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246, 21. Oktober IS12. Nichtamtlicher Teil. BbrienblatL f. Dtschn. Buchhandel. 12811 Unbegründet ist auch der Erfolg, den eine Bilderbude der Dürerbundes auf der Leipziger-Messe gehabt haben soll. Nur infolge einer falschen Kalkulation feien dem Verkäufer für dreiwöchige Arbeit 200 ^ Gehalt bezahlt worden, das habe ein Defizit bon 61.44 ergeben. Eigentlich könnte das Gehalt aber nur mit 136 angcsetzt werden, und auf diese Weise käme man sogar auf einen Reingewinn von 8.56 Da spricht man von einem befriedigenden Erfolg! Nun sind aber LOO für einen derartigen Aushilfs- Posten keineswegs zu hoch gegriffen. Nimmt man aber selbst einen Gehalt von 130 an, so wäre ein Reingewinn von 8.56 ^ für dreiwöchige Arbeit kein Erfolg, sondern ein Miß erfolg. Es wird ferner der gute Absatz von Schriften angeführt, der nach dem Jahresbericht von 1910/11 des Btldungsaus- schufscs der sozialdemokratischen Partei aus die Volksbildungs- arbeit zurückgefllhrt wird. Nun hat dieser Absatz aber mit dem Bildungsbedürfnis des Volkes gar nichts zu tun; es kommen hier nur politische Interessen in Frage und neben bei noch die Parteidisziplin, durch die sich die sozialdemo kratische Partei ganz besonders auszeichnct. Wenn an dieser Stelle betont wird, daß durch Verein barung von den Verlegern erhebliche Preisermäßigungen er zielt wurden, so kann ich darin auch nichts Verdienstliches erblicken, denn die gänzliche Ausschaltung des Sortiments ist doch zum allcrmtndesten unsozial und ungehörig. Ebenso wenig stichhaltig ist das mitgeteilte Vorkommnis in einem Krankenhaus. Es lautet: El» gewisser Brcpohl war infolge clneS Eisenbahnunfallc» von der Sanitätswache ins Krankenhaus gebracht worden, und zwar in die Abteilung, wo sonst nur Krankenkassenpatientcn, also lauter kleine Leute lagen. Er bltcb dort und hatte dann Gelegen heit, zu beobachte», ln welcher öden und unerquicklichen Weise die meisten Patienten ihre Langeweile zn vertreiben pslegten. Er mußte aber auch seststelle», daß die Krankenhausbibliothek auch ganz bescheidenen literarischen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Er lernte dort dann einen alten Maurergesellen und einen jungen spanische» Seemann kenne», die beide gut gebildet und geistig an geregt waren, und ihnen schloß sich ein Ossiziersasptrant der Ham- bnrg-Ainerika-Linie an. Von ihrem geistigen Leben und dessen Wirkung aus die Mitpatienten teilt Brepohl nun das Folgende mit: »Um siir uns vier einigermaßen gute Literatur zu besorgen, ließ ich aus meiner Privatbibliothek Bücher kommen, die ich zir kulieren ließ. Als wir aber das Bett verlassen dursten, beschlossen wir, die Bücher gemeinsam zu lesen, um gleichzeitig auch durch Gedankenaustausch uns zu unterhalten. Auch hier sollte sich bewahrheiten, daß, wenn ln unserem Volk der Geschmack geweckt wirb, es Freude an guter Literatur bekommt. Erst setzten sich einige von den Mitpatienten — es mag dahingestellt sein, ob aus Neugierde oder aus Langeweile — zu uns. Schon nach einigen Tagen aber hatten wir einen kleinen literarischen Kreis. Unsere Bücher gingen von Hand zu Hand, Schmöker und die Bücher der Krankenhausbibliothek blieben liegen, und die einfachen Leute lasen bessere Literatur, darunter Hermann Anders Krüger, Sörcn Kierkegaard und Heer. Ja, der Erfolg war ein noch überraschen derer. Vier Patienten, darunter ein Bäckermeister und zwei Tisch lergesellen, baten mich, für sie eine kleine Bibliothek nach Titeln zusammenzustellcn und teilweise auch zu besorgen. So konnte ich meinem Buchhändler Aufträge geben, die sonst wohl niemals ein Buchhändler erhalten haben würde. Interessant ist hier, daß der Bäckermeister billige Ausgaben nicht haben wollte, er bestellte vielmehr Bücher in der Preislage bis zu 6 ^s. Unser gemeinsames Lesen nahm seinen Fortgang, und noch kurz vor meinem Abgang waren wir soweit, daß ich mit Zustimmung sämtlicher Patienten ses lagen 82 aus dem Saal) den »Gras Gleichen« laut vorlaß. Die diensthabende Stationsschwester nahm selbst daran teil. Da spielen doch nicht zu verallgemeinernde Zufälle mit, außerdem müßte erst noch bewiesen werden, daß alle diese Pa tienten dauernd für gute Lektüre gewonnen wurden; die tödliche Langeweile, die in einem Krankcnsaal herrscht, macht es jedem ungemein leicht, der sich bemüht, für Unterhaltung zu sorgen. Ein besonderer Kapitel wird der billigen Jugendschrist gewidmet. Die großen Absatzziffern der deutschen -.Jugend bücherei«, der »Quellen« und anderer sollen nicht in Zweifel gezogen werden, leider geht damit aber auch Hand in Hand, daß der Absatz besserer und wertvollerer Jugendschriflen er hebliche Einbuße erleidet, indem das kaufkräftige Publikum auch schon vielfach zu den billigen Sachen greift. In den großen Abfatzzisfern sind Wohl auch die Exem plare mit inbegriffen, die von den Lehrern mit Gemeinde geldern u. dgl. angeschafft wurden. Die oben genannten Ver öffentlichungen von Wolgast, Lehrer Henningsen (früheres Vorstandsmitglied) u. a. werden von den Prüfungsausschüs sen natürlich über alle Maßen gelobt, und die Lchreragitatton, die sich in einzelnen Städten zur Kolportage ausgewachsen hat, tut das übrige. Dieser Eifer ist verdächtig, da es sich meist gerade um die von den Lehrern selbst hcrausgegebenen Büchersammlungen handelt, die auf Kosten schon bestehende: bewährter Unternehmungen verbreitet werden. Über eine weitere Verkaufsbude (Dürerbude) auf dem Christmarkte in Dresden wird berichtet: »Der Dilrerbunb hat aus dem Christmarkt in Dresden diese Weihnachten eine Dllrerbudc errichtet. Die zehn Damen und Her ren, die sich während der zehn Lage selbstlos in den Dienst der guten Sache gestellt hatten, konnten auf eine Gesamtetnnahme von 785 ^kk zurückblicken. Gewiß ein schönes Ergebnis, wenn man be denkt, daß die Mehrzahl der verkauften Bücher im Preise von 5—ZV -Z waren. Die größte Freude ist den Verkäufer», die sämt lich den gebildeten Ständen angehörten, aber die Tatsache, daß zwei Drittel aller Bücher, die verkauft worden sind, an die Kreise kamen, für die das ganze Unternehmen hauptsächlich bestimmt war: die unteren Volksschichten. Manche köstliche Erfahrung durste da gemacht werden, die den Helfern in erfreulichster Weise be stätigte: cs ist tatsächlich in vielen Volkskrcisen ein Hunger nach guter Geisteskost vorhanden. Wenn Fabrikarbeiter am späten Abend sich dreiviertel Stunden in Sturm und Wetter hinstellen und mit der größten Sorgfalt, unermüdlich im Kragen, schließlich für säst 5 -kt Bücher für sich und ihre Kinder kaufen, wenn ein zehnjähriger Knirps beim Anblick der guten Hefte, die äußerlich der Schundliteratur ähneln, bestimme erklärt: ,So was darf ich nicht kaufen, sonst werde ich ein Räuber', wenn Arbeiter und untere Beamte für 4—5 ^kt gute Steinzeichnungen als Schmuck ihrer Wohnung kaufen, und eine große Zahl von Leuten fragt, wo sic nach Weihnachten so gut und billig kaufen können, und vor allem auch beim Ein kauf uneigennützig berate» werden (v. u. gesp. d. Vers.), so ist das alles Beweis dafür, daß die DUrerbube einem Bedürfnis entsprach, und die durchschnittliche Tageseinnahme von 78 -4! belegt das zahlenmäßig.« Es ist selbstverständlich, daß auf einem Christmarkt die minderbemittelten Klassen vorherrschen. Ob das Publikum so ganz uneigennützig beraten wurde, möge dahingestellt bleiben. Tie Personen, die sich dem Verkauf selbstlos unterzogen, haben gewiß nach bestem Wissen und Gewissen empfohlen, aber doch Wohl so, wie es die Interessen des Dürerbundcs er forderten. Wenn ein Knabe, dem ein gutes Buch angcboten wird, aber im Gewand der Schundliteratur, dieses mit den Worten zurückweist: »So was darf ich nicht kaufen, sonst werde ich ein Räuber«, so läßt diese Antwort aber mehr den Eindruck des Eingeimpften als des Ursprünglichen deutlich erkennen. Auch in Osnabrück ergab ein guter Verkauf in einer Marktbude noch ein Defizit. Dabei gab der Magistrat die Bude umsonst her, und die Unternehmer, in diesem Falle Lehrer, die von dem Geld der Steuerzahler ihr sicheres Gehalt beziehen, blieben natürlich steuerfrei. Unter welchen Bedingungen hat hiergegen der Buchhänd ler zu arbeiten dessen Tätigkeit von den Herren Volksbild- nem so gering angeschlagen wird! löi>7»