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Hohensteiner Tageblatt : 21.08.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189608210
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18960821
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18960821
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohensteiner Tageblatt
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-08
- Tag 1896-08-21
-
Monat
1896-08
-
Jahr
1896
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 21.08.1896
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Tagesgerichte. Deutsches Reich. Berlin, 19. August. Die „Nordd. Allg. Zig." erfährt, daß der Kaiser gestern das Gesetz, betreffend das Bürgerliche Gesetzbuch, vollzogen habe. Von Kurgästen in Karlsbad wird uns die Nachricht, daß es am Sonntag früh frischen Schnee daselbst gegeben habe. Ein leichter Schneefall soll die dortige Gegend am kurze Zeit in ein blendendes Weiß gehüllt haben. Berlin, !9. August. Die von der „Köln. Volksztg." dem Kaiser in den Mund gelegte Aeußcrung, betreffend die Aus schlachtung von Militärgerichtsverhandlungen durch die Sen sationspresse, wird von der „Staatsbürgerzcitung" dem früheren Minister von Köller nachgesagt. Dieser habe seiner Zeit gegen die unbeschränkte Oeffentlichkeit des Militärstrafprocesses das Bedenken geltend gemacht, daß bei der rabulistischen Art ge wisser, hauptsächlich jüdischer Rechtsanwälte, die Gefahr bestehe, daß diese mit Wollust die Gelegenheit benützen werden, den militärischen Vorgesetzten in den Augen seiner Untergebenen und die ganze militärische Einrichtung herabzureißen und daß durch die ausführliche Wiedergabe solcher Verhandlungen in der Presse das feste Gefüge der Armee erschüttert werden müßte. Diese Auffassung werde im Princip vom Kaiser ge- theilt, während sie im Ministerium auf lebhaften Widerstand gestoßen! sei und mit zu den Mißhelligkeiten beigetragen habe, die Köller zur Demission nöthigten. Breslau, 19. August. Die Ankunft des Kaisers und der Kaiserin zur Enthüllung des von der Provinz Schlesien er richteten Denkmals Kaiser Wilhelms I. (Freitag, den 4. Sep tember) erfolgt auf dem oberschlefischen Bahnhofe etwa 1V, Uhr Nachmittags. Eine Viertelstunde später dürften die Maje stäten bei dem Denkmale eintreffen. Auf dem Wege vom Bahnhofe zum Denkmale bilden nur Truppen Spalier. Lie Feier der Denkmalsenthüllnng und der sich unmittelbar an schließende Vorbeimarsch der Spalier bildenden Trupven und der Breslauer Kriegervereine soll ungefähr eine Stunde Zeit in Anspruch nehmen. Rach Beendigung des Truppenvorbei- marsches begeben sich der Kaiser noch zu Pferde, die Kaiserin im Wagen durch die Schweidnitzerstraße, in welcher die Bres lauer Innungen Spalier bilden, nach dem Ringe, um im Rathhause den von der Stadt Breslau angebotenen Ehrentrnnk einzunehmen. Auf der Ostseite des Ringes haben die städtischen Ehrenbeamten Aufstellung genommen, während auf den drei übrigen Seiten des Ringes und auf allen vier Seiten des Blücherplatzes die älteren Jahrgänge der Breslauer Schuljugend jeder Gattung (Volksschulen, Mittelschulen, höhere Schulen) und beiderlei Geschlechts mit ihren Lehrern und Lehrennnen, im Ganzen etwa 12 000, Spalier bilden werden. Ob der Kaiser mit der Kaiserin am zweiten Tage (Sonnabend, den 5. September) die russischen Majestäten zur Parade abholen wird, steht noch nicht fest, ist aber wahrscheinlich. Eine Spalier bildung findet für die Fahrt voraussichtlich nicht statt, wohl aber für die Fahrt von der Parade, uud zwar dann von Gandau bis zum Königsplätze durch die schlesischen Krieger vereine, vöm Königsplatze bis zum PalaiS aber voraussichtlich Drei Todesurtheile. Das Schwurgericht in König- grätz fällte gestern drei Todesurtheile, und zwar gegen die 28 Jahre alte vermögende Grundbesitzerswittwe Anna Kuzela, den 23 Jahre alten Grundbesitzerssohn Beänal und gegen den 21 Jahre alten Knecht Johann Hypius, alle Drei aus Lodin. Der Letztere wurde von Anna Kuzela und Johann Beänal, welche mit einander ein Liebesverhältniß unterhielten, gedungen, den Gatten der Kuzela gegen eine Entlohnung von 50 fl. zu ermorden. Er lauerte denselben eines Abends auf und erschlug ihn mit einem Knüttel, worauf er die Leiche in den Brunnen warf. Bei der Verhandlung, der ein zahlreiches Publikum beiwohnte, stellten alle Drei die ihnen zur Last gelegte Hand lung in Abrede. Trotzdem wurden sie von den Geschworenen wegen Mordes, beziehungsweise Theilnahme und Mitschuld schuldig gesprochen, und zwar Anna Kuzela und Johann Hypius einstimmig, Johanu Beänal mit zehn gegen zwei Stimmen. Der Gerichtshof verurtheilte alle Drei zum Tode durch den Strang und ordnete gleichzeitig an, daß die Todesstrafe zuerst au Beänal, dann an Hypius und zuletzt an der Anna Kuzela vollzogen werde. Der Minister für Verkehrswege, Fürst Chilkow, der soebe! nach Sibirien abgereist ist, um den Bau der großen sibirischen Eisenbahn zu besichtigen, wird sich von Wladiwostok nach Japan begeben, sich dort einige Zeit aushalten und nach San Fran cisco gehen, um von da eine Reise durch die Vereinigten Staaten anzutreten und von New-Jork über London und Paris gegen Ende October nach Petersburg zurückzukehren. Mit dieser großen Rundreise bezweckt der Minister, wie wir einer Petersburger Correspondenz der Times entnehmen, in das amerikanische und englische Eisenbahnwesen sowie den Bin nenschifffahrtsbetrieb einen möglichst genauen Einblick zu ge winnen. Der Plan der Reise geht offenbar von dem Czaren selber aus, der an allem, was den großen sibirischen Eisen bahnbau betrifft, den lebhaftesten Antheil nimmt. Der Cznr versäumt nicht eine einzige Sitzung des Bau-Comitees, das nur auf seine Weisungen hin handelt. Er betrachtet das Unter nehmen als den größten Schritt, den Rußland je in der Rich tung des modernen Verkehrs gethan hat, und in diesem Zu sammenhänge gewinnt die Reise feines Ministers eine ganz be sondere Bedeutung. Sie ist ein weiteres Symptom für die außerordentliche Geschäftigkeit, die augenblicklich auf allen Ge bieten des Verkehrswesens herrscht, und die sich zum Beispiel auch in dem Plan kundgiebt, eine Linie nach dem Weißen Meere hin zu bauen, um den alten Himmel von Archangel wieder neu zu beleben. Durch feine Vergangenheit ist Fürst Chilkow besonders dazu berufen, selbst zu prüfen, anstatt andere an sei: er Stelle zu senden. Er hat sich bereits in seiner Jugend in Nord- und Südamerika gründlich umgesehen, und hat hier, wie einst der Czar Peter der Große als Schiffszimmermann, als Grobschmied, Monteur und Lokomotivführer gearbeitet. An diesen ameri kanischen Aufenthalt erinnert sogar noch seine Aussprache des Englischen. Er wird natürlich in Amerika mit offenen Armen ausgenommen werden; ein besonderer Luxuswagen wird ihm hier zur Verfügung gestellt werden. Abgesehen von dem Eisenbahnwesen, dem sein Hauptinteresse gilt, wird er in dem Felsengebirge auch die Gold- und Silbcrindustrie studiren, mit Rücksicht auf die unterirdischen Schätze Sibiriens, und vielleicht auch in Cansas den Colonien russischer Mcnnoniten einen Be such abstatten. Fürst Chilkow wird von seinem Sohn und einem Secretär begleitet. Montenegro. Cettinjc, 19. August. Am Dienstag fand nach der Ver kündigung der Verlobung des italienischen Tronsolgers mit der Prinzessin Helene ein Tedeum in der Kathedrale statt. Dem Brautpaar wurden dann von allen Seiten begeistert Huld- digungeu und Glückwünsche entgegengebracht. Die Stadt ist mit italienischen und montenegrinischen Flaggen geschmückt. Am Abend fand große Beleuchtung statt. Der Prinz von Neapel erhielt den Großcordon des Danilo-Ordens und den Zeus-Orden der Familie Petrowitsch. Hauses war auf noch unermittelte Weise ein Brand entstanden, der das anstoßende, von 2 Familien bewohnte Malzhaus der Brauerei Michel u. Knauer binnen kurzer Zeit in Schutt und Asche legte. Der Schaden, welcher hauptsächlich in großen Vorräthen von den für die Bereitung des edlen Gerstensaftes unentbehrlichen Theilen besteht, wird durch die Elberfelder Versicherung gedeckt. Aus Reichenbach i. V. wird geschrieben: Die behörd- licherseits angestrengten Recherchen zur Habhaftmachung jener Zigeunerbande, welche im vorigen Monat das Vetter'sche Kind zu Schwarzbach bei Triptis ausgesetzt hatte, sind bisher er gebnißlos verlaufen. Nach so langer Zeit wird es immer schwieriger, deren Spur ausfindig zu machen und es wird, wenn nicht ein besonderer Glücksumstand auf die Fährte führt, wie es den Anschein gewinnt, die Sache im Sande verlaufen. Der Anspruch der Rietzschel'schen Eheleute in Gautzsch bei Leipzig auf das Vetter'sche Kind ist aufgegeben, die behördliche Verfolgung der Angelegenheit von dieser Seite niedergeschlagen worden. Die Elsa Vetter ist nunmehr voll und ganz wieder und unbestritten 'das Kind ihrer Eltern hierselbst. Seit An- Wilhelmshaven, 19. August. Die hiesige kaiserliche Werst begeht heute die Feier eines Jubiläumstages, der, wenngleich er sich in aller Äille vollziehen wird, doch einen bedeutungs vollen Abschnitt in der Entwicklung der Marine und ihres größten Kriegshafens kennzeichnet. Am 19. August vor 25 Jahren lief auf der hiesigen Werft das erste Kriegsschiff, der Rad-Aviso Loreley, in Gegenwart einer kleinen Gesellschaft von Marinebeamten und der damals noch sehr schwachen Civilbe- völkerung vom Stapel, als das erste bescheidene Erzeugniß der vor 25 Jahren noch sehr unfertigen Werftanlage, die grade soweit gediehen war, einem 398 Tonnen großen, 350pferdigen Raddampfer das Leben geben zu können. Selbst die kühnste Phantasie der Augenzeugen dieses maritimen Actes wird sich keine Vorstellung haben machen können von dem ungeahnten Aufschwung, den der Kriegshafen an der Nordsee, schritthal tend mit der Entwicklung der deutschen Marine, nehmen würde. Fast märchenhaft erscheint es, daß an derselben Stelle, wo vor 25 Jahren ein einziger Aviso ohne besonders Ceremoniell zu Wasser gelassen wurde, sich vor kurzem noch der Riesenleib eines modernsten Panzerschiffes I. Classe von 11000 Tonnen erhob und in Gegenwart des Kaiserpaarcs, unter dem viel tausendstimmigen Hurrah der Menge seinem Elemente übergeben werden konnte. Zwischen den Grenzen „Loreley" und „Kaiser- Friedrich III." liegt die ganze mächtige Scala des riesigen Fortschritts der deutschen Kriegsschiffbautechnik, die in ihren jüngsten Erzeugnissen eine Höhe erreicht hat, die zu überschreiten kaum für möglich gehalten werden mag, und doch hat vor kurzem noch eine Autorität den Ausspruch gethan, daß ein Schlachtschiff der Gegenwart sich von dem der Zukunft viel leicht noch mehr unterscheiden würde, als ein Linienschiff aus den Tagen Nelsons von dem Schlachtschiffe der Jetztzeit. Fünf Jahre später, am 17. September 1875, lief bereits ein Pan zerschiff, der „Große Kurfürst" auf der Wilhelmshavener Werft vom Stapel, konnte jedoch nach weitern drei Jahren erst fertig gestellt werden, da die technischen Mittel eine schnellere Förder ung des Baues nicht zuließen. Im Jahre 1878 wurden die beiden Kanonenboote „Wolf" und .Hyäne" zu Wasser gelassen. Der Schiffsname „Loreley" ist mit der Geschichte unserer Ma rine eng verknüpft. Das erste Kriegsfahrzeug dieses Namens war der aui der königlichen Werft zu Danzig 1859 vom Stapel gelassene Rad-Aviso (aus Holz), der während des schleswig-hol steinischen Krieges unter Corvetten-Capitän Jachmann im Ge fecht bei Jasmund mitgefochten hat. Die jetzige „Loreley", die heute ihr 25jähriges Jubiläum begeht, befindet sich als Sta tionsschiff vor Konstantinopel nnd wird Anfang September durch ein neues schmuckes Schiff, „Ersatz Loreley" abgclöst. Letztere befindet sich seit dem 15. ds. auf der Reise nach dem Bosporus und wird am 9. September vor Konstantinopel eintreffen. Die alte „Loreley", die den größten A)eil ihrer Dienstjahre im Mittelmeer verbracht hat, wird an Ort und Stelle meistbietend verkauft, da das Schiff für Marinezwecke nicht mehr verwendbar ist und es sich ebensowenig lohnen würde, es noch heimkehren zu lassen. Man hegt außerdem Bedenken gegen die Seetüchtigkeit des alten Radschiffes, die ür eine Oceanreise als nicht ausreichend erachtet wird. München, 17. August. Rach der Königskatastrophe von 1886 vertrat die clericale Kammermehrheit bekanntlich den fang voriger Woche besucht das Mädchen die Schule, die 2. Classe der ersten Bürgerschule, und wird in den hauptsächlich sten Lehrfächern unterrichtet, wobei sie leicht aufnimmt und gute Fortschritte macht. Insbesondere muß die correcte Schreib weise und gute Handschrift Verwunderung erregen, welche sich das Kind in der kurzen Zeit seines Hierseins bereits angeeignet hat. Die Genehmigung der vorgesetzten Schulbehörde voraus gesetzt, soll das Mädchen nächste Ostern mit zur Confirmation gebracht werden. Bei Beginn der Ferien gab ein Studirender der Frei berger Bergakademie dem Hausmeister Kretzschmer derselben seine Kassete mit u. A. 5000 Mark in Werthpapieren zur Aufbewahrung. Durch einen raffinirten Einbruchsdiebstahl stnd nun dieselben sammt einer goldenen Uhr und anderen Effecten gestohlen worden. Am vorgestrigen Abend stürzte von einem Hause in Gab lenz bei Chemnitz ein 43 Jahre alter Dachdecker aus letzterer Stadt beim Repariren des Daches zwei Stock hoch auf die Fahrstraße herab und verschied nach kurzer Zeit. In Lößnig haben zwei Fortbildungsschüler und ein 18 Jahre alter Bursche in der frechsten Weise Ladendiebstähle verübt. Einer der Fortbildungsschüler legte sich z. B. in einem Fleischerladen, um von der eintretenden Verkäuferin nicht gesehen zu werden, vor die Ladcntafel, während der andere Wurst kaufte. Als der Käufer und das Mädchen den Laden wieder verlassen hatten, stahl er aus der Casse 14 M. Die Burschen haben sogar versucht, auf dem Schützenfestplatze Zelte und Buden zu plündern. Einer der Diebesgesellen rst ver haftet worden, die beiden anderen haben sich geflüchtet. Ein entflohenes Liebespaar wurde mit dem Schnelldampfer „Lahn" zurückbefördert, ohne daß dasselbe das Land seiner Wünsche betreten hatte. Es ist dies der 35jährige verheirathete Barbier Josef Hampel aus Zittau, welcher mit der 20jäh- rigen Gastwirthstochter Lina Unger durchgebrannt war. Der Vater der Letzteren hatte die Landung des Pärchens in Amerika vereitelt und war nach Nordenham gekommen, um seine Toch ter in Empfang zu nehmen, während Hampel bei seinem Ein treffen von einem Gendarmen erwartet und verhaftet-wurde. Der aus allen Himmeln gestürzte Liebhaber wird sich nun wegen Entführung einer Minderjährigen vor Gericht zu ver antworten haben. kaum auf längere Zeit hintanzuhalten, was in erster Linie ver Socialdemokratie zum Vortheil müßte. Auffallenderweise haben sich nun neuerdings einige Centrumsmitglicder für die Abände rungsfähigkeit der Verfassung ausgesprochen, zunächst die Land tagsabgeordneten Dr. Schädler und Kohl, dann auch vor einigen Wochen der Landgerichtsrath Lerno, also ein Jurist. Die von letzterm in Amberg gehaltene Rede hat um so mehr Staub aufgewirbelt, als sie von der clericalen Presse alsbald trotz der Verwahrung LernoS mit dem Gedanken au eine Aufhebung der Regentschaft, also mit dem Gedanken an die Annahme des Königstitels durch den Regenten verquickt wurde. Besonders Auge Leute wollten sogar wissen, daß hinter den zahlreichen ieikmgsbesprechungen, die sich in dieser Richtung bewegten, kein geringerer als Graf Konrad Preysing stecke, und zwar als Vertrauensmann des Thronfolgers Prinzen Ludwig. Mit voller Bestimmtheit kann man dagegen behaupten, daß die Sache nichts weiter als sommerliches Zeitungsgerede ist und daß ihr Graf Preysing und Freiherr v. Soden, die zuweilen mit Recht oder Unrecht als clericale Vertrauensleute des Prinzen Ludwig bezeichnet werden, vollkommen fernstehen. Daß Prinz Ludwig aus Ueberzeugung und eigenem Interesse dem Königthum vor der Regentschaft den Vorzug geben würde, ist höchst wahrscheinlich; möglich ist auch, daß sich der Regent nicht ablehnend verhalten hätte, wenn die Sache durch eine große Kammermehrheit und durch eindringliche Aeußerungen der Volksmeinung angeregt worden wäre. Nachdem sich aber die Kammer aus vorwiegend finanziellen Beweggründen durch aus passiv verhalten hat, darf als feststehend gelten, daß die persönliche Abneigung des Regenten, am Bestehenden zu rütteln, für die bairische Regierung maßgebend ist. Ob Prinz Ludwig dereinst, wenn sie dann noch nothwendig sein sollte, eine Aen- derung anstreben wird, ruht im Schooße der Zukunft. Sicher lich aber würde die Frage von ihm nahestehenden oder sonst einflußreichen Leuten nicht zur jetzigen Zeit aufgeworfen worden sein, während weder die Kammer versammelt ist noch auch Hof und Minister in der Hauptstadt verweilen. Unter Zurückweisung der Gerüchte über die Aufstellung einer neuen im Herbst zu erwartenden Marincvorlage durch den jetzigen Chef des Kreuzergeschwadcrs in den ostasiatischen Gewässern, den Contreadmiral Tirpitz, bestätigt die „Post", daß dieser hohe Marineosficier, der Jahre lang Chef des Stabes beim Oberkommando der Marine war, im Laufe des letzten Winters einen längeren Urlaub im Auftrage des Kaisers dazu benutzte, vom strategischen und taktischen Standpunkte aus in einer größeren Arbeit klar zu legen, wie unsere Flotte an Material beschaffen sein muß, um vom Standpunkte des Mili tärs in der Gegenwart den an sie herantretenden Forderungen gewachsen zu sein. Diese wissenschaftliche Arbeit mag auch )azu Veranlassung gegeben haben, daß in einem Theil der Presse vor dem Antritte der Reise der Majestäten nach dem Mittelmeer im vergangenen Frühjahr behauptet wurde, dem Kaiser sei bereits damals eine neue Marinevorlage unterbreitet worden. Auf einem ganz anderen Gebiet steht es indessen, wie sich diese Forderungen des Seetaktikers werden verwirk ichen lassen, und in welcher Weise das als nothwendig be kachtete Schiffsmaterial vom Reichsmarineamt durch Einstellung von Forderungen in die Etats der nächsten Jahre wird be- chafft werden können. Rußland. durch die Breslauer evangelischen und katholischen Arbeiter- un ihnen verwandte Vereine. Breslau, 19. August. Der Verbandstag der deutschen Bäcker-Innungen faßt heute eine längere Resolution, in wel cher erklärt wird, daß die Zwangsorganisation des Handwerks eine bedeutende und sehr nützliche Forderung zur Hebung desselben ist, und die Hoffnung ausgesprochen wird, daß es der bevorstehenden Handwerker-Conferenz gelingen möge, die Mängel in dem Entwürfe zu beseitigen. Des Weiteren bezeichnet die Resolution den Befähigungsnachweis als überflüssig, dagegen sei es nothwendig, daß das Recht, Lehrlinge zu halten, nur demjenigen Meister zuerkannt wird, welcher eine Gesellen- und Meisterprüfung abgelegt habe. Endlich wird die Errichtung eines deutschen Reichs-Handwerksamtes gewünscht. In einer weiteren Resolution wurde die Sonntagsruhe als das Bäcker gewerbe schwer schädigend bezeichnet und die Erwartung aus gesprochen, daß die Regierung den Bäckern den Verkauf ihrer selbsterzeugten Waare an Soun- und Feiertagen wenigstens bis Nachmittags 5 Uhr gestatten werde. Endlich wurde noch eine längere Resolution, betr. die Beschränkung der Consum-Bereine, gefaßt und hierauf der Verbandstag geschlossen. Darmstadt, 18. August. Das Scheiden des neuen Kriegs ministers, Herrn v. Goßler, aus seiner bisherigen Stellung wird hier allgemein sehr bedauert, da er gleich seinem Vor gänger, dem jetzigen commandirenden General v. Bülow, ver standen hat, sich auch die Sympathieen der bürgerlichen Kreise in weitestem Maße zu erwerben. Herr v. Goßler wird schon in Bälde nach Berlin übersiedeln. Morgen Nachmittag findet im großen Officierscasino zu seinen Ehren ein Abschiedsessen statt, an dem der Großherzog, sowie die sämmtlichen Officiere der Garnison theilnehmen werden. Von einer größeren Ab schiedsfeier, an welcher sich zweifellos auch zahlreiche Herren aus bürgerlichen Kreisen betheiligt haben würden, mußte wegen der Kürze der Zeit abgestanden werden. Als muthmaßlicher Nachfolger des Herrn v. Goßler im Commando der Division wird, neben einigen anderen Namen, in erster Linie Gcneral- lieutenant Stünzncr, Oberquartiermeister im Großen Generalstab, genannt. Standpunkt, daß nach dem Buchstaben der Verfassung unter einer Regentschaft keinerlei Verfassungsänderung zulässig sei. Obwohl einsichtigere Köpfe dies bestritten, indem die Verfassung eineswegs eine andauernde, durch ein Mitglied des Königs- jauses ausgeübte und dem Königtyum in jeder Hinsicht gleich- werthige Regentschaft gemeint haben könne, mußte man sich mit der Thatsache abfinden, was denn auch mit Hülfe von allerlei die Ausnahmen bemäntelnden Herumdeutungen ohne allzu große Unzuträglichkeit geschehen ist. Würde die Zulässigkeit wn Verfassungsänderungen anerkannt, so wäre eine Umgestaltung des auf einer veralteten Volkszählung beruhenden und die großen Städte nicht hinreichend berücksichtigenden Wahlgesetzes
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