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Mehrlieferung von Papier Eine Papiergrosshandlung lieferte einer Kunstanstalt lOpCt. mehr als die bestellte Menge Papier, obwohl sie den Auftrag ohne Zusatz oder Vorbehalt angenommen hatte. Da die Kunst anstalt Abnahme der zehnprozentigen Mehrlieferung verweigerte, klagte die Papierhandlung auf Zahlung des für die lOpCt. be rechneten Betrags mit der Begründung, dass die Mehrlieferung ein Handelsbrauch sei. Nachdem mehrere der bedeutendsten Papiergrosshandlungen Gutachten im Sinne des Klägers ab gegeben hatten, wurde der Herausgeber der Papier-Zeitung, Geh. Regierungsrat Carl Hofmann, zu einem Obergutachten aufgefordert. Er sollte bekunden, ob die erwähnte Mehrliefe rung von eigens bestelltem, also besonders angefertigtem Papier ein Handelsbrauch ist, und falls ein solcher zwischen Fabri kanten und Händlern besteht, ob er auch für den Verkehr zwischen Händlern und Verbrauchern gilt. Geh. Regierungsrat Hofmann lehnte es ab, das Gutachten zu erstatten, weil er nicht im Handel stehe, die Gebräuche da her nicht aus eigener Erfahrung kenne, sondern nur aus Mit teilungen Anderer. Das Gericht bestand jedoch darauf, dass er das Gutachten erstatte, gerade weil er ausserhalb des Geschäftslebens sei. Er fügte sich und lieferte folgendes Obergutachten: Bei der Fabrikation von Papier werden die Trocken gewichte der Roh- und Halbstoffe vor dem Einträgen in die zum Zermahlen dienenden Ho landet nicht genau ermittelt. Eine Holländerfüllung ergibt schon deshalb, aber auch noch aus anderen Gründen, nicht immer dieselbe Menge fertigen Papierstoffes. Dieselbe Eintragung von Papierstoff liefert auf der Papiermaschine abweichende Gewichtsmengen von Papier, weil der bei der Herstellung entstehende Ausschuss bald grösser, bald kleiner wird. Die Papiermaschine muss auch einige Zeit laufen, ehe es dem Maschinenführer gelingt das Papier in der richtigen Stärke und Sonderart herzustellen; das bis zu diesem Zeitpunkt hergestellte Papier ist Ausschuss und muss wieder eingemahlen werden. Zu Ende einer Anfertigung, wenn der Maschineniührer keinen Stoff mehr zufliessen lässt, entsteht dadurch Ausschuss, dass der letzte Teil des Papiers dünner wird. Die unvermeidlichen Verschiedenheiten der Rohstoffe und ihrer Verarbeitung bewirken überdies, dass wechselnde Mengen fehlerhaften Papiers entstehen, welches beim Sortiren ausgeschieden werden muss. Der Ausschuss, welcher beim Anlassen und Abstellen der Papiermaschine so wie durch Auswaschen entsteht, ist für die Anfertigung einer kleinen Menge ebenso gross wie für eine grosse fortlaufende Papierbahn und kann als ziemlich konstant gelten, während der übrige Ausschuss mit der erzeugten Papiermenge wächst. Je grösser daher die aus gleichem Stoff, in gleichem Format und Gewicht gearbeitete Anfertigung ist, desto weniger Prozent Verlust wird sie ergeben. Wenn eine bestimmte oder Mindestmenge bestellt ist, muss der Fabrikant mehr anfertigen lassen, um mit einiger Sicher heit das Gewünschte zu erhalten. Bei Sorten, die keine beständige Verwendung finden, hat das über die bestellte Menge hinaus angefertigte Papier für den Papierfabrikanten geringen Wert, er kann es anderweit nur mit Opfern oder garnicht verkaufen und muss es manchmal wieder ein mahlen. Wenn er diesen unvermeidlichen Ausschuss behalten soll, muss er, um keinen Schaden zu leiden, für die bestellte Menge einen höheren Preis verlangen, als wenn das Ergebnis voll abgenommen wird. Da sich aber die meisten Abnehmer weigern, für das bestellte Papier diesen höheren Preis anzulegen, so haben die Fabrikanten die Gepflogenheit, das Mehrergebnis mitzuliefern und zu berechnen. In den weitaus meisten Fällen entstehen hieraus keine Schwierigkeiten, weil die meisten Papiersorten fortlaufend gebraucht werden, z. B. für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher von grossen Auf lagen, Buntpapier, Tapeten, Packpapier usw. Die Fälle, in denen nur eine bestimmt abgegrenzte Menge gebraucht und verlangt wird, machen wahrscheinlich keine 10 pCt. der ge samten Erzeugung aus. Da sich jedoch manchmal hieraus Streitfälle ergeben, so hat der Verein deutscher Papierfabri kanten unter Zuziehung von Händlern in seinen Verkaufs-Be- dingurgen unter Nr. 11 Folgendes bestimmt: »Die Aufgabe einer besonders anzufertigenden Sorte muss mindestens 500 kg in gleichem Format und Stoff, sowie gleicher Stärke und Farbe umfassen. Auch gilt es als üblich, dass der Besteller ein Mehr- oder Minderergebnis bis zu 10 pCt. an nimmt, unter 1000 kg bis zu 15 pCt. Ferner hat er von der Gesamtmenge bis zu 15 pCt. Papier zweiter Wahl (Retir) zu genehmigen.« Durch die Bestimmung, dass für weniger als 1000 kg ein grösserer Spielraum gelassen werden muss, ist anerkannt, dass derselbe bei grossen Anfertigungen im Verhältnis kleiner sein kann. Die Grosshändler, welche diese Verhältnisse kennen, haben, wie die in den Akten befindlichen Aussagen ergeben, die er wähnte Verkaufsbestimmung der Papierfabrikanten ziemlich all gemein angenommen. Papierverbraucher, welche von dem benötigten Papier nur die vorher bestimmten Mengen verbrauchen können, haben dagegen keine Veranlassung, mehr oder weniger als sie ver langt haben zu übernehmen; man kann auch nicht ohne Weiteres voraussetzen, dass sie den zwischen Fabrikanten und Händlern üblichen Gebrauch der Mehr- und Minderlieferung kennen und für sich gelten lassen. Es erscheint daher solchen Verbrauchern gegenüber als eine Härte, wenn sie 10 pCt. be zahlen sollen, für die sie keine Verwendung haben, oder wenn sie mit weniger vorliebnehmen sollen als sie unumgänglich brauchen. Ob der Verbraucher das Papier bei einem Händler oder bei einem Fabrikanten bestellt, erscheint unwesentlich, falls er weiss, dass es nicht vom Lager genommen wird. Die erwähnte von den Papierfabrikanten beschlossene und von den Händlern angenommene Lieferungsbedingung kann den Verbrauchern gegenüber erst dann als Handelsbrauch gelten, wenn eine überwiegende Mehrzahl derselben sie ange nommen hat. Um zu ermitteln, ob dies der Fall ist, habe ich bei 51 ersten Firmen aus solchen Zweigen der Papierverarbei tung angefragt, in welchen häufig bestimmte Mengen besonders angefertigter Papiere gebraucht werden. Nachstehend gebe ich den wesentlichen Teil der eingegangenen 46 Antworten wieder: Aus diesen Briefen ergibt sich: 1. Dass an die Reichsdruckerei noch nie das Ansinnen gestellt wurde, mehr Papier zu nehmen als sie bestellt bat. Es ist wahrscheinlich, dass das Gleiche für alle anderen Be hörden gilt, dass also den Behörden gegenüber der erwähnte Handelsbrauch nicht besteht. 2. 25 Firmen, das ist mehr als die Hälfte, erkennen an, dass eine Mehrlieferung zulässig ist, aber nur 11 betrachten 10 pCt. unter allen Umständen als zulässige Ueberschreitung. Die anderen sind der Ansicht, dass der Prozentsatz umso kleiner sein muss, je grösser die Lieferung ist. Diese 25 Firmen halten es für einerlei, ob der Lieferant Fabrikant oder Händler ist. 3. 11 Firmen billigen den Fabrikanten die erwähnte Ab weichung zu, bestreiten aber den Händlern gegenüber jede Verpflichtung zu einer Mehrabnahme. 4. 9 Firmen bestreiten, dass ein Handelsbrauch der er wähnten Art besteht, und halten sich nicht verpflichtet, mehr abzunehmen als sie bestellt haben, falls der Lieferant die Be stellung ohne Vorbehalt angenommen hat. Die überwiegende Mehrzahl der befragten Firmen gibt hiernach zu, dass den Fabrikanten ein Spielraum zugebilligt werden muss, aber nur eine Minderzahl hält 10 pOt. unter allen Umständen für zulässig. Da die Briefe die Ansichten der bedeutendsten Papier verarbeitungs-Geschäfte Deutschlands wiedergeben, so wird man annehmen können, dass bei den Tausenden kleiner Firmen noch viel weniger Einheitlichkeit herrscht. Angesichts solcher Verschiedenheit der Gepflogenheiten und Meinungen erscheint es zweifelhaft, ob Mehrlieferung von 10 pCt. gegenüber den Verbrauchern überhaupt ein Handels brauch ist. Wenn man solchen im Verkehr der Fabrikanten mit den Händlern und vielleicht auch zwischen Fabrikanten und Verbrauchern anerkennt, so kann dies nach obigem Er gebnis für den Verkehr zwischen Händlern und Verbrauchern nicht gelten. Mehrlieferung seitens der Grosshändler an die Verbraucher erscheint hiernach nur zulässig, wenn sie ver einbart war, oder wenn bei Annahme der Bestellung ein darauf hinweisender Vorbehalt gemacht wurde. Carl Hofmann Die oben erwähnten Antworten lauteten: Reichsdruckerei Berlin Soweit erinnerlich, ist der Fall noch nicht vorgekommen, dass ein Papierlieferer das Ansinnen an die Reichsdruckerei gestellt hat, gegen ihr Interesse eine grössere Papiermenge als die bestellte ab-