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stumm und resigniert zwischen Borup und dem Kriminal» beamten weiter durch den langen Gang, dem Gefängnis entgegen. „Unsinnige Gerüchte, meine Herren", sagt Holk zu den ihn umdrängenden Leuten. „Wie Sie sehen, ist mir gar nichts passiert. Ich bitte Sie herzlich, diesen Gerüchten in der Presse energisch entgegenzutreten. Gleichzeitig bitte ich Sie, den kleinen Vorfall, dessen Zeugen Sie eben wurden, Ihren Lesern zu unterschlagen. Zum Dank dafür werde ich Ihnen in einer halben Stunde einen ausführ lichen Bericht über die Entlarvung eines der gefährlichsten Verbrecher geben, die Kopenhagen jemals unsicher gemacht haben. Der Raubüberfall bei Skovbäk ist aufgeklärt und der Täter verhaftet." Drinnen im Zimmer 216, wo die immer noch verstörte Mabel auf den Stuhl gesunken ist, zieht Holk den kleinen Revolver aus der Tasche und untersucht ihn kopfschüttelnd. „Tatsächlich geladen! Das setzt eine tüchtige Geld strafe wegen unbefugten Waffentragens, Mabel. Du bist doch immer noch zu sehr in romantischen Anschauungen befangen. Ohne Revolver geht es bei euch Pseudo- kriminalisten nun mal nicht." Mabel achtet gar nicht darauf, daß er sie plötzlich duzt. Sie hebt den Kopf und sieht ihn aus schimmernden Augen an. „Ich ... ich dachte, Sie wären . . . tot!" „Tscha, das hätte leicht eine böse Sache werden können", brummt Holk und legt gedankenvoll die kleine Waffe beiseite. „Teufel auch! Man soll wirklich nicht mit dem Tod sein Spiel treiben!" Fünfzehntes Kapitel. Wie qualvoll langsam die Straßenbahn fährt! Ellen Dinge zählt die Haltestellen und sehnt in zitternder Angst das Ende der Fahrt herbei. Endlich, endlich ist man draußen in Valby. Still und friedlich ist es hier. Nur spärliche Laternen beleuchten die Allee mit den vielen kleinen Vorgärtchen, die Ellen wie gehetzt hinunterläuft. „Hoppla, Fräulein." Ein junger Mann, der ihr ent gegenkommt, springt mit komischem Entsetzen zur Seite und ruft ihr ein heiteres Scherzwort nach. Sie hört es nicht. Da ist das Haus. Ellen hastet die Treppen empor und steht atemlos, bebend vor der Tür, die ein kleines Emaille schild mit dem Namen „Elna Sörensen" trägt. Wie eine Alarmglocke schrillt die Klingel. Sekunden voller Herz klopfen — dann wird drinnen ein ruhiger, langsamer Schritt hörbar. Elna Sörensen öffnet die Flurtür und betrachtet verwundert das unbekannte junge Mädchen, das da ohne Hut mit gelöstem Haar und heißem Gesicht im Treppenhaus steht. „Sie wünschen?" „Herr Bruhn", stammelt Ellen und fühlt jäh eine Befreiung, daß sie nicht den Gesuchten allein zu Hause antrifft. „Ich ... ich möchte Herrn Peter Bruhn sprechen!" „Herr Bruhn ist nicht zu Hause", sagt Elna mit geistesabwesendem Gesicht. „Aber wenn Sie hereinkommen wollen, er ist nur zur Post gegangen und muß jeden Augenblick zurück sein." Elna hat einen schweren Tag hinter sich. Das kleine Verhör heute mittag im Geschäft, das war gar nichts. Der Chef hat sie Hereinrufen lassen, und Dr. Holk hat nur die eine Frage an sie gestellt, ob sie sich des Anrufs erinnere, und um welche Zeit das gewesen sei. Sie hat geantwortet, starr und ruhig, und hat dann wieder gehen dürfen. Nicht einmal nach ihrem Namen haben die Beamten gefragt. Aber dann — nachher. Die Qual, all die Gespräche und Vermutungen der Kollegen über den Raubüberfall mit anhören, sich daran beteiligen müssen, um keinen Ver dacht zu erregen! Und nach Geschäftsschluß den ganzen Nachmittag dies entsetzliche, ungewisse Warten. Keine Nachricht, kein Ereignis! Kein Polizeibeamter, der sie zu verhören kam. Kein Olaf West. Wo war er? Elna weiß nichts von seinem Alibiplan. Olaf West sagt ihr überhaupt nur immer das Allernötigste. Das, was sie selber betrifft. Alle- andere erfährt sie immer erst, wenn es geschehen ist. Den ganzen Nachmittag hat Elna in ihrem Stübchen gesessen und mit Angst und Sehnsucht in ihrem Inneren gerungen, und jetzt, wo sie in das aufgewühlte Gesicht des fremden jungen Mädchens blickt, ist ihr, als sähe sie ihr eigenes Antlitz vor sich, nur viel jünger, noch nicht so stark vom Leid des Lebens gezeichnet. „Setzen Sie sich", sagt sie und müht sich, eine kon ventionelle Freundlichkeit in ihren Ton zu legen. „Es steht fast aus, als ob Sie eine traurige Nachricht für Herrn Bruhn hätten." „Ja . . . ich . . ." Ellen versucht, irgendeine Phrase zu formen, aber sie zerbricht jählings daran. Die Tränen schießen ihr plötzlich in die Augen. „Wenn er nicht kommt, wenn er nicht bald kommt . . . dann ist es vielleicht schon zu spät. Die Polizei..." Elna schaut ihr befremdet ins Gesicht. Ein Verdacht steigt in ihr auf. „Sie wollten doch Herrn Bruhn sprechen, nicht wahr? Kennen Sie ihn persönlich?" Ellen versteht die Frage nicht. „Ja", sagt sie hastig, „ich kenne ihn, natürlich. Das heißt: ich war ein paarmal mit ihm zusammen und . . ." Sie bricht ab und sieht plötzlich Elna stark, fast zwingend an. „Lieben Sie Peter Bruhn?" „Ich?" Elna schüttelt immer erstaunter den Kopf. „Wie kommen Sie auf die sonderbare Frage?" „Weil ich ... ich muß ... ich muß ihn . . ." „Ruhig, Kindchen, ruhig!" Elna legt mit einer guten, mütterlichen Bewegung ihren Arm um die zuckende Schulter. „Sagen Sie mir ruhig, was mit Herrn Bruhn los ist." „Er muß fliehen", stößt Ellen heraus. „Sofort! Die Polizei kann jeden Augenblick . . ., sein Freund Olaf West ist schon verhaftet und hat gestanden!" Der Arm um Ellens Schulter wird plötzlich leichen starr. „Olaf West!" sagt Elna tonlos. „Was wissen Sie von Olaf West?" „Er hat gestanden einen Raubüberfall heute morgen bei der Firma Skovbäk! Er ist noch im Verhör, glaube ich. Und Peter Bruhn. . ." Ein Schlüssel wird draußen in der Flurtür herum gedreht. Ellen bricht ab und springt empor. „Ist er das?" „Ja, ich glaube . . .", sagt Elna, und ihre Gedanken sind weit weg. Peter Bruhn starrt wie auf eine Erscheinung das junge Mädchen an, das plötzlich im Flur vor ihm steht. „Ellen! Sie? Das ist lieb von Ihnen! Eben hab' ich einen Brief an Sie zur Post gebracht!" Er öffnet mit einer raschen Bewegung weit seine Zimmertür und läßt Ellen eintreten. Sein ganzes Gesicht strahlt, aber dieses Strahlen verschwindet rasch, als er Ellens Antlitz genauer betrachtet. „Was ist Ihnen denn, Ellen? Sie sehen ja aus wie. . . wie ... Ist etwas passiert?" „Sie müssen fort, Herr Bruhn", sagt Ellen zitternd und bleibt, den Rücken gegen den Türrahmen gelehnt, am Eingang stehen. „Die Polizei ist hinter Ihnen her!" „Die Polizei?" Bruhn stutzt einen Moment und glaubt dann zu verstehen. „Ach ja, ich hab' schon von meinem Nachbar hier unten so was gehört. Irgendein Beamter hat sich bei ihm nach mir erkundigt. Vielleicht von der Fremdenpolizei." Er lacht sorglos. „Hat nichts zu bedeuten, Ellen. Mein Paß ist in Ordnung." „Sie wollen nicht verstehen", sagt Ellen mit bebenden Lippen. „Ihr Spiel ist aus. Die Polizei weiß alles. Ihr . . .", sie verschluckt das Wort „Komplice", das ihr von ihrer Arbeit her geläufig ist, „Ihr Freund West ist verhaftet!" „Olaf West? Nanu! Was hat er denn Schlimmes ausgesressen?" Der harmlose Ton schneidet Ellen ins Herz. „Der Raubüberfall heute morgen bei Skovbäk! Ach, das wissen Sie ja genau!" „Keine Ahnung! Soll Herr West dieses Verbrechen begangen haben?" „Er hat gestanden! Er sitzt schon im Gefängnis!" „Woher wissen Sie denn das?" „Weil ich . .." Ellens Wangen flammen plötzlich. Ihr Blick wird unheimlich starr. „Ich ... ich bin beim Polizei präsidium beschäftigt. Als Stenotypistin." Peter Bruhn lächelt leise. „Ja, das weiß ich, Ellen." (Fonletzuna iolgt.) Oer fliegende Holländer. ! Eine wahre Begebenheit nach einer Eintragung in dem ! offiziellen englischen Reisewerk „Die Fahrt der.Bachante'". Von I. H. Mayne. (Nachdruck verboten.) „Aber, Jefferson, Sie werden doch nicht abergläu- - bisch sein? Geisterspuk, Klabautermann, Weiße Frau und ' wie sie alle heißen — ist doch alles Unsinn, Schreckmittel I für kleine Kinder oder meinetwegen Überbleibsel früherer, ! in tiefster Finsternis des Geistes befangener Jahr- ! Hunderte." ! Der alte Seemann wurde ernst. „Sagen Sie das > nicht, Kapitän, denn ich habe selbst einmal den Fliegen- ; den Holländer " Jack Mainwaring, der Jüngste der fröhlichen Tafel- unde und unverbesserliche Spötter, lachte auf: „Hört ihn, ! unseren Bill, er hat " „Den .Fliegenden Holländer leibhaftig mit diesen l meinen eigenen Augen, die heute noch scharf genug sind, ; um den kleinsten Druck ohne Brille lesen zu können, ge- ! sehen", ergänzte Jefferson unbeirrbar. „Erzählen, Bill, erzählen!" drängten die Seeleute. , „Na, meinetwegen", sagte der immer noch rüstige Alte, ! „zuvor aber möchte ich wissen, wie viele hier an diesem I Tische sitzen. — Es ist gut, wir sind nur zu zwölft, ich l will beginnen." I Die jungen Männer sahen sich an. So vernünftig er I sonst war, schien der alte Jefferson doch auch wieder > manchmal ganz sonderbare Schrullen zu haben. „Es war im Jahre 1881. Unsere Prinzen Albert, > Georg und Viktor machten damals auf der ,Bachants' j eine Reise um die Welt, und ich diente auf dem guten ! alten Schiff als Steuermann. Man schrieb den 11. Juli, i Wir kamen von und befanden uns um vier Uhr ..?.oens bereits Tag im offenen Meer. ' <^ne gar schwüt. ..rächt damals dort unten am Äquator, una «alle soeben meinen Dienst ange- ! treten, nicht aber etwa zuvor einen kräftigen Schluck zur > Stärkung zu mir genommen, wie du, Jack, wahrscheinlich ; wieder glauben wirst. Die See war ruhig, glatt wie ein I Spiegel, nur ein phosphoreszierender Schein lag aus den f unendlichen Wassern, und die Sterne und der gute alte ! Mond übergossen unser schönes Schiff mit mildem silber- ! nen Licht. Auf der Brücke wandelte regelmäßig wie ein Uhrzeiger unser Erster Offizier auf und ab, und hoch > oben im Ausguck saß Bob Bateman, mein Kamerad und ! bester Freund. Plötzlich kam von droben ein Heller Ruf ,Schiff ahoi!' ! Auch der Wachoffizier hatte es von der Brücke aus be- ! reits bemerkt und beobachtete es aufmerksam mit seinem ! Fernglas, einem vorzüglichen Instrument. Desgleichen I siwen der Kadett .. r Hinterdcckwache sowie eine Anzahl > Matrosen der Freiwache und der Koch, die hinter der i Kombüse auf Taurollen saßen, den Fliegenden Hol- I länder." Der Erzähler machte eine Pause, sein Atem ging ! stoßweise, und mühsam nur entrangen sich die Worte I seinem Munde. „Ein fahler Schein durchdrang die Helle, klare Nacht, ' ein seltsames rotes Licht beleuchtete gespensterhaft eine Brigg von altertümlicher Bauart, die in kaum zweihun- , dert Uards Entfernung lautlos wie ein Gespenst vor- ! überzog. Deutlich, zum Greifen nahe, hoben sich Masten, I Nahen und Segel vom bestirnten Nachthimmel ab. Men Golclene Worte. Es ist nichts reizender, als eine Mntter zu sehen, mit ! einem Kinde auf dem Arnie, und nichts ehrwürdiger, als I eine Mutter unter vielen Kindern. Goethe. , * I Je mehr wir unsere Kinder lieben, um desto weniger. I kann uns das genügen, daß sie nur in unsere Fußstapfen ' treten; sondern die Kinder sollen besser werden als die ! Eltern waren, und so ein jedes Heranwachsende Geschlecht I sein erziehendes überragen zu seiner Zeit. . I Schleiermacher. ! * I Die Erziehung muß dahin wirken, daß der Mensch I nicht allein mechanische Fertigkeiten und einen Umfang - von Wissen erlange, sondern daß der staatsbürgerliche « und kriegerische Geist in der Nation erweckt und die ! Kenntnis kriegerischer Fertigkeit durch Unterricht in j gymnastischen Übungen allgemein verbreitet werde. ! Frhr. v. Stein. I schenleer war das Deck des Unheimlichen, nicht eine Seele j erblickte man an Bord. Natürlich kam nun bei uns alles in Bewegung. I O'Connor, unser Erster Offizier, rannte sogleich nach hin- I ten, aber da war bereits keine Spur mehr von dem Schiff , zu sehen, obwohl es sich inzwischen höchstens hundert ! Yards entfernt haben konnte. Spurlos verschwunden I war und blieb es, als hätte es die Hölle eingeschluckt. » Und genau eine Stunde später ließ uns ein gräßlicher ; Schrei, der letzte Laut eines Menschen in Todesnot, zu- I sammenfahren. I Bob Bateman, der erste, der den Fliegenden Hol- « länder gesehen und gemeldet hatte, war von der Vorder- I bramstenge abgcstürzt und lag bis zur Unkenntlichkeit j zerschmettert auf Deck. Am nächsten Morgen gaben uns ; die Schiffe „Tour maline" und „Kleopatra", die hinter ' uns fuhren, Zeichen, um zu fragen, c ruch wir das I merkwürdige Licht bemerkt hätten. Auf unserer „Bachants" : allein waren es genau dreizehn Personen, die den un- ' heimlichen Segler gesehen hatten." „Ah! —" Jack Mainwaring war der Ausruf ent- » schlüpft. Nun war ja die Schrulle des Alten geklärt. „Und ; wie ging es weiter?" Der alte Seemann sah versonnen in eine Ecke des l halbdunklen Raumes, es würgte ihm irgend etwas in der ! Kehle und hinderte ihn kurze Zeit weiterzusprechen. i „Bob Bateman, meinem guten Freund, der einen f Seemannstod gestorben war, wurde natürlich auch ein ; ehrliches Seemannsbegräbnis zuteil. Wir wickelten seine ! sterblichen Überreste in den Union Jack, die Jungens I traten an in Reih und Glied, unser Schiffspfarrer hielt . eine salbungsvolle Rede, von der wohl keiner etwas bc- > halten hat, saß uns allen doch der Schreck noch zu sehr ! in den Gliedern. Dann senkten wir den Toten mit einem ' stummen Gebet hinab in die .unergründliche, geheimnis- ; Volls Tie'c des Meeres', wie es in den rührseligen See- I . ..^Urgeschichten immer so.schön heißt. Natürlich waren auch unsere drei Hoheiten, wie sich ! denken läßt, ziemlich betreten. — „Wie erklären Sie sich den l Vorfall? Glauben Sie an eine übernatürliche Erschei- > nung, Kapitän?" fragte Prinz Albert unseren Alten. ; Der nickte kurz: „Ja, es gibt Dinge zwischen Himmel und I Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen I läßt."