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1875 Nr. 52 Buchgewerbe Buchbinderei * * Buchdruck *** * * * Buchhandel * * * Steindruck L Eingesandte Werke finden Besprechung Mitarbeiter und Berichterstatter erhalten angemessene Bezahlung Sachliche Mittheilungen finden kostenfreie Aufnahme Arbeitgeber, Werkmeister (Faktore) und Gehilfen im Buch- und Steindruckgewerbe Vortrag, gehalten im Hannoverschen Faktoren-Verein, am Montag, 9. Juni 1902, vom Steindruckereibesitzer Herrn Fettback Leben bedeutet Kämpfen, doch die Arbeit gibt dem Leben erst Wert und Gehalt. Und von der Arbeit, welche die Angehörigen des Buch- und Steindruckgewerbes in- und ausserhalb ihres Berufes an geht, soll heute nach einem kurzen geschichtlichen Rückblick die Rede sein. Vor 100 Jahren herrschte im politischen Leben die absolute Ge walt. Erst als die Ideen der französischen Revolution auch bei andern Völkern Eingang fanden, und Napoleon die Macht des Königreichs Preussen zertrümmert hatte, wurde in diesem Lande der Bürgerstand in’s Leben gerufen. Die beiden genialen Staatsmänner von Hardenberg und von Stein wagten es, dem König Friedrich Wilhelm III. eine geradezu demokratische Neu-Ordnung der Ver hältnisse anzuraten durch die Organisation des Bürgerstandes, der seit dieser Zeit berufen war, vorerst in kommunalen Dingen mit zuregieren. Dadurch wurde die Zentralisation der Regierungsgewalt endgiltig durchbrochen und die Grundlage geschaffen zur Wieder geburt und Neu-Entwicklung der noch vorhandenen Volkskräfte. Dies war der erste Schritt zur freiheitlichen Betätigung und Mitarbeit des Volkes. Wir übergehen die darauffolgenden traurigen Jahrzehnte einer maasslosen Reaktion, welche die Revolution vom Jahre 1848 herbei führte, aus der die verfassungsmässige Anteilnahme des Volkes an der Regierung durch die Wahlen der Volksvertreter her vorging. Bis zu dieser Zeit gab es keine Arbeiterpartei. Erst in den 60er und 60er Jahren, in der langsamen Erstarkung der Industrie entwickelte sich dieselbe und wurde während der folgenden Jahr zehnte ein mächtiger Faktor im gewerblichen Leben Deutschlands. Wie jeder Mächtige geneigt ist, die ihm vom Geschick anver- traute Gewalt je nach Charaktereigenschaften und sonstiger persön licher Veranlagung zu missbrauchen, solange er nicht einer gewissen Kontrolle und Aufsicht untersteht, so fehlte derzeit einem grossen Teil der Arbeitgeber das richtige Maass für die Ausnutzung der vor handenen Arbeitskräfte und deren vollgiltige Entlohnung. Eine soziale Wissenschaft gab es damals noch nicht, und die Erkenntnis des heutigen sozial-politischen Grundsatzes, dass ein Volk sich geistig und wirtschaftlich nur entwickeln könne, wenn es allen seinen Gliedern gut ergehe, war ebenfalls nicht vorhanden. Keine der be stehenden politischen Parteien nahm sich der Bedürfnisse und Forderungen der Arbeiterschaft in solcher Weise an, wie die noch heute darin führende sozialdemokratische Partei. Dieser Partei mit ihrem revolutionären Aushängeschild und mit Zielen, welche schein bar auf den Umsturz der bestehenden Gesellscbafts- und Wirtschafts ordnung gerichtet sind, verdankt die Arbeiterschaft Deutschlands zum grossen Teil die seit dem Jahre 1881 seitens der Regierung und Volksvertretung immer weiter entwickelten sozial politischen Gesetze. Fürst Bismarck, welcher durch die Gewährung des geheimen Wahl rechts der Arbeiterschaft eigentlich erst das Staatsbürgerrecht ge geben und dadurch die Grundlage geschaffen hat, dass die staatliche Ebenbürtigkeit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer später bei der Festsetzung der Gewerbegerichte gesetzlich anerkannt wurde, konnte derzeit nicht voraussehen, dass die so überaus staatsgefährlich er scheinenden Prinzipien der sozialdemokratischen Partei durch die Entwicklung der Verhältnisse selbst sich glücklicher Weise so mausern würden, wie dies besonders im letzten Jahrzehnt ge schehen ist. Die vorzügliche Entwicklung der Volksschulen und die dadurch in den grösseren Volksmassen vorhandene erhöhte Bildung und bessere Erkenntnis der gegenseitigen Einwirkungen von Kapital- und Arbeitskraft, wozu in allererster Linie die Geisteskraft der das Kapital bewegenden, an Bildung höhergestellten Volksschichten gerechnet werden muss, tritt jetzt überall in unserm gewerblichen Leben her vor. Bei den Führern der Sozialdemokratie heisst es, abgesehen von einigen Unverbesserlichen, schon nicht mehr Revolution, sondern Evolution, das ist Entwicklung und Fortschritt. Wollte man vor Jahrzehnten den Besitzenden die Köpfe abschlagen, so hat nunmehr die Erkenntnis Platz gegriffen, dass damit nicht nur nichts gewonnen wäre, sondern der Ruin des gesamten Volkes dadurch herbeigeführt werden müsste. Denn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers steht nicht nur der Kapitalkraft gegenüber, sondern sie hat unbedingt damit zu rechnen, dass ausschliesslich nur höher gebildete und befähigte Elemente der Arbeitskraft Geltung verschaffen können. Fast alle menschenfreundlicheniVersuche der Neuzeit, den Arbeitern durch Uebertragung von Betriebsleitungen wirtschaftlich zu helfen und sie dadurch auf eine höhere Stufe der Daseins-Berechtigung zu bringen, sind mit verschwindend wenigen Ausnahmen kläglich ge scheitert an dem Mangel an Bildung, Geistes- und Charakter- Schulung dieser Volksschichten. Dass unsere modernen Arbeitgeber im Gegensatz zu den Hand werksmeistern ihre Zeit verstanden und für sich voll ausgenutzt haben, liegt vor aller Augen. Durch Verbindung technischen und kaufmännischen Wissens und Könnens sind die Leiter der deutschen Industrie in vielen Beziehungen die Lehrmeister der gesamten Kultur welt geworden. Dagegen ist auf sozial-politischem Gebiet nach teil weiser Einschränkung der weitausschauenden Maassnahmen der Regierung in den 80er Jahren nicht nur ein Stillstand eingetreten, sondern gerade dieser Teil der besitzenden Klassen will fast nur widerwillig und auf hartnäckiges Drängen hin Schritt für Schritt diesen Weg weitergehen. sa Die staatliche Anerkennung der Gleichberechtigung der Arbeiter ist im Gedankengange gewisser Industrieller ein ebenso schwerer taktischer Fehler gewesen, wie seinerzeit die Gewährung des geheimen Wahlrechts durch den Fürsten Bismarck. Und es wird der grössten Kraftanstrengung aller Arbeitnehmer bedürfen, um in den kommenden Jahrzehnten das bis jetzt Erreichte zu erhalten und vielleicht noch so zu erweitern, dass auch wirtschaftlich eine entsprechende Berück sichtigung ihrer Interessen eintreten muss. Wir wenden uns nun zu unserm eigentlichen Arbeitsfelde, dem Buch- und Steindruckereigewerbe. Vorbildlich für die gesamten Arbeitsgebiete ist die Organisation der deutschen Buchdruckereibesitzer und ihrer Gehilfenschaft ge worden. Die hervorragendste Leistung dieser Vereinigung gipfelt darin, dass der unbedingt nötige gewerbliche Kampf zwischen Arbeit geber und Arbeitnehmer nicht mehr auf der Strasse ausgefochten, sondern in parlamentarischer Weise durch gegenseitige Verständigung und Vereinbarung geregelt wird. Es tritt immer und immer wieder ein Waffenstillstand ein, der von beiden Parteien auch ehrlich ge halten wird. Damit fallen die unseligen Ausstände fort, die nach der heutigen Machtverteilung den Arbeitgeber zumeist schwer schädigen, den Arbeitnehmer dagegen zugrunde richten. Die äussere Seite dieser Organisation wirkt auf fernerstehende Kreise bestechend. Wer aber ihre Entwicklung genau verfolgt, wird zugeben müssen, dass die sozial-politische Mitwirkung der Arbeitgeber zur Ausfüllung des gegebenen Rahmens den nach mehr als lOjähriger Betätigung mit Recht gehegten Erwartungen in keiner Weise ent spricht. Einige wenige tatkräftige und uneigennützige Männer, voller Begeisterung und Tatkraft für die selbstgesteckten grossen idealen Ziele, konnten wohl das schöne Gebäude der Organisation aufrichten, aber bis heute nicht die Mehrzahl ihrer Standesgenossen zur sozialen Erkenntnis des Gewollten und zur persönlichen Mitarbeit gewinnen. Wie in anderen Berufskreisen, lässt sich leider auch beim Buch- und Steindruckereibesitzer ein so geringes Verständnis für die Er fordernisse der Zeit feststellen, dass fast ausschliesslich die an jeden Einzelnen herantretende wirtschaftliche Notlage eine durchgreifende Gesinnungsänderung herbeiführen kann. Die darauf bezüglichen Ver hältnisse in Hannover bestätigen das soeben Behauptete. Hier sind sogar einige der grösseren Betriebe aus der so oft gerühmten Ver einigung ausgetreten und führen dafür Gründe an, die nichts weniger als stichhaltig sind. Von 100 hiesigen Buchdruckfirmen gehören nur etwa 40 dem erst vor wenigen Monaten gegründeten Lokalverein an. Und davon beteiligt sich noch nicht die Hälfte an der Arbeitsleistung zur Bessergestaltung der gewerblichen Verhältnisse. Und der gestellten Aufgaben sind doch so viele und mannigfache! Um nur eins herauszugreifen, ist z. B. die Lösung der Lehrlings frage und der damit zu verbindenden Errichtung von Fachschulen für gedeihliche Weiterentwicklung des Buchdruck- und Steindruck faches von grösster Bedeutung. Alles das ruht im Schoosse kommen der Zeiten; denn jetzt hängt jeder Fortschritt auf diesem Gebiet noch von dem Wohl- oder Uebelwollen einzelner Persönlichkeiten ab, später jedoch wird die Bedeutung der Sache durchdringen, und die Personen werden sich ihr unterordnen. Trotzdem hat die im inneren Ausbau so wenig festgefügte Organisation der deutschen Buchdruckereibesitzer indirekt Gross artiges erreicht. Denn die Buchdrucker-Gehilfen erkannten nunmehr die ihnen durch eine einseitige Vereinigung der Prinzipale drohende Gefahr. Nur eine fest geschlossene Gegen-Organisation konnte das erforderliche Gleichgewicht wieder herstellen. Und das ist durch eine sowohl die Führer der Bewegung wie die ihr folgende