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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.05.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190005205
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000520
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000520
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-20
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.05.1900
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MMkiiEnMalkr TWkdlM Amtsblatt. Sonntag, den 20. Mai 1900. 1. Beilage. Nr. 115. Potttische Wochenschau. Im Reichstag hat der heftige Kampf um die lex Heinze begonnen, welcher die Entscheidung in dem siebenjährigen Kriege bringen soll, der um diese Vorlage geführt worden ist. Die Mehrheitsparteien, welche die Vorlage der Regierung nach ihren Wünschen zurechtgestutzt und sie in einer Weise „bereichert" haben, die den Widerspruch der öffentlichen Meinung herausforderte, haben sich durch die allenthalben sich geltend machende Protestbewegung nicht dazu bewegen lassen, von ihren Plänen abzustehen. Zentrum und Conservative sind entschlossen, den Kampf um die lex Heinze durchzuführen, und sie sind zu diesem Zweck im Reichstage in einer Stärke erschienen, auf welche die bekannten „ältesten Leute" sich nur mit Mühe be sinnen können. Diesem numerischen Uebergewicht haben die Parteien der äußersten Linken jene ausgiebige Hanehabung der parlamentarischen Geschäftsordnung entgegengesetzt, welche man mit dem Namen Obstruktion bezeichnet und die selbst dann als bedenklich bezeichnet werden muß, wenn das Gesetz, gegen welches sie sich richtet, als unannehmbar erscheint. Denn nie und nimmer vermag der Zweck die Mittel zu heiligen. Wie dieser Kampf ausgehen wird, ist fürs erste nicht abzusehen, da sowohl die für die Icx Heinze be geisterte Mehrheit, wie die obstruirende Minderheit keinerlei Neigung zum Nachgeben zeigt. Die Lage wird dadurch um so komplizirter, als das Zentrum anscheinend immer entschiedener darauf hinsteuert, die lex Heinze zur Vorbedingung der Flottenvorlage zu machen. Hierdurch gestaltet sich die parlamentari sche Situation zu einer höchst verworrenen, denn gesetzt den Fall, daß es der Mehrheit gelingt, die lex Heinze durchzudrücken, so kann es doch als sehr zweifelhaft erscheinen, ob die verbünd ten Regierungen der so „modernisirteu" Vorlage ihre Zustimmung ertheilen werden. Im Zeichen des heftigen Kampfes steht auch das politische Leben in Oesterreich, wo die Tschechen den Beweis zu liefern beflissen sind, daß sie dcn Deutschen an Fähigkeit der Opposition und Obstruktion nicht nachstehen. Die politische Lage in Oesterreich hat sich in erfreulicher Weise dadurch geklärt, daß die radikalsten Elemente unter den Tsche en die Diplomatie der jungtschechischen Abgeordneten durchkreuzt haben, indem sie es mit Wünschenswerthester Deutlichkeit aus sprachen, welches die eigentlichen und letzten Ziele der Tschechen sind. Der Aufruf des tschechisch-radikalen „Vollzugsausschusses" hat rund heraus erklärt, daß das Endziel der tschechischen Bewegung in den „staats rechtlichen Bestrebungen", d. h. aus dem Tschechischen ins ehrliche Deutsch übertragen, in dem „Homerule" für „Tschechien" liegt, welches mit dem übrigen Oesterreich-Ungarn nur noch durch eine Peisonalunion verbunden bleiben ,oll. Die Enthüllung dieser P.äne wird hoffentlich die verantwortlichen Männer in Oesterreich darüber aufklären, daß jede Nachgiebigkeit gegen das unersättliche und unbotmäßige Tschechen thum eine Gefährdung der österreichisch-ungarischen Monarchie bedeutet. Im Zeichen der heftigen Obstruktion steht auch das politische Leben in dem dritten der Dreibund länder, in Italien. Jedenfalls scheint es, daß die Linke ihr Ziel, die parlamentarische Arbeit unmöglich zu machen, erreichen wird. Da alle Versuche der Mehrheit, die Obstruktion der Minderheit zu unter drücken, bishtr rergeblich geblieben sind, wird dem Kab net nichts weiter übrig bleiben, als zu der ihm recht unsympathischen Maßnahme der Kammer auflösung und der Ausschreibung von Neuwahlen zu schreiten. Mit leichtem Herzen entschließt sich das Kabinet Pelloux nicht zu diesem letzten Ausweg, denn wie die Neuwahlen ausfallen, vermag angesichts der verworrenen politischen Lage in Italien Niemand vorauszusagen. Und ob es gerade das Kabinet Pelloux und nicht vielleicht ein anderes ist, welches aus den Wahlen als Sieger hervorgeht, das liegt im Schooße einer ungewissen Zukunft. In einer recht unbehaglichen Situation befindet sich auch das französische Kabinet Waldeck- Rousseau. Wenn das Ergebniß der Stichwahlen zu den Gemeinderäthen in der Provinz auch zumeist den Sieg der Regierung bestätigt hat, so haben doch die Stichwahlen in Paris mit dem völligen Siege der vereinigten Nationalisten aller Sch ttirungen geendet. Nun ist Paris zwar nicht Frankreich, aber es ist doch in ganz and, rem Sinne die Hauptstadt Frankreichs als dies in irgend einem ankeren Lande von der Metropole gesagt werden kann. Die Politik Frank reichs ist schon oft genug von Paris aus gemacht worden und so ist es immerhin begreiflich, daß das Kabinet Waldeck-Rousseau der Kammertaguna, welche an diesem Dienstag beginnt, nicht ohne starke Be klemmungen entgeg« nsieht. Fürs erste freilich berauscht man sich noch in Frankreich an den recht anfechtbaren „Triumphen" der Weltausstellung und an den Erfolgen der sranzö- fischen Expeditionen, die auf den marokkanischen Ge bieten langsam aber sicher vordringen. Dieses Vor dringen erregt nicht nur in Marokko, sondern auch in England, dessen Interessen hierdurch schwer verletzt werden, lebhafte Beunruhigung. Aber die Engländer haben sich in Südafrika allzu sehr festgefahren, als daß sie die Zeit und die Macht hätten, ihr Augen merk auch auf andere Vorgänge im dunklen Erdtheil zu lenken. Während über die Vorgänge auf dem südafrikanischen Kriegsschauplatz in letzter Zeit eine starke Ungewißheit herrscht, und auch die Nachricht von der Einnahme Mafekings durch die Buren bisher weder zuverlässig bestätigt, noch aber auch widerlegt ist, teht das jedenfalls mit Sicherheit fest, daß der Vor marsch der Engländer nach Norden abermals eine Stockung erfahren hat. Die letzten Hoffnungen der Friedensfreunde, welche ein Ende des mörderischen Ringens herbeisehnen, richten sich jetzt auf die Ver einigten Staaten von Amerika, aber es scheint uns kaum ein Zweifel daran zu sein, daß auch diese Hoffnungen mit einer bitteren Enttäuschung enden werden, wie es schon mit manchen anderen Hoffnungen im Laufe dieses unseligen Krieger der Fall gewesen ist. Deutscher Reichstag. Berlin, 18. Mai. Der Präsident Graf Ballestrem eröffnet die Sitzung mit der Mittheilung, daß noch ein Nachtragsetat einge gangen ist. Das Haus tritt sodann in die Tagesordnung ein und genehmigt die Uebersicht der Reichsausgaben und Einnahmen für das Rechnungsjahr 1898 in dritter Lesung, nachdem der Abg. Haußmann (Volksp.) sich gegen die Auffassung der Mehrheit in Betreff der Palästina-Reise des Kaisers ausgesprochen hat. Bei der dritten Berathung des Nachtrages zum Reichshaushaltsetat erwähnt Abg Werner (Ant.) kurz die Neuregulierung der Gehälter für Postassistenten. Die Vorlage wird dann ohne weitere Debatte angenommen. Nun stellte Abg. Spahn (Ztr.) den Antrag, den dritten Gegenstand der Tagesordnung. Nachtragsetat für die Schutzgebiete, abzusetzen und in der dritten Berathung der lex Heinze sortzufahren. Ab , Singer widerspricht; er wundert sich, daß das Zentrum die Aenderung der Tagesordnung nicht gestern bei der Feststellung derselben beantragt habe, und beantragt über den Antrag Spahn namentliche Abstimmung, findet aber nicht die nöthige Unterstützung von 50 Mitgliedern. Die Aenderung der Tagesordnung wird gegen die Linke, ein schließlich der Nationalliberalen, angenommen. Präsident Graf Ballestrem thcilt mit, daß ihm eine Anzahl neuer Anträge vom Abg Stadthagen überreicht worden seien deren Vertheilung er abg lehnt habe, weil sie nicht im engeren Zusammenhang mit dem Gegenstand der Vorlage stehen. Sie seien auf die Abänderung der Strafprozeß ordnung gerichtet, während die Vorlage nur Abänderungen des Strafgesetzbuches enthalte. Abg Singer (So;.) widerspricht dieser Auffassung, er weist darauf hin, daß in der ersten die Materie betreffenden Regierungsvorlage von 1892 auch aus die Strafprozeßordnung Bezug ge nommen worden sei. Daraus gehe der innere Zusammen hang der Stadthagen'schen Anträge mit dem Gesetze her vor, Im übrigen hätte das Zentrum gewiß keine Ver anlassung, gegen die Zulassung der Anträge aufzutreten nachdem es eben selbst in der Budget-Kommission die Flottenvorlage mit dem Reichsstempelgesetz, dem Zoll tarif re. verkoppelt habe, die mit der Vermehrung der Flotte sicher nichts zu thun hätten Oder glaube etwa das Zentrum, daß ihm alles erlaubt sei und den ande ren Parteien nichts? Wenn Sie, fährt Redner fort, jene Anträge nicht zulassen, so thun Sie das nur aus Gründen, die nicht in der Sache liegen, und aus dem Grunde, um eine Vorlage, die Sie fertig.estellt zu sehen wünschen, zu ermöglichen (Lärm im Zentrum, lebhafter Beifall links) Präsident Graf Ballestrem, den Redner durch lebhaftes Leuten mit der Glocke unterbrechend: WennSiedcmZentrumsolcheMotiveunterschieben. sothunSie dies auch gegenüber dem Präsidenten. Ich muß es mir ernstlich verbitten, daß Sie meiner Leitung der Geschäfte solche Motive unterschieben. Abg. Singer: Ich habe den Präsidenten mit keinem Wort genannt, ich habe nur zum Zentrum gesprochen. Wir wissen daß wir unter der Disziplin des Präsidenten stehen, aber wir wissen auch, daß wir in keiner Schule sind. (Lebhafter Beifall und Lärm.) Präsident: Das ist ein ganz ungehöriger Aus druck! Abg. Singer: Wir gestehen dem Präsidenten nur Disziplinarrechte zu innerhalb des Rahmens der Geschäftsordnung. Präsident: Sie haben mir vorgeworfen ich hätte nur aus Gefälligkeit gegen das Zentrum so gehandelt. Abg. Singer: Ich habe nichts Derartiges gesagt, ich habe nur das Verhalten des Zentrums be mangelt. Ich beantrage über dcn Antrag namentliche Abstimmung. Präsident: Ich weiß nichts von einem An trag. Abg Singer: Ich stelle nunmehr den Antrag, die Anträge Stadthagen zur Berathung zuzulassen, urd ich beantrage hierüber namentliche Abstimmung. (Heiterkeit links.) Abg. Spahn sucht ausführlich darzulegcn^ daß die Anträge Stadthagen's unzulässi, seien. Abg. Stadt Hagen, von der Tribüne aus in halbstündiger Rede zur Geschäftsordnung sprechend, vertritt den entgegengesetzten Standpunkt. Präsident Gras Ballestrem erklärt nunmehr unter Verlesung des Stenogramms der Singer'schen Worte, er hätte annehmen müssen, daß sich die darin enthaltenen Vorwürfe gegen ihn selbst richteten, denn aus dem Zentrum habe ja Niemand vorher gesprochen gehabt. Abg. Singer erklärt, seine Bemerkungen seien nicht gegen den Präsidenten, sondern an das Haus ge richtet gewesen. „Die Zeit für Sie", so schließt Redner, gegen das Zentrum gewendet, ..wo Sie in der Minorität sind, wird wieder kommen, hüten Sie sich, daß Sie zu sehr ihrem Machtgefühl sröhnen " Abg Richter: Die Praxis des Hauses in diesem Punkte sei seit einiger Zeit eine sehr laxe gewesen, und zwar gerade aus der Jni- tiative des Zentrums heraus. Redner führt darauf eine Anzahl von Beispielen an und beantragt schließlich die Frage der Zulässigkeit der Stadthagenschen Anträge d-r Geschäftsordnnngs-Kommission zu überweisen. (Große Heiterkeit.) Die Debatte über die lex Heinze kann ja inzwischen weitergehen. (Heiterkeit.) Abg. Haußmann (südd. Volksp) spricht für Zulassung der Stadthagen'schen Anträge. Der Antrag Richter auf Ueberweisung jene» Vorfragen an die Geschäftsordnungskommission wird in einfacher Abstimmung gegen die Linke, einschließlich der Nationalliberalen abgelehnt. Der Antrag Singer, die Stadthagenschen Anträge für zulässig zu erklären, ivird in namentlicher Abstimmung mit 226 gegen 77 Stimmen abgelehnt; auch ein Theil der Freisinnigen mit Richter stimmte gegen den Antrag, wogegen einzelne National liberale für den Antrag stimmten. Die Stadthagenschen Anträge sind also für unzulässig erklärt worden. Nun mehr, um 3V- Uhr, schlägt Abg. Spahn (Zentr.) vor, ehe über die weiteren Anträge zu H 361 bezw. 86 la berathen werde, den § 362 vorwegzunehmen, weil dieser auch in der Regierungsvorlage in neuer Fassung vorge schlagene Paragraph zu der Materie der Vorlage in enger Beziehung stehe. In der hierüber sich entspinnen- den Geschäftsordnungsdebatte erklärt Abg. Singer (Soz.), auf den Vorschlag einzugehen, würden seine Freunde nur dann in der Lage sein, wenn der Abg. Spahn namens seiner Freunde, des Zentrums, okfiziell die Erklärung ab gebe, daß das Zentrum nicht etwa nach Erledigung des 362 die ganze Materie dec Vorlage als er ledigt ansehen und sich der Berathung der noch vorliegenden übrigen Anträge widersetze. Abg. Haus mann (südd. Volksp.) widerspricht entschieden dem Spahn'schen Vorschläge; man könne nicht müssig bei dem Z 361 stehen bleiben, derselbe müsse erst ganz mit allen dazu vorliegenden Anträgen erledigt werden. An der Debatte betheiligten sich noch die Abgg. Stadt hagen, Richter und Sin^r, welch' L tz.enr leststelüe, daß dec l Spahn die von ihm geforderte Erklärung nicht gegebe abe. Das entrum sei in Sorge, daß es seine Leole nicht lange genug zusammenhalten könne. Sie können ja die Icx Heinze bekommen, bleiben Sie nur so lange hier, bis alle Anträge be rathen sind; wir werden Sie ja nicht hindern, Ihren Willen durchzusetzen, aber Sie thun dies unter Bruch der Geschäftsordnung. Und um dies für immer sest- zustcllen, beantragte ich über den Antrag namentliche Abstimmung. Abg. Spahn (Zentr.) behauptet gegenüber Richter, um einen Vorlage-Paragraphen, für den die Ansicht Richters zutreffe, handle es sich hier gar nicht. Abg. Stadthagen (Soz.) beantragt, daß über den Antrag Spahn nicht abgestimmt werden dürfe, bevor derselbe gedruckt vorliege. (Heiterkeit.) Abg. Richter (frei'. Volksp.): Wenn zu einem Paragraphen Anträge vor liegen, so unterliegt der Paragraph denselben Geschäfts ordnungsbestimmungen, wie ein Paragraph der Vor lage selbst. Präsident Graf Ball-strem bemerkt dem Abg. Stadthagen, in Druck werde er den Antrag Spahn nicht geben, m-il das in Bezug auf die Ge- schästsordnungsanträge Uwas ganz Ungewöhnliches fein würde. Abg. B.ckh (sreih Volksp.) stellt fest, daß der Präsident selbst gestern erklärt habe, d:e Anträge Hausmann zu H 36 l ward n e-st nach Paragraph 361 Nr. 6 an die Reche kommen. Das Zentrum gehe in der Sache krumme Wege. Der Antrag Spahn wird in namentlicher Abstimmung mit 186 gegen 116 Stimmen angenommen. Zur Minorität gehören auch die Nationalliberalen. Zur Berathung wird nunmehr dec H 361 gestellt, welch'r handel von der Ueber weisung nach verbüßter Strafe au die Landespolizei behörde, sowie vou Unterlningung bis zu 2 Jahren in einem Arbeitshaus, ein.c B sserungr- ober Erzieh ungsanstalt. Es liegen hierzu zw i ältere Anträge vor: ein Antrag Albrecht nebst Eo-ntualantrag und ein redaktioneller Antrag Beckh. Außerdem sind so eben wieder zwei neue Anträge von Heine zu diesem Paragraphen eingegangen, deren einer die Verwendung des Paragraphen auch auf gewerbsmäßige Glücks spieler zulässig machen will. Abg. Spahn (Centrum) hält diesen Antrag für unstatthaft, weil richt an diese Stelle gehörig. Abg. Heine (Soz.) behauptet die for melle und materielle Zulässigkeit des Antrags und sühit dann aus, daß der Minister v. Rheinbaben selbst neulich im Herrenhaus den Wunsch nach Zwangs erziehung für gewerbsmäßige Glücksspieler aus besse ren Kreisen geäußert habe. Endlich um 5 Uhr be ginnt die materielle Berathung über den 8 362. Abg. Frohme (Soz.) befürwortet den Antrag auf Streichung der von der Ueberwusung an die Landespolizei und Unterbringung im Arbeitshause (nach verbüßter Strafe) handelnden Absätze 2 und 3. Nachd.m Abg. Frohme (Soz.) etwa 6 Uhr 10 Min. geschlossen hat, wird sofort durch die Abgg. v. Leoetzow und Spahn De batteschluß beantragt. Abg. Stad Hagen (Soz.) prote- stirt erregt dagegen, indem er feststellt, daß Anträge, welche seine Partei zu diesem Paragraphen gestellt habe, noch gar nicht einmal verlesen worden seien. Präsident Graf Ballestrem: Ich habe die Anträge so fort in die Druckerei geschickt, die Herren haben die selben ja nicht einmal in ckuplc» eingereicht. Abg. Stadthagen: Nimmt das Haus den Schluß der De batte an, so wird jedenfalls über alle unsere Anträge noch diskutirt werden müssen. Abg. v.^ Kardorff (Reichsp.): Die Majorität des Hauses ist Herr übee die Geschäftsordnung. (Stürmisches minutenlanges Gelächter links, Oho-Rufe.) Nur mit Mühe vei schafft der Präsident sich wieder Ruhe, worauf v. Kardorff forlfährt: Mit solcher Methode ruiniren die Herren nur den Parlamentarismus. (Andauerndes Gelächter links.) Hüten Sie sich vor der Gefahr, die Sie da durch über den Parlamentarismus heraufbeschwören. (Neues Gelächter auf der Linken.) Präsident Gras Ballestrem: Ich setze voraus, daß der Abg. v. Kar- dorff, als er sagte, die Majorität sei Herr über die Geschäftsordnung, gemeint hat, innerhalb der Geschäfts ordnung. (Stürmische Heiterkeit.) Abg. Heine (Soz.) wirft der Majorität Vergewaltigung vor. Fressich die ganze lex Heinze sei ja nur ein Gesetz zur Verge waltigung fremder Ueberzeugunzen. Es handle sich darum, dem deutschen Geistesleben den Fuß auf den Nacken zu setzen; und wenn wir unterliegen, so haben wir wenigstens das beruhigende Gefühl, unsere Pflicht gethan zu haben. Abg. Hausmann (südd. Volksp.); Die Majorität will Herr sein über die Geschäftsord nung. Mit diesem Ausspruch hat Herr v. Kardorff der Mehrheit einen schlechten Dienst geleistet; daS wird sich an Ihnen rächen. Abg. Bassermann (nl.): Meine Freunde sind der Meinung, daß die rechtzeitig eivgc- reichten Anträge zur Diskussion zugelassen werden müssen. (Beifall links.) Die Minorität darf nicht in solcher Weise vergewaltigt werden. Wollen die Herren auf jener Seite die Geschäftsordnung geändert wissen, so mögen sie den Muth haben, Anträge zu stellen. Meine Freunde haben weder im März, noch gestern und heute die Obstruktion mitgemacht, weil wir in ihr eine schwere Gefährdung und Schädigung des Parlamentarismus sehen, aber andererseits sino diese Anträge nach H 20 der Geschäftsordnung zur Diskussion zuzulassen. Ich bitte die Majorität drin gend, darnach zu handeln; geschieht dies nicht, so werden meine Freunde die nothwendigen Consequenzen ziehen. (Stürmischer Beifall links.) An der Geschäfts ordnungsdebatte betheiligen sich noch die Abgg. von Kardorff und Singer (letzterer bezeichnet das Verhalten der Majorität als parlamentarischen Staatsstreich,) Liebermann v. Sonnenberg, Heine und Richter, der daran erinnert, wie die Rechte gegen die Münzgesetz novelle obstruirt und wie dieselbe seiner Zeit prokla- mirt habe, das Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu verhindern, falls Ersatz sür Hasen schäden ausgeschlossen werde. Solche Leute wollten sich über Obstruktion beklagen. Dabei droht Kardorff mit Antastung der Verfassung. (Präsident Graf Ballestrem: „Sie dürfen einem Abgeordneten so etwas nicht nachsagen!") Abg. Richter (fortfahrend): Sie sehen, wohin Sie es treiben; selbst die Nationallibe ralen können Ihnen jetzt nicht mehr folgen. Verlassen auch die Nationalliberalen bei der Abstimmung den Saal, so sitzen Sie wie die Fische auf dem Trockenen. (Heiterkeit.) Zur Geschäftsordnung sprechen noch die Abgg. Spahn, Kardorff, Stadthagen, der zur Ordnung gerufen wird, weil sr die Verhandlungen als zur Farce geworden bezeichnet, Liermann von Sonnen berg, Heine, Müll«-Äkiningen und Richter, der anläßlich einer Andeutung auf ein gelegentlich vom Abgeordneten Liebermann von Sonnenberg gebrauchtes „Pfui Teufel!" daran erinnert, daß der Aus druck „Pfui!" schon früher parlamentarisch geworden sei. Der Ausdruck tei sogar bei einer bedeutsamen Gelegenheit auf einer Seite gefallen, die noch heute parlamentarisch in hohem Ansehen stehe. (Heiterkeit.) Präsident Graf Ballestrem (lächelnd): Ich weiß sehr wohl, daß ich gemeint bin, ich habe aber nicht gesagt, „Psui Teufel!" sondern nur „Pfui!" und der Präsident, der damals an dieser Stelle stand, hat den Ausdruck gerügt, undsoverfahreauchich. Nunmehr liegt ein Vertagungsantrag vor, von den Nationalliberalen gestellt. Die Linke stimmt geschlossen dafür. Das Resultat bleibt zweifelhaft, so daß Hammelsprung stattfinden muß; während die Majori tätsparteien in Schaaren durch die Nein-Thür ein- treten, kommt durch die Ja-Thüre minutenlang Nie mand. Die Abstimmung ergiebt 183 Nein, 10 Ja. Das Haus ist also beschlußunfähig. (Stürmische Heiterkeit links.) Präsident Graf Ballestrem läßt eine eben eingegangene Interpellation Albrecht verlesen, betreffend Erlaß einer Kontraktbruchgesetzes in Anhalt, das, wie die Interpellanten meinen, den Reichsge- setzen zuwiderlaufe. Schluß der Sitzung 8 Uhr. — Morgen. Weittrberathung der Icx Heinze. * * * Ueber die gestrige Sitzung heißt es in einem Bor. liner Bericht: Hörte man gelegentlich hin, so konnte man eine Vorlesung über Theorie und Technik der Statistik, erörtert an Beispielen aus dem dunkelsten Berlin ver nehmen. Inzwischen wurden Anträge vertheilt. Bald befaßten sie sich mit Dingen, die dem eigentlichen Thema des Heinze Gesetzes nahe liegen, bald mit beliebigen Pa ragraphen des Strafgesetzbuches, zuweilen in verschiedener Fassung; stand in einem Paragraphen ein „und", so wollte ein Eventualantrag dieses „und" durch ein „sowie" ergänzen. Man erzählte sich beispielsweise von einem Antrag, in dem das Wort Weibspersonen vorkommt; Eventualantrag l: für Weibspersonen zu sagen,Frauens personen; Eventualantrag 2: statt Frauenspersonen Da men; Eventualantrag 3: Damen in Gänsefüßchen zu setzen, und so fort mit Grazie in inlinitum. An An- trägen fehlt es der Obstruction nicht. Wird es der Mehr heit nicht an Geduld fehlen, den Kamps durchzuführen?" Der Krieg um Transvaal. Die heute vorliegenden Nachrichten von den Kriegs schauplätzen sind durchweg recht unerfreulicher Natur. Zunächst berichtet uns der Telegraph den wirklich erfolgten Entsatz von Mafeking. Die betr. Depesche lautet: London, l9. Mai, Mitternacht. Amtlich wird bekannt gegeben, die Belagerung von Mafeking seitens der verbündeten Buren wurde aufgegeben, nachdem das Burenlager und die Forts um Mafeking heftig beschossen worden sind. Von Süden gekommene britische Truppen besetzten dieselben. Daß die Buren nicht einmal vermocht haben, diese kleine Festung mit ihrer ausgehungerten Besatzung zu nehmen, muß billig Wunder nehmen Da müssen doch Fehler im ganzen System der Burenkampfweise vorhanden sein Auf der anderen Seite können die Engländer mit berechtigtem Stolz auf das kleine Häuflein der Ver- theidiger von -'»afeking Hinweisen, die ihr Alles darangeseht haben, die englische Fahne hochzuhalten. Aus Lorenzo Marques wurde vom 16. Mai Nachmittags noch gemeldet: Den letzten Nachrichten zufolge leiden die Einwohner von Mafeking in höch stem Grade Mangel an Nahrung und hoffen auf baldige Befreiung. Die belagernde Truppe der Buren ist sehr verstärkt, weil inan der baldigen Ankunft der Entsatztruppe von Süden her ent-
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