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Hohensteiner Tageblatt : 30.04.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id184110793X-189704302
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id184110793X-18970430
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-184110793X-18970430
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohensteiner Tageblatt
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-04
- Tag 1897-04-30
-
Monat
1897-04
-
Jahr
1897
- Titel
- Hohensteiner Tageblatt : 30.04.1897
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Meldungen erfolgt mären, sanden sich am Montag, den 26. April a. c. srüh 8 Uhr nn Prüfungssaale der Bürgerschule 30 junge Leute ein, die sämmtlich Ausnahme fanden. Der Cötus der Schule zählt mit Beginn des neuen Schuljahres 70 Schüler. Ostern dieses Jahres würden 56 Schüler nach beendetem Kursus die Anstalt verlassen haben, wenn nicht in der Zeit von Weih nachten 1896 bis Ostern 1897 bereits 48 Schüler Anstellung erhalten hätten. Die 8 Schüler, welche die Schlußprüsung ab legten, traten auch sosort in feste Stellungen im Privat- und Gemeindedienst ein. Obgleich die Aufnahme für den neuen Kursus vorüber ist, so werden doch sich noch anmeldende Schüler Aufnahme finden, denn es ist im Schulhause genügend Raum zur Aufnahme weiterer Schüler vorhanden. Der am 9. d. M. unter dem Verdachte der Beihilfe zum betrügerischen Bankerott verhaftete und seitdem im Amtsgerichts- Gefängniß zu Pirna internirt gewesene Privatus Hickmann aus Copitz ist am 27. dss. Vormittag 10 Uhr durch einen Transporteur abgeholt und auf Anordnung der königl. Staats anwaltschaft nach Chemnitz transportirt worden. Hickmann hat somit 18 Tage im Gerichtsgefängniß Pirna zugebracht. Wahr scheinlich findet die Verhandlung gegen ihn vor dem Chemnitzer Schwurgericht statt, das voraussichtlich im Monat Mai zu sammentritt. In Lockwitz beabsichtigt man eine Protestversammlung wegen der verschiedentlich vorgekommenen unbegreiflich hohen Einkommen-Einschätzungs-Ergebnisse cinzuberufen Der Lieutenant Argyropoulos vom Grotzenhainer Königshusaren-Regiment, dem die nachgesuchte Entlassung ge nehmigt wurde, begab sich am 28. d. nach dem Kriegsschau plätze im Orient, um bei der Armee seines Heimathslandes Griechenland als Offizier einzutreten. — Na, der wird sicher den Kohl fett machen! In der Strafsache gegen die Hypothekcnbuchführer Richter und Rummel ist Revisionstermin vor dem Reichsgericht zu Leipzig auf den 20. Juni d. I. Vormittags 9 Uhr angesetzt. In einem Grundstücke der Poststraße in Leipzig ist am 27. ds. Nachmittag ein daselbst beschäftigter 38jähriger Trans missionsarbeiter aus einem Fenster der 4. Etage in den Hof hinabgestürzt und todt lieg n geblieben. Der Unglücklich' hat im Fensterbret gesessen und seine Strümpfe anziehen wollen, dabei aber das Gleichgewicht verloren. Im November vorigen Jahres wurde in der Promenade am alten Theater zu Leipzig ein räuberischer Ueberfall auf einen jungen Mann ausgeführt und ihm dabei ein Geldbetrag von 2000 Mk., sowie ein Sparkassenbuch mit einer Einlage von 1000 Mk. geraubt. Als Thäter wurde der Handarbeiter Friedrich Max Bauer aus Neuschönefeld, der erst kurz zuvor nach Verbüßung einer ihm wegen Eiubruchsdiebstahls zuer kannten neunjährigen Zuchthausstrafe wieder auf freien Fuß gekommen war, ermittelt, indessen hatte sich Bauer nach Aus führung des Raubes sofort von hier wegbcgeben und sich bis lang auswärts verborgen gehalten. Jetzt nun ist es gelungen, des gefährlichen Menschen in Zwickau habhaft zu werden und ihn hinter Schloß und Riegel zu stecken. Uebcrfallen wurde bei Groitzsch ein 16jähriges Mädchen von einem Unbekannten, der dasselbe hinwarf und ihm den Mund zuhielt. Auf das Hilsegeschrei der Ueberfallenen ließ der Unhold von derselben ab und'floh. Er ist als ein Einwohner aus Peres bei Zwenkau ermittelt worden. In Löbau wurde ein Lehrling festgenommcn, der seinem Meister mehrere Revolver und 1000 Stück scharfe Patronen entwendet und an einige Genossen verkauft hatte. Ein eigenartiges Mißgeschick ereignete sich am 1. Oster- fciertng in der Kirche zu Hirschfelde, als vier von einem ungenannten Mitgliedc der Gemeinde geschenkte neue Posaunen zum ersten Male in Gebrauch genommen werden sollten. Nach dem dieselben von Pastor Jäckel geweiht waren, sollten dieselben erstmalig beim Gesang eines Chorals mit benützt werden und die Gemeinde saß erwartungsvoll da, um in den Choral ein zustimmen. Aber sei es nun, daß die Posaunisten der neuen Instrumente noch zu ungewohnt waren, sei es, daß die Wichtig keit des Moments sie irritirtc, cs kamen statt einer Choral melodie nur Dissonanzen aus den Posaunen heraus. Die Ge meinde begann zu lächeln, der Geistliche dreht sich verwundert um und der Cantor war ebenfalls sichtlich verblüfft. Erst als der Letztere auf der Orgel die Choralmclodie angestimmt hatte, konnte die Gemeinde in dieselbe einstimmen. — Da wäre es ja schön gewesen, wenn der Geber zu den vier Posaunen auch noch vier Posaunisten geschenkt hätte! Die Zittauer Morgenzeituug schreibt: Die Belohnung für die Ermittelung des Raubmörders Kögler, die seinerzeit so wohl österrcichischerscits wie auch sächsischerscits ausgesetzt wurde, ist bisher noch nicht zur Vcrtheilung gelangt. Mittheilungen, die später zur Ergreifung des Raubmörders führten, wurden den Behörden von dem Fremdenlegionär Preibisch und später von dem Fremdenlegionär Scdlatschck, welche Beide im Gab lonzer Bezirke ihre Eltern haben, gemacht. Es müßte so mit die ausgesetzte Belohnung einem dieser beiden Legionäre zusallen. Da nun aber Preibisch, während er in Deutschland, und zwar in Pfauen i. V., Kellner war, seinem Chef einen Geldbetrag veruntreut hat, dann flüchtete und in die Fremden legion in Algier eintrat, hat der Geschädigte beim Kreisgerichte in Reichenberg unter Bekanntgabe des Thatbestandes um Hem mung der Auszahlung dieser Belohnung an Preibisch nachge sucht. Ueber diese Angelegenheit haben das Kreisgericht Reichen berg und das sychsische Gericht im Einverständniß mit der Be zirkshauptmannschaft Reichenberg zu entscheiden. Jedenfalls dürfte die Belohnung aber dem Preibisch zuerkannt werden, da er zuerst Mittheilungen über den Aufenthalt Kögler's in der Fremdenlegion nach Reichenberg gelangen ließ. Vorerst müßte aber eine Entscheidung darüber hcrbeigeführt werden, ob ihm der ganze als Belohnung ausgesetzte Betrag oder nur der Rest nach Abzug der seinem früheren Chef unterschlagenen Summe ausgefolgt wird. Aus Reichenberg wird unterm 28. dss. gemeldet: Der 52 Jahre alte, vorbestrafte, verheirathete Maurer und Weber gehilfe Anton Rieger aus Hohenwald hatte sich bekanntlich am 19. Februar d. I. vor dem hiesigen Schwurgerichte wegen Mordes zu verantworten, da ihm zur Last gelegt wurde, daß er am 20. November 1870, also vor 26 Jahren, den gräfl. Clam-Gallas'schen Förster Franz Malek erschossen. (Wir haben s. Z. über diese Verhandlung ausführlich berichtet. Die Red.) 26 Jahre blieb diese Mordthat trotz aller Bemühungen in Dunkel gehüllt, bis durch die Mordaffaire des Bernhard Krusche der Vater desselben, August Krusche, am 31. Dezember 1896 Aeußerungen machte, die zur Ermittelung des Thäters an dem Förster Malek führten, und dieser Thäter war Anton Rieger. Derselbe bekannte sich bei der Verhandlung am 19. Februar d. I. dazu, vor 26 Jahren als Wildschütz im Walde mit dem Förster Malek zusammcngestoßen zu sein und behauptete, daß, als der Förster ans Gewehr griff, er ebenfalls angeschlagen habe und sein Gewehr dabei losgegangen sei. Er habe aber nicht die Ab sicht gehabt, den Förster zu erschießen. DieGeschworenen erkannten den Rieger des Mordes für schuldig und der Gerichtshof verurtheilte ihn zum Tode durch den Strang. Der Bertheidiger des Rieger, Dr. Jennel, brachte gegen dieses Urtheil die Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshöfe ein und führte zur Begründung derselben drei Punkte an, darunter die Nichtzulassung der Stell- img einer Eventualfrage auf fahrlässige Tödtung und die Un zulässigkeit der Verhängung der Todesstrafe unter Hinweis darauf, daß Rieger vor Erlaß des Urtheils über diese That bereits wegen anderer Delikte gerichtlich bestraft gewesen ist. Der Oberste Gerichtshof gab in geheimer Sitzung dieser Nichtig keitsbeschwerde Folge, indem er ausführte, daß die vom Ver- theidiger des Rieger verlangte Stellung der Eoentualfrage auf fahrlässige Tödtung hätte zugclassen werden sollen, ebenso, daß selbst im Falle der Bejahung der aus Mord gerichteten Frage das Todesurtheil über Rieger nicht zulässig gewesen sei. Der Oberste Gerichtshof kassirte Daher das Todesurtheil und ordnete eine neuerliche Schwurgerichtsverhandlung beim hiesigen Kreis gerichte gegen Anton Rieger an, welche jedenfalls bereits bei der im Mai stattfindenden Periode durchgeführt werden wird. — Als dem Anton Rieger heute diese Entscheidung bekannt gegeben wurde, konnte er den Sinn derselben nicht fassen, er fiel auf die'Kniee und stammelte bittend: „Nur nicht hängen." Dadurch, daß in Rotzbach i. B. eine Frau glühende Asche in der Nähe einer Scheune auf den Boden schüttete, ent stand am Sonnabend Vormittag Großfeuer, dem drei Anwesen in dem Ortstheil Meierhof und ein Anwesen in dem 700 Schritte entfernten und zu Roßbach gehörigen Weiler Galgcn- dorf zum Opfer fielen. Einer der Kalamitosen hat durch diesen Brand Alles verloren. Handel und Gewerbe. Zahlungseinstellungen. Joses Kallweit, Kaufmann, Berlin. Hermann Thiel, Kaufmann, Skohl. Lonis Otto Heinrich, Kaufmann, Zerbst. Guido Lauge. Kaufman», Aschersleben. Heinrich Merz, Kauf mann, Augsburg. Christian Schmidt, Kaufmann, Gintoft. Christian Reisch, Kaufmann, Frankfurt. Gottlieb Breuske, Kaufmann, Glowitz. — Hutmacher Karl Robert Spiegelhaucr, Freiberg. Thermometcr- fabrikaut Augustin Felix Georg Leyser, Inhaber der Thermometersabrik unter der Firma: G. M. L. Leyser, Lcipzig.Plagwitz. Spirituosen- Grobhändler Kaufmann Karl Emil Richter, Chemnitz. Kaufmann und Filzwaarenhändler Karl Felix Appelt, Pieschen. Kaufmann Wilhelm Hermann Röthig, in Firma: W. H. Röthig, Neugersdorf (Schlußtermin 24. Mai). Oeffentliche Versteigerungen in den Königl. Amtsgerichten. Montag, den 3. Mai. Schneeberg: Schmiede- meister Emil Matthes' Hausgrundstück mit Garten in Oberschlema, 16,994 M. Scheibenberg: Friedrich Moritz Schwalbe's Hausgrunüstück mit Garten in Crottendorf, 5700 M. Dienstag, den 4 Mai. 'Dresden: Ernst Moritz Friedrich's Banstellengrundstückc in Seidnitz (Ecke Große- gartcn- und Nätherstraßc), 7090 bez. 8390 M. Chemnitz: Alwin Gott hold Roscher's Hausgrundstück mit Laden, zwei Werkstattgebäuden, Waschhaus mit Schuppenanbau, Garten und Hofraum daselbst (Kanal straße 6), 36,000 Mark Leipzig: Spediteur Gustav Richard Vetter's Grundstücke in Leipzig-Lindenau: l. Haus, 34,000 M.; 2. Niederlags- uud Stallgebäudc, 42,000 M. Oelsnitz: f Weber Christian Gottlieb Wagncr's Hausgrundstück mit Garten in Tirpersdorf, 1350 M. Mitt woch, 5. Mai. Wurzen: Zimmermann Friedrich Hermann Höhne's Grundstück (Wohnhaus, Seitengebäude mit Stallung, Scheunengcbände, Feld und Wiese) in Treben, 1100 Mark. Crimmitschau: Franz Lonis Oschatz' Hausgrundstück daselbst, 24,250 M. Pirna: f Karl Emil Leu- nert's Hausgrundstück in Liebethal, 2250 M. Tagesgefchichte. Wenn Londoner Meldungen uns belehren, daß den Eng ländern Transvaal weit mehr am Herzen liege als das Schick sal der Christen im Orient, so sagen sie damit durchaus nichts Neues. Ein Vertreter des Gaulois hat in Paris eine hoch stehende englische Persönlichkeit darüber befragt und eine Ant wort erhalten, die einfach bestätigt, daß England demnächst dem Präsidenten Krüger d's „beuge dich oder ich brech dich" vortragen wird. Die Handhabe dazu sollen die vierfachen Ver stöße geben, deren sich Krüger gegen das Abkommen von 1884 schuldig gemacht; erstens das Preßgesctz, das die den englischen Untcrthancn gewährleistete Preßfreiheit antastet; zweitens das Paßgesetz, das ihre Freizügigkeit hemmt; drittens das Aus treibungsgesetz, das ohne Urtheilsspruch zur Anwendung kommt, obgleich jenem Abkommen gemäß die Engländer gleich den Bürgern von Transvaal der gewöhnlichen Gesetzgebung unter stehen sollen; und viertens die mit Portugal und Holland abgeschlossenen Auslieferungsverträge sowie Aer Beitritt zur Genfer Convention ohne Hinzuziehung Englands, während doch alle mit europäischen Staaten abgeschlossenen Verträge der Ge nehmigung Englands bedürfen. England sieht in diesen Ver stößen, die schon im letzten Blaubuch aufgeführt werden, eine Mißachtung seiner Oberhoheit, wiro daher den Präsidenten auffordern, zu Kreuze zu kriechen, und zwar durch ein mit einer gewissen Bedenkzeit verbundenes Ultimatum. Gicbt er nach, so verzichtet England großmüthig auf die Vernichtung der Un abhängigkeit Transvaals — obgleich wahrhaftig davon nach Annahme der englischen Bedingungen kaum noch etwas übrig bleibt —, sonst setzt England seine Truppen in Bewegung. Von einem Schiedsamte, das die Buren anrufen würden, könne nicht die Rede sein; Transvaal unterstehe der englischen Bot mäßigkeit, und was die Tapferkeit der Buren in einem Kriege betreffe, so würde England 30,000 Mann gegen sie aufführen, von denen schon 12,000 marschbereit seien. Der Bund mit dem Oranjefreistaat habe nicht viel zu bedeuten; erstens sei er noch nicht unterzeichnet, und zweitens trügen die Frcistaatburen kein großes Verlangen, ihren Brüdern von Transvaal, die bis jetzt geringschätzend auf sie herabgesehen, zn Hilfe zu eilen. Ob der deutsche Kaiser, der au den Präsidenten Krüger das berühmte Telegramm schickte, den englischen Einfall in Trans vaal gestatten werde? Aber England hat cs gar nicht nöthig, seine auswärtige Politik vom Gutdünken des deutschen Kaisers abhängig zu machen: Transvaal befindet sich im englischen Einflußgebiet und ist mit Ausnahme des Ostens allerwärts von englischem Besitz umschlungen, also hat alles, was sich da drunten ereignet, für England und nicht für Deutschland ein Interesse. Uebrigens werde die vor Lourenco Marquez zu sammengezogene englische Flotte schon dem Präsidenten begreif lich machen, daß er nicht mehr auf die ihm vielleicht voreilig von den Agenten auswärtiger Mächte versprochene Ausschiffung von Hülfe rechnen könne; Portugal habe von Curzon schon die nöthigen Versicherungen erhalten. Und Frankreich? Frank reich weiß, daß England Transvaal nichts nehmen will (!), Frankreich habe selbst große Interessen im Transvaal, jeder Zoll Einfluß, der den Engländern im Transvaal entrissen würde, käme nur Deutschland zugute, das sich schon zur Schutzmacht Transvaals aufgeworfen habe; sollte Frankreich also nur zur Erreichung dieses Zieles sein Geld ausgeben und Truppen und Schiffe ausrnsten? Zum Schlüsse giebt die hervorragende eng lische Persönlichkeit dem Präsidenten Krüger einen Wink: er werde hoffentlich das Jubiläum der Königin benutzen, um seine Sünden einzusehen und dadurch dem englischen Vorgehen gegen sein Land vorzubeugen. Die obige Auseinandersetzung ist, wie sich jeder Sach kundige schon sagen wird, nicht so sehr eine Bertheidigung des englischen Standvunktes — er ist sattsam bekannt — als viel mehr eine Einladung an Frankreich, bei dem bevorstehenden Handstreich der Engländer ein Auge zuzudrücken und sich auf die Seite Englands gegen Deutschland zu stellen. Man darf sich daher vielleicht an der Echtheit des Interviews gelinden Zweifel gestatten; er macht den Eindruck eines Fühlers und mag seine Entstehung den Anstrengungen verdanken, die Eng land hier unter der Hand gemacht hat, um Frankreichs Neutrali tät trotz des ägyptischen Zankapfels zu erkaufen. Schon oft, seitdem Lord Salisbury dem französischen Minister des Aeußern Hanotaux einen Besuch abgestattet hat und die Königin Victoria mit dem Präsidenten der Republik zusammengetroffen ist, sind derartige Anspielungen in der Presse aufgetaucht; es liegt die Annahme nahe, daß zwischen Salisbury und Hanotaux die Transvaalfrage den Löwenantheil der Unterhaltung abgegeben habe. Sollten für Frankreichs Augenzudrücken irgend welche Zugeständnisse in Aegypten abfallen, so ließe sich eine solche Stellung schon erklären, aber unterdessen hat England seinen Zug nach Khartum anscheinend wieder ausgenommen. Und so soll denn Frankreich nicht dazu kommen, sich auf sich selbst und seine wahren Interessen zu besinnen; es kommt aus dem Schaukelspiel nicht heraus und merkt dabei nicht ein mal, daß es schon nicht mehr selbst schaukelt, sondern nur noch geschaukelt wird. Tag für Tag läßt es sich irgend eine neue Theorie auftischen; wer das letzte Wort hat, behält recht, nur taucht täglich ein neues letztes Wort auf. So war dem Kaiser wieder ein neues Attentat auf das russisch-französische Bündniß untergeschoben; er beabsichtige, neben demselben den Dreikaiser bund wiederherzustellen, nicht etwa als allgemeines politisches System, sondern als eine besondere Maschinerie zur Aufrecht erhaltung des Friedens im Orient. Zu diesem Zwecke suche er Rußland zu überzeugen, daß Frankreich wegen seines parla mentarischen Regiments und seiner freiheitlichen Ueberlieferungen für Rußland im Orient ein Hemmschuh sei, ähnlich wie Italien aus denselben Gründen ein Hemmschuh für den Dreibund sei; Frankreich aber werde dadurch zu einem bloßen Anhängsel Rußlands heruntergedrückt. Selbstverständlich dreht sich die Spitze des zukünftigen Dreikaiseroundes gegen England. Wie kunterbunt es nun in Europa mit den Bündnissen und den Rückversicherungsabmachungen aussehen würde, läßt sich leicht vorstellen. Da ist zunächst der Dreibund und der Zmeibuno, dann die Zuziehung Englands zu dem Zweibunde, um Deutsch land aus Elsaß-Lothringen zu verdrängen und die Zuziehung Deutschlands, um England m Aegypten den Räumungsbesehl zu geben. England seinerseits möchte sich mit Italien und Griechenland zur Lahmlegung Frankreichs im Mittelmeer ver bünden, möchte anderseits Frankreich gegen Deutschland anläß lich Transvaals aufspielen. Und schließlich soll Rußland für den Dreikaiserbund über die Köpfe der Franzosen hinüber ge wonnen werden, um den Frieden im Orient zu erhalten. Aus diesem Wirrwarr hinaus giebt cs offenbar nur eine Rettung: die Festigung des europäischen Concerts; innerhalb desselben wird die gegenseitige Eifersucht auf die beste Weise ausgcschaltet. Deutsches Keich Berlin, 28. April. Nach der Rückkehr des Kaisers und des Reichskanzlers werden unverzüglich wichtige Entscheidungen zu treffen sein. Zunächst sind zwei bedeutsame Personeniragen, die eine für das Reich, die andere für Preußen, zu lösen. Die Ernennung eines Nachfolgers für den verstorbenen Staats- sceretär im Reichspostamt Dr. v. Stephan und für den in Ruhestand getretenen und nach Lübeck übergesiedelten Ober präsidenten der Provinz Schleswig-Holstein v. Steinmann wird nicht länger hinanszuschieben sein. In beiden Fällen sind be reits mehrere Namen öffentlich genannt worden. Es ist aber nach früheren Erfahrungen nicht ausgeschlossen, sondern wahr scheinlich, daß die Öffentlichkeit die eine oder andere Ueberraschung, hoffentlich keine unliebsame, erfahren wird Aber auch große sach liche Entscheidungen stehen im Reiche wie in Preußen bevor. Es muß nun endlich ein Beschluß darüber gefaßt werden, ob und in welcher Gestalt die Reform der Militärstmfproecßord- nung und die Novelle zum preußischen Vercinsgesetz an den Reichstag und den preußischen Landtag gelangen soll. Ein weiterer Aufschub ist schon deshalb nicht zulässig, weil die Tagung dieser beiden Körperschaften dem Abschlusse nahe ist und der Reichstag wenigstens über Pfingsten hinaus nicht zusammenzuhalten wäre. Für die Regierung liegt umsomehr ein Anlaß vor, in beiden Beziehungen nicht länger zu säumen, als es feststcht, daß im Reichstage sonst binnen Kurzem an sie eine Anfrage nach dem Stande beider Angelegenheiten, für die bekanntlich der Reichs kanzler sein Wort vor dem Reichstage verpfändet hat, gerichtet weroen würde. Man wird jetzt unter allen Umständen sehr bald erfahren, wie es darum steht, namentlich auch, ob die Reform des Militärstrafverfahrens wirklich in einer für die Mehrheit des Reichstages annehmbaren Gestalt aus den langen Berathungen des Bundesraths hervvrgegangen ist, wie jüngst behauptet wurde. — Es erscheint nahezu ausgeschlossen, daß sämmtliche noch der Erledigung harrende Gesetzentwürfe zur Verabschiedung gelangen werden. Die Handwerkervorlage gilt bereits als unter den Tisch gefallen, wenn die Kommission nicht ihren Beschluß bezüglich der Innungen aufgeben oder sich da für keine Mehrheit im Reichstage finden sollte. Denn für die Mehrheit der verbündeten Regierungen ist gutem Vernehmen nach der von der Kommission genehmigte Antrag Gamp, der thatsächlich auf Zulassung der obligatorischen Zwangsinnungcn hinauslauscn würde, durchaus unannehmbar. Es ist weiter kaum möglich, die umfangreichen, schwierigen und vielum strittenen Novellen zum Unfallversuherungsgesetz und zum Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz im ausstehenden kurzen Tagungsabschnitt zu erledigen. Auch die Vor lage bezüglich der Postdampfersubvention dürfte schwerlich angesichts der vielfach auseinandergehenden Meinungen hierüber verabschiedet werden können. Von den dem Reichstage bereits zugegangencn Entwürfen dürften dagegen ziemlich sicher der Nachtragsetat mit der Forderung für Das Arnlleriematerial, die Vorlage wegen Erhöhung der Beamtenbesoldungen und der Pensionen für die Hinterbliebenen von Reichsbeamten, das Aus wanderungsgesetz, sowie der Antrag des GesammtvorstandeS bezüglich Des Ankaufs eines Präsidialgebäudes zur Erledigung gelangen. — Der Reichstag nahm heute nach dreiwöchiger 2sterpause seine Arbeit wieder auf. Präsident Freiherr v. Buol zögerte ziemlich lange, die Sitzung zu eröffnen, da die Bänke heute außergewöhnlich dünn besetzt waren. Zunächst wurde
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