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Sonnabend, den 12. Dezember 1936 Pulsnitzer Anzeiger — Ohorner Anzeiger Nr. 290 Seite 10 K. Ku! Koman von tt e l I m u t k «Spree Copyright by: Romanverlag Greiser Rastatt (Badens 23 Sie erwiderte auch den devoten Gruß mit einem huldvollen Lächeln. Wenn die guten Bürger nicht schon aus Ehrfurcht und vor lauter Beobachtung — wobei ihnen für anderes keine Zeit mehr blieb — stumm gewesen wären, so wären sie es jetzt ganz bestimmt geworden. Wie hatte der Junge das nur fertiggebracht? In vier- vodzwanzig Stunden, wo die Aeltesten unter Ihnen sich in nerhalb von drei Tagen nicht rangetraut hatten? Kaum hatte die Fremde den letzten Bisten verzehrt, stand Egon auf. Dutzende von Augenpaaren folgten seinem Tun. Er ging geradeswegs auf die Schöne zu und sagte laut und für jedermann vernehmlich: „Guten Abend, gnädige Frau! Haben Sie wohl gespeist?" Das mußte ja ein ganz gefährlicher Junge sein, der auf «inen solchen Gedanken kam, die Dame so zu fragen! Aber was sagte die Dame? „Ich danke, Herr Fleischle, ganz ausgezeichnet!" Also kannte sie ihn schon, wenn sie seinen Namen wußte! Den Stadtvätern fielen vor lauter Staunen bald die Augen aus dem Kopf. Der Bürgermeister fragte sich ernsthaft, ob es nicht angebracht sein würde, dem Mann einen Posten bei der Stadtverwaltung anzubiereu. Solche Köpfe konnte man ge brauchen! „Würden Gnädigste mir nicht die Freude machen, ein wenig bei mir ond meinen Freunden Platz zu nehmen?" erklang jetzt Fleischlee flötende Stimme. Den Bürgern blieb das Herze stille stehen. Keine Kriegsschul-enverhandlungen Weder Frankreich noch England leisten Zahlungen. Die britische Regierung beantwortete die amerika nische Mitteilung, daß am 15. d. M. eine weitere Rate der Kriegsschulden fällig sei, in der üblichen Weise. Sie stellte fest, daß die Zahlung gegenwärtig nicht er folgen könne, daß man aber gerne Verhandlungen dar über aufnehmen wolle, sobald sich eine Lage ergebe, die Aussichten auf einen erfolgreichen Verlauf der Verhand lungen biete. Das Staatsdepartement erklärte auf Befragen, daß mit der französischen Regierung keinerlei Ver handlungen über eine Revision des Kriegsschulden- abkommens im Gange seien. Im Senat würde eine Revi sion, wie sie Frankreich angeblich vorhat, glatt abgelehnt werden, weil sie auf eine Ermäßigung der Kriegsschulden auf nicht weniger als den achten Teil der Gesamtsumme hinausliefe. Banditen erbeuten ^S00 RM. Nächtlicher Uchersall auf einen Lieferwagen. Aus der Reichsstraße zwischen Königs Wusterhausen und Wcndisch-Buchholz in der Nähe der Försterei Sau- bcrg zwangen Wegelagerer einen Lieferkrastwagen zum Halten, indem sic Bäume über die Straße stürzten, und raubten dann unter vorgchaltener Pistole eine Geldtasche mit 1500 RM. Die Banditen entkamen im Dunkel des Waldes. Auf ihre Ergreifung ist eine Belohnung von 2000 Reichsmark ausgesetzt. Der Fahrer eines Zossener Lieferwagen bemerkte einen Fußgänger auf dem Sommerweg. Als das Auto den Mann erreicht hatte, ließ dieser eine Blendlaterne aus flammen und im gleichen Augenblick fiel ein Schutz. Gleich darauf schlug kurz vor dem Auto ein Baum über die Chaussee, so daß der Fahrer mit aller Kraft bremsen mußte. Etwa 200 Meter hinter dem Wagen stürzte ein zweiter Baum über die Straße. Der Fahrer sprang nun in Be gleitung des Beifahrers ab. Der Beifahrer wurde von einem der Banditen schon erwartet. Der Räuber entriß ihm die Geldtasche und rannte davon. Auf der gegenüber liegenden Seite wurde der Fahrer von anderen Banditen unter Drohungen aufgefordert, die Lichter des Wagens zu Löschen. Dann verschwanden auch diese Banditen. Die Polizei suchte den Wald ab, fand aber keine Spur. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich um die gleichen Täter handelt, die vor einem Monat bei Erkner die In sassen von nicht weniger als drei Kraftwagen ausplün derten und den Begleiter eines Lastautochaufseurs nieder schossen. Folgenschwerer Kellereinsturz Sechs Todesopfer. München, 12. Dezember. In Grafing ereignete sich ein schweres Einsturzunglück, bei dem fünf Arbeiter und eine Hilfsarbeiterin ums Leben kamen. Am Markt von Grafing wollte eine Brauerei ihren Keller vertiefen lassen. Während der Bauarbciten zeigten sich im Gewölbe starke Riffe. Der Baumeister gab sofort Auftrag, den Keller zu verlassen. In dem Augenblick, in dem die Arbeiter den Keller verlassen wollten, stürzte das Gewölbe ein und be grub acht Personen unter sich. An den Bergungsarbeiten beteiligten sich außer der Feuerwehr auch der Reichsarbeitsdienst und Münchener Pioniere. Zwei verschüttete Arbeiter konnten, der eine nach vielftündiger Arbeit, lebend geborgen werden. Die übrigen müssen nach Ansicht der Sachverständigen auf gegeben werden. Zur Zeit wird noch an der Bergung der Toten gearbeitet. Zur Linderung der ersten Not hat der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Lev, für die Hinter bliebenen der ums Leben gekommenen Arbeiter 5000 RM. gestiftet. " - * Hochbetrieb in Odessa Sowjets verstärken Waffenlieferungen nach Spanien Nachdem auf der Schlußsitzung des 8. Rätekongresses die Bildung eines allsowjetischen Volkskommissariats für Kriegsindustrie, angeordnet worden war. sind sofort eine Reihe von Verordnungen erlassen worden, die eine erheb liche Verstärkung der Ausfuhr von Kriegsmate rial nach Spanien betreffen. Der neue Volkskommissar für Kriegsindustrie, der Jude Moses Ruchimowitsch, sein Stellvertreter, der Jude Michail Moissejewitsch Kaganowitsch (Michael Moses Cohn), und der zweite Stellvertreter und bisherige Leiter der sowjetruffischen Flugzeugindustrie, der Jude Romuald Adamowitsch Muklcwitsch, haben eine Reihe von weiteren sowjetruffischen Dampfern zur Verladung von Artillerie, Flugzeugen und Munition bereitstellen lassen, und werden die Verschiffung persönlich überwachen. Im Hasen von Odessa herrscht Hochbetrieb. In den nächsten Tagen wird die Ankunft von Moses Ruchimowitsch und Michael Moses Cohn erwartet. Die sowjetrussischen Waffenfabriken, die einzigen Fabriken, deren Arbeitern eine ausreichende Lebensmittelversorgung und genügende Entlohnung zugesichert worden sind, arbei ten mit Ueberstundcn. Medergang Kataloniens Eingeständnis eines Bolschewisten. — Der Ruf nach Autorität. Ein Mitglied des roten „Verteidigungsausschusses" machte über den Sender Barcelona bemerkenswerte Ein geständnisse über die wirtschaftlichen Mißstände in Kata lonien. Man müsse offen zugeben, so meinte der Redner, dgß die wirtschaftliche Lage durch die Ereignisse der letzten Monate stark gelitten habe. Die Erzeugung sei bedeutend kleiner als der Verbrauch. Die vielen Ausschüsse, die sich anmatzten, in wirtschaftlichen Fragen mitzubestimmen, würden Katalonien in ganz kurzer Zeit zugrunde richten. Bei Anhalten dieses Zustandes sei der wirtschaftliche Niedergang des Landes sicher. Es könne auch nicht länger geduldet werden, daß täglich Verbrechen geschähen und daß das Leben der Einwohner ständig bedroht sei. Kennzeichnend für die Disziplinlosigkeit auf feiten der Roten war ferner die Feststellung des Redners, daß nie mand mehr gehorchen wolle und daß man immer wieder den Ausspruch höre: „Mir hat keiner zu befeh len!" Man brauche wieder eine Autorität, und es müßten unbedingt wieder verantwortliche Or gane geschaffen werden. MG-Feuer auf Leichenzug Anarchistisches Blutbad in Valencia. Das „Echo de Paris" berichtet, daß in Valencia bei den Beisetzungsfeierlichkeiten für einen Kommunisten von einem Fenster des Hauses der Iberischen Anarchisten mit einem Maschinengewehr auf die Menschenmenge gefeuert worden ist. 41 Tote und 80 Verletzte blieben auf dem Platz. Der Zivilgouverneur von Valencia habe, um Frieden zu stiften, keir- anderes Mittel gewußt, als durch den Rundfunksi.wcr verbreiten zu lassen, daß bei El Grao nationalistische Streitkräfte gelandet würden. Tatsächlich sei durch diesen Trick erreicht worden, daß die Feindseligkeiten zwischen den feindlichen Brüdern einge stellt wurden. Anarchisten und Kommunisten zogen gemein sam an die Küste, um sich dem vermeintlichen Gegner ent- gegcnzuwerfen. Moskau wühlt in Wien Geheimorganisation aufgedeckt. — 126 Verhaftungen. Die Polizei hat in den letzten drei Tagen schlagartig in zahlreichen Wiener Bezirken eine große Nachrichten organisation der Kommunisten aufgedeckt, die als Wirt schaftsorganisation getarnt war. 126 Personen, darunter mehrere Juden, wurden in Haft genommen und zahl reiches Propaganda- und Nachrichtenmaterial, das auch die Verbindung mit ausländischen Stellen beweist, be schlagnahmt. Deutscher Schritt in Moskau Abermals wegen der Verhaftung Reichsangehöriger. Der deutsche Botschafter in Moskau, Graf von der Schulenburg, suchte dieser Tage erneut den Volkskommis sar für auswärtige Angelegenheiten, Litwinow, auf und brachte wiederum die Verhaftung deutscher Reichsangehö riger in der Sowjetunion zur Sprache. Herr Litwinow- Finkelstcin war nicht in der Lage, nähere Angaben über die den Verhafteten im einzelnen zur Last gelegten straf baren Handlungen und über den Stand des schwebenden Untersuchungsverfahrens zu machen. Aus aller Welt Englische Schenkung für das Nürnberger Museum. Eine Anzahl englischer Parlamentarier und Journalisten, die als Ehrengäste des Führers am letzten Reichsparteitag in Nürnberg teilnghmen, haben als Zeichen der Dankbar keit für die gastfreundliche Aufnahme der Stadt Nürnberg zwei seltene alte Bücher, dis auf besonderem Papier in den Jahren 1494 und 1496 in Nürnberg gedruckt wurden, ge schenkt. Die beiden Bände, die zusammen mit einer Ur kunde der Stifter der deutschen Botschaft in London über reicht wurden, sollen dem Nürnberger Museum einverleibt werden. Bluttat nach 18 Jahren aufgeklärt. Die Justizpresse stelle Leipzig meldet: Am 29. Dezember 1918 wurde der Polizeibeamte Schneider bei der Ausübung seines Dienstes von zwei Wilderern angeschossen; er starb an seinen Ver letzungen. Es ist jetzt gelungen, die Täter in der Person der Brüder Max und Arthur Hofmann zu ermitteln und festzunehmen; die Brüder sind geständig. Vier Kinder unter Verdacht des Vatcrmordes. Anfang Oktober 1934 wurde der 70jährige Bauer Josef Wagner in Schlinding bei Eding auf bestialische Weise ermordet. Unter dem Verdacht der Täterschaft wurden nunmehr seine beiden Söhne Josef und Markus und seine Töchter Katha rina und Marta verhaftet. Aus -em Gerichissaal Hinrichtung eines Mörders. In Köslin wurde der am 29. März 1916 geborene Richard Krafft hingerichtet, der vom Schwurgericht in Köslin wegen Mordes zum Tode verurteilt worden ist. Krafft hat am 3. Februar 1936 bei Althütten (Kr. Belgard) den fünfzigjährigen Schneider Wilhelm Venzke, mit dessen Stieftochter er seit mehreren Jahren ein nicht ohne Folgen gebliebenes Verhältnis hatte, erdrosselt, weil dieser ihm wegen seiner mangelnden Sorge für Mutter und Kind häufig berechtigte Vorhaltungen gemacht hatte. ^2^6 8^6 Sssieksigung msin»r groösn ^StrsisekLu. krsi mit sigsnsn ^ulo« önssnllrsk 6us1sv Tisetüsrmsistsr, vrsscisn-^., „Sehr gern, Herr Fleischle, es ist ohnehin sehr langweilig so allein." Mit einer graziösen Bewegung stand die Schöne ans und bewegte sich nach dem von Egon bezeichneten Tisch. Wie von der Tarantel gestochen sprangen sämtliche Stadt väter auf. Die anwesenden Bürger taten das Gleiche, »m ja nichts von dem jetzt folgenden Schauspiel zu versäumen. Egon machte eine große, theatralische Handbewegung. „Baronin Michaloff aus Petersburg." Totenstille. Die Männer waren erschlagen. Eine Bombe hätte nicht mehr Verwirrung anstiften können, wie diese paar Worte es taten. Egon genoß den Triumph! Daan unterbrach er die Stille, nannte die Nameu der Tischgenossen und schleppte eiligst einen Stuhl für die Baronin herbei. Wohlweislich setzte er sie zwischen den Bürgermeister, der ob solcher Auszeichnung rot wie ein Puter anlief, und seinen Vorgesetzten, den Bankdirektor. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Herren ihre Scheu überwanden, und erst als sie merkten, daß die Dame auch wirk lich aus Fleisch und Blut war, tauteu sie auf. Die Fürstin nahm huldvoll ihr Glas und nickte, bevor sie den Kelch an ihre Lippen setzte, allen freundlichst zu. Dann wandte sie sich an das Stadtoberhaupt und lobte die Schönheiten des Städtchens. Sie sprach mit einem fremd ländischen Tonfall, was den Reiz der Fran in den Angeu der Bürger noch hob. Sie gaben sich auch alle die erdenklichste Mühe, Hochdeutsch zu reden, trotzdem mußte die Fürstin doch öfters fragen: „Was habe« Sie gesagt? Ich nicht verstanden..." Als man einigermaßen, mit Hilfe verschiedener Schoppen, die erste Scheu überwunden hatte, siegte die Neugier. „Wie kommen Sie hierher?" Diese äußerst taktvolle Frage, auf dessen Antwort alle lauerten, beantwortete die Dame mit einem silbernen Lache«. „Mit die Eisenbahn!" Mit diesen Worten war den guten Vätern aber nicht ge dient. Wohl lachten sie pflichtschuldigst, doch bohrten sie wei ter. Endlich entschloß sich die Dame, einen kleinen Teil des sie umgebenden geheimnisvollen Schleiers zu lüften. „Ich warte hier auf meinen Bruder", erzählte sie. „Ah!" Eineu Bruder hatte die Dame also auch! „Und Ihr Bruder? Was ist er?" „Er ist Ingenieur. Wir haben gehört, daß hier ei« Graf ein Luftschiff bauen will. Da will er mithelfen." „Oh . . . !' „Da bleiben Sie wohl länger da?" „Das dürfte wohl der Fall sein. Ich soll ihm de« Haus«' halt führen, denn sobald er eintrifft, werden wir uns hier ein« Villa mieten." „Da gibt es genug!" „Ja und ich habe mir auch schon verschiedenes angesehen." So verging der Abend in angeregtem Gespräch. Der Wirt war's zufrieden, denn die guten Bürger und Stadtväter bliebe« zu Ehren des reizenden Gastes bedeutend länger als sonst. Trau- ken auch mehr als üblich, und der Umsatz stieg für einen Wochen tag ins llngehenerliche. Ebenso stieg die Stimmung. Die Fürstin wurde die lustigste von allen, ond sie tat so, als ob sie jedem einzelnen der Herren den Vorzug geben würde. Daß sie dabei öfters als notwendig Blicke mit Egon Fleischle wechselte, blieb den meiste« verborgen. * Diesem Abend folgten noch oiele ähnliche. Aber einige munkelten, 0aß man Egon Fleischl« schon mal hier und dort allein mit der schönen Frau gesehen habe. Am See ... am Waldessaum . . . 4-