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Pulsnitzer Anzeiger — Ohorner Anzeiger Sonnabend, Len 17. September 1938 Nr. 218 — Se- e 10 Die Königin des Libanons Weibliche Wenteurer und mutige Mädchen machen von sich reden Während die junge schöne Schottin Gertrude Bell zu den elegantesten und ausdauerndsten Teilnehmerinnen des englischen Gesellschaftslebens zählte, mit Feuereiser Sport betrieb und in der Schweiz hervorragende touristische Lei stungen vollbrachte, unternahm sie zwischendurch archäo- logische Erpeditionen nach Vorderasien und wurde hier durch ihre Arbeiten eine Größe in ihrem Fach. Im Jahre 1914 zog sie allein tief in das Innere Arabiens, in das unerforschte Land der räuberischen Hail. Sie kam unbe schädigt durch die verrufene Gegend, weil die Macht ihrer Persönlichkeit und ihr Mut den wilden Wüstensöhnen im ponierten. Als im zweiten Weltkriegsjahr der britsiche General stab ein Nachrichtenbüro in Kairo aufstellte, um eine eng- landfreundliche Stimmung unter den Arabern hervorzu rufen, wurden zwei hervorragende Kenner der orienta lischen Weltanschauung beigezogen: der später als Oberst Lawrence of Arabia weltbekannte junge Archäologe und Gertrude Bell. Sie galt nicht nur als die beste Kennerin Arabiens, sondern beherrschte auch dutzendweise die ver schiedenen Arabersprachen. In besonderer Mission zog sie an den Schnüren des arabischen Aufstands gegen die Türkei. Bei dieser Tätigkeit lebte Gertrude Bell drei Jahre hindurch aus lebensgefährlichen Wüstenritten und in Be- duincnzclten in der innigsten Berührung mir der ara bischen Welt. Sie wurde dabei eine begeisterte Vorkämp ferin der arabischen Unabhängigkeit, für die sie sich mit ihrem ganzen Ansehen, im Verein mit Lawrence, einsetzte, als beide als Sachverständige zu den Pariser Friedens beratungen berufen wurden. Ihr verdankte der junge Scheich Feifal mit seine Ernennung zum König des neu begründeten Irak. Sie allein erwirkte ihm die Anerken nung der ungebärdigen Stammeshäuptlinge. In der neuen Hauptstadt Bagdad wurde sie als Ratgeberin des Königs und des britischen Hochkommissärs zur ungekrönten Herr scherin, ohne die kein wichtiger Schritt im Staate geschah. Auch in dieser staatswichtigen Nolle blieb sie die große Dame von Welt, für die das neueste Modell der Pariser Schneiderateliers nicht minder wichtig als die verzwickteste Frage des heißumkämpften mesopotamischen Erdöl-Pro blems war. Ihr Haus in Bagdad war in ganz Vorder- asten der Mittelpunkt der erlesensten Geselligkeit, bis sie infolge der langjährigen Wüstenstrapazen einen verfrühten Tod im Jahre 1926 fauo. Lady Stanhope Eine Laune der Natur hatte der Lady Stanhope jeden weiblichen Reiz versagt: sie war abstoßend häßlich und unförmlich groß. Deshalb vernachlässigt, wuchs sie wie ein wilder Knabe zwischen den väterlich Stallknechten auf. Im heimatlichen Kreise galt sie als Schreckenskind. Trotz dem faßte der Bruder ihrer Mutter, der jüngere Pitt, eine große Vorliebe für sie. Herangewachsen teilte sie sein Jungesellenleben und beeinflußte ihn durch ihre Klugheit so bedeutend, daß der allmächtige Premier bald nichts mehr ohne ihre Zustimmung unternahm. Das erregte die größte Mißstimmung in den politischen Kreisen und führte zu ihrer gesellschaftlichen Verfemung, als William Pitt starb. Verbittert flüchtete sie in die rätselvolle Romantik des Orients. Nachdem sie ihn jahrelang allein durchwandert hatte, baute sie im Bergland des Libanon ein Märchen schloß — als einzige Weitze inmitten der unbändigen Drusen, mit denen erst in unseren Tagen die Franzosen kaum fertig wurden. Lady Stanhope bezwang sie durch ihre bloßeWillensmacht und mit aberteuerlicher Entschlos senheit. Sie ließ sich zur Königin von Tadmor (der Wü stenstadt Palmyra des Altertums) ausrusen und herrschte mit einer arabischen Leibgarde und dem eigenen Henker wie eine echtorientaüsche Despotin. Die wilden Araber bewunderten und verebrten sic maßlos. Aber die englischen Gläubiger zeigten weniger Be geisterung. Sie pfändeten ihre heimischen Güter, die sie durch ihre prunkvolle Lebensweise stark belastet hatte. Schmuck und Bargeld zerrannen, und die damit verbunde nen Aufregungen erschütterten selbst die eisenfeste Gesund heit der Riesin. Bettelarm siechte sie im Schlosse dahin. Als sie ihr Ende nahen fühlte, wies sie ihre letzten Getreuen aus dem Schloß hinaus, dessen Tore sie zu mauern ließ. Der britische Konsul in Beirut eilte zu ihrer Unterstützung herbei. Aber er kam zu spät. Wie in einer riesigen Gruft lag in dem kahlverödeten Schlosse die tote Gebieterin in einsamer Majestät. Vie große VetelMom Im Sommer 1918 wurde in New Dork die erste Poli zeibeamtin angestellt. „Miß Hamilton", sagte der Chef zu ihr, „gehen Sie in das Bellevue-Leichenhaus und nehmen Sie der unbekannten Selbstmörderin die Fingerabdrücke ab." Mary Hamilton hörte es mit Grauen. Sie hatte noch nie eine Leiche gesehen, geschweige denn berührt. „Das kann ich doch nicht", stammelte sie. Aber ein scharfer Blick des Chefs ließ ihr die Wahl zwischen Gehorsam oder Ent lassung. Da gehorchte sie und nahm die Abdrücke ab. Erst ein Jahr später erfuhr sie, daß der Chef die Ab drücke gar nicht gebraucht hatte, sondern sie mit dem gru seligen Auftrag bloß der üblichen „Feuerprobe" unter warf. Aber inzwischen hatte Mary Hamilton — durch den ersten Versuch zu einem eifrigen Studium angeregt — be reits Meisterschaft in der Fingerabdruck-Kunde erlangt. Sie wurde auf diesem Gebiet die erste Sachverständige New Darks, die sie heute ist. Selbst in den verwickeltesten Fällen hat sie noch nie versagt. Nur einmal stand sie vor einem Rätsel bei einem alten Landstreicher, dessen Fingerspitzen fast glatte Ab drücke gaben. Seine Fingerhaut erschien dem freien Auge so glatt wie Elfenbein. Die chemische Untersuchung zeigte aber dann, daß die Hautrillen mit Harz ausgefüllt waren, das sich bei jahrelanger Arbeit mit Fichtenholzkisten in die Poren eingefressen hatte. Auch Paris hat seine Meisterdetektivin an Audette Saunier, die durch einen besonderen Anlaß in diesen Beruf geriet. Sie war Gouvernante in einer amerikanischen Millionärsfamilie, deren einzige Erbin sich in einen zwei felhaften Abenteurer verliebte. Das litt nicht die Mutter. Sie erforschte das Leben des Schwindlers und stellte seine greifbare Untreue gegen die angeblich heißgeliebte Millio nenerbin fest. Das wirkte. Der dankbare Vaier belohnte Audette mit einem hohen Honorar, und dadurch kam sie auf den Gedanken, daß der Beruf einer Fahnderin an regender als der einer Gouvernante war Heute ist sie die bestbezahlte und gesuchteste Privat detektivin der Welt. Sie gründete eine Weltstadt Als in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Australien allmählich aus einem Verbrecherverbannungs platz in eine britische Kolonie verwandel« wurde, entstand unter den jungen Pionieren ein fühlbarer Mangel an Frauen. Deshalb schickte die Regierung des Mutterlandes ganze Schiffsladungen heiratslustiger Mädchen hinaus, die vom Staai eine kleine Mitgift erhielten, als Schütz- linge des Königs hinausreistcn und bei der Ankunft vom Gouverneur mit ausgelosten Kolonisten verheiratet wurden. Aus einem oieser Brautschiffe verließ 1835 Valerie Batman England, wohin ihr verstorbener Vater als deut scher Schiffsbauer eingewandert war. Knapp vor der australischen Küste rannte das Schiff auf einer Klippe auf, und da es zu sinken drohte, wurden die Fahrgäste in die Boote geschickt Mit zwanzig Gefährtinnen kam Valerie in eines dieser Boote, das sogleich abgetrieben wurde. Nach abenteuerlicher Irrfahrt erreichten die schiffbrüchigen Mädchen Australien an der Stelle, an der heute Mel bourne liegt. Damals war es noch eine unbewohnte Wildnis, aber unter der Leitung Valeries schufen die Frauen eine kleine Siedlung, die von ihrer tapferen Führerin erfolgreich ver teidigt wurde. Glücklich waren sie schon über die ersten Anfänge hinausgekommen, als sie von weißen Pionieren entdeckt wurden, die hier nach einer Siedlungsmöglichkeit suchten. Erfreut sahen die neuen Kolonisten den bereits baufähig gemachten Boden, und mit noch größerer Freude, die nicht minder ersehnten Frauen. Die Paare fanden sich und heirateten, es entstand die blühende Siedlung, die zur Millionenstadt wuchs. Zur bleibenden Erinnerung entsteht jetzt im Hafen Melbournes ein ungeheuer großes Monument, das dem Andenken Valerie Batmans gewidmet ist und als Leucht- turm den Schiffen den Weg weisen wird. Sevölütniskünstlerln Datre Als im vergangenen Jahr Claire V. den amerika nischen Gummikönig James Lynd geheiratet hatte, fragten sich die Pariser Modesalons mit Bangen, ob ihr Kampf gegen die gefürchtete Mode-Ausspäherin durch ihre jetzige Geldkraft in eins noch gefährlichere Phase kam. Die Tochter des biederen französischen Postangestellten zeigte schon als Kind ein hervorragendes Zeichentalent, wurde aber von ihrem lebenspraktischen Vater zu einer Pariser Schneiderin in die Lehre geschickt. Hier entwarf sie als sechzehnjähriges Lehrmädel die ausgefallensten Toiletten, um deren reizende Modelle ein erbitterter Kampf zwischen den ersten Modedamen entstand. So In Australien wurde allen Händlern, die mit Neu- Guinea in Verbindung zu treten wünschen, vorgeschrieben, auf keinen Fall künstliche — Hundezähne mit nach Neu- Guinea zu nehmen. Es wurde nämlich bekannt, daß diese Zähne bei einer Anzahl von Stämmen als Geld bewertet werden, die Währung jedoch einen regelrechten inflationi stischen Schock bekam, seit einige Händler in Ermangelung der echten Hundezähne, einfach künstliche kleine Zähne als echte Hundezähne mit hinübernahmen. Diese gefälschten Hundezähne dürften wohl die kurio seste Münzfälschung darstellen, die bisher der Welt zur Kenntnis gekommen ist. Manch ein Sammler wird sie als Kuriosum seiner Sammlung einverleiben. Ueberhaupt ist niemals der Eifer der Sammler — der berufsmäßigen und auch der Liebhaber — größer gewesen, als gerade jetzt. Man schätzt ihre Zahl auf etwa 20 000 in der ganzen Welt. Diese 20 000 aber schauen mit Bewunderung zu jenem Mister Gibbs empor, der nach allgemeiner Auffassung wohl die beste Münzsammlung der Erde besitzt. Alles in allem umfaßt seine Sammlung 130 000 verschiedene Münzarten. Diese riesige Kollektion baute er im Laufe von vielen Jah ren mühevoll auf und legte eigentlich sein ganzes Ver mögen in Münzen an. Den Anstoß zu dieser Sammlung bekam er im Alter von sieben Jahren, als ein Verwandler ihm eines Tages eine Münze, ein kleines Geldstück mit dem Jahreszeichen 1656, mitbrachte. Diese Münze spielt noch immer eine wichtige Rolle in der Kollektion — frei lich nur als Kuriosum und Ausgangspunkt. Im übrigen aber kann Mister Gibbs Münzen vor führen, die aussehen wie kleine Hüte, andere, die die Form eines Sattels haben, dritte, die die Gestatt einer Tiger zunge erhielten. Er hat auch Geldstücke, die genau jenen entsprechen, die einst als ,^Judasmünzen" in Palästina umgingen. Er besitzt Geldstücke aus getrocknetem und ge preßtem Tee aus Burma. Er hat Hartgebackenes Brot geld aus Rußland und Käsegeld aus China. Sogar einige Kakaobohnen, die zur Zeit Montezumas Geldeswert be saßen, kann er den Interessenten vorführen. Eines der interessantesten Kapitel der Sammlung dürften aber die Federgelder fein. Er besitzt an solchen „Münzen" etwa 10 000 verschiedene Stück. Auf der Vani- koroinsel in der Südsce sind sogar bis heute noch Feder gelder im Umlauf. Als Cortez in Mexiko einbrach, bilde ten gleichfalls Federn eines leuchtenden bunten Quetzal vogels das Zeichen des Reichtums der königlichen Fami lie. Unter den nordamerikanischeu Indianern waren bis vmc einigen Jahrzehnten die Skalps der rotköpfigen Aufnahme: 'Archiv Brüter — M. Lady Esther Stanhope, die Sybille des Libanons. Nach dem Tode ihres Onkels William Pitt ging sie nach Syrien, wo sie in einem Bergschlotz wohnte und eine wichtige politische Rolle spielte. wurde Claire rasch eine Pariser Ortsberühmtheft und wie ein richtiggehender Star in der besten Gesellschaft bewun dert und verwöhnt. Im Gesellschaftstrubel erlahmte jedoch der Achtzehn jährigen die schöpferische Kraft. Es blieb ihr aber das bedeutende Zeichentalent und ein ganz unglaubliches Bild gedächtnis, mit dem sie jede bloß einmal gesehene Toilette bit in die letzte Einzelzen photographisch genau nachzeich nen konnte. Das machte sie zu einer gefürchteten Mode- Beobachterin und verwickelte sie in zahlreiche Prozesse mit französischen Modefirmen. Aber es kam niemals zu einer Verurteilung, da letzte Schuldbeweise eben doch nicht zu erbringen waren. Wie außergewöhnlich das Bildgedüchtnis dieses Mäd chens gewesen ist. mögen Leser und Leserin selbst einmal an sich prüfen: Wie sah zum Beispiel das Sommerkleid der Tante bei ihrem letzten Besuch aus? Welche Farbe hatte es, welchen Schnitt . . .? Ja, wir werden seststellen, daß nicht einmal die Einzelheiten unserer eigenen Klei dungsstücke und Gebrauchsgegcustände in unserem Ge dächtnis, auch nur ungefähr genau, haften geblieben sind. Diese Modezeichnerin aus Paris muß wirklich eine Gedächtniskünstlcrin ersten Ranges gewesen sein. Auch solche Frauen gibt's I A. v. Riha. Spechte als feste Wertmesser im Handel. Sie entsprachen etwa Skalp pro Skalp dem Werte von 50 amerikanischen Cents. Aber es gibt nicht nur kuriose Geldstücke, eigenartige Wertmesser, sondern wahre Nekordmünzen der verschie densten Art. So kennt man eine Alaskakupfermünze, die ein Gewicht von 90 Pfund hat. Ein solch riesiges Geld stück wurde vor etwa 100 Jahren zu einem Gegenwert von 2500 Dollar eingetauscht. Die kleinsten Geldmünzen der Erde dürften aus dem Orient kommen. Sie sind nicht sehr viel größer als ein doppelter Stecknadelkopf. Die dünn sten Geldstücke sind wohl jene Elefantenhaare, die, krumm und schwarz, bis vor einigen Jahren in Zentralafrika als hochwertige Tauschmünze im Umlauf waren. An dem Tage aber, als die Feuerwaffe in Afrika eingeführt wurde, schmolz der Wert jener dünnsten Münzen dahin. Man gab bald für einen ganzen Elefantenschwanz, dicht mit Elefantenhaaren besetzt, kaum mehr so viel wie für einen Elefantenzahn, dessen Wert gleichfalls durch die Feuerwaffe einen erheblichen Zug nach unten bekam. Die seltenste und damit wohl auch, nach der Auf fassung der Sammler, teuerste Münze der Welt soll — wenn man sich nach den Katalogen richtet — ein Fünf dollarstück sein, das im Jahre 1849 in San Franzisko von der sogenannten Californiacompany geprägt wurde. Die ses Stück brachte nämlich auf einer Auktion, die vor eini gen Wochen abgehalten wurde, 7900 Dollar ein. Aber hierbei spielen selbstverständlich auch Liebhaberwünsche und das fanatische Bestreben, dieses oder jenes Geldstück in die Hand zu bekommen, in der Preisbestimmung eine maß gebende Rolle. In letzter Zeit hat man in Amerika eine umfassende Geschichte der amerikanischen Münzen verfaßt und dabei festgestellt, daß in gewissen Zeiten der Depres sion zahlreiche Gemeinden Holzmünzen ausgaben, die als Holznickel" im Umlauf waren. Einer neueren Forschung verdankt man die Kenntnis der Persönlichkeit, die wohl als erster Münzsammler gro ßen Formats zu betrachten ist. Es war dies Petrarca, der italienische Dichter, der seine Bekannten in allen Gegen den der Wett mobil machte, um recht viele verschieden artige Geldstücke zusammenzubekommen. Einiges aus sei ner Sammlung ist in jene des Königs von Italien und Kaiser von Abessinien, Victor Emanuel, übergegangcn. Dieser besitzt rund 100 000 Münzen und verfügt über die vollkommenste Zusammenstellung römischer und italie nischer Geldstücke, die überhaupt existiert. Bitte, keine falschen -unüeMne! Seltene Münzen und seltenes Seid