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Nr. 35 PAPIER-ZEITUNG 1377 Zur Lehrlingseinstellung Von Albert Pietrock Wenn in den Schulen die Entlassungen stattfinden, gewinnt naturgemäß die Lehrlingsfrage wiederum an Be deutung. Für tausende junger Menschenkinder heißt, es nach Ablauf ihrer Schulpflicht: Ein Ende hat das leichte Spiel, es naht der Ernst des Lebens! Wer nicht im Elternhause bleiben kann, muß sich einen Erwerb suchen. Aber nur sehr wenig Berufsarten gibt es, die ohne jegliche Vorbildung auszuüben sind; für die aller meisten und namentlich für die besseren ist eine mehr jährige Lehrzeit unbedingt notwendig. Wer also beispiels weise keine Lust dazu verspürt, etwa Vieh zu hüten oder Feldsteine zu spalten, muß notwendigerweise in die Lehre gehen, um etwas zu lernen, was seinen Neigungen, seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten am besten ent spricht. Es ist dies ein bedeutungsvoller Abschnitt im Leben des Kindes, ein gewichtiger Schritt, den es unter nimmt und der daher wohl überlegt sein will, ehe man ihn ausführt. Denn: Was einer lernet in der Jugend, es sei Laster oder Tugend, das hängt ihm an sein ganzes Leben und wird ihm Ehre oder Schande geben. Von der Lehrzeit hängt es wesentlich ab, wie die Zu kunft des jungen Mannes sich gestalten wird. Nun sind gegen früher, als in manch’ zünftigen Gewerben noch das Wort Geltung hatte: Was der Meister tut, ist wohlgetan, was der Geselle macht, geht auch noch an, aber der Lehrbursch’ muß Prügel ha’n, ja unverkennbar bedeutende Verbesserungen auf dem Ge biete des Lehrlingswesens geschaffen worden, aber viel bleibt noch zu tun übrig, das wird durch mancherlei Be richte über die Ergebnisse bei den Gehilfenprüfungen immer von neuem bestätigt. Wer ein fühlend Herz besitzt und zwischen den Zeilen zu lesen versteht, der weiß, wieviel Kummer und Sorge sich oft hinter den dürren Worten ver birgt, dieser oder jener Prüfling mußte wegen ungenügender Leistungen zurückgestellt werden. Klingt das nicht gleich sam wie eine barte Anklage gegen den Lehrherrn? Wohl ist jeder seines Glückes Schmied, und der Lehrling hätte sich ernstlich befleißigen müssen, während der drei oder vier Jahre sich wenigstens genügende Kenntnisse und Fertigkeiten in seinem Gewerbe anzueignen — das wäre seine Pflicht gewesen. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, Lehrjahre sind Schwerjahre und Pärjahre, sagt der Volksmund. Aber wenn nun der Junge durchaus keine Lust und Liebe zu seinem Berufe hatte, wenn er ihm nicht das leiseste Interesse entgegenbrachte und überdies auch garnicht einmal bildungsfähig war, wo liegt da wohl die Schuld? Von einem Lehrherrn darf man doch wohl schon soviel Menschenkenntnis verlangen, daß er in den ersten Wochen nach Eingang des Lehrverhältnisses un zweifelhaft festzustellen vermag, ob sich sein Pflege befohlener für den erwählten Beruf eignet oder nicht. In Deutschland mit seinen hunderten von Berufsarten braucht sicherlich niemand mit Widerwillen ein Fach zu ergreifen, hier kann jeder nach Herzenslust dasjenige wählen, wozu er am besten geeignet ist. Wer sich alles zur Lehrlings ausbildung hinreichend qualifiziert glaubt und wie leicht fertig dabei zuweilen umgegangen wird, dafür aus dem »Korresp.« vom 7. März ein Beispiel: »Wie der Herr, so’s Gescherr! Ein junges Setzerlein findet in der »Königsberger Allgemeinen Zeitung« ein Gehilfengesuch aus Pillau. Allsogleich setzt er sich hin und bietet auf einer Postkarte mit einer Krähenhandschrift seine hervorragenden Dienste wörtlich folgendermaßen an: »Bezugsnehmend auf Ihre w. Offerte in der »Königsberger Allgemeine Zeitung« teile ich Ihnen ergebenst mit, das ich möchte bereit sein, die Stelle bei Ihnen, als Schriftsetzer entgegenzunehmen. Gehaltsansprüche mache ich keine, es steht Ihnen vollständig frei mir nach Leistungen einen angenehmen Gehalt festzusetzen und bitte um umgehende Rückäußerung, ob ich bestimmt Ihre Stelle ent- gegennehmen kann. Der Eintritt kann frühestens nach 14 Tagen erfolgen.« Das von dem Reflektanten mit eingesandte Lehr zeugnis entlastet den jungen Menschen freilich etwas von den Vorwürfen, die man ihm ob dieser famosen Bewerbung machen müßte. Sein Lehrprinzipal — aus einem Orte bei Tilsit — stellte ihm nämlich über seine vielseitigen Fähigkeiten nach stehendes Zeugnis aus, ebenfalls wörtlich wiedergegeben: »Der Schriftsetzer aus .... ist bei mir am n. Dezember 1903 als Lehrling in meine Buchdruckerei eingetreten, nach ablauf der Lehrzeit, von n. Dezember 1906, war selbige als Gehilfe bis jetz in Dienst. Letztere Jahre wurde p auch zur Ma- schienen und Motor bedieung zur genüge er angebildet, so das bei bedarf auch solches Anvertraut werden kann.« Der Fall soll hier durchaus nicht verallgemeinert werden, aber es gibt innerhalb unseres Berufslebens be klagenswerte Erscheinungen genug, die mehr oder weniger in der unzulänglichen Anleitung der Lehrlinge ihren Grund haben. Und das trotz Gewerbeordnung und Tarif bestimmungen, trotz Fortbildungs- und Fachschulen, die wir schon längst besitzen! Es helfe doch, wer helfen kann, und lasse sich’s der armen Jugend erbarmen, dieses Wort eines edlen Menschenfreundes verdient in der jetzigen Zeit ganz besondere Beachtung. Wer einen Lehr ling lediglich aus dem Grunde einstellt, um eine billige und willige Arbeitskraft zu haben, der wird ihm kein rechter Lehrmeister sein, und wenn er selbst der Beste und Ge schickteste in seinem Fache wäre, denn ihm ist nur die Arbeit die Hauptsache, und über Selbstsucht und Eigennutz wird er nimmermehr den Weg zum Herzen des jungen Mannes finden. J. Gotthelf sagt treffend: »Es ist nicht die Arbeit, welche so häufig beschwerlich fällt, es ist die Atmosphäre, in welcher die Arbeit verrichtet werden soll; mit erfrorenen Fingern macht man keine Knoten auf, mit erkältetem Gemüte wird Leichtes schwer vollbracht.« Mehr Interesse für unsere schöne deutsche Kunst, mehr Interesse auch für das Wohl der Lehrlinge könnte manch’ Buchdruckereibesitzer, könnte manch’ Anführgespan an den Tag legen. Freilich läßt sich das nicht durch irgendwelche Bestimmungen kurzerhand anbefehlen, sondern muß aus ureigenstem inneren Antrieb erfolgen, nur dann wird es besser werden. Ein hohes wertvolles Gut wird dem Lehr herrn anvertraut — das Kind, an das sich wer weiß wie viele stolze Hoffnungen der Eltern knüpfen. Er soll es einer gesicherten Zukunft entgegenführen, er soll aus dem Knaben in wenig Jahren einen Menschen heranbilden, der auf eigenen Füßen steht. Da heißt es denn, die Zeit, die so schnell dahineilt, als flögen wir davon, fleißig ausnutzen und alle Kräfte anspannen, damit nachher keine bittere Enttäuschung die gehegten Erwartungen zunichte macht. Kein anständiger Charakter wird die Schuld auf sich nehmen wollen, ein Menschenleben verpfuscht zu haben. Wer jedoch andern etwas geben oder mitteilen will, muß vor allen Dingen auch etwas zu geben oder mitzuteilen naben — das ist eine ganz natürliche Voraussetzung. Und wer einen Lehrling anleitet, muß zuvor selbst eine gute Ausbildung genossen haben, muß auf der Höhe der Zeit stehen und ihm in jeder Beziehung ein Vorbild sein — nur so wird er seine schwierige und nicht selten auch recht undankbare Aufgabe vollkommen erfüllen können. Rosegger hat fol genden bemerkenswerten Ausspruch niedergeschrieben: »Das Wort Erziehung sollte man ausstreichen, das Wort Vorbild sollte man dafür hinsetzen. Die Gebote darf der Vater seinen Kindern, der Vorgesetzte seinen Untergebenen nicht ver künden aus den Wolken herab, er muß sie ihnen vorleben auf der Erde. Dieses Vorleben des Richtigen hat wohl seinen Haken. Wer es kann, der ist Erzieher, Vater und König, wer es nicht kann, der ist trotz aller schönen Worte und weisen Lehren ein lächerlicher Wicht. Eine Autorität, die kein richtiges Vor bild ist, wirkt geradezu demoralisierend.« Bist du nun deinem Lehrling ein Vorbild, das zur Nacheiferung anspornt? Das ist eine ernste Frage, die sich jeder Lehrherr vorlegen sollte. Viel wird heutzutage von einem Gehilfen verlangt, und unaufhörlich steigern sich die Ansprüche von Jahr zu Jahr. Da hält es denn mitunter sehr, sehr schwer, im praktischen Leben die ge achtete Stellung, den auskömmlichen Unterhalt zu finden, wie man es sich vielleicht in der Lehre hat träumen lassen. Nur die Tüchtigsten können erfolgreich in den allgemeinen Wettbewerb eintreten, nur die Tüchtigsten können sich in ihrer Stellung behaupten. Daher muß der Buchdruckerei besitzer jetzt auch notgedrungen höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Vorbildung des Lehrlings stellen, als dies in früheren Jahren der Fall war. »Woher sollen wir da wohl die Lehrlinge nehmen? — wir bekommen jetzt schon keinen, wo wir auf Anlage und Fähigkeiten gar so