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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 15.04.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190004157
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000415
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000415
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-04
- Tag 1900-04-15
-
Monat
1900-04
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 15.04.1900
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Gewerbe- und Bildungsvereine rc. in Rücksicht aus die Bedeutung der Versammlung durch Abordnungen vertreten sind. Anmeldungen nehmen schon jetzt und bis 1b. Mai die Herren Lehrer Heymann-Reudnitz-L. und Dr. Mehner-Döbeln entgegen. — Wildens«, 10. April. Der Bäckergehilse Christian Burgmann aus Hildburghausen, welcher in der sogenannten Dehnel-Mühle bedienstet war, ist, als er in angeheitertem Zustande sein Nachtquartier aufsuchen wollte, in der Radstube der Mühle in den Betriebsgraben abgeglitten und ertrunken. Seine Leiche ist am folgenden Morgen in der Nähe der Deimer'schen Fabrik aus der Mittweida gezogen worden. — Otdera«, 10. April. Gestern Nachmittag ist der Untersuchungsgefangene Clemens Theodor Curt Ruselli einem Dresdner Transporteur kurz vor der Einfahrt in den hiesigen Bahnhof aus dem in voller Fahrt befindlichen, von Chemnitz kommenden Zuge ent- fprungen. Die sofort vorgenommene Verfolgung des Flüchtlings blieb erfolglos. — Penig. In der letztabgehaltenen Sitzung der Stadtverordneten wurde beschlossen, von dem 93,416 Mk. 64 Pf betragenden Reingewinn der Sparkasse aus dem Rechnungsjahr 1899 23,416 Mk. 64 Pf. dem bereits erfüllten Reservefonds zuzuführen und den Rest zu wohl- thätigen und gemeinnützigen Zwecken zu verwenden. In Zukunft sollen indeß nicht mehr als 15 Procent des erzielten Reingewinnes dem Reservefonds zufließen. Ein Antrag eines Stadtverordneten, dahin zu wirken, daß, die Unterrichtsstunden in der Fortbildungsschule im Hin blick auf den bestehenden Mangel an Lehrlingen auf die Abendstunden verlegt werden möchten, soll näher erwogen werden. — Eine evangelische Bewegung macht sich in neuerer Zeit auch in Graslitz bemerkbar. Schon im vorigen Jahre erfolgten einige Uebertritte von der katholischen zur evangelischen Kirche, und im Laufe der vorigen Woche haben sich abermals 31 Personen zum Austritt aus der katholischen Kirche bereit erklärt, sodaß dieZahl der Evangelischen in Graslitz nunmehr über IVO beträgt. Aus diesem Grunde wurde die Gründung einer evangelischen Gemeinde in Graslitz beschlossen und auch der Beschluß gefaßt, eine Predigtstation zu schaffen. Vorläufig ist alle 14 Tage ein evangelischer Gottesdienst abzuhalten. — In nicht geringen Schrecken wurde der er wachsene Sohn eines Hausbesitzers in Buchholz versetzt, als er sich in fein Zimmer begab und merkte, daß Kisten und Kästen aufgerissrn waren und ein fremder Mann unter die Bettstelle schlüpfte. Die Rufe des Sohnes lockten dessen Vater herbei und nunmehr gelang es den vereinten Kräften, den Spitzbuben fest zunehmen. Leider begingen Vater und Sohn die Un vorsichtigkeit, den Eindringling nach einer Tracht Prügel wieder laufen zu lassen. Seinen Angaben nach heißt der Fremde Ernst Edmund Meinhold und ist am 21. Juli 1881 in Rautenkranz geboren. Der freche Patron sprach bayerischen oder böhmischen Dialekt. — Altenburg, 5. April. Daß drei Brüder zu einem und demselben Schultermine Abiturienten sind, dürfte nicht gerade häufig vorkommen. Hier hat sich diese Ostern der gedachte Fall zugetragen. Zwei Brüder waren Abiturienten beim Friedrichs-Gymnasium, der dritte erledigte die Maturitätsprüfung beim Ernst Gymnasium. Und dazu noch etwas Tragisches Tags darauf: nachdem alle drei ihre Entlassung vom Gym nasium hinter sich hatten, starb ihr Vater. Vermischtes Sidnetz, 9. April. Hier sind 93 Erkrankungen an der Pest und 29 Todesfälle amtlich gemeldet worden. Graz, 9. April. Der Hüttenwirth Harleitner in Schüsserlbrunn auf dem Hochlantsch ist seit dem 30. März mit seiner kranken Frau bei wenig Proviant eingeschneit. Versuche, Lebensmittel hinaufzubringen, vereitelten die letzten Schneestürme. Der Schnee ist in der Umgebung der Schutzhütte über sechs Meter tief. Heute Nacht ging aus Graz eine Hilfsexpedition ab. Man fürchtet, daß die Eingeschneurn dem Hunger und der Kälte erlegen sind. Graz, 9. April. Der Pächter des Schutzhauses in Schüsselbrunn Harleitner und Frau wurden noch lebend gefunden. Nach einer gefahrvollen Schnee wanderung brachte die Expedition des GebirgSvereinS dem halbverhungerten Paare Nahrung. Man traf die eingeschneiten Schutzhüttenleute in höchster Noth an. Die Schutzhütte mußte erst aus dem Schnee ausgeschaufelt werden, ehe man zu den BedauernS- werthen gelangen konnte. Erfurt, 3. April. Ein furchtbares Ende nahm ein sogenannter „Scherz", der in der verflossenen Syl vesternacht in Scene gesetzt wurde und heute hier vor der Strafkammer seine theilweise „Regulierung" erfuhr. In dem Dorfe Frömmstedt des hiesigen Landkreises lebt eine Wittwe, Namens Christiane Fischer, die von den Burschen des Ortes auf mancherlei Art, nament lich durch Klopfen an die Fensterladen, gehänselt und geärgert wurde. In der verflossenen Sylvesternacht überstieg, von einer Zecherei heimkehrend, der 20 Jahre alte Sohn des Landwirths Gehring in Frömm stedt das die Besitzung der Wittwe umgebende Stacket und klopfte an die Fensterladen. Es war um 5 Uhr früh. Die Frau öffnete das Fenster, und in dem Moment fühlte der junge Gehring einen furchtbaren I Schmerz in beiden Augen. Das schwer gereizte Weib hatte auf das Geratewohl Schwefelsäure zum Fenster hinausgegossen und den übermüthigen jungen Mann dermaßen verhängnißvoll getroffen, daß er auf beiden Augen sofort erblindete. Die Attentäterin wurde so fort verhaftet und von der hiesigen Strafkammer wegen Körperverletzung zu zwei Jahren Zucbthaus verurtheilt. In dem bayerischen Gebirgsbezirk Sonthofen wür gen beim Militär-Ersatzgeschäft von 743 Gestellungs pflichtigen nur 143 tauglich befunden. Es gab viele „Rekruten", die unter einem Zentner wogen und nicht 1>/2 Meter groß waren. Köln, 9. April. Am Sonnabend erfolgte in der Kaserne des 7. westfälischen Fußartillerieregiments in einer Mannschaftsstube eine Explosion mit schweren Folgen. Ein Unteroffizier hatte der Vorschrift zu- wider einen Zündertheil im Spind ausbewahrt. Das Sprengstück explodirte; drei Soldaten sind sehr schwer, einer leicht verletzt, desgleichen ein Civilist schwer ver letzt. Der schuldige Unteroffizier wurde verhaftet. Bremen- 10. April. Die Auswanderung über Bremen betrug im ersten Quartal 25 158 Personen gegen 14 897 im Vorjahre. * (Selbstmordversuch eines ehrgeizigen Schülers.) Der Präparand Conrad Schoß in Barby (Provinz Sachsen) schoß sich im Walde je eine Revolverkugel in die Stirne, unter das Auge und in den Mund, weil er zu Ostern nicht versetzt wird, und hatte dann noch Kraft genug, um in die Stadt zurück zukehren. Die Kugel in der Stirne wurde entfernt, die zweite hatte den Kiefer zerschmettert und die dritte sitzt noch unter dem Auge, doch ist augenblicklich keine Lebensgefahr vorhanden. * Acht Millionen Mark in zwölf Stun den für eine Universität gesammelt! Eine ganz außerordentliche Sammlung für wissenschaftliche Zwecke ist am Sonnabend in Chicago, wie von dorr telegraphisch gemeldet wird, veranstaltet worden. D. Rockefeller hatte im vorigen Jahre der Universität Chicago 2 000 000 Dollars versprochen unter der Be dingung, daß der Präsident William R. Harper zum 1. April weitere 2 000 000 Dollars sammeln könnte. Präsident Harper, der im vorigen Jahre begann, hatte Sonnabend früh erst 163 OÖO Dollars beisammen. Am letzten Tage machte er allen bedeutenden Leuten in den Klubs und Instituten hintereinander kurze Besuche und sammelte in zwölf Stunden das noch fehlende Geld, so daß er in dieser Zeit der Universität Chicago 4 000 000 Dollars, sechszehn Millionen Mark verschafft hat! Rockefeller hat nunmehr der Univer sität im Ganzen bereits 7 800 000 Dollars, über 31 Millionen Mark geschenkt. * Weibliche Eitelkeit. In große Lebens- gefahr geriethen zwei junge Mädchen, Töchter des Besitzers T. aus der Umgegend von Loetzen in Ost preußen, weil sie eine interessante Gesichtsfarbe er langen wollten. Die kräftigen und gesunden Mädchen, 20 und 18 Jahre alt, hielten ihre rothen Wangen für unschön; sie hatten gehört, daß nur schmale, bleiche Gesichter Anspruch auf Schönheit erheben könnten und wollten nun auch gern blaß werden. Das Mittel, welches sie hierzu anwandten, erzeugte bei beiden eine Krankheit. Der hinzugezogene Arzt forschte nach der Ursache des Leidens, konnte aber aus den Mädchen nur herausbringen, woraus ihre Absicht gerichtet ge wesen, nicht auch was sie hierzu gethan hätten. Als sich jedoch der Zustand bei der Einen von Tag zu Tag verschlimmerte, bekannte die jüngere Schwester, sie hätten beide gewöhnliche Kreide gegessen, jede von ihnen habe ein viertel Pfund davon auf ein Mal hinunter geschluckt. Der Zustand der Mädchen ist sehr besorgnißerregend, und es erscheint fraglich, ob ihnen das Leben durch die Kunst des Arztes erhalten werden wird. Osterspiele. Kulturgeschichtliche Skizze von L. v. A u e. (Nachdruck verboten.) Von linden Lüften sanft getragen, Zieht ein im grünen Festgemand Nach langen, harten Wintertagen Der Frühling wieder in das Land. Und überall, auf allen Wegen, In Flur und Wald, von fern und nah Jauchzt es dem Kommenden entgegen: „Der Lenz, der holde Lenz ist da!" Wenn in Wald und Flur die ersten Knospen sprießen und junges, zartes Grün das Werden des Lenzes verkündet, dann feürt gleichzeitig mit der Natur auch die Kirche ihr Auferstehungsfest. Von en Kirchthürmen jubeln die Glocken ihr Halleluja, und die erhebenden, frohen Feierklänge finden tausend fachen Wiederhall in aller Herzen. Im Gedanken da ran, daß nun die öde, frostire Zeit des Winters vorüber ist, erfüllt frohe Hoffnung unsere Brust. Wir empfinden die Wahrheit des Dichterwortes: „Es ist ein inniges Erneuen Im Bild des Frühlings offenbart; Was dürr war, grünt im Weh'n der Lüste, Jung »irs das Älte fern und nah. Der Odem Gottes sprengt die Grüfte; Wacht auf, der Ostertag ist da!" In dieser Zeit thut die Sonne nach unserem Volksglauben drei Freudenspringe, und auch dem Menschenkinde lacht ob der Pracht, die es draußen in dem herrlichen Tempel der Natur erschaut, das Herz vor Lust im Leibe. Diese frische Lebenslust äußert sich in zahlreichen Spielen, die sich an das fröhliche Osterfest knüpfen. Bei diesen Spielen, die man hauptsächlich in ab gelegenen, vom Verkehr nur wenig berührten Gegen den antrifft, spielen von jeher die Ostereier eine wichtige Rolle. Bei den Sorben-Wenden des Spree waldes z. B., die neben Sprache und Tracht auch noch die Sitten der Voreltern bewahrt haben, wird an den Osterfeiertagen „gewalket". Ein sanft ab fallender Platz ist die umrläßliche Vorbedingung für das im Freien vor sich gehende Spiel. Bereits am Ostersonnabend wird hier mittels Schnur und Hacke ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Spitze auf der Höhe und dessen Grundlinie an der tieferen Seite liegt, abgemessen und eingczeichnet, worauf der Boden sorgsam geglättet wird. Am ersten Ostertage beginnt mittags das Spiel, zu dem man sich vorher Eier von den verschiedensten Formen ausgewählt hat. Der angesehenste Bursche des Ortes, der auch das Dreieck hergestellt hat, setzt seinen Fuß an dessen Spitze, und oberhalb desselben setzt jeder von Denen, die sich an dem Spie! betheiligen wollen, ein gezeichnetes Ei hin. Zunächst wird nun die Reihenfolge der Mitspielenden festgesetzt, indem man die Eier abrollen läßt. Der jenige ist der Erste, dessen Ei am weitesten nach links rollt; die übrigen Burschen folgen in der Reihenfolge, die ihre Eier auf der Grundlinie einnahmen. Nach dem auf diese Weise die Zieleier sich selbst vertheilt haben, beginnt das Spiel in der „Walk", wie die Bahn genannt wird. Der Besitzer des unten am weitestens nach links liegenden Eis läßt ein weitere- hinunterlaufen. Trifft er eins der Zieltier, so gehört dasselbe ihm, und er darf weiter rollen, fehlt er da gegen, so ist das gerollie Ei verloren. Auf das Spiel, zu dem sich zahlreiche Zuschauer einfinden, folgt ein gemeinsamer Trunk im Wirthshause. Einem anderen Spiel begegnet man im Hohen- zollernschen. Hier legen die Kinder zwei Reihen Eier, jeder zwei Schrit von einander entfernt. Darauf wetten zwei Mitspieler, eine bestimmte Strecke weit zu laufen, ehe ein Dritter sämtliche Eier aufgelesen habe. Der Gewinner erhält die Eier. In den Ost seeprovinzen pflegt die Jugend zu Ostern auf den Edel- Höfen eine große Decke im Zimmer hinzulegen und darauf ein Eierrollen — ähnlch dem Walken in Spree walde — anzustellen. Jedier setzt ein Ei auf die Decke aus und einer beginnt zu zielen. So viele Eier er trifft, so viele gehören ihm; trifft er keins, so bleibt auch sein Ei liegen und der Nachbar folgt. In verschiedenen Harzorttn läßt man bunte'Eier von kleinen Erhöhungen herabrollen und läuft daneben her. Anderwärts veranstalten die Knaben mit hart gekochten Eiern auf Wiesen ein Wettwerfen, wobei derjenige gewinnt, dessen Ei am längsten heil bleibt. Bei dieser Gelegenheit kommt es ab und zu vor, daß man sich heimlicherweise künstlicher Eier bedient, eine Täuschung, die aber meist eine Tracht Prügel ein- bringt. Weitverbreitet ist auch das Eierschlagen, das man in der Schweiz „dupfen", in Schaben „bicken" und anderwärts „spicken", „kippen" oder „klippen' nennt. Zuerst wird das Ei prüfend gegen die Zähne gestoßen, alsdann schlägt man zwei Eier mit den entsprechenden Enden aufeinander. Wenn dabei ein Ei zerbricht, so hat es der Eigenthümer verloren. Jeder Mitspieler strebt nun danach, in den Besitz eines starken Eies zu gelangen, wobei sich mancher auch vor einem Be trüge nicht scheut, indem er in ein rohes ausgeblase nes Ei Pech füllt. Wehe ihm jedoch, wenn er er wischt wird! Ein altes, sehr beliebtes Volksvergnügen ist in manchen französischen Gegenden der sogenannte Eier tanz, bei welchem auf einem ebenen, mit Sand be streuten Platze die Jugend sich im munteren Reigen dreht und sorgfältig darauf achtet, daß keins der dort in gewissen Abständen hingelegten Eier zertreten wird. Geschieht letzteres, was natürlich meistens der Fall ist, so wird das Paar weidlich ausgelacht und tritt be schämt vom Tanzplatz ab, um einem anderen Platz zu machen. Gelingt indessen der heikle „Eiertanz", so gelten die beiden Tanzenden für Verlobte, die kein elterlicher Machtruf mehr trennen kann. Als einst — zu Anfang des 16. Jahrhunderts — keinem der tan zenden Paare der „Eiertanz" gelang, forderte der an wesende Herzog Philibert II. von Savoyen Marga rethe von Oesterreich, die, auf einer Wallfahrt be griffen, nebst Gefolge auf Schloß Bron bei dem Städtchen Bourg Aufnahme gefunden hatte und an dem großen Volksfeste theilnahm, das Vornehm und Gering draußen im Freien bei Spiel und Tanz ver einte, zu dem verhängnißvollen Tanze auf, und wirk lich gelang es dem hohen Paare, denselben zu be enden, ohne von den hundert Eiern eins zu zer brechen. „Hoch Savoyen und Oesterreich!" schrie das Volk begeistert, uud das fürstliche Paar beschloß, sich der Volkssitte fügend, eine Ehe, welche sehr glücklich wurde. In vielen Gegenden Norddeutschlands und auch in England ergötzt sich am Osterfeste alt und jung, reich und arm am Ballspiel. In Landsberg an der Warthe beginnt die Festlichkeit damit, daß am dritten Ostertage ein Bursche auf einem reich geschmückten Les jungen Doktors Ostergrutz. Ltne Oster-Gesch'chte von Werner Barth. (Nachdruck verboten.) Endlich war Fritz nach Haus gekommen; die Universitätsjahre waren nun beendet; aus dem flotten „Bruder Studio" war ein alter Herr geworden, dessen funkelnagelneue Visitenkarte ein neugebackenes vr. mc6. schmückte. Die beiden Alten freuten sich natürlich nicht wenig, daß ihr Junge, der bisher nur den schlichten Titel „unser Stolz" oder „unser Ein ziger" führte, nun zu „unser Doktor" avanciert war. Geheimnisse hatte es ja zwischen Fritz und seinen Eltern niemals gegeben, und so war auch diesmal beim Nachmittagskaffee die letzte Neuigkeit ausgetauscht und dann zogen sich die beiden Alten, vorgeblich zum Nachmittagsschläfchen, zurück, — in Wirklichkeit thaten sie dies nur deshalb, weil sie wußten, daß ihr Fritz noch im Nachbarhause, aus dessen epheuumrankten Fenstern schon den ganzen Tag über ein blonder Mädchenkopf sichtbar war, etwas zu besorgen und auszurichten hatte. . . ES war Ostersonnabend, jener stille Sonnabend, der zwischen dem Charfteitage und dem Ostersonntag, als ein Tag ernster Sammlung und Vorbereitung auf daS Auferstehungsfest gelegen ist. Draußen in der Natur merkte man es bereits seit Wochen, da^ es nun an allen Ecken und Enden unaufhaltsam Früh ling werden wolle, denn auch die Sonne meinte es in den Mittagsstunden schon mehr als gut, wenn auch sonst die Rücken und Tücken des wetterwendischen Aprilmonats keineswegs auf sich warten ließen. — Die beiden Alten hatten sich also ein bischen aufs Ohr gelegt. Fritz war an das Fenster getreten und hatte, getreu den neuesten Erfindungen der Tech nik, mit einer Art unsichtbarer Telegraphie nach dem Nachbarhause hinübertelegraphiert; er mußte denn auch auf demselben telegraphischen Wege Antwort erhalten haben, denn seine glänzenden Augen und das schel mische Zucken und Schmunzeln um seine Mundwinkel ließ so etwas, oder so etwas Aehnliches vermuthen. Seine nächsten Bewegungen waren denn auch solche, die zum Kleiderhaken führten, von dem er seinen Hut abnahm, um dann ein lustiges Liedchen vor sich herpfeifend, daS Zimmer zu verlassen. . . Im Garten des Nachbarhauses. Ein hellgrüner zarter Flaum liegt über den Rasen der großen Ra batten. Braune, schwellende Knospen fast an allen Bäumen. Hin und wieder hat sich der Schl hdorn schon mit einer kleinen weißen Blüthe geschmückt. Schneeglöckchen und Veilchen, Krokus und Scilla heben ihre vorwitzigen Blüthcnköpfchen aus dem grünbraunen Erdboden hervor. Hinter dem Garten aber schimmert das alte, niedere Häuschen mit den kleinen Fenstern hervor. AuS dem Hausflur kommen zwei Menschen: Ein Mädchen und ein Mann, es ist Annie und ihr Fritz . . . Beiden strahlt das Helle Glück aus den Augen! sie gehen in den kleinen Garten, der in Vorfrühlings pracht und Sonnenschein ihrer wartet. . . Am Abend saßen dann auf ein kurzes, halbes Stündchen, — denn es war ein linder Vorfrühlings abend — die alten Elternpaare der beiden Nachbar- häufer zusammen. Sie sprachen von diesem und jenem und auch von der Zukunft der Kinder. Beim Abschied drückten sie sich fester und herzlicher denn sonst die Hände . . . * * * . . . Dec Ostersonntag war gekommen. Noch hatten die Kirchenglocken nicht zum Gottesdienste ein geladen. Die Sonne hatte sich kaum erst erhoben und doch schmetterten schon aus den noch halbkahlen Sträuchern und Büschen die Drosseln und Amseln ihr Lied in die Lüste. Im Nachbarhäuschen war es bereits lebendig. Es war, als ob tausend Heimlichkeiten vor sich gingen. Annies Mütterchen schien alle Hände voll zu thun zu haben, und ihre Aufregung schien sich noch sichtlich zu mehren, als an der Hausthür Schritte vernehmbar wurden und die schlanke Gestalt des jungen Arztes in den Thürrahmen trat. Beide schüttelten sich die Hände, dann wurde et was verabredet, etwas Heimliches, Schöne-, das eine freudige Verklärung auf dem Gesichte der alten Frau zurückließ. — Dann wurden die Ostereier in allen möglichen und unmöglichen Winkeln und Ecken des Hauses ver steckt. Weiße, farbige, Zucker- und Cbokoladeneier waren es. Auch Fritz hatte ein Ei gebracht, ein schlichtes Holzei von gelber Farbe, auf dem mit rothen Buchstaben der Vers ausgeschrieben stand: Das Ei ist das Symbo! der Sonne! Dein Leben sei voll Sonnenschein! — Entdeckst Du erst mein Inneres sein, Dann jauchzst Du auf vor Lust und Wonne! Das Ei mit dieser Inschrift wurde in Annies Nähkästchen gelegt. Lange hatte es nicht gedauert, bis die Eier auf ihren Platz gelegt worven waren. Doch kaum war auch das Geschäft beendet, da ließ sich auch bereits auf der Treppe, die zu den Schlafkammern hinaufführte, ein Helles Mädchenlachen vernehmen. Es war Annie, die im weißen Morgen- kleid die alte Holzstiege hinuntertrippelte, um ihren Eltern den Ostergruß zu überbringen. Etwas stutzig war das junge, sonst nie um ein Wort verlegene Mädchen doch, als sie zu so unge wohnter Stunde ihres heimlich Verlobten ansichtig wurde. Allein diese Verlegenheit dauerte nur eine Sekunde und mit einer scherzhaften Bemerkung hatte sie sich bald über das Eigenartige der Situation hin fortgesetzt. Unter allerlei halb neckischen, halb familiären Gesprächen wurde der Morgenkaffee getrunken und dabei dem Osterkuchen mit den großen Rosinen recht wacker zugesprochen. Fritz sprach ziemlich wenig, nur streifte er mehr, als es nöthig war, die heimlich Ge liebte mit seinen glühenden Blicken. Auch unter dem Tisch mußte der Raum anscheinend eng gewesen sein, denn ein Mäuschen hätte die nicht uninteressante Be obachtung machen Können, daß AnnieS und Fritzens Füße mehr als nothwendig, wie durch einen neckischen Zufall aneinander geriethen. Endlich war der Morgenkaffee zu Ende. „Und nun zu meinen lieben Ostereiern!" Das war der Ruf, mit dem Annie vom Kaffeetisch auf- gestanden war; jetzt durchstöberte sie bereits alle Winkel und Ecken der Wohnstube, um laut jubelnd die Eier, die sie gefunden, in die große Glasschale auf dem Tische zu legen. Zehn Minuten mochte sie nun so bereits emsig gesucht haben, und fast schien es ihr, als ob die bis her gefundenen Eier schon mehr als genug seien, da flüsterte ihr eine liebe Stimme leise ins Ohr: „Vergiß das Beste nicht!" Annie begab sich wieder ans Suchen, allein auch diesmal förderte sie nur Zucker- und Cho- koladeneier zu Tage. Da flüsterte ihr, als sie daS Suchen wiederum einstelleu wollte, noch einmal die liebe Stimme leise ins Ohr: „Vergiß das Beste nicht!" — Und wieder machte sich Annie mit erstauntem Ge sicht ans Suchen; allein auch diesmal fand sie nur ein halbzerbrochenes Chokoladenei. Da riß mit einem Male von FritzenS Rock ein Knopf ab und rollte in weitem Bogen über den Tev- pich der Wohnstube. Beide bückten sich zugleich nach dem Knopfe und suchten ihn zu Haschen. Dabei kamen aber ihre Hände so nahe aneinander, daß sie einen Augenblick einander sich berührten, wobei Fritz die Hand des Mädchens warm und innig drückte. „Annie, Du könntest eigentlich die Freundlichkeit haben, und mir den Knopf annähen!' „Gern, Fritz." Annie schritt zum Nähkörbchen. Wer aber be schreibt ihr Erstaunen, als sie unter Garn und Wolle versteckt, ein schlichtes Holzei fand, das die unS be kannten Verse schmückten. Mit hochrothem Gesicht und halbverlegeu öffnete sie das Ei. Auf rothfarbenem Sammetkissen lag in derselben ein glatter, goldener Reif, und neben diesem Ringe lag ein Zettelchen, auf dem die vielsagenden Worte standen: „Ewig Dein, Fritz." Weinend vor Freude stürzte sie erst der Mutter und dann dem Geliebten in die Arme, der ihr den Ring an den Finger steckte. Der Vater aber segnete mit vor Thränen zitternder Stimme seine Kinder. Dann ging es zu den Eltern des Bräutigam-, die gleichfalls gern und aus freudigem Herzen die neue Tochter willkommen hießen. — Draußen aber begannen die Glocken zu läuten. Das Auferstehungsfest rief zur Kirche. Annie aber war überglücklich über den schmucken Reif, der im Osterei gelegen hatte.
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