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Sonnabend, Len 17. September 1938 Pulsnitzer Anzeiger — Ohorner Anzeiger Nr. 218 — Seite 9 - Unternehmen war es von Photo: Saebens-Worpswede — M. N-ts AtseAe Orrse jemand 'rüber!" wiederholte aus der Hinteren Ecke des aussichtsloses vornherein. „Es muß eine Stimme Gärten im Herbst erinnern an eine Ballade. Ein leichtes Pathos liegt über dem Feuer der Blumen und den starken Farben der Früchte, und jener Schuß Tragik, der aller Poesie so gut ansteht ist allem Blühenden wirkungsvoll beigemischt. Die Dahlien sind noch ganz groß in Form, die Winterastern entfalten gerade den Strahlenglanz ihrer Blüten; Löwenmaul, Herbstlevkojen, Tagetes und die sonnen- blumenartigen Gewächse prunken in allen Schattierungen von Zitronengelb und Dun kelorange. Ab und zu aber hängen schon dunkle Blätter vom Reis gestreift wie Vorboten de§ Todes welk an den Stängeln herab; aber die sanfte Hand des Gärtners zupft üe schnell und schweigend fort. Mit Bedacht schneidet er die ermatteten Blumentöpfe ab, nimmt die Knollen der Liliengewächse aus dem Boden und bettet sie in den Keller aus mäßig feuchtem Sand. Die Fuchsien und die Hortensien, die schon heftig vor Kälte zittern, werden in die Zimmer gebracht. Je unbarmherziger der Herbst vorrückt, desto mehr Blumen fallen im Kampf gegen den Krost. Liebevoll trägt der Mensch sie vom Schlachtfeld. Doch sein Amt ist nicht so traurig, wie es aussieht, denn in jedem Samenkorn, in jeder Wurzel, liegt der neue Frühling begraben. Der Mensch ist heiter dabei, Schöpfer einer kleinen Wett, die er weise verwaltet. Die Beete sind abgeerntet, das Unkraut entfernt, die braune, duftende Ackerkrume wird nach langer Zeit wieder sichtbar. muß wieder brennen, zwölf Heringslogger waren draußen, Menschenleben standen aus dem Spiel, und man durfte nicht lang« zögern. Wer sich freiwillig meldete, gut, Not diktierte ihr eigenes Gebot! Auch der alte Lüders dachte so, er konnte und würde Draußen an der Hafenmole des kleinen Fischereihafens trieb der blanke Hans ein tolles Spiel und warf dröhnend seine hohen Brecher. Windstärke 9 maß die Wetter station... Sturm! Im „Delphin" saßen einige Kapitäne, Steuerleute und Fischer, alte und junge, hörten bedenklich auf das harte Pfeifen und Singen da draußen, runzelten die Stirn und tranken in sehr bedächtigen Zügen ihre Grogs. Hin und wieder bog der eine und andere den Vorhang am Fenster zurück, und versuchte, das Dunkel der Nacht mit seinen Blicken zu durchdringen. Vergeblich, schwarz und finster hingen die Wolken am Himmel. Es gab nichts zu erzählen, es lag ein dumpfer, schwerer Druck auf allen. Sturm! Ein Dutzend Heringslogger waren noch auf See, waren schon überfällig und hätten längst zurück sein müssen. Kameraden, jeder mit ihnen schicksalsverbunden, wehrlos geradezu den Tücken der Elemente ausge liefert. Die Faust war wohl in der Tasche zu ballen, dem Sturm aber kein Einhalt zu befehlen. In dieses drückende Schweigen hinein, stampften die schweren Schritte des alten Hafenkapitäns Lüders. Der Sturm riß ihm Die Gemüsebeete, den ganzen Sommer über etwas stiefmütterlich behandelt, haben trotzdem alle Erträgnisse freundlich abge liefert, wie es die Art der uneigennützigen Pflanzen ist. Dis angriffslustige Zwiebel, der aromatische Sellerie, die frühen Mohr rübenarten liegen schon lange teils in luftigen Beuteln verstaut, teils in Kellern im trockenen Sand eingcgraben. Man pflanzt krause Petersilie, die wie ein. Miniaturlaubbaum aussieht, und die ele ganten Florette des Schnittlauchs in Töpfe und stellt sie zu Nutz und Hierat ins son nige Fenster. Die Reste liegen in groben Schollen da, ungeharkt. Der Frost soll in den Boden dringen und die trotzige Erde mürbe machen. Der Mensch hat viel zu bedenken. Wenn nachts der Herbstwind um das Haus fährt, friert er mit den winzigen Pflänzchen der Stiefmütterchen und Vergißmeinnicht, die er gepflanzt hat und,die nun schon so jung den Ansturm des Frostes abwehren müssen. Jeden Morgen harkt er die dürren Blätter fort. Es ist eine Taktfrage, so wie ein Kavalier das Welken einer schönen Frau übersieht. An den Zimmerfenstern tauchen bald die Hyazinthcngläser auf, die vorläufig unter bunten Koboldmützen das überwältigende Blumenwunder verbergen. Maiglöckchenkeime werden jetzt getrieben. Am Tag, in der Hellen Herbstsonne, glüht der Garten noch in hinreißendem Farben spiel. Aber nachks deckt oft fchon fressender Reif die Blumenleichen, und jeder Morgen rückt den Garten dem Winterschlaf näher. vielleicht ein anderer sich für seinen Sohn einsetzen. Klaus Lüders hatte sich inzwischen ans einem an der Seite stehenden Kasten eine Korkweste genommen und warf sie über den Arm. „Hott mich morgen zurück", warf er den anderen zu. Sie wollten ihn zur Mole begleiten, er lehnte ab, und schon schlug die Tür hinter ihm zu. Noch eisiger wurde nun das Schweigen. Der alte Hafcnkapitän nahm langsam die Mütze vom Kopf, blickte starr vor sich hin. Alle folgten seinem Beispiel. Zwölf Heringslogger waren draußen, Kameraden von ihnen, einer der ihren setzte sich für sie ein, mochte der da oben diesem einen helfen. Die Grogs auf den Tischen wurden kalt, es wurde kein neuer bestellt. Die Kapitäne, Steuerleute und Fischer stan den schweigsam am Fenster. Wenn auf 1-5 das Licht wieder brannte, war der rote und Weitze Lichtkegel von hier aus zu sehen. Sie hatten alle den gleichen Gedanken, die gleiche Bitte. Ihr Schweigen war eine harte, stumme Gemeinschaft. Eine viertel, eine halbe, eine drcivicrtel Stunde ver ging, und da brannte auf 1-5 das Licht auf. Jubel und Freude gab es, dem alten Lüders drückten zwanzig die schwielige Rechte. „Dein Junge... wir gratulieren, das ist ein Kerl! Das werden wir ihm nie ver gessen!" Einige Stunden weiter fuhren zwölf HerinHslogger in den Hasen ein. Am nächsten Morgen holten sie den alten Steffens, den mitten im Dienst der Schlag getroffen hatte, und den jungen Lüders vom Turm zurück. Eine tückische Lungenentzündung warf Klaus Lüders nach seiner heroischen Tat auf das Krankenlager. Zum Seedienst wurde er nie wieder taug lich, eine aussichtsreiche Laufbahn mußte er ausgeben. Er wurde später Leuchtturm wärter auf 1-5. Er zürnte dem Geschick nicht, in dem Bewußtsein, daß es bisweilen im Leben höhere Pflichten zu erfüllen gibt, die über persönliche Interessen stehen! mit ihr wohl besten Falles in den Hafen, aber nicht hinaus ins Meer gelangen. Ein „Es mutz etwas geschehen, es muß wohl jemand 'rüber", forderte der Hafenkapitän, aber schon in seinen Worten lag die Un- —— - , , - ...- Möglichkeit, den Gedanken in die Tat um- seinen Jungen nicht davon zuruckyalten, zusetzen. Flut war noch dazu, man konnte einer für alle, alle für einen, morgen konnre E 5 «LsN! Erzählung von Ernst Hermann pichnow Gastraumes. Spukhaft klang es. Ja... wer...? Eisig war das Schwei gen der Menschen. Wie ein Gletscher lag es im Raum. Der Hafenkapitän suchte die Ge sichter der anderen ab, dann ging er auf den alten Christenfen zu, legte ihm die Hand auf die Schulter: „Du Haft das stärkste Boot, Christensen, mache es klar, ich muß 'rüber, es ist meine Pflicht, ich bin der Hafenkapitän...!" Der Sechzigjährige straffte den Körper. Jeder hatte seine Worte verstanden, und wie auf Kommando sprangen sie von ihren Stühlen auf. Ausgeschlossen, das war ein nutzloses Beginnen. Indem schob sich ein junger Mann, der in der Hinteren Ecke saß, zu den Fischern vor. „Ich werde 'rübermachen, Vater", sagte er fest und energisch, „ich werde 'rüberschwimmen, mit dem Boot kommt keiner zum Turm, und ich bin der beste Schwimmer unter uns!" Der Vater sah ihn finster an. Sein Sohn, der gerade vor einigen Tagen seinen Steuermann machte, und wenn er nicht wiederkam, wenn...? „Du...?", fragte er dumpf. „Eher als du", bekam er zur Antworr. „Ich schaffe es, du nicht und kein anderer, und wer sich stark genug fühlt, zu helfen, dessen Pflicht ist es, zu handeln!" Niemand widersprach: Jeder dachte: I- 5 die Tür aus der Hand, sie fiel krachend ins Schloß zurück. In der Mitte des Gast raumes blieb er stehen. Er kannte alle, wie sie ihn. Lüders sah sich um, in seinem Ant litz lag ein verzerrtes, grimmiges Zucken. „I- 5 brennt nicht!" klang cs drohend und verhängnisvoll von seinen schmalen, blutleeren Lippen. Aller Augen richteten sich auf Lüders. Zur starren Maske verzogen waren auf ein mal die Gesichter der Fischer. I- 5 brennt nicht, das hieß, daß der kleine Leuchtturm am Eingang der einzigen Fahrtrinne zum Hafen ohne Licht war, und ein Dutzend Hcringslogger ibaen Weg nicht fanden oder sogar schon nicht mehr gefunden hatten! Vielleicht saßen sie bereits in Schlick und Sand fest, steuerlos, ohne Hilfe der Ueber- macht der Elemente preisgegeben! 80 und mehr Menschenleben waren in Gefahr! Steffens, der Leuchtturmwärter, war zuver lässig, seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, und versagte noch nie im Dienst!