetzeskraft erlangt, will Rußland seine Grenze für die russischen „Preußengänger" sverren und damit der vstelbischen Landwirthschaft einen Schlag versetzen, der ihr jedenfalls schon jetzt ein geheimes Grauen ver; ursacht. Einer, der sich nicht graulich machen läßt, ist der Beherrscher aller Gläubiger am Bosporus. Irgend einen Staat, den er ärgert, hat er immer. Diesmal mußte Frankreich für die Interessen seiner Unterthanen am goldenen Horn schweres diplomatisches Geschütz aussahren, ohne deshalb das Tempo des Nach gebens beim Sultan zu beschleunigen. Daß er nach- geben muß, das weiß ja der kranke Mann in Südost- Europa sehr wohl. Der kranke Mann dagegen im Süden Afrika-, worunter man natürlich nur den Engländer verstehen kann, hat sich nunmehr zu einer furchtbaren Prokla mation entschlossen. Alle Burenführer, die sich bis zum 15. September nicht ergeben haben würden, sollen für immer aus Afrika verbannt werden. Ob sich Helden wie Dewel und Botha und ihre Mannen durch solche Drohungen bange machen lassen? Das glaubt doch wohl Kitchener selbst nicht. Die ganze Ankün- kündigung verräth, wie sauer der Apfel ist, in den sich John Bull am Kap der guten Hoffnung ver bissen hat. In Amerika ist es zwischen Venezuela und Kolumbia zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen gekommen. Vorher aber hatten schon Aufständische, die offenbar von Kolumbien aus unterstützt waren, durch die Truppen des venezuelanischen Präsidenten eine zweite Niederlage erlitten. Für unsern Auswandrerftrom kommt aus Austra lien eine bedenkliche Kunde. Der Australische Staaten bund will die Einwanderung erschweren und hat dabei Maßregeln ins Auge gefaßt, die offensichtlich gegen die Deutschen und Franzosen geplant sind. Trösten wir uns mit dem Spruche: viel Feind, viel Ehre. Auffällig ist es, daß England mit Genehmigung Frankreichs seine Position am Gambiaflusse verstärken konnte. Man erklärt sich das Räthsel so, daß England später seine Besitzung am Gambia an Frankreich ab treten wird, wenn Frankreich, wozu es sich bereit gezeigt hat, seine Ansprüche auf Fischereigerechtsame an der Kanadischen Küste zu Gunsten Englands abgetreten haben wird. Sächsisches. Hohensteiu-Erastthal, den 17. August 1901. — Hinaus in de« Wald, in den herrlichen deutschen Wald! Das sei die Parole in den jetzigen Sommertagen. Wer nach der Wochentage Mühe und Last Erquickung begehrt, wem die Mittel fehlen in einer kostspieligen Badereise Erholung zu suchen, der wandere hinaus in den prächtigen Dom, den die Natur errichtet hat in den märchenumwobenen deutschen Wald, der seine wohlthätige Einwirkung gerade in den heißen Tagen ver spüren läßt! Wenn die Sonnengluth auf die Wipfel drückt, athmet jeder Zweig, jedes Blättchen und jede Nadel Duft und Frische in verstärktem Maße aus und »füllt die Luit unter dem lebendigen Blätterdache mit dem belebenden und erleichternden Sauerstoff, daß einem zu Muthe wird, als befände man sich inmitten eines wohlriechenden Straußes, nur daß der Duft zarter und seiner ist, als vielfach der der Blumen Am angenehmsten und zugleich am stärkendstcn und wohl- thuendsten für städtische, an dicke Luft gewöhnte Lungen wirkt der ozonreiche Harzgeruch des Nadelwaldes. Wir Deutsche haben Ursache, die Schönheit unseres Waldes in hervorstechender Weise zu würdigen, da sie eine bevor zugte Eigentümlichkeit unserer Heimath ist Der deutsche Wald genoß schon in früheren Zeiten einen wohlver dienten Ruf. Italien ist fast ganz, Frankreick zumeist waldarm und ihre Gebirge sind größtenteils kahl. Die russischen Wälder sind Sümpfe und die tropischen Wälder, wie die in Deutsch-Afrika, hauchen gefährliche drückende Dünste aus, die das mörderische Fieber der heißen Zone erzeugen, sodaß man hier lieber an kahlen, den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzten Orten rastet, als im schattigen Wald. Welch wohlthätigen Aufenthalt bietet dagegen unfer herrlicher Wald jedem Erholungsbedürftigen! Man gehe nur heraus und man wird diese Wohlthat an, sich selbst empfinden! — Da- ZurüSgehen der Handweberei macht sich auch in Thüringen bemerkbar. Die „Zeit schrift für die gesammte Textilindustrie" schreibt hier zu aus Mühlhausen i. Th. : Die auf Veranlassung der Regierung angestellten Erhebungen über die Handweberei auf dem Eichsfelde habe», 'geben, daß seit dem Jahre 1898 in allen Weberv^rfern des Obereichsfeldes sowohl die Zahlen der Webstühle wie auch der in der Weberei beschäftigten Personen ganz erheblich, und zwar durchschnittlich jährlich um 2b Prozent, zurückgegangen sind. — Das Finanzministerium hat in Ueberein stimmung mit dem in Preußen beobachteten Verfahren hinsichtlich der Besteuerung der zur Ableistung ihrer Dienstpflicht einberufenen Wehrpflichtigen das Folgende an die zuständigen Behörden verfügt: „Die Ein kommensteuer derjenigen Personen, welche im Laufe des Steuerjahres zur Ableistung ihrer Dienstpflicht in das Heer oder in die Kaiserliche Marine eintreten, ist vom 1. desjenigen Monats ab, in welchem der Eintritt erfolgt, auf Verlangen durch die Hebebehörde in Wegfall zu stellen, sofern feststeht, daß der nun mehrigen Militärperson ein nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes steuerpflichtiges Einkommen von über 400 Mark nicht mehr anzurechnen ist. Ver bleibt aber einem Beitragspflichtigen auch nach dem Eintritte in das Heer oder die Marine ein steuer pflichtiges Einkommen von mehr als 400 Mark (z. B. aus Grund- oder Kapitalvermögen), so kann eine Ermäßigung der veranlagten Einkommensteuer nur dann beansprucht und bewilligt werden, wenn aus- nahmsweise die in Z 47u Absatz 2 des Einkommen steuergesetzes angegebenen Voraussetzungen vorlieg-n und der Anspruch auf Ermäßigung bis zum Ablauf des Steuerjahces angemeldet wird." — Bei Verpackung von Drucksachen für die Postbeförderung wird von den Absendern häufig dadurch gesündigt, daß nur ein Streifband verwendet und lose umgelegt oder ein ungeeigneter Briefumschlag gewählt wird. In die wnt geöffneten taschensörmigen Falten solcher mangelhaften Streifbandsenvungen, sowie in die offenen größeren Briefumschläge mit nach innen ein gesteckter Verschlußklappe, die von den Postbeamten mit gutem Grunde als „Brieffallen" gefürchtet werden, verschieben sich unbemerkt Briefe, Postkarten und andere kleine Gegenstände und machen sodann als blinde Passagiere wider Willen oft weite Irrfahrten in den Drucksachen mit. Günstigen Falles, wenn sie von einem Postbeamten glücklich in ihrem Versteck entdeckt oder vom Empfänger der Drucksache zurück- qeaeben werd-n, gelangen sie mit größerer oder ge ringerer Verspätung in die Hände des Adressaten; andernfalls sind sie verschwunden. Die Postverwaltung ist eifrig bestrebt, durch geeignete Vorkehrungen die den anderen Sendungen von den Drucksachen her drohende Unsicherheit abzuwenden. Im eigensten Interesse des Publikums liegt eS, die Postverwaltung in diesen Bestrebungen zu unterstützen, indem es in d r üblichen Drucksachenverpackung Wandel eintreten läßt. Dies ist ohne erhebliche Mühe und Kosten für den Absender sehr wohl angängig. Bei größeren Drucksachen, die unter Band verschickt werden sollen, bietet sich als wirksamstes Mittel zur Vermeidung b> eiter Spalten die Anlegung eines Kreuzbandes an Stelle des ein fachen Streifbandes. Kaun man sich hierzu aber nicht entschließen, dann sollte man wenigstens ein auS gutem Papier gefertigtes Streifband so eng wie nur möglich um die Drucksache legen und außerdem eine feste kreuz- weise Umschnürung mittelst Fadens oder Gummibandes h rumfchlingen. Bei Drucksachen, die unter größeren Briefumschlägen zur Absendung kommen sollen, wären thunlichst Umschläge anzuwenden, deren Verschlußklappe sich nicht am breiten oberen Rande, sondern an der schmalen Seite befindet. Jedenfalls soll man die Per» schlußklappe nicht in den Umschlag einsteck-y,; will man den Inhalt vor dem Herausfallen schützen, so ver wende man Umschläge, deren Vecschlußklapp: einen zungenartigen zum Einstecken in einen äußern Schlitz des Umschlags eingerichteten Ansatz besitzen. Auch in anderen Formen hat die Papierindustrie bereits sichernde Drucksachenhüllen auf den Markt gebracht. Damit die Versender von Drucksachen diese Anregungen beherzigen und, jeder für seinen Theil, ernstlich dazu beitragen, den von den Brieffallen ausgehenden Unzuträglichkeiten zu steuern, seien sie noch darauf hingewiesen, daß sie hierdurch nicht blos im Interesse anderer, sondern auch im eigenen handeln, denn dieselben Gefahren, die sie anderen durch mangelhafte Verpackung ihrer Druck sachen bereiten, drohen ihren eigenen Briefen und Karten durch Brieffallen von anderen Absendern und, wenn einem Versender auch vielleicht noch kein Leid in dieser Beziehung widerfahren ist, kann der böse Zufall jeden Tag einen wichtigen Brief von ihm oder an ihn in eine solche Falle führen. — Dienstmädchen und Fabrikarbeiter innen. Von Zeit zu Zeit pflegen in den Blättern Artikel zu erscheinen, welche sich mit der Berufswahl der aus der Schule entlassenen Jugend beschäftigten. Es werden da allerlei wohlmeinende Rathschläge und Warnungen ausgesprochen, leider zumeist nur für Knaben. Der Mädchen dagegen gedenkt man höchst elten, und doch bedürfen auch sie, denen es ja nur um kleinen Theile vergönnt ist, im elterlichen Hause u bleiben und sich dort auf den Beruf einer Haus- rau vorzubereiten, gar wohl des erfahrenen Rath- ieberS. Insbesondere gilt dies für die Töchter der ainder bemittelten Volksklassen. Ihnen eröffnen sich hauptsächlich zwei Berufszweige: der Gesindedienst oder die Arbeit als Dienstmädchen in einem fremden Haushalte und die Fabrikarbeit; zwischen ihnen gilt eS zu wählen. Da zeigt sich nun seit längerer Zeit die eigenthümliche Erscheinung, daß die Fabrik in steigendem Maße an Anziehungskraft gewinnt, während die Zahl derjenigen Mädchen, welche Lust haben, Dienstmädchen zu werden, in steter Abnahme be- griffen ist. Ein Segen scheint unS in dieser Ent wickelung nicht zu liegen, eher daS Gegentheil. WaS treibt wohl die jungen Mädchen heutzutage scharen weise in die Fabrik? Der sofortige und verhältniß- mäßig hohe G ld Erwerb einerseits und die reichlich bemessene freie Zcit anderseits. Die Fabrik-Arbeiterin tritt nur für ganz bestimmte Arbeitsstunden in den Dienst eines andern; außerhalb dieser Stunden, also allabendlich und an Sonn- und Feiertagen, genießt sie völlige Freiheit. Gerade in diesem Punkte möchten wir einen Hauptgrund für die Anziehungskraft der Fabrik erblicken. Das Streben nach Ungebundenheit, nackt Lockerung strenger Zucht und Ordnung ist im engsten Zusammenhänge mn der wachsenden Ver gnügungssucht kennzeichnend für die jüngere Generation, und eben dieses Streben läßt den Beruf eines Dienst- mädchen mit einer wesentlich stärkern Aussicht und Gebundenheit als minder vorrheilhaft erscheinen. In dessen sehr mit Unrecht. Der Verdienst einer Fabrik- arbeiterin ist zwar rn Ansehung der baaren Geld- summe höher als derjenige eines Dienstmädchens, in Wahrheit aber zumeist geringer. Bei dem Dienstmäd chen kommen nämlich freie Wohnung und Kost wie zahlreiche kleinere Vergünstigungen hinzu, die das Verhältniß sehr zu Gunsten ändern. Ueber die Lage der Dienstmädchen im allgemeinen urtheilt Dr. Hirsch berg, un guter Kenner der Verhältnisse, in feinem Buche „Die soziale Lage der arbeitenden Klasten in Berlin" folgendermaßen: „Die Arbeit ist nicht be sonders hart und schwer sie bringt keine besonoeren Gefahren für Gesundheit und Sittlichkeit mit sich, ja sie unterscheidet sich nicht von den Arbeiten, die so viele Hausfrauen selbst verrichten. Vor Kälte, Hunger Obdachlosigkeit und Arbeitslosigkeit geschützt, leben die Dienstboten als Genossinnen der Haushalts, nehmen an dessen Freude theil, ohne von dessen Sorgen be- drückt zu werden, und genießen her guter Führung Vertrauen und Erleichterungen im Dienst und auch manche:l i Vergnügungen und Zuwendungen, aus welche die Fabrik-Arbeiterinnen verzichten müssen." Wir möchten aber dieser wahrheitsgetreuen Schilderung der Vorzüge des Dienstmädchen-PerustL noch einen weitern Punkt mit ganz acwnderm Nachdruck hinzu fügen. Der Dienstmädchen-Beruf bildet für die Mäb- chen der arbeitenden Klassen die beste Vorbereitung für ihre künftige Lebensstellung als Hausfrauen. Hier erlernt die spätere Hausfrau alle diejenigen Ver richtungen, deren Kenntniß zur Führung eigener Wirthschaft unentbehrlich ist. Damit aber ist die beste Gewähr eines gesunden und glücklichen Familienlebens gegeben. Es sei deshalb allen jungen Mädchen bei ihrem Eintritt in das Erwerbsleben sowie deren Eltern und Vormündern aufs wärmste ans Herz ge- legt, die Vorzüge des Dienstmädchen-BerufeS mit ruhiger Ueberlegung zu prüfen und nicht ohne weiteres der Fabrik den Preis zuzuerkennen. — Entsprechend einer in neuerer Zeit ergangenen ministeriellen Verordnung sind jetzt die Verwaltungen der meisten der sächsischen Stadtgemeinden mit mehr als 20000 Einwohnern mit der Aufstellung von Wohnungsordnungen bez. von Bestimmungen für die Wohnungsbeaufsichtigung beschäftigt. Hierbei hat sich lerausgestellt, wie nothwendig in manchen Distrikten lerartige, die allgemeine Wohlfahrt fördernde Be timmungen sind. Selbstverständlich wird, wie das önigliche Ministerium des Innern besonders hervor hebt, der Erlaß einer Wohnungsordnung auch in Ge meinden mit 20000 und weniger Einwohnern in Frage kommen können. Vor allem werde es sich aber darum Die Kuranstalt. Eine Heilungsgeschichte von Franz Wichmann. Schluß. (Nachdruck verboten.) Eine Viertelstunde später saßen die beiden Patienten im Hinlerzimmer der „Goldenen Traube" bei einer Flasche Rüdesheimer. Auf dem Seitentische stand noch eine dunkle, dickbäuchige Flasche. Sie war gefüllt mit dem Lebenselixir, das die Wirthin, die gerade noch Vorrath hatte, Herrn Müller für den billigen Preis von fünf Mark überlasten hatte, „Oognae lins LkampuMo" stand daran. „Aber sagen Sie," fragte Müller mit einem lieb- äugelnden Seitenblick auf die Flasche seinen Verführer, „warum nennen Sie diese köstliche Flüssigkeit eigentlich Doktor Bernharvi's Lebenselixir?" „Ei nun," lachte der Gefragte, „weil ich Bernhard heiße und trotz aller Naturheilkuren doch nebenbei mein eigener Doktor bleibe. Deshalb habe ich dieses Elixir nach mir selber getauft." Herr Müller verstummte in Bewunderung solchen Genies. Vom folgenden Tage an aber begann er neben der Master- und Gemüsekur des Doktor Fuchs eine eigene Bchandlung mit Fleisch und Wein im stillen Hinter zimmer der „Goldenen Traube", wo ihm Herr Bühler stet- Gesellschaft leistete Der Erfolg war ein erstaun- kicher, er bekam wieder Farbe, setzte Fett an und ließ sich sogar die verbesserte Brombeerlimonade schmecken. In den täglichen Berichten, welche Frau Ursula verlangte, konnie er jetzt mittheilen, daß ihm die Kur trefflich an- schlage und er nächstens die Heimreise antreten könne. Die schreckliche Vision der Metallsärge war gänzlich aus seinem Hirn verschwunden, und mit innigen Mitleid be trachtete er einige der Kurgäste strengster Observanz, un rettbare Master- und Pflanzen-Schwelger, die man aus Furcht vor Verrath nicht gewagt hatte, in die Geheim niste der „Goldenen Traube" einzumeihen So hungerten sie für ihre zehn Mark tägliche Pension mit rührender Naivetät weiter, verbrachten schlaflose Nächte in ihren kahlen, zellenartigen Kammern und liefen am Tage wie lebendige Gespenster im Gemüsepark herum. Zum größten Leidwesen Müllers erklärte Herr Bühler eines Abends, daß er anderen Tags abzureisen gedenke. Sein Zweck in Siechenheil sei erreicht, und ehe er m die Hauptstadt zum Geschäfte zurückkehre, wolle er noch seiner Heimath, dem kleinen Städtchen Finkenfeld, das er leit Zwanzig Jahren nicht mehr gesehen, einen kurzen Besuch abstatten. " "Was , Finkenfeld?" fragte Müller verwundert und vom We,ne, der ihm zu Kopf gestiegen, ein wenig verwirrt, „das Nest ist, — Pardon, — daher also sind Sie, — ich meine, — Verzeihung, — aber Sie haben noch nie von Ihrem Leben gesprochen, und das Persön- liche —" „Ihnen ist Finkenseld auch bekannt?" unterbrach ihn der andere ebenfalls neugierig. „Run ja, — das heißt, — die Bekanntschaft reicht recht weit zurück, so an die fünfundzwanzig Jahre, — hatte die Zeit fast vergessen, aber 'der Name ruft mir plötzlich alles wieder nach. Hatte damals einen idelen Freund auf dem Polytechnikum, gerade kein Muster von Fleiß, aber um so größer im Kneipen, das wir gemeinschaftlich auf immer wechselnden Schauplätzen besorgten. Und die Spritztour, die ich einmal mit ihm nach seiner Heimath Finkenseld machte, ist mir als eine der fidelsten nnd feuchtfröhlichsten in dec Erinnerung." Die Stimme Bühlers nahm einen seltsamen Klang an. „Und wie hieß dieser Freund?" sr'.gte er. „Marcell Friedberg. Haben Sie vielleicht den Namen einmal gehört? Er wurde später gegen den Willen seiner Eitern Schauspieler und brannte mit Schulden durch. Da er stets ein geschworener Feind vom Briefschreiben war, habe ich nie mehr etwas von i^m gehört und würde ihn heute wohl nicht einmal mehr kennen." „Jenen Namen kenne ich sicherlich von allen Menschen am besten," sprach der andere, mit der Hand das Ge sicht beschattend. „Wirklich?" Etwa- wie ein elektrischer Funke zuckte plötzlich durch die Seele Müllers. „Mein Gott, jetzt begreife ich mein sonderbares Gefühl bei Ihrem ersten Anblick. Sie sind —" „Marcell Friedberg ist mein wahrer Name." „Nein, — ist das möglich, alter Junge!" „Und Sie, — Du, — nein — Sie können doch mcht jener Müller sein, — mein guter Wilhelm, mein — wie kämen Sie zu dem Namen Müller-Wild?" . "Aber daz ist ja nur ein Anhängsel auf Wunsch meiner Frau, einer geborenen Wild. Sie ist Schweizerin und bei ihr ist das so Sitte. Nein, Mensch, wie mich daS freut! Aber Du, — Du hast doch nicht etwas auf dem Gewissen?" fragte er plötz lich leise und ängstlich. „Warum?" „Nun, weil Du einen falschen Namen führst. Ich dachte mir nur, — vielleicht wegen Schulden, — wie damals —" „Nein," lächelte der andere, Bernhard Bühler ist nur mein Schauspielername, und den habe ich bei meinem jetzigen Geschäfte beibehalten, für daS er ganz gut paßt." „Also Du bist kein Komödiant mehr?" „Bewahre, das hatte ich schon nach ein paar Jahren satt. Dann ging ich zur Polizei über." „Ein merkwürdiger Uebergar.g!" Herr Müller rückte unwillkürlich ein wenig zur Seiles „Und da- bei fühlst Du Dich nun glücklich?" „Du siehst, daß man bisweilen ganz lustig leben kann. Indessen habe ich den Staatsdienst schon seit einiger Zeit verlassen, um in Privatdienste zu treten." „In Privatdienste?" Müller wurde immer er staunter. „Aber Mensch, das verstehe ich nicht." Der Geheimnißvolle blickte sich prüfend um, ob niemand sie belauschte. Aber das Zimmer war leer. „Ich bin nämlich Privatdetektiv." Müller warf einen scheuen, mißtrauischen Blick aus den alten Freund.
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