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gesehen haben, aber durch Trunk oder andere Laster sittlich tief ge sunken sind, stellen ein anderes Contingent in der Tobiasmühle Mele Freude haben wir an dieser Arbeit gehabt. Wohl hat's nicht an Mißerfolgen gefehlt, es liegt in diesen Mädchen ein un widerstehlicher Zug der Freiheit, viele aber sind vermiethet worden und haben sich prächtig bewährt. Nicht wenige denken mit Heimweh unserer „Mühle". Aber auch an denen, die uns schnöde verlassen, arbeiten wir nicht umsonst; auch solche behalten oft einen Zug nach dem Hause, in dem sie mit vergebender Liebe ausgenommen worden waren. Wir haben auf diesen Anstalten im Röderthale so viel Schulden, daß uns die Augen übergehen 55000 Mk; aber wir können auch von wunderbarer Gottes-Hilfe berichten, die uns immer zur rechten Zeit die nöthigen Mittel gewährt hat. Im vergangenen Jahre er hielten wir sogar 20000 Mk. unverzinsliches Darlehen. Möchten doch die Christen unseres Vaterlandes auch diesen Anstalten im Röderthale ihre theilnehmende und gebende Liebe zuwenden! Nachschrift d. R.: Leider mußte wegen vorgeschrittener Zeit der Vortrag abgekürzt werden. Wir geben darum noch folgende kurze Mittheilungen aus dem Jahresbericht des Frauenheimes Tobiasmühle: (Nachrichten aus dem Röderthal Nr. 7). Das Frauenheim Tobiasmühle ist seit seiner Begründung (es besteht seit 2 Jahren) bis Ende März 1896 von 55 Personen auf- gefucht worden. 2l Personen bilden den gegenwärtigen Bestand, 34 haben die Anstalt verlassen: 2 waren einen bezw. 2 Tage in der Anstalt, 2 mußten wegen völliger Unfügsamkeit, 6 wegen geistiger Gebrechen entlassen werden und wurden anderwärts untergebrach:, 4 sind freiwillig gegangen theils zu den Eltern, theils in dienende Stellung, 6 mußten im Krankenhaus untergebracht werden, 5 haben sich heimlich entfernt, 9 sind von der Anstalt in Dienst gebracht worden. Diese Zahlen geben nun zwar zunächst kein günstiges Bild, da nur 20-250-0 der Aufgenommenen die Erwartungen einigermaßen rechtfertigten, die man auf die Anstalt gesetzt hat. Doch darf bei der Beurtheilung obiger Ziffern das Vorleben der Zöglinge nicht außer acht gelassen werden. Nicht ist es so, daß alle, die das Frauen heim aufsuchen, sittlich gefährdete Personen wären, manch' Mädchen berechtigt zu den besten Hoffnungen, birgt unter ihrem im Kampf mit der Existenz unscheinbar gewordenen Aeußern einen guten .Kern. Andererseits macht man sich nur schwer eine Vorstellung von der tiefen Verkommenheit, in der manches Mädchen in's Frauenheim kommt Nur 4 von allen Aufgenommenen waren nicht bestraft. Ein Mädchen war 116 Mal bestraft, ein anderes 22-jähriges Mädchen hatte seit ihrem 12. Jahre nur 3 Jahre außerhalb des Gefängnisses zugebracht. Nach den Aufnahmebedingungen des Frauenheims ist der freie Entschluß zum Eintritt erforderlich, da von der Anstalt keinerlei Zwang ausgeübt wird. Die von der Anstalt aus in Dienst ge brachten Mädchen haben sich fast alle gut bewährt, darunter mehrere, die von den Angehörigen längst moralisch aufgegeben waren. Sic dienen theils auf Rittergütern und in Bauernhäusern, theils in Pfarr häusern, theils auch in Klein-Wachau. Auch bei vielen von denen, die freiwillig fortgegangen bezw. heimlich entlaufen sind, ist der Auf enthalt in der Tobiasmühle nicht vergeblich gewesen. Eine der letzteren, die eine Strafe verbüßt, bittet reumüthig, nach ihrer Ent lassung wiederkommen zu dürfen. Nehmen wir noch hinzu, daß ein großer Theil unserer Zöglinge, der früheren wie gegenwärtigen, die Anstalt als ihre Heimath ansieht, wo man volles Verständniß hat für ihre Lage, Interesse an ihnen nimmt, mit einem Wort ein wenig Liebe für sie hat; denn das ist's was sie brauchen - so dürfen wir doch in Ansehung der oben mitgetheilten Ziffern sagen, daß Gottes Segen auf der Anstalt ruht. Die Hauptmittel der Erziehung in derselben sind Gottes Wort, Gebet und Arbeit. Es wird mit großer Freude gearbeitet, Arbeitsscheu tritt nur selten zu Tage. Mehr aber gilt uns der Einfluß auf das Herz durch Gebet und Gottes Wort. Neben dem sonntäglichen Kirchgang nach Radeberg wird allwöchentlich eine Bibelstunde in der Anstalt gehalten. Daß Katechismus, Lieder- verse, und Sprüche aus der heiligen Schrift, gelernt und in der Hausandacht hergesagt werden, ist fester Brauch im Hause geworden. Die Einnahmen für das Frauenheim betrugen im Jahre 1895: 15 801 Mk. 64 Pf, die Ausgaben 14090 Mk. 91 Pf., darunter 363 Mk., die als Arbeitsvergütungen den Mädchen gutgeschrieben und ausgezahlt worden sind. Während wir früher die Mehrzahl der Zöglinge an den Pfingst- seiertagen zu ihren Angehörigen beurlaubten, konnten wir uns im Berichtsjahre mit Rücksicht auf ungünstige Erfahrungen, die wir wiederholt in dieser Beziehung gemacht, dazu nicht entschließen. Da gegen hatten manche unserer Kinder die Freude, Anverwandte an den „Besuchssonntagen" im Stift begrüßen zu können. Wir haben auch grundsätzlich gegen solche Besuche nichts einzuwenden, müssen uns aber die Kontrole darüber bis zu einem gewissen Grade vorbehalten und können jedenfalls nicht dulden, daß die Besucher den Kindern Näschereien oder Geld heimlich zustecken. Auch Mitglieder des Direktoriums des Kreisvereins und andere Freunde unserer Anstalt haben hin und wieder ihr Interesse an der selben durch ihren Besuch bezeugt An der Feier des Weihnachts- sestes nahmen wieder die meisten Herren vom Direktorium und nicht wenige Freunde aus Hohenstein theil. Eine besondere Freude war dem Hause der Besuch des Inspektors Pastor Höhne aus Gorbitz nm 25. Juli. In den letzten Tagen des Jahres hielt sich ein Waisenhausvater aus Greiz in unserer Anstalt auf, um hier für seinen Beruf zu lernen. Der Gesundheitszustand unserer Pfleglinge mar, Gott sei Dank, wiederum ein vorzüglicher. Nur ein skrophulöser Knabe konnte wegen einer Augenentzündung längere Zeit die Schule nicht besuchen, und ein Anderer mußte zu seinem großen Schmerz von seinem lieben Stift, aus dem er in früheren Jahren 29 mal geflüchtet war, das ihm aber nun viel lieber ist, als seine einstige Heimath im Armenhause zu G. zwei und einen halben Monat fern bleiben, um im Kreiskrankenstift zu Zwickau seine kranke Hand heilen zu lassen. Gearbeitet wurde wieder tüchtig im Haus und Garten, wie in der durch Ankauf von Feldgrundstücken vergrößerten Lundivirthschast; auch aus anderen Feldern halfen die Kinder Kartoffelauslesen und dergl- und verdienten damit ein schönes Stück Geld, oder entschä digten einen Nachbar für die leihweise Ueberlassung eines Pferdes zur Wirthschaftsarbeit. Durch Hausindustrie (Quastendrehen, Federn schleißen, Fleckchenzupfen) wurden 282 Mk. 68 Pf. erworben. — Die Kornernte wurde zwar infolge der nassen Witterung im August nur mit Mühe trocken in die Scheune eingebracht und der Hafer mußte lange stehen bleiben, ehe er gehauen werden konnte. Indessen waren die Feldfrüchte alle so wohl gerathen und so reichlich gewachsen, daß wir unser: „Nun danket alle Gott" am Erntefest mit fröhlichem Herzen singen konnten. An Kartoffeln heimsten wir ca. 105 IZ ein, wovon freilich etwa '/«> faul, aber doch für das Vieh noch brauchbar ivar. Auch im Garten ernteten wir reichlich Gemüse und Obst, Nüsse allein 30 Schock von dem großen Baum im Hose. Hat es sonach unsern Kindern an Arbeit, die das Leben süß macht, nicht gefehlt, so auch nicht an Freude und Erholung. An jedem Sonntag Nachmittag wurde, wenn das Wetter nur irqend es gestattete, ein Spaziergang unternommen, wobei der Musikimffler mit seiner Handharmonika voranging, die Trommler und Pfeifer folgten. Am Schulspaziergang dursten natürlich auch die Lutherstiftler theil nehmen. Das Missionesest in Oberlungwitz am 2 Juli und das in Grumbach am 9. August wurde gern besucht. Auch beim Jahrcsfcst des Kreisvcreins für innere Mission in St. Egidien am 27. Sep tember fehlte das Lutherstift nicht, war es doch selbst der Mittelpunkt und Gegenstand der Verhandlung in der Predigt, wie in der Nach Versammlung, wo über „etliches aus der Rettungshausarbeit" be richtet wurde. Sonst bot jeder Ta z Gelegenheit genug zur Erholung durch Spiele im Hose und Benutzung der Turngerälhe Von besonderen Festen find die beiden Schlachtfeste am 26. Februar und I Dezember zu nennen Das Sommerfest an 17. Aaz iü, und als schönstes das liebe Weihnachtsfest, an dem ! > Kinser über Aus dem vierzehnten Jahresbericht über das Rettungshaus „Martin Luther-^tift" vom Jahre W6. (Fortsetzung und Schluß.) !