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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 22.04.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190004221
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000422
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000422
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-04
- Tag 1900-04-22
-
Monat
1900-04
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 22.04.1900
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vermischtes. * Zur Rheiukatastrophe bei Bingen, über die wir wiederholt berichteten, werden noch verschiedene Einzelheiten gemeldet, die das entsetztliche Unglück in seiner ganzen Ausdehnung beleuchten. Der authen- ische Sachverhalt ist folgender: Als der Philistercirkel „Rheingau- um 9 Uhr Abends am Ufer in Bingen erschien, hatten die beiden Schiffer, Brüder Hauck, jeder einen Nachen, der zehn Personen faßte. Da sie keinen größeren Nachen zur Verfügung hatten, nahmen sie einen ihnen nicht einmal gehörigen Sand kahn, der in Bingen gerade zur Reparatur am Ufer lag. Als der Kahn etwas vom Ufer entfernt war und bereits Wasser eindrang, wünschten die Insassen, zum Ufer zurückzukehren, wurden aber von den beiden Schiffern beruhigt, das eindringende Wasser habe nichts zu bedeuten. Es waren im ganzen 22 Personen eingestiegen, während der betreffende Kahn auf 15 Personen Tragfähigkeit geaicht gewesen sein soll. Unter dem Gesang „Santa Lucia- war man vom Ufer ab gestoßen und bereits eine gute Strecke infolge der Be ruhigung der beiden Schiffer gefahren, als der Kahn plötzlich langsam zu sinken begann. Es wird behauptet, daß sich der Boden des Nachens zum Theil gelöst und dadurch dem Wasser den Eintritt verschafft habe. Nach den Mittheilungen eines Geretteten drang das Wasser durch Fugen des Fahrzeuges ein, weil der Nachen durch langes Trockenstehen an seinem oberen Theil un dicht geworden war. Als das Wasser in dem Nachen immer höher stieg und sich der Insassen eine Panik bemächtigte, sprangen einige von ihnen über Bord. Dadurch habe das Fahrzeug das Gleichgewicht verloren, und damit sei die Katastrophe eingetreten. Durch den geretteten Hauck wurde berichtet, daß sich eine ganze Anzahl Personen eine große Strecke lang noch an dem treibenden Nachen hielt, bis dann einer nach dem andern ermattet versank, als einer der Letzten der Bruder des entsetzten Schiffers, Karl Hauck, mit dem jämmerlichen Schreckensrufe: „Franz, hilf' mir, ich kann nicht mehr halten!" An dem Unglücksabend herrschte starker Wisperwind, welcher stets nach Norden geht und infolge dessen das Vernehmen der Hilferufe erschwerte. Sofort wie das Schreien vom Rhein her als Hilferufen erkannt wurde, eilten eine ganze Reihe von Aßmannshausener Einwohnern aus ihren Häusern. Manche waren nur nothdürftig bekleidet. Bald war eine große Menschenmenge am Rhein versammel! und alle wasserkundigen Leute zur Stelle. Zum Unglück waren jedoch fast sämmtliche Kähne angeschloffen, so daß in der Aufregung nur zwei flott gemacht wurden. Nach einem anderen Berichte stimmte die fröh liche Gesellschaft, als sie vom Ufer abstieß, das Lied an: „Wir sitzen so fröhlich beisammen!" Nach kurzer Zeit nur sprang eine der Damen auf mit dem Rufe: „Mein Stiefel ist voll Wasser!" Dies veranlaßte auch die meisten anderen Personen sich zu erheben, wodurch der Nachen das Gleichgewicht verlor und umschlug. Die ganze Gesellschaft gerieth dadurch ins Wasser. Die Bingener Polizeiverwaltung erläßt eine amtliche Verlustliste, welche zum ersten Mal die richtigen Namen der Ertrunkenen bringt. Es sind dies: Wein händler Erb und Frau aus Winkel, Fräulein Ritter, Erzieherin bei Erb, Dr. Berberich aus Wiesbaden, die Capläne Weber aus Oestrich und Haun aus Elt- ville, Oberlehrer Rückert aus Neisse (Schlesien), die Theologiestudenten Badior, Engel und Ostern, sämmt- lich aus Geisenheim, die Schwester des Badior, Susanna, eine Tante von ihr, ein junges Mädchen Namens Wieger aus Geisenheim, ein sie begleitendes Fräulein, ein Herr Pfeifer aus Aulhausen, ein Herr Prinz von RüdeSheim, beide ebenfalls Theologie studenten, und der Steuermann Karl Hauck von Bingen, zusammen also 17 Personen. Bis gestern Abend waren nur drei Leichen bei Caub gelandet, und zwar die drei erstgenannten. Frau Erb und Fräulein Ritter hielten sich noch fest umschlungen. Von Dr. Berberich wird noch gemeldet, daß er ur- sprünglich beabsichtigte, mit seinen Freunden über Main, zu fahren. Nur der Familie Erb zu Liebe machte er die Rheinfahrt mit und fand so ein allzu frühes Ende. Auf seltsame Weise jedoch entging ein Ehepaar dem sicheren Tode. Beide hatten bereits in dem Nachen Platz genommen und wollten nun auch ihren kleinen Hund mit in den Nachen nehmen. Das Thier war aber nicht zu bewegen, den Nachen zu betreten, und wollte sich auch nicht einfangen lassen. Darauf blieb das Ehepaar, das auf den Hund nicht verzichten wollte, zurück. * Die Grausamkeiten im Kongostaate. Trotz aller Fortschritte in der Geschichte der Mensch heit kehrt das traurige Capitel von den Grausamkeiten, die civilisirte Nationen gegen wilde Völkerschaften be gangen, immer wieder. Man erinnert sich der blutigen Thaten der Conquistadoren und der unerhörten Bru talitäten gegen die Neger, wie sie Harriett Beecher Stowe uns in „Onkel Toms Hütte" schildert. Opti misten haben die Ansicht ausgesprochen, daß solche dunkelne Blätter der Geschichte auf ewig der Vergan genheit angehörten; der jetzige Stand der Cultur schließe eine Wiederholung derartiger Unthaten aus. Es scheint aber, als ob in den heißen Zonen der humane und gebildete Europäer seine Natur verändere und der sogenannte „Tropenkoller" ihn nicht selten dem reißenden Thier ähnlich macht. Was aus dem Kongostaate von den Thaten der Belgier berichtet wurde, die bisher doch nicht in dem Rufe eines grau samen Naturells standen, kann das Herz des Menschen freundes nur mit tiefer Trauer erfüllen. Ganz Brüssel und man darf sagen ganz Belgien sind tief bestürzt über diese Unthaten, die Belgier in dem Bezirke des Mongallastromes um der Gummiernte willen gegen die Eingeborenen verübt haben. Aber auch die Kongoregierung selbst ist über diese Unthaten so überrascht und entrüstet, daß sie gestern die sämmt- lichen Angaben und Enthüllungen der „Nieuwe Gazet" an den Generalgouverneur in Boma drahtlich über mittelt hat und ihn zugleich anwies, streng alle Ver antwortlichkeiten feststellen zu lassen und das Gesetz in seiner ganzen Strenge anzuwenden. Die umfang reichen, von Augenzeugen dem Antwerpener Blatte ge lieferten Enthüllungen sind in der That geradezu ver- blüffend. Es wird planmäßig gemordet, um Gummi einzusammeln. Wenn ein Dorf nicht genügend Gummi liefert, wird kurzer Proceß gemocht; eine Schaar far biger Soldaten umzingelt das Dorf und schießt blind hinein; an 50 bis 60 Farbige, Männer, Weiber und Kinder, werden getödtet; die Ueberlebenden arbeiten dann williger. Man steckt auch öfter nach der Um zingelung erst das Dorf in Brand und schießt dann hinein. Die schon an sich wilden farbigen Soldaten morden mit um so größerer Herzenslust, als ihnen ein Antheil an der Beute und Weiber versprochen werden. Diese Vorgänge wiederholen sich alle 4—6 Wochen. Und dazu werden noch Scheußlichkeiten ver übt, die man nicht unterschreiben mag, aber durch ge achtete Augenzeugen verbürgt werden. Bemerkenswerth ist aber noch Folgendes: Die Antwerpener Gesellschaft bezahlt den Farbigen für jedes abgelieferte Kilogramm Gummi, das sie in Europa mit 10—12 Fr. verkauft, 2 Mikato, d h. 20 Cts., nicht in baar, sondern in Perlen oder Stoffen. Aber auch das erhalten die Farbigen nicht. Die Handelsagenten legen ihnen tau sende Mikato Strafgelder auf, die vorweg abgezogen werden. Jeder Handelsvertreter erhält außer seinem Gehalte für jedes abgelieferte Kilogramm Gummi 15 Cts., jeder Zonenbefehlshaber 30 Cts., so daß die Letzteren sich eine Jahreseinnahme von 25 000 bis 40 000 Fr. machen. Und das alles wird nur durch Blut und Unthaten gewonnen. Wie aus Brüssel telegraphirt wird, interpelline in der gestrigen Sitzung der bel ischen Repräsentanten kammer der Abgeordnete Lorand die Slaatsregierung wegen der von einigen Blättern erhobenen Anklagen, daß eine Anzahl Belgier in der Provinz des Kongo staates Mongalla Grausamkeiten gegen Eingeborene begangen hätten. Lorand spricht die Erwartung aus, daß die belgische Regierung vom Kongostaat formelle Erklärungen und — falls sich die behaupteten That- sachen bestätigen sollten — strenge Bestrafung der Schuldigen gefordert habe. Die Convention von 1890 gebe Belgien das Recht, vom Kongostaat Erklärungen zu verlangen, um der Art und Weise, in welcher die Kautschukernte betrieben werde, ein Ende zu machen. Man verurtheile unter dem Vorwande, das Kongo- gcbiet zu civilistren, die Bevölkerung zur Zwangs arbeit. Das häufige Vorkommen von Aufständen sei geeignet, darzuthun, daß an den berichteten Thatsachen viel Wahres sein müsse. Redner beschuldigt die Han delsgesellschaften und erhebt gegen die Agenten der selben, insbesondere gegen Lothaire, die Anklage, grau sam vorzugehen. Sodann verliest Redner ein Schrift stück, welches die im Jahre 1897 gegen einen belgischen Oifizier erhobene Anklage bekräftigt, von dem gesagt werde, daß er durch seine Soldaten mehr als 1300 Negec-Hände habe abschneiden lassen. Dieses Schrift stück, welches von dem Hauptagenten einer Compagnie herrühre, besagt ferner, daß der Aequatorialbezirk ein ungei eures Knochenfeld sei. Redner zählt andere, dort vorgekommene Grausamkeiten auf und wünscht Be kanntgabe des Ergebnisses, welches die früher ernannte Untersuchungscommission zu Tage gefördert habe. Lo rand fordert zum Schluß von der belgischen Regierung energisches Einschreiten. Der Minister de- Auswärtigen de Favereau er klärt, der Kongostaat sei für Belgien ein fremder Staat, in dessen Angelegenheiten es sich nicht mischen könne. „Wir wollen", schließt der Minister, „beim Kongostaat vorstellig werden dahin, daß sich solche Vorkommnisse, wie die gemeldeten, nicht wiederholen, und daß bereu Urheber bestraft werden. Der Kongo staat hat übrigens bereits strenge Maßnahmen getroffen; er verbietet seinen Agenten, sich an Handelsgeschäften zu betheiligen. Er verbietet ihnen weiter, von ihren Waffen Gebrauch zu machen außer zu berechtigter Vertheidigung. Bezüglich der jüngst erhobenen An klagen hat der Kongostaat das gerichtliche Verfahren cingeleitet, obwohl für einige Vorgänge die amtliche Bestätigung noch aussteht.- — Damit war der Zwi schenfall erledigt. * Berlin. Ueber den allzn reichen Segen welchen der Klapperstorch über manche Familien bringt, entnehmen wir den Tabellen des städtischen statistischen Amtes aus dem Jahre 1898 folgende Daten: eine Mutter im Alter von 43 Jahren konnte ihr 27. Kind in das Geburtsregister eintragen lassen, vier Mütter, deren jüngste 39, deren älteste 45 Jahr alt war, konnten stolz das 20. Kind der Familie anmelden, fünf hatten es erst bis zum 19., acht bis zum 18., elf bis zum 17., 29 bis zum 16., 42 bis zum 15., 80 bis zum 14. und 126 bis zum 13. Kinde gebracht, wäh rend 196 das Dutzend gerade voll machten. Auf der andern Seite konnte eine Mutter im Alter von 16 Jahren bereits das zweite eheliche Kind beim Standes beamten anmelden. — Was die Eheschließungen be trifft, so heirmheten sieben Männer und 1406 Jung frauen im Alter unter 20 Jahren, ein Heirathslustiger war erst 18 Jahre alt, von den Bräuten waren 27 erst 16, 154 erst 17 Jahre alt. Ein Bräutigam stand im Alter von 72 Jahren, als er den bis dahin standhaft behaupteten Junggesellenstand aufgab, drei Wittwer schritten im Alter von 75 Jahren, einer imAlter von 77 Jahren zum Traualtar, ein Wittwer war sogar 82 Jahre alt, als „der Brautkranz seine Locken zierte." Letzterer war 14 Jahre ehelos geblieben, der 77 jährige sechs Jahre ehelos, von den 75 jährigen hatte einer die Ehelosigkeit nur vier Monate ausgehalten. Unter Wiltwen war eine 65 Jahre alt mit 7 Monaten der Ehelosigkeit, eine 67 Jahre alt mit 5 Jahren und ein 71 Jahre alte mit 19 Jahren der Ehelosigkeit. In 5468 Fällen der Eheschließung war die Frau älter als der Mann (in 266 Fällen 10 bis 15 Jahre, in 53 Fällen 15 bis 20 Jahre, in 14 Fällen 20 bis 25 Jahre älter), in 14012 Fällen war der Mann älter als die Frau, und zwar in 125 Fällen 20 bis 25 Jahre, in 44 Fällen 25 bis 30 Jahre, in 36 Fällen sogar 30 und mehr Jahre alter. Neun Wiedervereinigungen Geschiedener haben im Jahre 1898 stattgefunden, und zwar von einem Paare im 8. Monat, von 2 Paaren im 2. Jahre, von 2 Paaren im 3. Jahre, von 2 Paaren im 4. Jahre, von einem Paare im 5. Jahre und von einem Paare im 16. Jahre nach gerichtlicher Lösung der Ehe. Berlin, 19. April. Eine Aufsehen er regende Verhaftung in der Medenwaldt'schen Mord sache ist heute erfolgt. Der in demselben Hause wie die Ermordete wohnhafte Tischlermstr. Gluth ist mit seinen beiden Söhnen Georg und Willy zur Aufklä rung gewisser Widersprüche festgenommen worden. Nach dem von der Polizei zusammengetragenen Be lastungsmaterial ist der jugendliche Willy Gluth schwer verdächtig. Auch der Vater wird sich von gewissen Verdachtsgründen zu reinigen haben. Der Verhaftung Mes verkehrt. Humoreske P. v. Rohr. Nachdruck verboten.) Der Assessor Karl von Degen zählte bereits 28 Jahre und hatte immer noch keine feste, auskömmliche Anstellung. Zudem war das kleine Vermögen, wel ches er von seinen verstorbenen Eltern geerbt hatte, bis auf einen kleinen Rest aufgezehrt. Da mußte etwas Durchgreifendes geschehen. Das Durchgreifendste war eine reiche Heirath, und die wollte er machen. Er besaß in einem kleinen thüring'schen Landstädtchen einen bürgerlichen, aber reichen Onkel, so nannte er ihn wenigstens, obwohl die Verwandtschaft ziemlich ent fernt war. Dieser Onkel besaß die schuldenfreie Apo theke in dem schönen Landstädtchrn Freiberg. Sein einziges Kind, eine Tochter von jetzt 19 Jahren, erbte nach Schätzung des Assessors einst mindestens zwei- hunderttausend Mark. Für diese Summe konnte er schon eine Mißheirath machen. Er kam um Urlaub ein, den er auch sehr bereitwillig auf drei Wochen er hielt. Es war im Juni, und in Berlin, wo der Assessor wohnte, wurde es schon bedenklich schwül. Eine Reise nach Thüringen, zu Onkel Beckmann, bot daher zu gleicher Zeit eine schöne Sommerfrische. Be- vor der Ässeffor in Freiberg anlangte, hatte er sich, aus eigener Macht, zum Regierungsrath ernannt. Man mußte den Leuten doch imponieren. Dem Pseudo-Rath gelang es bald, das ganze Beckmann'sche Haus für sich einzunehmen durch ge wandtes und liebenswürdiges Benehmen. Alle hatten sie ihn gerne, der gutmüthige Apotheker und seine be- scheidens Frau, die stattliche und hübsche Cousine, ja selbst Fritz, der Stößer und Anna, die behäbige Köchin. Nur der Provisor, Herr Karl Berger, machte sich nicht viel aus dem feinen, eleganten und seiner Ansicht nach aufgeblasenen Regierungsrath. Der Assessor achtete kaum auf diesen Herrn, der den ganzen Tag in der Apotheke thätig war, den er nur bei den gemeinsamen Mahlzeiten sah, und der in seiner altmodischen Kleidung, seinem etwas wüsten Haar einen wenig vortheilhaften Eindruck machte. In dem schönen Garten hinter der Apotheke be fand sich ein geräumiges Gartenhaus, das sogar einen Keller auswies. Der Assessor hatte am dritten Tage seiner Anwesenheit gerade sein Mittagsschläfchen ge halten und stand nun am offenen Fenster seines Schlaf zimmers, von wo er den Garten übersehen konnte, da sah er den Provisor im Gartenhaus verschwinden. Er hätte es kaum beachtet, wenn jetzt nicht die hübsche Cousine ebenfalls erschienen und im Gartenhaus ver schwunden wäre. „Ein Stelldicht in!" dachte der Assessor und mußte so denken. Er wollte Gewißheit haben und eilte gleichfalls in den Garten. Hier traf er auf Anna, die Köchin. Dieser sprach er von seinem Arg wohn. Diese aber lachte in ihrer derben Art und erklärte dann, daß Fräulein Therese Beckmann und der Herr Berger nur ein Festgedicht cinübten, zur fünf zigsten Geburtsragsfeier des Herrn Beckmann, die über ¬ morgen stattfinden sollte. Dann aber drückte sie ihre Zufriedenheit aus über die gute Idee, daß Thereschen und der Provisor ein Paar werden könnten. Diesem Wohlgefallen Mb sie auch Ausdruck, als die beiden jungen Leute wieder auf dem Plan erschienen. Therese wechselte die Farbe bei dieser Andeutung, und Berger eilte schleunigst in die Apotheke. Anna wurde vom Assessor mit einer schroffen Zurechtweisung in die Küche gesandt, dann wandte er sich an die Cousine, deren Verlegenheit ihm gerade nicht gefiel, und stellte seine Aeußerung als einen übereilten aber harmlosen Scherz hin. Therese aber blieb auffallend stumm, so daß er wirklich stutzig wurde und den Ent schluß faßte, einem vielleicht auskeimenden LiebeSver- hältniß zwischen den Beiden bei Zetten ein Ende zu machen. Er suchte daher den Apotheker auf und sprach von seinem Verdacht. Der Apotheker aber nahm die Sache leicht und meinte lächelnd: „Das wäre kein Unglück!" Der Assessor gab seinem Erstaunen und Unwillen offen Ausdruck, um so mehr als die Tante, die eben zu ihnen trat, ganz der Meinung ihres Mannes war. Der Assessor rief außer sich: „Wie? Sie finden die Kühnheit dieses mittellosen Provisors nicht un erhört?" „Nein," sagte ruhig Frau Beckmann, „warum sollten wir unser Kind unglücklich machen, nur um des elenden Geldes willen?" DaS war dem Assessor zu arg, er eilte davon, ganz erbost. Nun konnte er nicht einmal mit seiner Werbung kommen. Und er selbst hatte alle Betheiliaten auf einen Gedanken gebracht, den keiner von allen noch ausgesprochen, vielleicht nicht einmal gefaßt hatte. Der Provisor mußte aus dem Hause, er wollte ihn bei seinem Ehrgefühl fassen und ihm zeigen, wie schmählich die Rolle eines Mitziftjägers sei. Er suchte ihn sofort in der Apotheke auf und sagte: „Meinen Glückwunsch, Herr Berger! Ihre Aktien stehen gut, Braut und Mitgift sind Ihnen sicher!- Ec wußte es so zu drehen, daß Berger sich selbst verächtlich vorkam als Mitgiftjäger und das Versprechen gab, in den ersten Tagen seine Stellung aufzugeben. Zufrieden verließ dcr Assessor die Apotheke, stolz auf sich selbst. Als bald darauf Beckmann die Apo theke betrat, sagte Berger: „Ich habe soeben einen Brief erhalten, der mich dringend nach Hause ruft. Ich möchte Sie daher bitten, mich sobald wie möglich zu entlassen!" Das aber kam dem Apotheker alles zu sonderbar vor und er stellte ein Examen an, bis er alles wußte. Dann sagte er: „Ich will klar sehen in der Sache! Kommen Sie mit mir, Herr Berger!" Sie traten in das Nebenzimmer, wo Therese gerade weilte. Beckman., wandte sich sofort an diese mit den Worten: „Denke Dir, Herr Berger will uns verlassen! Was sagst Du dazu? Nun, bist Du stumm geworden? Er will fort für immer, am liebsten sofort! Antworte, was hälft Du davon?" „Was soll ich dazu sagen?" Das klang zwar ruhig, aber ihre Wangen brannten. „Ich habe die Entscheidung in Deine Hand ge legt, Therese! Der Herr Vetter aus Berlin hat Dich mit Herrn Berger ins Gerede gebracht, und nun ge bietet es diesem Herrn hier die Ehre, uns sofort zu verlassen! Nicht wahr, Herr Berger?" „So ist es," kam es wie ein Schluchzen aus Bergers Mund, so daß Therese plötzlich die Augen auf sein Angesicht richtete. Die Blicke der beiden jungen Leute trafen sich — ein Jeder wußte im selben Augenblick, daß er geliebt werde. Dem spähenden Apotheker entging nichts. „Nun, soll er gehen oder bleiben?" fragte er energisch. „Er soll beiden," kam es von Theresens Lippen. Berger stieß einen Frcudenruf aus, daß Theresens Augen feucht wurden, und der Apotheker sich vor Ver gnügen die Hände rieb. „Sie haben gehört, Herr Berger? Sie bleiben?" „Ich bleibe!" „Darauf gebt Euch Beide die Hände!" Während der Provisor auf Theresen losschritt, verschwand der Apotheker plötzlich aus dem Zimmer. Berger nahm Theresens Hand. Fünf Minuten später hatte er seine Liebe gestanden. Sie suchten Hand in Hand Theresens Eltern auf. Am Abend beim Geburtstagsmahl kündigte der Apotheker den zahlreich versammelten Gästen die Verlobung seiner Tochter mit Herrn Berger an. Der Assessor konnte vor Aerger nichts essen. Er kam sich wie ein Spielball eines bösen Geschickes vor. Alles ging anders, wie er es wollte, alles ging ver kehrt. In seinem Aerger trank er mehr, als ih n gut war. Am anderen Morgen war daher seine Stimmung eine sehr böse. Dieser schlimmen Stimmung verlieh er Ausdruck, als er, wie täglich, dem Barbier sein Gesicht zum Rasieren darbot. Der Barbier war ein junger Schwätzer und Wichtigthuer. So sagte er mit wichtiger Miene: „Mußte so kommen, Herr Rath!" „Wieso n.ußtt es so kommen?" knurrte der Assessor. , , „Der P: wisor hat den Apotheker vollständig in der Hand!" „Schwatzen Sie doch keinen Unsinn!" Worte und Ton ärgerten den jungen Windbeutel so sehr, daß er sich vergaß und unüberlegt sagte: „Ein Verbrechen kettet die Beiden aneinander!" „Sie sind wohl verrückt geworden!" Der Barbier wollte erst nicht mit der Sprache heraus, bekannte aber schließlich, daß er den Apotheker und seinen Provisor für Banknotenfälscher halte, daß alle die falschen Fünfzigmarkscheine, die jetzt so viel in der Welt kursierten, hier in der Apotheke, im Keller unter dem Gartenhause entstanden seien. Er selbst habe das Papier dazu im Keller liegen sehen. Auch habe er erspäht, daß die beiden Falschmünzer abends nach zehn oft in den Keller schlichen. Wohl eine Stunde lang verhörte der Assessor den Barbier und brachte durch Drohungen und Ver sprechungen so viel aus ihm heraus, daß er selbst stutzig wurde und den Entschluß faßte, die Sache zu verfolgen. Er empfahl dem Barbier tiefes Stillschweigen und entließ ihn dann. Erst beim Mittagsessen traf der Assessor mit der Familie Beckmann und mit Berger zusammen. Die Stimmung war aber eine so fröhlich harmlose, daß er den Verdacht des schwatzhaften Bar biers lächerlich fand. So kündete er für den nächsten Tag seine Abreise nach Berlin an. Am Abend begab er sich früher als sonst zur Ruhe. Er stand am Fenster seines Schlafgemachs, da schlug die Kirchenuhr die zehnte Stunde. Kaum war der letzte Ton verklungen, da sah er den Apotheker mit dem Provisor zum Gartenhaus schleichen. Der Assessor stand starr vor Staunen da. Sollte der Barbier dennoch recht haben? Nachdem die beiden Apotheker im Gartenhaus verschwunden waren, eilte auch der Assessor an das Gebäude. Zu seinem größten Aerger fand er alles so fest und dicht verschlossen, daß nicht einmal ein Lichtschimmer zu sehen war. Erst gegen Mitternacht kamen die beiden Ver brecher wieder hervor und begaben sich in daS Wohn haus. Am andern Morgen ersuchte der Assessor den Apotheker um eine geheime Unterredung. Als er dem Onkel gegenüberstand, sagte er ohne Umschweife, waS er am vergangenen Abend entdeckt habe. Unangenehm überrascht sagte der Apotheker: „Ich hoffe, Sie machen keinen Gebraucht davon, lieber Neffe! Es wäre mir sehr fatal, wenn die Regierung davon erführe!" „Sie meinen die Staatsanwaltschaft," antwortete der Assessor streng. „Ach was! Höchstens geht es den Strafrichter an! Das Gesetz ist zu streng in diesem Punkte!" „Im Gegentheil! Onkel, Onkel! Wie konnten Sie sich so weit vergessen! Ein Mann in Ihrer Stellung!" „Mein Gott, ein jeder Mensch hat sein Stecken pferd!" „Steckenpferd — Falschmünzerei!" „Was?" Besorgt schaute der Onkel den Neffen an und bat dann um Aufklärung. Als ihm die;e ge worden, wollte er sich todt lachen. Dann erklärte er, daß sie nicht falsches Geld, wohl aber einen blut reinigenden Schweizerthee dort im Keller machten. Ein Geaeimmittel, welches die Regierung verboten hätte, aber von den Leuten sehr verlangt würde. Vernichtet sank der Assessor auf einen Stuhl und stöhnte: „Alles verkehrt!" Dec Apotheker fühlte Mitleid mit ihm. Zwei Stunden später rrat der Assessor die Rückreise an, nachdem ihm der Onkel einige Hundert Mark vorge streckt und einen Empfehlungsbrief an einen sehr reichen Freund mitgegeben hatte, dessen Tochter besser für den angehenden Minister passe als sein Thereschen.
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