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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 02.08.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190008023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000802
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-08
- Tag 1900-08-02
-
Monat
1900-08
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 02.08.1900
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traft entwickelt. Die erstarrten Züge des entschlafenen Monarchen zeigten keinen Schmerz. Friedlich und milde erglänzten sie wie im Schlafe. Bald trat auch die Königin wieder in- Sterbegelaß, kniete an der Leiche ihre- todten Gatten nieder und zerfloß in heißem, thränen- reichem Gebete, bis der Pfarrer von Santa Maria von Alessandria, Belloni, und der Erzpriester von Monza ein« traten und die Leiche einsegneten. Und nun zum Verbrecher zurück: Im Augenblicke, da die Schüsse gefallen waren, stürzten sich die Nächst- stehenden gegen den königlichen Wagen und faßten erst ein schuldloses Individuum als vermeintlichen Mörder. Inzwischen hatte bereits ein Angestellter eines Kaufhauses, ein gewisser Boatti, sich auf den richtigen Mörder gestürzt. Dieser erhob noch den Revolver und suchte sich damit zu erschießen. Aber nun warf sich die Menge auf den Atten täter. Unter fürchterlichem Wuthgeschrei wurde er zu Boden geworfen, und er wäre rettungslos der Lynchjustiz verfallen, wenn nicht die Polizisten den Mörder wegge rissen und in Sicherheit gebracht hätten. Bei dem Kampf um den Mörder wurden einige Polizisten mit Stockschlägen und Steinwürfen nicht unerheblich blessirt. Volle zwanzig Minuten lang widerstanden die zwei Carabinieri Braggio und Giuseppe Salvatori allein der wüthenden Volksmenge, bis es endlich gelang, den Mörder in einen Wagen zu verbringen und nach der Polizeicaserne zu schaffen. Seiner ersten Angabe nach kam der Mörder erst vor Monats frist aus Amerika zurück. Er war in San Paolo (Bra silien) gewesen und wieder nach seiner Heimath gekommen, weil er dort seinen ursprünglichen Beruf als Schuster wieder aufnehmen wollte. Später wurde er einem ein gehenden Verhör unterzogen. Als er gerufen wurde, sprang er frisch und lebhaft auf und folgte seinen sieben Wächtern ohne die geringste Gemüthsbewegung, als ob nichts geschehen wäre. Er gestand sofort, daß er absicht lich nach Monza gekommen sei, um den König zu tödten. Befragt warum, antwortete er: „Weil der König eine Institution repräsentirt, welche nicht meinen Grundsätzen entspricht." „Welches sind Ihre Grundsätze?" Bressi antwortete nur mit einer leichten Geste. „Bereuen Sie die That?" „Nein, ich würde sie nochmals ausführen." „Wie lange sind Sie schon in Monza?" „Seit zwei Tagen." „Was haben Sie seither gethan?" „Ich blieb stets zu Haus, weil ich wußte, daß König Umberto zum Feste ging, deshalb kam ich auch her. D n Revolver besitze ich schon seit einiger Zeit Hätte ich den König gestern Abend nicht tödten können, hätte ich einfach eine bessere Gelegenheit abgewartet." Der freche Kerl hat, wie einst sein Mordgenosse Luchem in Genf, seine Helle Freude daran, daß der Richter und die gange Welt Interesse an ihm nehmen. König Umberto liebte es nicht, auf seinen ein- famen Spaziergängen von Polizei begleitet und gehütet zu werden. Traf er solche, so schickte er sie sofort heim, und als ihm einmal ein Sicherheits-Jnspector sagte, daß ihm doch früher oder später etwas begegnen könne, lehnte Umberto ab: er sei Fatalist und fürchte sich nicht. Zwei Attentaten sei er entgangen, und er würde auch dem dritten entgehen, wenn es das Schicksal wolle. Und nun hat das Schicksal es anders gewollt. * * * Rom, 31. Juli. Der Kronprinz erhielt die Trauernachricht durch ein seiner Dacht entgegengesandtes Torpedoboot. Er ist heute Nacht in Brindisi gelandet und fährt sofort über Ancona nach Monza weiter. Minister Saracco erhielt in Pisa von der Königin fol gendes Telegramm: „Der gemeinste aller Mörder hat das Leben meinem Könige genommen, der seine Seele in meinen Armen aushauchte." Alle Geschäfte, Theater, CafSs sind geschlossen, auf den Straßen bewegen sich Menschenmengen wie sonst, aber das schwatzhafte, leichtlebige Römervolk ist unter dem Druck des furchtbaren Ereignisses nach, denklich und still geworden. Viele Damen gehen in Schwarz, von allen Häusern wehen trauerumflorte Fahnen. Gegen Abend veranstalteten Studenten, be gleitet von patriotischen Vereinen, mit trauerverhüllten Fahnen vor dem sozialistischem Avanti, dessen heutige Nummer sequestirt wurde, große Demonstrationen und verbrannten auf der Piazza Colonna ganze Stöße des Sozialistenblattes. Das Manifest des Bürger meisters sagt: Rom, das den grundgütigen Herrscher in den kleinsten Zügen auch im alltäglichen Leben kennen gelernt hat, empfindet doppelt den Verlust, den das Vaterland erlitten hat. — Die meisten Zei tungen klagen, daß der ritterlichste, tapferste Hüter der vaterländischen Einrichtungen, der Vater seines Hauses und Landes, der treueste Diener des Volkes, unter dessen Willen er fast demüthig sich beugte, durch die Hand eines Meuchelmörders .fallen mußte. Sie rühmen seine Unerschrockenheit und Pflichttreue und erinnern an die SchreckenStage von Casamicciola und Neapel, wo sich sein ganzes großes Menschlichkeits gefühl offenbarte. Selbst der vaticanische Osservatore Romano vergißt seine sonstige Gegnerschaft gegen den König und widmet dem hochherzigen Manne einige Worte des Gedenkens. Der Popolo Romano schreibt: Wenn je ein Fürst in Europa war, der trotz er schütternder und schmerzlicher Ereignisse, die er er- fahren mußte, seinen Glauben an die wahren Gefühle des Volkes bewahrte, so war es König Humbert. Und gerade diesem unerschütterlichen Glauben an die Liebe des Volkes und seiner Liebe zu den niedrigsten Klassen der Bevölkerung fiel er zum Opfer. Obwohl Monza durch und durch subversiv ist, obwohl selbst der Turnverein, für den er Prämien vertheilte, nicht frei von solchen Elementen ist, erfüllte er seine KönigS- pflicht, jede Vorsicht mißachtend, zufrieden, sich unter der Menge der Arbeiter und ihrer Söhne zu befinden wie unter sichersten Freunden. Wohl! In jener Menge befand sich die Bestie, die ihn ins Herz tra und Italiens Namen in der Welt entehrte. Wer kann den Schmerz der armen Königin ermessen, als der Gemahl todt ins Haus gebracht wurde, und wer den des fern weilenden Prinzen, der nach so entsetz lichem Vorgang auf den Thron kommen wird? O, sie haben Recht, uns ein unglückseliges, trauriges Land zu nennen!" — Die sozialistisch-anarchistische Vereinigung in Rom sendet den Zeitungen ein Rund schreiben, worin sie ihr Bedauern über die Gewalt- that ausspricht. Der Geburtsort Prato des Mörders ist bekannt wegen der anarchistischen Gesinnung der dort stark vertretenen Jndustrie-Arbeiter-Bevölkerung. In Monza wurden mehrere Personen verhaftet. Es sind Be wohner des Hauses, wo der Mörder wohnte. Auch in Mailand sind der Hauswirth des Hauses, wo der Mörder gewohnt hat, und mehrere Personen verhaftet worden, die mit Bressi dasselbe Haus bewohnten. Nach einem anderweiten Bericht sah der Mörder, als er auf den Wagen des Königs zudränqte, den König einen Augenblick starr an, zog dann blitzschnell den Revolver aus der Tasche und gab die Schüsse ab. Der Attentäter selbst war im Augenblick der That äußerst ruhig und kalc; er schoß mit weiß behandschuhter Hand, ohne eine Miene zu verziehen, und leistete weder bei dem Ueberfall der Volksmenge, noch bei seiner Verhaftung Widerstand. Als die Menge die Schüsse vernahm und den König zusammen sinken sah, war sie einen Augenblick wie gelähmt, dann stürzte sie auf den Mörder mit entsetzlichem Geschrei: „Reißt ihn in Stücke, stoßt ihn nieder, den Briganten, den Mörder!" Ins Gefängniß geführt, wurde Bressi vollständig entkleidet, wobei nichts ge funden wurde, als die Adresse seiner Wohnung in Monza, auch Geld trug er nicht bei sich. Er er klärte, seit einem Monat aus Amerika zurück zu sein und seit zwei Tagen in Monza zu weilen. Jin Uebrigen verweigerte er jede Auskunft, erklärte aber, er werde seiner Zeit reden, jetzt solle man ihn schlafen lassen. Um 2 Uhr Nachts schlief er denn auch fest in seiner Zelle. Auf seinem Körper wurden ver schiedene kleine Abschürfungen vorgefunden, welche die Menge ihm beigebracht hatte, die ihn lynchen wollte. Bressi war elegant gekleidet. Der Mörder wird im Gefängniß fortwährend von zwei Schutzleuten bewacht; die Gefängnißwache ist um 40 Beamte verstärkt worden. Rom, 31. Juli. Kaiser Wilhelm hat an den König Viktor Emanuel und die Königin-Wittwe Margeritha nach Empfang der Trauerkunde eine in den wärmsten und herzlichsten Ausdrücken abgefaßte Beileidskundgebung gerichtet. — Die Königin betete letzte Nacht lange in dem Gemache, in welchem die Leiche des Königs ruht; sie zog sich erst gegen Morgen zurück. Wie aus Prato gemeldet wird, befindet sich die Familie von Bressis Bruoer in entsetzlichster Erregung. Sie hielt ihn für einen platonischen Anhänger der Anarchistenpartei, der keines Verbrechens fähig sei. Wie die Familie erzählt, reiste Bressi am 22. Januar 1897 nach Newyork ab und tauchte am 4. Juni des laufenden Jahres wieder in Prato auf. Er kam direkt aus Paris, wo er die Ausstellung besucht haben wollte. Für seine Familie und kleinen Nichten habe er stets große Zärtlichkeit an den Tag gelegt; selbst notorisch unwürdigen Bettlern habe er Almosen ge geben, da ja jedermann leben müsse. Seltsamerweise schildern auch andere Leute in Prato Bressi als ruhigen, friedfertigen Menschen; bei der Haussuchung fand indessen die Polizei eine Menge leerer Patronen hülsen, woraus hervorgeht, daß Bressi sich im Revolverschießen übte. Der Mörder trägt ein unerhört cynisches Be nehmen zur Schau. Der Redakteur des „Corriere", »er ihn im Gefängniß sah, berichtet, Bressi bekenne ich offen zur Anarchistenpartei unv rühme sich seines passeS gegen alle Könige. Auf die Frage, ob er sich seiner furchtbaren Verantwortung nicht bewußt sei, erwiderte er: „Ich kenne das Gefängniß längst und pfeife daraus!" Auf alle weiteren Fragen antwortete Bressi: „Darüber sprechen wir ein ander Mal!" Die Behauptung, daß sein Bruder Artillerieleutnant sei, wird heute dementirt. Ueber die Persönlichkeit des Mörders werden noch folgende Einzelheiten bekannt: Als Knabe be suchte er die Abendschule von Prato und arbeitete dann als Schuhmacher wie sein Bruder. 1883 wurde er Leinweber. Am Weberstreik 1891 nahm er nur geringen Antheil. Bis 1897 arbeitete er in Locca, ging dann nach New Jork. Wie sich jetzt herausstellt, kam Bressi in Mailand am 27. d. M. an, nachdem er zwei Tage in Bologna geweilt. Eine Frauensperson Namens Cesira Remella, mit welcher Bressi in Mailand verkehrte und deren Adresse er in der Tasche hatte, wurde verhaftet. Es verlautet, daß der Mörder Bressi am letzten Freitag in Begleitung eines jungen Mannes bei einer Wittwe mit Namen Rossi vorsprach und bei ihr Wohnung suchte. Der Begleiter Bressis wird jetz gesucht. Weiter heißt es, daß die Mailänder Polizei bei einer Haussuchung in dem Hause eines gewissen Ramella wichtige Schriftstücke an sich nahm, aus denen hervorgehen soll, daß Bressi mit Individuen in Amerika in Verbindung stand und zwar in Bezug au das von ihm begangene Verbrechen. Bei dem oben erwähnten Ramella wohnte Bressi mit einem Toskaner Namens Giusti zusammen. Der Kellner eines Wirths- hauses, in welchem beide Genossen verkehrten, erklärte, daß sie sich von einem großartigen Plane unterhielten der die Welt in Staunen setzen sollte. Giusti is verhaftet worden. Als Bressi bei Ramella wohnte gab er sich für einen Franzosen aus und sprach immer nur französisch. Alles deutet darauf hin, daß Bressi sein Verbrechen lange vorbereitet hat. Bressi wird als junger Mensch mit nicht un schönen, regelmäßigen Gesichtszügen geschildert. In seiner Tasche fand man einige amerikanische anarchisti sche Blätter aus Paterson, sowie andere Papiere und Adressen von in Italien lebenden Personen. Der Revolver war amerikanischen Ursprungs, kleinen Kalibers. Auf dem Revolver sind zwei Daten ein- gravirt. In der Nähe der Königsloge fand man noch einen zweiten Revolver, gleichfalls mit Da'.en, darunter das Datum der Ermordung Carnots. Bressi hatte eine golden: Uhr, Kette und Ring und verfügte auch über ziemlich bedeutende Mittel. Die Wittwe Rossi, bei der der Mörder wohnte, sagte, Bressi war im Besitz vieler Werthgegenstände und Brillantringe. Tie als Geliebte Bressis geltende Cesira Remella ist 20 Jahre alt, brünett und hat eine Realschule besucht. Sie will Bressi erst seit Dienstag kennen, wo er ein Zimmer bei ihr miethete. In seiner Gesellschaft war ein Mann, der gebrochen italienisch sprach. Trotzdem gaben sich beide für Italiener aus, die vier Jahre in Newyork zugebracht hätten. Die Präsektur von Palermo giebt bekannt, daß Bressi vor fünf Jahren mit fünfzig anderen Anarchisten in der Strafkolonie Pantelleria internirt war, aber später begnadigt wurde. Petersburg, 31. Juli. Die Ermordung König Humberts hat in der gesammten Presse einen Sturm der Entrüstung und des Abscheus hervor gerufen. Alle Blätter widmen dem auf so entsetzliche Weise ums Leben gekommenen König Worte wärmster Anerkennung und erklären, durch das furchtbare Ver brechen werde nicht nur Italien, sondern die ganze civilisirte Welt betroffen. Allgemein wird die Ansicht ausgesprochen, daß es sich um ein neues anarchistisches Verbrechen handelt. London, 31. Juli. Tie gestrige Newyorker Meldung, daß der Mörder des Königs von Italien als Stellvertreter eines gewissen Carboni Sperandiv seine verbrecherische That beging, wird jetzt bestimmter und ausführlicher wiederholt. Es ist festgestellt worden, daß ein Seidenweber Angelo Bressi, ungefähr 32 Jahre alt, bis zum 7. Mai in der S- idenmühle von Hamilton und Booth in Paterson (New-Jersey) ge arbeitet hat. In Paterson lebte unter anderen Italienern auch der Anarchist Carboni Sperandio, dieser ermordete am 17. Juli einen Landsmann, den Färber Giuseppe Pessina, und nahm sich, um der Strafverfolgung zu entgehen, drei Tage später selbst das Leben. Auf seiner Brust fand man mit einer Stecknadel befestigt einen Brief mit folgendem Inhalt: „Am 2. Februar traf mich das LooS, den König Humbert zu tödten. Man ließ mir Zeit, befahl mir edoch, den Willen der Gesellschaft auszuführen. Da ah ich eines TageS dieses Vieh von Pessina in einem Laden und sah, wie er seine Leute mißhandelte. Des- jalb tödtete ich ihn anstatt des Königs, jetzt aber sterbe ich lieber von eigener Hand, als durch den Henker. Bald werdet Ihr vom Tode der Spione Colorato Romano und Gruinin hören. Es lebe die Anarchie!" Man vermuthet, daß Sperandio seinen ursprünglichen Auftrag an Bressi weitergegeben hat, obwohl der directe Nachweis sich trotz eifrigster Nachforschungen in der von anarchistischen Elementen stark durchsetzten italie nischen Colonie von Paterson bisher noch nicht hat führen lassen. London, 31. Juli. Die Blätter widmen dem König Humbert tiefste Erschütterung wioerspiegelnde Nekrologe. Vielfach konstruiren die Blätter einen Zusammenhang zwischen der Freisprechung SipidoS und der milden Bestrafung Lucchenis mit Bressis Un- that. „Globe" meint, wenn man nicht zur Einsicht gelange, daß keine Strafe für solche Verbrecher zu streng wäre, werde bald der KönigSmord epidemisch werden. Die „Morning Post" sagt: Italien sei das Land, wo hungrige, blutdürstige Anarchisten großge zogen würden, wie Luccheni, Caserio, Bressi. Hätten das Genfer Strafgesetzbuch und die Brüsseler Richter nicht Mordgesellen vor dem Schicksal bewahrt, das sie verdienten, so hätte das vielleicht doch eine abschreckende Wirkung ausgeübt. Nunmehr müßten Maßregeln ge troffen werden, die Anarchistenpest in Europa auszu rotten. Auch die „St. James Gazette" empfiehlt, daß die ganze civilisirte Welt gegen die Anarchisten gefahr Front mache. Der „Daily Chronicle" meint, Italien hätte besser gethan, sich vom Dreibunde fern zuhalten. Es habe sich die tödtliche Last des Mili tarismus aufgebürdet. Auch die „Pall Mall Gazette" sagt mit Bezug auf den Dreibund, Italien habe zu hohen Zielen nachgejagt und vergessen, daß es ein armes Land sei, als es sich mit den Großmächten auf eine Stufe stellen wollte. London, 31. Juli. Oberhaus. Lord Salisbury befürwortet eine Adresse an die Königin aus Anlaß der Ermordung des Königs von Italien und erklärt, im letzten Jahrhundert seien drei Präsidenten von Republiken und zwei Monarchen ermordet worden. Das sei furcht bar, nicht nur wegen der Sympathien Englands für die Völker, die es betroffen, sondern auch wegen des schreck lichen Abgrundes menschlicher Verworfenheit, der sich dem Blicke öffne, und der in naher Zukunft die besten Interessen der menschlichen Gesellschaft bedrohe. Diese schreckliche That war durch kein Verschulden des Königs verursacht, der durch und durch Italiener war und über Italien mit nimmer ruhender Sorge wachte, der überall tiefstes Mitgefühl für sein Volk zeigte. Dieser Mann war es, den die geheime Gesellschaft auswählte und den der erbarmungslose Vollstrecker traf, gehorsam seinem Befehle. Man könne sie schwer als eine politische That, noch als einen Akt privater Rache ansehen, es sei die krankhafte Sucht nach Berühmtheit, die der Fluch der modernen Gesellschaft sei und die, wenn ihr nicht Einhalt gethan werden könne, die Existenz der Gesellschaft be- drohe. Ich werde, so fährt Salisbury fort, bei dieser Gelegenheit nicht von Heilmitteln sprechen, wenn es deren giebt, um diesem Zustande abzuhelfen, aber ich habe nie mals gezögert, meine Ansicht dahin auszudrücken, daß hinsichtlich dieser Verbrechen die menschliche Gesellschaft irrt, wenn sie aus Seite der Milde ist. Die Adresse wird angenommen. Paris, 31. Juli. Alle Blätter geben ihrer Ent rüstung über die Ermordung des Königs Humbert Aus druck. „Figaro" glaubt, daß der neue König dieselbe auswärtige Politik befolgen werde, wie sein Vater. „Ma- tin" sagt, alle Franzosen wünschten dem neuen König eine glückliche Regierung. Die Interessen der beiden Schwesternationen seien solidarisch. „Soleil" meint, der neue König übernehme die Herrschaft unter besonders schwierigen Umständen. „Röpublique franyaise" hofft, daß die zwischen Frankreich und Italien bestehenden Bande sich noch befestigen werden. „Eclair" sagt, wenn der neue König weise sei, werde er zu den Traditionen von Freiheit und Fortschritt zurückkehren, die früher seinem Lande Erfolge verschafften. „Petit Journal" spricht den Wunsch aus, daß das an König Humbert begangene Verbrechen Italien nicht in seiner friedlichen Entwickelung in fortschrittlicher Richtung aufhalten möge. „Rappel" räth dem neuen König zur Güte und Ge rechtigkeit gegenüber den Arbeitern und Landleuten „Siöcle" sagt, von der Weisheit der italienischen Demo« traten und Liberalen werde es abhängen, daß die Er mordung des Königs Humbert nicht zum Signal für eine rückschrittliche Bewegung werde. „Petite Mpublique" sieht voraus, daß die Politik Italiens keine Veränderung erleiden werde. Seine Schwester. Roman von Fanny Stöckert. 33. Fortsetzung (Nachdruck verboten.) Nein, wir lebten nach der Katastrophe ihrer Verlobung wie die Einsiedler, später zogen lvir dann hierher, Fred hat auch ihren Namen nie wieder ge nannt, aber ich fürchte, ganz vergessen hat er sie nie, eS war doch ein zu berückendes Geschöpf." „Dann mag der Himmel nur verhüten, daß sie nicht einmal hierher kommt, denn solche schönen, jungen Frauen von alten Männern sind bisweilen sehr ge fährlich, besonders wo, wie in diesem Fall, Erinner ungen mitspielen." „Aber Martin, Fred ist doch kein schlechter Mensch!" rief Melitta und wurde ganz roth. „Nein, das ist er nicht, aber schwach! Doch wo zu uns die glücklichen Stunden trüben durch solche Gespräche. Komm, Du wolltest ja noch die Milch kammer in Augenschein nehmen." „Ach ja, das interessirt mich sehr. Wie gut ist eS nun, daß ich auf L: udecken die Landwirthschaft unter Tantes Leitung auk dem ff habe kennen lernen, so endlos lang und trübe mir auch bisweilen dort die Zeit geworden ist." Harden erzählte dann von seiner Empörung, als bei seiner Anwesenheit damals auf dem Gute Melitta nach der Milchkammer geschickt wurde. Jetzt lachten sie beide darüber, und sahen in ihrer seligen Stim mung die Sache um vieles harmloser an. Von der Milchkammer ging es nach dem Pferdestall, die beiden Rappen, die dort an der wohlgefüllten Krippe standen, kannten die Damen schon, Melitta streichelte ihnen das glänzende, schwarze Haar, die schönen Thiere sollten sie ja dereinst mit dem Geliebten zur Kirche fahren, wenn ihr Hochzeitstag herangenaht. Harden befahl dem Kutscher, das Anspannen zu besorgen, der schöne Tag neigte sich dem Ende zu, im Hellen Mondenschein fuhr man dann durch den Wald, leise rauschte es in den Wipfeln der alten Buchen, traumhaft ertönte dann und wann eine Vogel stimme. „Das Leben schenkt uns doch bisweilen Stunden, die an Paradiesseligkeit heranstreifen," sagte Harden leise zu Melitta. »Zu selig, eS könnte einem bangen, daß solch Glück zu groß für unsere arme Erde." „Was sollte unser Glück wohl zerstören, Kind!" „Ich weiß es nicht, vielleicht ist es nur, weil ich so gar nicht an Glück gewöhnt bin, daß ich noch garnicht recht an mein Glück glauben kann." „Lerne nur daran glauben, hier meine beiden starken Arme, die sollen es schon festhalten!" Sie fuhren jetzt, den dunklen Wald hinter sich lassend, dem Badeorte zu. Heller Lichtschein leuchtete ihnen überall aus den Villen entgegen, vor Freds Wohnung, wo man noch einen Augenblick vorsprechen wollte, wurde ausgestiegen. Es war aber nur Flora anwesend, Fred sei noch zu einem Kranken gerufen worden, theilte sie den Ankommenden mit, das kam ja öfter vor, besonders jetzt, wo der Badeort von Gästen überfüllt war; und Niemand konnte ahnen, daß dieser Krankenbesuch ihnen allen zum Berhängniß werden und auch über das junge Glück Hardeus und Melittas seine Schatten werfen sollte. Hatte Fred vielleicht eine solche Ahnung, als sein Fuß wie zögernd über die Schwelle des Hauses schritt, wohin man ihn gerufen. Wie schwül war es in dem kleinen Vorzimmer, und dieses Parfüm, dieser feine Maiblumenduft, Carla hatte eS so geliebt, er hatte ihr selbst einmal eine solche Flasche von Lohse verehrt, die ziemlich theuer gewesen. — Eine Thür wurde jetzt geöffnet. „Herr Doktor, bitte wollen Sie hier hinein kommen!" vernahm er eine Stimme, die ihm das Blut zum Herzen trieb. Wieder zögerte sein Fuß, dann aber trat er fester. Schrittes näher. War sie es wirklich, was hatte er noch mit ihr zu schaffen! Er war nicht mehr der schrvache Knabe, der sich ihr damals in seiner ganzen Verzweiflung gezeigt, er war ein Mann geworden seitdem, der solche Schwächen längst abgestreift. Da stand sie wirklich vor ihm, im schleppenden, weißen Morgengewande, etwas blaffer, etwas schlanker, die dunklen Augen aber blickten eben noch so dürstend, so sehnend, so verlangend. „Verzeihen sie, Herr Doktor, daß wir so spät noch —" begann sie im leichten, gesellschaftlichen Tone, dann brach ihre Stimme Plötzlich ab. „Sie sind es! Sie Fred!" — „Dottor Brcnkech Badearzt hier in L., gnädige I Frau!" sagte Fred mit einer ceremoniellen Verbeugung Ein leides seltsames Lachen stahl sich von ihren Lippen und sie sagte: „Ja so, die Zeiten haben sich geändert. Jetzt heißt es, Herr Doktor und Frau Commerzienrath und nicht mehr Carla und Fred!" — „Um wessen willen bin ich hierher gerufen, gnädige Frau?" frug er. Carla biß sich auf die Lippen. „Bitte, mein Mann ist krank," sagte sie dann, „er ist kränker als gewöhnlich, er wünschte einen Arzt, da er große Schmerzen hat. Es sind die ersten Stadien von Gehirnerweichung, an denen er leidet," setzte sie leiser hinzu. Fred trat an das Lager des Kranken, untersuchte ihn und gab dann kurz und bestimmt seine Verord nungen. „Sie kommen doch wieder?" bat Carla, als er sich zum Gehen anschickte. „Der Arzt muß natürlich wiederkommen, wenn er einen solchen Patienten hat. Ihr Herr Gemahl ist sehr krank, und bedarf aufopfernder Pflege." „Sie wird ihm zu Theil, denn ich kenne meine Pflichten." Einen Moment nur ruhte sein Blick auf dem schönen blassen Gesicht mit den dunklen glänzenden Augen, dann verabschiedete er sich. Ihr Bild aber begleitete ihn dennoch und zwar ganz gegen seinen Willen. Fortsetzung folgt.
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