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Nr. 47 lAPIER-ZEITUNG 1689 es zum Beispiel helfen, die schönen Wasserzeichen-Papiere der Firma J. W. Zanders zu zeigen, wenn die Lampe in der Schau säule nicht brennen will, und wir nur einige gewöhnliche weisse Papierbogen sehen, also keinen Begriff davon erhalten, welche meisterhaften Wasserzeichen in diese Bogen gezaubert wurden. Ich ziehe es daher vor, meine Leser zuerst in die Maschinen halle zu führen, wo uns vollendetere Zustände empfangen: Gleich hinter dem Eingänge eine schöne Maid, in ver führerischer Weise ein Glas Schaumwein anbietend. Prosit! * ♦ ♦ Es ist doch etwas an den Sammelausstellungen! Die Wucht der Massen wirkt nachhaltig auf den Beschauer, die Möglichkeit, den einen Gegenstand an Ort und Stelle mit dem andern zu vergleichen, erleichtert das Studium und die Be lehrung. So die Kalander-Ausstellung, die gleich in der Ecke rechter Hand beginnt. In Reih und Glied sind die Firmen Jos. Eck & Söhne in Düsseldorf, Karl Schürmann in Düsseldorf, Wilh. Ferdinand Heim in Offenbach a. Main, Joh. Kleinewefers Söhne in Krefeld aufmarschirt, zwar einzeln marschirend, aber vereint schlagend! Es soll schon was heissen, wenn man sagen hört, dass unsere Kalander unter allen hervorragenden Ausstellungs gegenständen der Maschinenhalle zu den am meisten auffallenden und bemerkenswerten gehören. Wildfremde, die nichts davon verstehen und kaum ahnen, wozu die Dinger gebraucht werden, aber auch Sachverständige haben dieses Urteil ausgesprochen. In der Tat! Diese Gruppe ist sowohl was die Reichhaltigkeit an Einzelexemplaren grösster Sorte, als auch was die Pracht der Teilauslührurgen und Grossartigkeit des Aufbaues an belangt, einzig in ihrer Art und des gespendeten Lobes wert. Die Verteilungskommission der Ausstellung handelte zweck mässig, indem sie die Nasspartie für die Papiermaschine der Herren F. H. Banning & Setz in Düren den Kalandern anschloss. Demzufolge können die Papiermacher die für sie wichtigsten Maschinen mit einem Blick überschauen. Zwar findet der Papiermacher in der grossen Maschinen halle ausserdem unendlich Vieles, das auch in sein Fach schlägt: Dampfmaschinen, Hebevorrichtungen, Werkzeug maschinen, Dynamos usw. Auch entdeckt er nach scharfem Hinsehen hier und dort noch eine Spezialmaschine, z. B. eine kleine Papier-Wickel- und Schneidmaschine von den Herren Berger & Co. in Berg.-Gladbach, die wie ein Veilchen im Verborgenen blüht. Wenn man an Orten, wo man es am wenigsten erwartet hätte, eine Entdeckung macht, so gewährt sie das grösste Vergnügen, und man bildet sich was auf seine Findigkeit ein. Man lasse sich es daher der Mühe nicht ver driessen, nach dem Erkens’sehen Querschneider zu suchen, von dem es heisst, dass er in der Ausstellung vorhanden sei, den ich aber bis jetzt noch nicht habe auffinden können. ♦ ♦ ♦ Als ich mich vor einiger Zeit bei den Herren der Kalanderreihe als Berichterstatter der Papier-Zeitung vorstellte, wurde ich von dem ersten mit der Frage begrüsst, ob ich Verfasser der vor etwa 23 Jahren in der Papier-Zeitung erschienenen Artikelreihe unter der Ueberschrift »Kalander- Konstruktionen« sei. »Ei, ei,« dachte ich bei mir, »sind jene Ergüsse aus dem Füllhorn meiner jugendlichen Arbeiten und Bestrebungen noch immer nicht vergessen? Ich hätte geglaubt, dass längst Moos darüber gewachsen wäre.« Ein zweiter Herr begrüsste mich mit der Erinnerung an die 1880er Düsseldorfer Ausstellung, über die ich s. Zt. gleichfalls für die Papier-Zeitung berichtete. Wir beide, der Maschinenbauer und ich, sahen uns in dieser Erinnerung etwas genauer an, drückten uns kräftig die Hände und ver sicherten einander, dass wir trotz der zwischen damals und jetzt liegenden 22 Jahre uns leidlich guter und frischer Körper beschaffenheit erfreuen und wenig verändert hätten. Das war auch scheinbar richtig; ich musste aber meine Ansicht ändern, als ich später sagen hörte, dass mein Freund seither ein steinreicher Mann geworden ist, während ich über das stille, bescheidene Selbstbekenntnis, ein armer Teufel ge blieben zu sein,'nicht hinweg kommen konnte. Dank der Anregung dieser beiden Herren suchte ich, kaum daheim, eilig meine alten Papiere und Schmöker hervor und las jene »Kalander-Konstruktionen« sowie die 1880er Aus ¬ stellungs-Berichte nochmals durch. 0, Gott! wenn man doch den Wechsel der Zeiten zurückgehen lassen könnte! Ich liesse ihn sogar, obgleich ich mich zu den soliden und ehrlichen Kaufleuten rechne, mit Protest zurückgehen. Jene Jugend eseleien! Sie muten einen fast so an und erregen ein Gefühl, wie die Liebesbriefe an die herzallerliebste Braut, über die man zufällig nach 27 Jahren gerät, und die man, in einem von der gestrengen Gattin unbewachten Augenblick, unklugerweise nochmals durchliest. Allein, Hand aufs Herz! Wer möchte jene Liebesbriefe ungeschrieben wissen? Die Veranlassung dazu war doch gar zu süss. Na, ja! Eben aus demselben oder ähnlichem Grunde möchte man auch seine Jugendstreiche nicht missen. Die Erinnerung daran tut unserm Herzen eben so wohl, obgleich es nicht wünschenswert ist, dass die Streiche einem als reifen Manne später leibhaftig vorgeführt werden. Trotzdem hat der alte Plunder das Bewusstsein in mir erregt, dass meine damaligen Aufsätze aus voraufgegangenen praktischen Arbeiten geflossen sind und unsern deutschen Kalanderbau gefördert, der Einführung dieser Maschinen die Wege geebnet, Klarheit über deren Anwendung verbreitet und damit einigen Nutzen gestiftet haben. Die diesjährige lange Kalanderreihe in der Ausstellung bestätigt mir wenigstens diese Behauptung mit Bezug auf die Bauart des Gestells und die Lagerung der Walzen. Hier steht und arbeitet auch kein einziger Kalander von einiger Grösse, der nicht mit einseitig offnem Gestell und darin pris matisch grade geführten Zapfenlagern ausgestattet wäre. Der Sieg dieser Bauart scheint damit endgiltig entschieden zu sein. Auf der 1880er Düsseldorfer Ausstellung war die Mehrzahl der Kalander noch mit geschlossenen Gestellen zu sehen. Welche Mühe hat es damals gekostet, das einseitige, offene Kalander gestell zur Anerkennung zu bringen! Ich bin so frei, Herrn Kommerzienrat Voith in Heidenheim an den Briefwechsel zu erinnern, den wir in den 1870er Jahren dieserhalb geführt haben. Der liebenswürdige Herr möge, falls er meine heurigen Berichte liest, sich mit einem herzlichen Gruss von mir in die vergangenen Zeiten zurück versetzen lassen. War er es doch, der mit der heute mustergiltigen Bauart dem Kalanderbau einen kräftigen Stoss nach vorwärts gab. Kraft der Erfahrung des Papiermachers, der den Wert der Voith’schen Idee er kannte, habe ich damals dem Erfinder tapfer zur Seite ge standen und bin froh, ihm heute den Sieg auf der ganzen Linie melden zu können. Die Gegner behaupteten damals: »Die Standhaftigkeit der Maschine würde Einbusse leiden!« Das Gegenteil hat sich herausgestellt. »Die Walzen würden, weil nicht fest genug gelagert, zu stark federn!« Unsinn! »Dem Seitendruck der Zapfen würde nicht hinlänglicher Widerstand geboten, und die Walzen könnten leicht in schiefe Lage geraten, aus der sie sich schwer oder garnicht zurecht rücken liessen.« Als ob man nicht damals ebenso leicht wie heute die nötigen Vorkehrungen auch an den Lagern der offenen Gestelle hätte treffen können? Die ersten Rollkalander für Papier hat in Deutschland meines Wissens Herr Karl Schürmann gebaut. Jedoch, wie sahen sie aus? Er lieferte einen ums Ende der 1860er Jahre nach Altenkirchen. Beim Wechsel einer unbrauchbar gewordenen Papierwalze, was zu jener Zeit häufiger als heut zutage geschehen musste, war man genötigt, das Gestell aus seinen Fundamentschrauben zu lösen und umzulegen. Eine heillose Arbeit, während der man froh sein durfte, wenn es bei einigen Arm- oder Beinbrüchen blieb, und man mit dem Leben davon gekommen war. Haubold änderte dies durch seine abnehmbaren Laschen, und später das Bruderhaus, indem es die Gestelle so weit schlitzte, dass sich die Walzen seitlich aus- und einziehen liessen. Andere Maschinenbauer lösten nur je ein kleines Seitenstück der Ständer, um durch die solehermaassen ent standene Lücke alle Walzen ein- und ausspazieren zu lassen. Aber Herr Voith übertrumpfte alle, indem er den kühnen Ge danken der einseitigen individuellen Walzenlagerung an offenen Ständern muster- und endgiltig ausführte. Wenn der Herr Kommerzienrat die Düsseldorfer Ausstellung besucht, so darf er die grossen Kalander mit gerechtem Stolz betrachten in dem Bewusstsein, allen diesen herrlichen Schöpfungen den Stempel seines Erfindergeistes aufgedrückt ‘ zu haben. Ferdinand Jagenberg