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Meickm-EriiWler TaMN. Amtsblatt. Sonntag, den 6. Mai t900. 2. Beilage. Die Festtage i» Berlin. Berlin, 4. Mai. Ein blauer Frühlingshiminel lacht nieder auf die Reichshauptstadt, in goldenes Licht getaucht sind die Plätze, eine froh gestimmte und festlich gekleidete Menge fluthet durch die beflaggteil Straßen - Berlin begeht beute einen Feiertag in jener freudigen Er regung, die alle Ereignisse, die das vaterländische Ge fühl bewegen, immer zu begleiten pflegen. Schon in den frühen Morgenstunden machte sich eine förmliche Völkerwanderung bemerkbar, und mau hatte die kleber- zeuguug, daß die Massen von schaulustiger Neugier erfüllt waren. Sic wollten sehen und theilnehmen an all dein Prächtigen, was vor aller Augen vorüberzog. Die Stadt halte ihr Prunkgelvand angelegt, der opfer freudige Gemeinsinu der Bürgerschaft trat in den theilweise herrlichen Decorationen zu Tage, den schönsten Festschmuck hatte allerdings der Frühling gespendet mit seiner leuchtenden Sonne und dem zarten, jung fräulichen Grün, das heute noch nichts weiß von dem Staub uud der stickigen Luft der Großstadt. Nament lich aber war es auch ein Feiertag für Jung-Berlin, die kecken Jungen und Mädchen waren den dumpfen Schulstuben und dein Bakel des Magisters entronnen. Leuchtenden Auges folgten sie in echt kindlicher Freude den farbenprächtigen Vorgängen. In den Vormittagsstunden stauten sich besonders ungeheure Menschenmengen in der Umgebung des Potsdamer Bahnhofes. Als nach der Ankunst des Kaisers Franz Josef beide Kaiser aus den Empfangs räumen vortraten, und die Wagen bestiegen, brach ein nicht endenwollender Jubel aus. Hurrahrufe donnerten durch die Luft, Hüte und Tücher wurden geschwenkt, und alles drängte nach der Mitte, um den Kaiser von Oesterreich aus nächster Nähe sehen und begrüßen zu können. Kaiser Franz Josef dankte heiter lächelnd nach allen Seiten hin, und Kaiser Wilhelm war sichtlich auf das freudigste davon berührt, daß die Berliner feinem Kaiserlichen Verbündeten einen so überaus warmen und herzlichen Empfang schon beim ersten Betreten des Berliner Bodens bereiteten. Von den Garde du Corps eskortirt, fuhren die Herrscher nach dem Potsdamer Platz zu, und immer stürmischer und immer mehr begeistert jubelten ihnen die Menschen massen zu, die iu undurchdringlichen Reihen die Stra ßen erfüllten. Den' beiden Kaisern folgten in einer zweispännigen Equipage der Kronprinz und Prinz Heinrich, und darauf verließen Prinz Albrecht, die anderen Fürstlichkeiten und das Gefolge den Bahnhof. Viel bewundert wurde das österreichische Gefolge, namentlich der Minister des Auswärtigen, Graf Go- luchowski, der gleich bei der Ankunft mit seinem deut schen „Cvllegen", dem Grafen von Bülow, ein sehr lebhaftes Gespräch geführt hatte, daun die General- Adjutanten, General der Kavallerie Graf Paar, Feld- zeugmeister Graf Bolfras, der Chef des Generalstab cs, Feldzeugmeister Freiherr v. Beckh uud alle die klebrigen in ihren schmucken uud blitzenden Uniformen. Je mehr sich der Zug dem Potsdamer Platz näherte, desto mehr schwollen die begeisterten Begrüßungsrufe an. Kaiser Wilhelm, sichtlich erfreut über den schönen An blick, den dieser vornehme Berliner Platz in blendendem Sonnenschein mit seinen teppich- und guirlandengeschmück- ten Prunkgebäuden bot, machte wiederholt seinen hohen Gast auf alles aufmerksam. Als der Wagen in die vornehme Bellevuestraße mit ihren prächtigen, im saftigsten Grün prangenden Villen cinbog, erregte die iin Vorgarten des neuen Künstlerhauscs ausgestellte Kolossalbüste des Kaisers Franz Josst, modellirt von Professor Menzel, die besondere Aufmerksamkeit der beiden Kaiser. Auf dem Pariser Platz begrüßten die städtischen Behörden den Kaiser von Oesterreich. Der Platz bot ein reiches und festliches Bild. Am Eingang der Straße Unter den Linden war der kolossale Triumphbogen errichtet, der das Brandenburger Thor beinahe überragend, im hohen Bogen den Durchblick auf die maienfrische Allee freiließ, die von den Spalier bildenden Truppen des Gardekorps eingefaßt war. Den Triumphbogen selbst krönte ein Zelt, von dem aus, als die Hurrahs der Kriegervereine und die Hochrufe des Publikums vor dem Brandenburger Thor laut wurden, schmetternde Fanfaren die nahenden Monar chen begrüßten, Die Eskorte ritt im Schritt durch den Mittelbogen des guirlanden- und sahnengeschmückten Brandenburger Thores ein, der Wagen, in dem Kaiser Franz Joses und Kaiser Wilhelm saßen, hielt Ober bürgermeister Kirschner, mit der goldenen Amtskette ge schmückt, trat vor und hielt eine Ansprache. Freundlich lächelnd erwiderte Kaiser Fran; Josef auf die Begrüßungs rede: „Ich danke Ihnen, Herr Bürgermeister, für die herz liche Begrüßung und bin hocherfreut über den prächtigen Empfang, den Mir die Stadt Berlin durch ihre Vertreter bereitet hat. Ich sehe darin einen neuen Beweis, daß die unverbrüchliche Freundschaft, die Mich mit Ihrem erhabenen Herrscher vereint, auch hier wie bei uns in der Bevölkerung vollen Widerhall findet. Ich bitte Sie, der Bürgerschaft der Reichshauptstadt Meinen herzlichsten Dank und Gruß zu entbieten" Darauf begrüßte die Tochter des Oberbürgermeisters den Kaiserlichen Gast mit einigen von Ernst v. Wildenbrnch gedichteten Versen Unter den Linden präsentirten die ausgestellten Truppen an Fenstern und auf Dächern der reichgeschmücktcn Häuser jubelnde Menschen, auf den Trottoirs eine iest sich stauende Menschenmenge. In der russischen Botschaft hatte sich das diplomatische Korps eingefunden, um hier dem Einzug beizuwohnen. Auch der dem Schlosse zu nächst gelegene Theil der Linden bot ein farbenprächtiges Bild. Bereits in früher Morgenstunde war die un mittelbare Umgebang des Schlosses abgesperrt worden, um für die Parade und für die Salutbatterie im Lust garten beizeiten genügend Platz zu schaffen. Im Lust garten war die Leibbatterie des I. Gardefeldartilleric Regiments zur Abgabe des Saluts aufgefahren. Sobald die Majestäten am Denkmal Friedrichs des Großen unter den Linden vorübcrfuhren, siel der erste Salutschuß und die Truppen präsentirten. Bei der Aufstellung des Alexander Regiments verließen die Majestäten den Wagen und schritten die Front dieses Regiments, sowie das Kaiser Franz-Garde-Grenadier-Regiment ab und nahmen darauf vor dem Hauptportale des Schlosses Aufstellung. Nun erfolgte der Vorbeimarsch des Kaiser Alexander-Garde- Grenadier-Regiments, des Kaiser Franz-Garve-Grenadier- Regiments und des Königin Augusta Garde-Grenadier- Regiments, denen sich die Leibeskadron des Regiments Gardes du Korps und die Salutbatterie anschlossen. Sobald die Truppen vorüber waren, begaben sich die Majestäten unter den Hurrahruien der Anwesenden ins Schloß, wo der Kaiser Franz Josef von Ihrer Majestät der Kaiserin mit den Prinzessinnen des Königlichen Hauses empfangen wurde. Als die Majestäten das mit den beiden Rossebändigern gezierte Portal, Geschenke des Kaisers Nikolaus von Rußland, betraten, wurde die Standarte des Kaisers von Oesterreich und Königs von Ungarn auf dem Schlosse gehißt. Bald daraus sand im Königlichen Schlosse bei den Majestäten Familien-Früh- stückstafel statt, an der theilnahmen Kaiser Franz Josef, der Großherzog und die Großherzogin von Baden, Prinz und Prinzessin Hcin-ich Prinz Friedrich Leopold, Prinz Albrecht von Preußen, der Kronprinz, die Prinzen Eitel Friedrich und Adalbert und die Prinzessin Feodora von Schleswig-Holstein. Kaiser Franz Josef besuchte nach mittags die hier anwesenden Mitglieder der Königlichen Familie, sowie den Großherzog und die Großherzogin von Baden und ließ seine Karte beim Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe und dem Staatsminister Grafen v. Bülow abgeben. Später begab sich Kaiser Franz Josef in der Uniform seines 16. preußischen Hnsarenregiments nach dem Mausoleum in Charlottenburg, wo er zwei Kränze an den Särgen Kaiser Wilhelms des Groszen und der Kaiserin Augusta niederlegte. Ferner lies; Kaiser Franz Josef im Potsdamer Mausoleum am Grabe Kaiser Friedrichs einen Kranz niederlegen. Nach der Rückkehr von Charlottenburg stattete Kaiser Franz Joses dem Prinzen Albrecht, dem Erbprinzen von Hohenzollern und sümmtlichen Botschaftern Besuche ab. Bei der Galatafel am Abend im König!. Schlosse brachte Kaiser Wilhelm einen Trinkspruch aus, worin es heißt, es werde dem Kaiser schwer, Worte des Dankes zu finde» für den Besuch, da Worte verstummen, Ivo sich der Pulsschlag des gejammten Volkes fühlbar mache, der dem Kaiser Franz Josef heute entgegen ge schlagen habe, wie wohl noch nie. Der jubelnde Em pfang gelte zunächst des Kaisers Franz Josef erhabener Person. Aber das deutsche Volk sehe auch iu dem Kaiser Franz Josef den treuen Freund und Bundes genossen des Kaisers Wilhelm seines Großvaters nnd des Vaters des Kaisers. Nun sei Kaiser Franz Josef