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Kirchliche MchrWen Monatliche Keigabe;«m „Tageblatt". Redigirt von Pfarrer B. Alvrecht in Hohenstein-Ernstthal, an den alle diesbezüglichen Sendungen zu richten sind. Mai-Ausgabe. Nr. 5. 1900. Ein großes Wort. von Ric. Ludw. 8ras von Zinzendorf. Merk, Seele, dir das große Wort: wenn Jesus winkt, so gehl wenn Er dich zieht, so eile fort! wenn Jesus hält, so steh! wenn Er dich lobet, bücke dich! wenn Er dich liebt, so ruh! wenn Lr dich aber schilt, so sprich: Ich brauch's, Herr, schlage zu! wenn Jesus seine Gnadenzeit bald hier, bald da verklärt, So freu' dich der Barmherzigkeit, die Andern widerfährt l wenn Er dich aber brauchen will, so steig' in Kraft empor! wird Jesus in der Seele still, so nimm auch du nichts vor! Kurz, dein und unser Aller Herz sei von dem Tage an, Bei Schmach, bei Mangel und bei Schmerz dem Herren zugethan. Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott besteh'n, wenn ich zum Himmel werd' eingeh'n." Welcher evangelische Christ kennte dieses Lied nicht und möchte eS sich nicht aus seinem Sterbebette versagen lassen! Und welches christliche Ehepaar hätte nicht beim Beginn der gemeinsamen Lebenswege l> gebetet: „Jesu, >,eh' voran auf der Lebensbahn!" Wo ist endlich eine christliche Gemeinschaft, die nicht schon angestimmt hätte: „Herz und Herz, vereint zusammen sucht in Gottes Herzen Ruh!" Das sind die drei bekanntesten Lieder deS ManneS, dessen am 26. Mai in der qanzen evangelischen Christenheit ge dacht wurde. Denn es sind 200 Jahre verstrichen, seit NicolauS Ludwig Graf von Zinzendorf u. Pottendorf in Dresden das Licht der Welt erblickte. Er stammte aus einem »racken, in Oesterreich angesessenen adeligen Geschlecht, das im Jahre 1662 in den Reichsgrafen- stand erhoben ward. Schon im Zeitalter der Reformation hatten sich seine Voreltern der reinen Lehre zngewandt und sein Großvater verließ um der Gewissensfreiheit willen seine heimathlichen Erbgüter und siedelte sich in Franken unweit Nürnberg an Sein Vater, ein frommer Staatsmann, und Kursächsischer Minister, ein Freund deS bekannten „Pietisten" PH. I. Spener, starb schon 6 Wochen nach des Kindes Geburt, seine Mutter verhe, rathete sich nach vierjährigem Wittwcnstande wieder. Ludwig aber ward von 1704 vis 1710 von seiner Großmutter, Catharina von Gersdorf in Großhennersdorf in der Oberlausitz christlich im Spenerschen Geiste erzogen. Schon in seinem 4 Lebensjahre faßte der frühreife Knabe den Vorsatz, „ein treuer Diener des gekreuzigten Heilandes zu werden" und gewöhnte sich „mit dem Heiland brüderlich umzugehen". Kaum hatte er schreiben gelernt, so schrieb er zärtliche Briefe an den Heiland und warf sie zum Fenster hinaus, in der Zuversicht, daß der HErr sie empfangen und lesen würde. Schon damals galt von ihm, was er später von sich sagte: „Ich habe nur Eine Passion und die ist Er, nur Er." Frühzeitig wurde sein warmes Herz durch tiefsinnige Speculationen versucht, aber durch Abkehr seines Willens überwand er entschlossen und für immer diese Anfechtung. Als 10jähriger Knabe wurde er dem Pädagogium in Halle übergeben, das damals der ehrwürdige Gründer A. H. Franke (bekannt als Gründer des Halleschen Waisenhauses) noch selbst leitete. Hier war Zinzendorf in seinem Element, wenn auch von mancher Seite ihm seine Jugend verbittert wurde. Hier hat der gottbegnadete Sänger manch schönes Lied gedichtet. Mit einigen Mitschülern errichtete er einen frommen Bund, dessen Mitglieder sich zuerst „Tugcndsklaven", dann „die Gesellschaft der Bekenner Jesu Christi", endlich „den Senfkoru-Orden" nannten. Ihr Siegel war ein Laes üomo (Christus mit der Dornenkrone) mit der Unterschrift: Mstra Möckeln (unserer Wunden Heilung). — Nach einem Besuch, den der Mis sionar Ziegenbalg 1715 mit einigen getauften Malabarcn in Halle gemacht, schloß Z. mit seinem besten Freunde Friedrich von Wattewille noch einen besonderen Bund „zur Bekehrung der Heiden und zwar nur solcher, an die sich sonst Niemans machen würde." So wurde seine Schulzeit eine Weissagung seiner künftigen Werke. Als 16jähriger Jüngling bezog Z. die Universität Wittenberg. Hier mußte er, der so gern Theologie studirt hätte, nach seines Oheims und Vormundes Willen, die Rechte studiren und seine vortrefflichen Gaben „zu einer ehrenvollen Laufbahn im Staatsdienste aus bilden". Aber auch als Student blieb er seiner glühenden Liebe zum Hei land treu und feierte das Jubiläum der Reformation 1717 mit einem Bußliede. Er versuchte, zwischen dem „pietistischen Halle„ und dem „ortho doxen Wittenberg" Frieden zu stiften und brachte wenigstens eine nicht uniruchlbarc Unterredung zwischen dem strenggläubigen Oberho'prcdiger Löscher in Dresden und A. H. Franke zu Stande. Die gegenwärtigen Leiter seiner Jugend, die seinem auf daS geistliche Leben gerichteten Sinn ine Nahrung entziehen wollten, welche derselbe in Wittenberg wie in Halle gsiunden, versetzten ihn nach Utrecht in Holland, wo er an seinem 19 Ge- ourtStag ankam. Unterwegs sah er in der B'.ldergallerie zu Düsseldorf daS Bild deS d^rvengckrönten Christus mit der lateinischen Unterschrift' „DaS that ich für dich, was thust du für mich?", was einen tieien Eindruck brr ihm zurückiicß. In Utrecht widmete er sich außer seinen juristischen Stu dien auch theologischen Arbeiten und 'ernte englisch. Nach einiger Zeit setzte er seine Mauserung nach Paris fort, wo andere junge deutsche Edel leute damals uur die Zerstreuungen der üppigen Stadt und die Vergnüg ungen des HofeS suchten. Er lebte daselbst nicht nur in lauterer Sittcn- reinheit, sondern suchte auch die Bekanntschaft ernster Christen unter den katholischen Priestern und Bischöfen auf und trat selbst in einen vertrau lichen Verkehr mit dem frommen Erzbischof von Paris, Cardinal NoailleS. Rach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er m Halle aufgefordert, in den Franeeschen Stiftungen die Stelle deS verstorbenen Baron von Can stein, der dort die erste Anstalt zur Bbe,Verbreitung gestiftet, einzunehmen. Aber die S-inigen versagten ihm die Einwilligung, weil sie die Absicht sesthielten, ihn im sächsischen Staatsdienste aufsteigen zu lassen. Er ge horchte und wurde im Herbste 1721 als Hof- uud Justizrath bei der Landesregierung angestellt. Dieses Amt bekleidete er nur dem Namen nach, da seine Pflichten nur geringe waren. Er selbst sah seine eigentliche Lebens aufgabe darin, dem Herrn Jesu „Seelen zu gewinnen." Am 7. Sept. 1722 verheirathete er sich mit Erdmutha Dorothea Gräfin Reuß und kaufte von seiner Großmutter das Gut Berthelsdorf, zu welchem der un bebaute Hutberg gehörte. Am 22. Deccmber 1722 besuchte der Graf zum ersten Male mit seiner Gemahlin die neuerworbcne Besitzung Der Weg führte die Reisenden im Winterduvkel am Fuße des HutbergeS vorbei und da erblickten sic im Walde ein Licht, das aus einem neucrbauten Hause herüber leuchtete. ES war das Haus der ersten auSgewandcrten mährischen Brüder, welches diese am 17. Juni dieses Jahres auf des Grafen Grund und Boden erbaut hatten. Er trat in die Hütte ein, bewillkommnete freundlich die Bewohner, fiel mit ihnen auf die Kniee nieder und betete inbrünstig um Gottes Segen für die neuen Ansiedler. Dies ist der An fang von Herrnhut. Mehr und mehr wuchs die Zahl der Glieder der um ihrer Glaubens willen bedrückten böhmischen und mährischen Brüder gemeinde, die hier ihre neue Heimath suchten und fanden. Und mehr und mehr erkannte Z, daß hier daS Werk sei, das ihm Gott befohlen habe. Im Verein mit dem Prediger Rothe in Berthelsdorf übernahm er die Leitung der neuen Gemeinde, der er 1724 ein Gemeindehaus baute. Ja er legte sein StaatSamt in Dresden, wo er allsonntäglich in seinem Hause religiöse Versammlungen abzehalten hatte, nieder, und trat in den geist lichen Stand ein, nachdem er in Stralsund und Tübingen die theologische Prüfung bestanden hatte. Im Jahre 1737 ließ er sich durch den mähri schen Bischof Jablonsky in Berlin durch Handauflcgung zum Bischof der Brüdergemeinde weihen. Wenn nun diese Gemeinde aus den verschieden sten Elementen bestand, so suchte Z. den consissionellen Zwistigkeiten da durch zu begegnen, daß er sein Werk nur auf die Predigt von Jesn Blut und Tod gründete und übrigens darin lutherische, resormirte und mährische Lehre gelten ließ. Er selbst wollte Lutheraner bleiben, sich aber „mit seinem Zeugniß nicht an Eine Religion bilden". „Ich bin mich Alle» schuldig." Wer könnte die Orte alle zählen, wo er dem Heiland Seelen zu gewinnen suchte, ohne Unterschied unter Hohen und Niedrigen! Von der Schweiz bis Rußland, in Berlin und in der Wctterau, in Holland und England, und bis Nordameriki, bis in die Hütten der Negersklaven