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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 23.08.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190108239
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19010823
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19010823
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1901
-
Monat
1901-08
- Tag 1901-08-23
-
Monat
1901-08
-
Jahr
1901
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 23.08.1901
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großen Theil schwarzen Truppen anvertraut werden, die bereit- in einem Umsang eingestellt worden seien, von dem man in England keine Ahnung habe. Diese neue Entwickelung erkläre, warum Chamberlain Eng lands Recht, wenn eS ihm gut dünkt, schwarze Trup pen zu verwerthen, neuerdings so eifrig vertheidigt habe. MKSM Von noch höherer Bedeutung als die Vorgänge im Kaplande sind gegenwärtig jedoch die Dinge, die sich in Natal zutragen. Dort und zwar unmittelbar an der Zulugrenze hat bekanntlich General Botha ein Heer von 4000 Mann gesammelt. Das ist, wie der „Kreuz - Ztg." geschrieben wird, geschehen, um dem englischen Kronprinzen in Pietermaritzburg ein Paroli zu bieten. Dieser hat dort ein sehr gefährliches Spiel in die Wege geleitet, indem er den Treuschwur von 70 Ober- und 350 Unterhäuptlingen engegennahm! Damit scheint die Ausdehnung des neuesten Krieges auch auf die wilden Bölkerstämme in Scene gesetzt zu sein. Um diesem Aufgebot eine gleiche Waffe entgegen strecken zu können, ging Botha möglichst schnell zur Grenze des Zululandes, um theils weiterem Umsich- greisen dieser abscheulichen Wendung des Krieges Ein halt zu gebieten, o^er, falls dies nicht gelingt, sich ebenfalls der Mitwirkung der Zulus zu versichern. Wer sich der Zustände an den nordamerikanischen Seeen von 1750-65 erinnert, an denen die sich be kämpfenden Franzosen und Engländer ebenfalls die wilden Indianer zu den Waffen riefen, kann sich die Folgen der Maßnahmen am Kap ausmalen. Die In dianer benutzten damals die Gelegenheit, um blutige Rache an den weißen Eindringlingen beider Rassen zu nehmen! England spielt eben „va bangue!" Aus Kapstadt wird von einem dort lange ansässigen Deutschen geschrieben: Schauderhafte Wider wärtigkeiten herrschen hier. Die Pest ist allerdings im Abnehmen, wie haben in letzter Woche (16. Juli) keinen Fall hier gehabt. Im Anfang nahm di? Seuche in schreckenerregender Weise zu. Bis heute sind jedoch nur 769 Erkrankungen mit 364 Todesfällen vorge kommen. Besonders sind die weniger sauberen Elemente, Kiffern, Dockarbeiter, überhaupt farbige und Malaien betroffen worden, die Europäer wurden nur wenig davon berührt. Eine systematische Reinigung wurde von Staatswegen in Kapstadt und seinen Vorstädten vorgenommen, ebenso eine umfassende Rattenjagd. Die Folgen zeigten sich in der Abnahme der Erkrankungen; die Impfung mit dem Serum aus Bombay hat auch einen hohen Grad von Immunität gewährt. Wir fangen nun an, wieder aufzuathmen; aber da ist Vas andere Gespenst, der Krieg; Sie bekommen in Europa viel mehr Nachrichten vom Kriegsschauplatz? wie wir hier. In der Kolonie seufzt die Bevölkerung unter dem Drucke des über dos Land verhängten Kr egS- rechtes, welches von seilen der englischen Offiziere oft in brutaler Weise behandelt wird. Doch auch hierüber bringen die Zeitungen eine Fülle von Nachrichten. Der allgemeine Zustand unseres Landes ist trostlos, die Landwirthschaft liegt ganz darni der. Von einer Woll- aussubr wird in den nächsten 3—4 Jahren wenig die Rede sein können, da die Schafe ja zu Tausenden zum Besten des Militärs herhalten müssen. Hier in Kap stadt haben wir fast ausschließlich gefrorenes Fleisch von Australien. Auch daran gewöhnt sich der Mensch. I i Kapstadt und überhaupt in den S ehäfen hat man k iae Beschränkungen der Freiheit zu ertragen, aber statt dessen ist man hier anderen Unannehmlichkeiten ausgesetzt. Durch den Krieg ist eine Menge rohes Gesindel hierher gekommen. Diese ungebetenen Gäste haben eine wahre Schreckensherrschaft eiuqeführt, und sowohl das Pu blikum als die Behörden versuchen alle Mittel, um diesen Banden das Geschäft zu legen und um in erster Linie Raub und Mord zu verhindern Ganz schlimm ist die Sach? erst seit einiger Zeit geworden; es be gann, als vor wnigen Monaten ein Brnckdirector in einer der Vorstädte bei Hellem Tageslicht ermordet wurde. Die Mörder wurden niemals emdeckt. Ju welenräubereien kamen in oen ersten Hauptstraßen vor, und nicht in einem einzigen Fall? wurden die Diebe entdcckr. So wurden bei verschiedenen Gelegen heiten Juwelen, welche einen Werth von Tausenden von Pfund Sterling halten, gestohlen, und dabei blieb es. Große Summen Geldes wurden bei verschiedenen Gelegenheiten geraubt, wenn die Fabrikanten und Kauf leute die Banken mit dem Gelbe für die Löhne ver- ließen. Dann kam die Zeit einer wahren Raubmanie. Ganze Häuserreihen wurden straßenreihenweise ausge raubt. Dann häuften sich wieder die Morde, und in der letzten Zeit sind die frechsten Ueberfälle und Be raubungen mitten in der Stadt am Mansion House Corner, dem Mündungsplatz aller Pferdebahnlinien dem Mittelpunkt des Verkehrs, ausgesührt worden, ein Theil der Stadt, der bei Nacht wohl erleuchtet ist, und der sowohl am Tage als auch in der Nacht zu allen Stunden stark besucht ist. Die Polizei ist voll ständig machtlos. Infolge des Krieges und aus an deren Gründen ist die Zahl der ihr zur Verfügung stehenden Beamten eine sehr geringe gew rden, und jetzt haben sich die B. Hörden sogar gezwungen gesehen, zu erklären, daß sie für die Nachtwache in der ganzen Stadt nicht mehr als 10 Mann übrig haben. London, 20. Aug. Daily Mail erfährt aus Brüssel, Doktor Leyds hatte eine längere Konferenz mit dem holländischen Minister des Aeußeren Baron Melville über Kitcheners jüngste Proklamation. Es fei nicht unmöglich, daß die holländische Regierung die Initiative zu einer Protestbewegung gegen die neue Südafrika-Politik der britischen Regierung er greifen werde. Brüssel, 21. Aug. Die Komitees zur Unter stützung der Buren beabsichtigen eine internationale Petition zu O unsten einer Intervention ins Werk zu setzen, die dem Zaren bei seinem Besuche in Frankreich überreicht werden soll. * * 4- Nach einer in Petersburger Hoskreisen kursiren- den Erzählung soll es anläßlich der Hochzeitsfeier der Großfürstin Olga Alexandrowna mit dem Prinzen von Oldenburg zu einem Etiqnettestreit zwischen der eng lischen Botschaft und dem Vertreter der Transvaal republik Mr. Jonkheer van der Hoeven gekommen sein. Letzterer, der sich kürzlich vom Haag nach Petersburg b'geben hatte, war auf ausdrücklichen Befehl des Zrren zu der Feier eingeladen worden. Kaum erfuhr dies der britische Botschafter, so begab er sich zum Grafen Lambsdorff und erklärte ihm, daß die englische Bot schaft bei der Hochzeitsfeier nicht erscheinen werde, wenn man den Vertreter Transvaals zulasse. Der russische Minister der- auswärtigen Angelegenheiten übermittelte dies durch den Baron Fredericks dem Zaren. Letzterer soll nun dieses Verlangen sehr übel ausge nommen und besohlen haben, den Burenvertreter nicht mehr als private Persönlichkeit, sondern als diploma tischen Agenten der Südafrikanischen Republik einzu loden. Die englische Botschaft erschien nicht bei der Feier. Der Burenvertreter j'doch wurde freundlich vom diplomatischen Korps empfangen und vom Kaiser durch ein langes, auffallend herzliches Gespräch ausge zeichnet. Die englische Botschaft entschuldigte offiziell ihre Abwesenheit durch den Tod der Königin Viktoria. Der Lok.-Anz. bemerkt hierzu: Man ist offenbar in London durch die gute Aufnahme, die ein Buren diplomat in Petersburg gefunden, einigermaßen ver letzt. Das Ausbleiben des englischen Botschafters bei Festlichkeiten am ruffischen Hofe wird j'tzt freilich mit der Rücksicht auf die Trauer um die Kaiserin Friedrich zu motiviren versucht. Dabei Übersicht man jedoch geflissentlich, daß die eine der „geschnittenen" Ver- anstaltungen gerade eine Trauerfeier für die Mutter des Deutschen Kaisers gewesen, und daß das deutsche BotschastSperional mit Takt und Verständniß die höfi- scheu Vorschriften beachtet hat. Die Umgebung des Präsidenten Krüger zeigt, wie aus dem Haag bericbtet wstd, große Genugthuung über ven überaus freundlichen Empfang, welchen Krügers P'i vatsekr-tär Jonlheer van der Hoeven seitens des Zaren erhielt In Petersburg scheint man j 'tzt — so meint ver „Reichsb." — die Rücksicht auf England endl-ch fahren zu lassen. „Vielleicht weist auch der Besuch des Zaren in Frankreich darauf hin und ist wohl auch seine Zusammenkunft mit Kaiser Wilhelm als ein Zeichen der Annäherung der Festlandmächte gegenüber England an- zusehen Zu wünschen wäre es jedenfalls. England hat sich früher der glänzenden Jso'.irung gerühmt, jetzt würde sie nichts weniger als glänzend sein; denn w.-r wird sich jetzt mit einem Staat verbinden, der zu solchen Dingen fähig ist, wie sie der englische in Südafrika aus übt. Wenn man das himmelschreiende Verhalten der Engländer in Südafrika betrachtet, dann muß man sich wundern, daß ähnliche Kundgebungen nicht längst erfolgt sind. Jedenfalls wäre es erwünscht, wenn die gebildeten Regierungen, bei denen Moral rind Völkerrecht noch etwas gelten, den Engländern ihren Abscheu gegen ihre barba rische Kriegführung zu erkennen gäben. Die christlichen Völker warten schon lange darauf und die Autorität der Regierungen leidet sehr schwer darunter, daß es nicht geschieht. Wenn die modernen Diplomaten auf d e Mo ral auch noch so wenig Rücksicht nehmen und die ma teriellen Interessen in den Vordergrund stellen, so sollten sie doch bedenken, daß nicht bloß die moralischen, sondern ganz besonders schwer auch die nationalen Interessen der Kulturstaaten durch das vandalische Verwüsten der auf- blühenden südafrikanischen Staaten geschädigt werden. Wer soll dann noch an diese Redensart vom Schutz der wirthschaftlichen Interessen glauben, wenn man sieht, wie die Mächte England in den Burenstaaten wirthschaften und alle- in Grund und Boden vernichten lassen, was die Kultur mit großem euroväischen Kapitalaufwand ge schaffen hatte?" Mord-Prozeß Lroßgk vor der LmifunyonMin. In stärkerem Matzstabe als irgend ein politisches Ereizniß hat das in Gumbinnen gefällte Todes urtheil gegen den früheren Dragoner-Unteroffizier Marten in den weitesten Kreisen Aussehen erregt und Erörterungen wachgerufen. Das Oberkriegsgericht hat, im Gegensatz zu dem Spruche der ersten Instanz, diesen Angeklagten des Mordes an seinem Vorgesetzten, dem Rittmeister v. Krosigk, für schuldig erkannt und sich damit auch in Gegensatz gestellt mit der Auffassung des öffentlichen Anklägers, der eine positive Grund lage zu der Annahme, daß Marten den Tod des Rittmeisters von langer Hind vorbereitet haben könnte, nicht zu entdecken vermochte, der deshalb die Anklage nur wegen Todtschlags aufrecht hielt. Sicher ist, daß weder der scharf zugespitzte Indizienbeweis, den der Ankläger vorgebracht hat und in dem der Minuten zeiger der Uhr eine von Außenstehenden kaum kon- trollirbare Rolle gespielt hat, noch die vom Vorsitzenden verkündeten Motive in der Ocffentlichkeit klärend und überzeugend gewirkt haben. Mrn hatte in Gumbinnen selbst, und namentlich hatten die Zuhörer beim Pro zesse die Anschauung gewonnen, daß di? Darlegungen des Staatsanwalts den Freispruch gewissermaßen vor- berei'en sollten. Die „positive Unterlage" sei nicht zu beschaffen gewesen, klagt? der Vertreter der Staats behörde wiederholt; der Gerichtshof nahm sie aber als beigebracht an und zog daraus die logisch? Konsequenz, daß ein geplanter Mord vorgelegen haben müsse, daß ein Komplott geschmiedet gewesen sei. Entgegen den Ausführungen des Staatsanwalts hat das OberlriegS- gericht die Person des Komplizen nicht festzustellen gewußl und den Angeklagten Hickel, den jener bestraft haben wollte, freigesprochen. Gerad' in diesem und auch in manchem anderen kontroversen Punkte erscheint die Möglichkeit geboten, daß die vom Berurtheilten beim Reichsmilitärgericht eingelegte Revision Erfolg erzielen und der Prozeß zur nochmaligen, dritten Ver handlung gelangen könnte. Und das wird allenthalben mit Genugthuung begrüßt werden, denn es steht außer Zweifel, daß in der Bevölkerung trotz der wieder holten Verhandlung keineswegs das sichere Gefühl vor handen ist, der Mörder des Rittmeisters sei fraglos ermittelt, die verhängte schwerste Strafe habe den Schuldigen getroffen. Die konservative „Dtsch. Tgsztg." schreibt: Es wird wohl wenig Z-Uun,Mftr in Deutschland geben, die ein anderes als ein freisprechendes Urtheil erwartet haben. Diese Erwartungen waren um so berechtigter, als die Verhandlungen vor dem Oberkriegsgericht fast kein neues Moment zur Beurtheilung des Falles er- gaben. — Die kons. „Berl. N. Nachr." schreiben: Im Interesse der militärischen Disziplin muß man noch mehr als b i einem Morde in der bürgerlichen Well auf jeden Fall wünschen, daß der Mörder des Ritt meisters von Krosigk überführt und die ruchlose That voll gesühnt werde; aber es ist ebenso selbstverständlich, daß trotzdem eine Verurtheilung und noch dazu zum Tode nicht auf ein geringeres Beweismaterial aufge baut werden darf, als in irgend einem anderen Falle regelmäßig verlangt wird, und da darf man sih nicht verhehlen, daß die Verurtheilung Marten's weitaus vorherrschende mißbilligende Verwunderung hervorge rufen hat, weil die Ueberzeugung verbreitet ist, der Beweis der Thäterschaft Marten's sei nicht genügend geführt Eine Abnormität in unserem Rechtswesen wird durch ven vorliegenden Fall grell beleuchtet. Die neue Reichsmilitärstrafprozeßbestimmung läßt die Berufung gegen Urtheile der mittleren Militärgerichte (Kriegs gerichte) zu, während im bürgerlichen Strafverfahren die Berufung gegen Urtheile dec gleichstehenden Land gerichts-Strafkammern noch nicht existirt. Hätte Marten also als Civilift der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unter standen, so hätte es beim Freispruch der ersten Instanz sein Bewenden gehabt, abgesehen von etwaiger Revision an dar Reichsgericht." — „B?rl. Tgbl.": „Der ganze Indizienbeweis des Staatsanwalts stützte sich auf die kurze Frist von 10 Minuten, über deren Verwendung Marten Rechenschaft geben sollte. Der Vertreter der Anklage hat sich die denkbar größte Mühe gegeben, nachzuweisen, daß Marten in dieser Zeit am Thatort gewesen sein müsse. Aber Jedermann weiß, wie es mit solchen Zeitangaben, wie sie in den Zeugenaus sagen vorkamen, bestellt zu sein pflegt. Der Gsrichts- hos hat dieses Urcheil ilbstverständlich nach bestem Wissen und G wissen gefällt. Aber das Rechtsempfinden des Volkes wird — und es ist unsere Pflicht, das hier öffentlich auszusprechen — gleich dem Staats anwalt in Gumbinnen davor zurückfchrecken, daß auf Grund folcher Beweise ein Todesurtheil ergeht. — „Berl. B.-C.": „Das Recht, einen gerichtlichen Wahrspruch zu kritisiren, wird sich die öffentliche Meinung nicht nehmen lassen, soweit es sich darum handelt, bei aller Achtung vor der Würde und Autorität der Richter — gleichviel, welch'» Standes — Entscheidungen und Gründe in nicht völlig klarliegenden Fällen schwer verständlich zu finden und so zu be zeichnen. Aber es ist immer mißlich, ein derartiges Urtheil abzugeben, wenn man nicht übersehen kann, wie der so gewaltig mitsprechende persönliche Eindruck gewesen ist. den Angeklagte und Zeugen gemacht haben. Insofern ist gewiß auch hier Vorsicht geboten, und es wäre nicht zu rechtfertigen, wollte man ohn? Weiteres behaupten, die Richter zweiter Instanz Hütten einen Unschuldigen mit der vollsten Strenge des Gesetzes getroffen. — Die „Voss. Ztg." sagt: Nme That- sachen, neue Beweismittel hat die Verhandlung in zweiter Instanz nicht zu Tage gebracht. Es ist ein seltenes Vorkommniß, daß, nachdem ein zuständiger und über jeden Verdacht der Parteilichkeit erhabener Gerichtshof einen Angeklagten freigesprochen hat, weil die wider ihn vorgebrachten Berdachtsgründe unzu reichend seien, ein anderer Gerichtshof eben diese Ver dachtsgründe für ausreichend hält, die allerschwerste Strafe auszusprechen. Noch seltener ist das Vor kommniß, daß ein Gerichtshof ein Todesurtheil aus spricht, wenn der zur Vertretung der Anklage berufene Staatsanwalt erklärt, er könne die Verantwortlichkeit für ein Todesurtheil nicht tragen. Es ist daher sehr erklärlich, daß sich der Gemüther der bange Zweifel bemächtigt, ob nicht bri der Fällung des TodesurtheilS ein menschlicher Jrrthum vorgefallen sei. — Noch schärfer äußert sich die „Nat.-Ztg.". Sie konstatirt zunächst, die Freisprechung Hickel's und der Verlauf der ihn betreffenden Verhandlung in zweiter Instanz habe Alles bestätigt, was über die Ungesetzlichkeit der gegen ihn verfügten Fortdauer der Untersuchungshaft nach seiner ersten Freisprechung in der „Nat.-Ztg." von seinem Vertheidiger ausgeführt wurde. Dann lagt das Blatt, die endgiltige Verurtheilung Marten's auf G-und der bisherigen Feststellungen würde, wie wir fürchten, auf lange Zeit als eine schwere Ver letzung des R-chtsbewußtseins nachwirken. Es ist dringend zu wünschen, daß dies auf die eine oder andere Art verhütet werde. Sächsisches. Hohenstein-Ernstthal, den 22. August 1901. — Erz^ebirgifches Volksfest in Hohen stein Ernstthal. Das Fest, von dem uns nur noch Als die Nachtigall sang! Von p' Birkner. (Nachdruck verboten.) Vollmondnacht im Rheinthal! Auf den äußersten Kanten der Rebenberge, die schwarz ins den dunklen Nachthimmel hincinragen, glimmt bläulich silbernes Licht. Leise, leise zieht sich's wie ftiner Silberschimmer hinab irs Thal. — Eist glänzen grünlich die Wrir- stockreihen, dann spielt ein Heller Schein um das Schieferdach der Aßmannshäuser Kirche, und nun Hüpfen Millionen Lichtlein tanzend, spielend auf den Wellen des Stromes. — Wie eine Zauberburg steigt der Rheinstein ans den düstern, epheubewachsenen Fels schroffen des linken Ufers; silbernes Licht spiegelt in den Fenstern des Pallas, spinnt zierliche Ranken zwischen dem Eisengitter der hoch am Turme ansteigenden Wendeltreppe und malt Helle Ringel auf den Rasen des BurggartenS. Von den Rebenhügeln bringt der leise Lufthauch berauschenden Blühendust und auS den Büschen kommt rin leiser flötender, unendlich süßer Ton: „Ti — ü — ü — tü — tü — tü — üu. —" „Was ist das?" fragt eine leise, müde Stimme. „O! — Eine Nachtigall! — Die erste in diesem Jahre." D^r Antwortende dreht sich hastig um und schaut in bas Gesicht der Fragenden. Sie stehen auf dem „Lindenplatze" des Rheinsteins, da, wo man kirchturm- tief gerade hinunter in den Rhein schaut. „Eine Nachtigall," wiede! holt er. Sie erkannten das nicht gleich?" „Ich hörte noch niemals eine Nachtigall singen," sagt sie mit derselben müden Stimme. „In den Tannen vno Daelenhuis nisten sie nicht. „Noch nie eine Nachtigall!" Er wiederholt eS halb mechanisch und späht selbstvergessen in das schöne, bleiche Gesicht vor ihm, aus dem tiefblaue Augen w-it in die Ferne zu schauen scheinen. „Wie Mondlicht in einer Schneewüste!" — Sagte nicht so der lustige Assessor neulich, halb bewundernd, halb ärgerlich. „Da versteh einerdie Frauen, und nun gar diese da. — Bildschön, mit Luxus überhäuft, mit -inen Gatten, der wirklich famos Skat spielt, — könnte daS angenehmste Leben von der Wclt haben, kapriziert sich darauf, die Eisprinzefsin zu spielen. B rr! — Hat man sie denn schon einmal lachen hören? — Und ihr Lächeln? — Es friert inem schon ordentlich beim Gedanken an dies Lächeln." Die meisten der Herren, die nach der Table d'hote in Bad Aßmannshausen im Rauchzimmer ver- ammelt waren, hatten zustimmend zu dieser Kritik ge lickt. Nur der kluge alte Geheimrath machte ein gar eltsameS Gesicht dazu. „Schön und kalt! — Da fallen sie nun alle über die arme Frau her, die durch aus glücklich sein soll, weil sie mit kostbaren Fetzen behängt ist und der Herr Gemahl gut Skat spielt. — Na, ich muß gestehen, einen fataleren Kunden, als diesen Mynheer Johannes Jakobus van der Daelen hab' ich noch selten angetroffen. Armes Frauchen! — Wer weiß, waS sie gelitten, ehe sie'S glücklich zur „Eisprinzessin" gebracht hat. UebrigenS, und der alte Arzt nickte bedeutsam, „er gefällt mir gornicht, bei Herr van der Daelen! Heute ist sein Gesicht wieder unheimlich bläulich! Der starke Bordeaux ist ja das reine Gift für ihn. Lange dauert das nicht mehr! Und ganz Plötzlich wirds kommen. —" Und zu dem jungen Dokwr gewendet, hatte er halbleise hinzugesügt: „Blöder Bursche!" — Alle Frauenaugen können lächeln! — Und diese Augen einmal in Glück und Liebe ausstrahlen zu sehen, müßte dem Beglückten Götterwonne sein." Der junge Doktor hatte ost und ost in den letzten , Tagen an diese Worte gedacht. — Auch in dies m Augenblick denkt er daran, was er sich dann jedesma gesagt: „Thorheit, Thorheit!" Und doch konnte er den Gedanken nicht bannen, er kam immer wieder. D.rweil singt im Busch die Nachtigall und Frau Cornelia van der Daelen lauscht gesenkten Hauptes. Nach einer Weile hebt sie den Kops: „Die Deutschen sind ein sonderbares Volk. Sie bedauern mich wohl gar darum, daß ich noch nie eine Nachtigall hörte. — Aber es müssen so viele leben ohne Nachtigallgesang." Sie sagt es mit einer harten, fremden Stimme, dann deutet sie seitwärts nach der Felswand, an der Fackeln in die Höhe klettern und fröhliche Stimmen laut werden. „Sie hätten mit den andern nach dem — dem Schweizerhaus gehen und mich allein hier lassen sollen. — Sie werden wohl zwei Stunden hier verweilen müssen. Ich bin keine angenehme Gesell schaft." „Keine angenehme Gesellschaft?" Doktor Willau schaut unwillkü lich auf das schmale, reizende Antlitz, das unter dem röthlich-blonden überreichen Haargekräusel so weiß leuchtet wie die kostbaren Spitzen um den weißen Hals, und lächelt -in wenig. Sie hat den Blick und das Lächeln gesehen und richtig gedeutet. Aber nur ein ungeduldiges Achsel zucken ist die Antwort. Dann horcht sie wieder nach den Büschen. Und wieder singt die Nachtigall — singt das uralte, ewig neue Lied, das hohe Lied der Liebe. — Derweil sinnt Doktor Wallau angestrengt nach. Schon viele Tage verfolgt ihn der Gedanke, daß er dies Gesicht, diese ganze liebreizende Erscheinung schon einmal gesehen. — Aber wo? — Jünger war dies Gesicht damals, anders das Haar geordnet, aber ganz gewiß dasselbe. — Wo nur?" „Sie wohnen das ganze Jahr auf Daelenhuis ?" fragt er endlich, da die Stille drückend wird. „Ist die Umgebung schön?" Sie schaut mit großen Augen in den silberglän zenden, leise rauschenden Strom zu ihren Füßen. „Schön? Hier in Deutschland ist dies schön, nicht wahr?" Sie deutet auf den Rhein und die Berge. „Aber bei uns in Holland? Da sind un endliche Wiesen und Pappeln und Kanäle und Nebel. DaS nennen wir fchön. Aber Daelenhuis ist selbst in Holland nicht schön. Es steckt in einer Senkung — und ist so feucht und düster, — und rundum ein so finsterer schwarzer Tannenpark. Der Nebel ist doppelt schwer und trüb da, und der Regen rauscht doppelt so laut. „Und Sie wohnen da ganz allein?" „Ja, sehr allein!" Sie stößt die Worte kurz her aus. Dann fügt sie hinzu: „Natürlich, Mynheer van der Daelen und die Dienerschaft auch." „O, natürlich!" sagt er halb verlegen. „Ich dachte aber an Verwandte, an Nachbarn, an Geselligkeit." „Ich habe keine Verwandte und Mynheer liebt die Geselligkeit nicht. Wir kennen niemand." Es ist wieder derselbe kalte Ton. „O, sagte Doktor Wallau bedauernd. „Da sind Sie viel auf sich allein angewiesen. Aber man kann doch seine Zeit angenehm verbringen. — Lektüre und Musik " „Ich verstehe nicht, meine Zeit angenehm zu verbringen, und Mynheer van der Daelen liebt Lektüre und Musik nicht für mich." Sie spricht mit einer io trostlos müden Gleich gültigkeit, daß eS dem Doktor eiskalt wird. (Fortsetzung folgt.)
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