Volltext Seite (XML)
3602 Nichtamtlicher Teil. 164, 18. Juli 1888. minder wunderbar sind, als einst die ersten Erzeugnisse der Buchdruckerpresse für unsre Voreltern waren. Die zahllosen photo mechanischen Manieren, welche, wie schon der Name sagt, auf Anwendung der Photographie basieren, haben unsren Kunstmarkt revolutioniert, und nicht zum letzten sind sie es, welche die litte- rarische Produktion mit jedem Jahr vermehren. Die Photographie ist nun das Faksimile-Verfahren pur sx- eellönos; Kupferstich, Lithographie, Stahlstich blieben selbst im besten Faksimile immer freie Nachbildung, Nachbildung, die zwar sklavisch treu sein konnte, aber doch immer von Aug und Hand des Künstlers abhing und daher mit allen Fehlern dieser be haftet bleiben mußte, während die mechanisch arbeitende Photo graphie von diesen frei blieb und mühelos in kürzester Frist lieferte, was den anderen nur nach Ueberwindung großer Schwierig keiten in langen Zeiträumen zu leisten möglich war. — So wenig die Photographie im allgemeinen in ihren Anfangsstadien zu Jllustrationszwecken benutzt wurde — die großen Prachtwerke, welche die Stadt Paris zur Erinnerung an die Anwesenheit der Königin Viktoria 1856 und die Taufe des kaiserlichen Prinzen 1860 in zweiundzwanzig und zwölf Blatt herausgeben ließ, stehen fast so vereinzelt da, wie auf wissenschaftlichem Gebiet H. Loews Europäische Trypetiden mit sechsundzwanzig photographischen Tafeln — so vielfältig wurde sie, deren Mittel doch noch sehr ungenü gende waren, zu Faksimiles benützt. — Charles Blanc gab Rem- brandts Werk in 100 Blatt, Paris bei Gide L Baudry 1855 bis 1858 heraus, ber Muquardt in Brüssel erschien 1858—60 Rubens' Werk in Photographieen von B. Leba nach Grabstichel blättern niederländischer Meister; L. Meder in Heidelberg publizierte Handzeichnungen ans der Sammlung der Frau Sophie Schlosser du Fay auf Stift Nenburg in Photographieen von I. Keller, die Kunsthändler Posonyi in Wien und M. Ravizza in München bedienten sich derselben zu Handzeichnungspublikationen, elfterer gab 1864 ein Heft Handzeichnungen Dürers, letzterer ein solches nach Originalen des kgl. Kupferstichkabinetts in München; auch die Königin Elisabeth von Preußen ließ die Federzeichnungen ihres Gemahls photographisch vervielfältigen, um sie an Bevor zugte zu verschenken. Alle diese Unternehmungen beweisen nur, daß man den unschätzbaren Wert der Photographie für das Faksimile sofort nach seinem vollen Umfang zu würdigen wußte; aber was wollen die Reproduktionen jener Zeit gegenüber denen bedeuten, welche dieselbe Photographie heute hervorbringt? Die Nachbildungen sind so treu, so täuschend geworden, daß sie nicht wie früher nur das ähnliche Bild, sondern das Original selbst zu geben scheinen, ja dieses selbst in vielen Fällen nahezu ent behrlich gemacht haben. Wie dankbar muß z. B. das Kunst gewerbe nicht den photomechanischen Verfahren sein, die es bei Ornament-Vorlagen von den Originalstichen, deren Preise auf so phantastische Höhe gelangt sind, frei machte? Wie haben die selben Verfahren für Literarhistoriker den Inhalt ganzer Biblio theken und Kunstsammlungen in wenige Bände zusammengedrängt; Werke, wie die von Muther, Butsch, Danko über die Buchaus stattung, wie Wesselys Ornament und Kunstindustrie, desselben Landsknechte, wie Koenigs Literaturgeschichte, Könneckes Bilder atlas u. a. m., wie wären sie noch vor vierzig Jahren möglich gewesen, und wenn, was würden sie wohl damals, lithographiert oder gestochen, gekostet haben? Und Museen mit geringen Mitteln, können sie nicht heute getrost auf Originale verzichten? An Stelle eines Blattes, das ihnen vielleicht Hunderte, wenn nicht Tausende kosten würde, sind sie im stände, die umfangreichsten Sammlungen von Faksimiles zu erwerben, die ein gelungeneres Bild der Kunstgeschichte geben als wenige Originale könnten! Die hohe technische Vollkommenheit, zu der es die photo mechanischen Verfahren gebracht haben, kommt eben in erster Linie dem Faksimile zu gute und diesem in abseitigerer Weise als früher. Während z. B- gewisse Eigenschaften des Steins bei der Lithographie die Faksimilierung von Handzeichnungen be sonders begünstigten, treten bei ihr Kupferstiche ganz in den Hintergrund; die Photographie aber läßt da keinen Unterschied erkennen, ihr gelingen alle Nachbildungen gleich vorzüglich; bloß durch das Auge kann nian beispielsweise Bruckmanns photo typische Nachbildungen der Handzeichnungen alter Meister im kgl. Kupferstichkabinett in München kaum noch von den Originalen unterscheiden, ebensowenig die Hanfstängls nach denen Anselm Feuerbachs. In der Reproduktion von Kupferstichen aber steht die photomechanische Nachbildung auf ihrer Höhe. Sind schon die Leistungen des Lichtdrucks auf diesem Gebiet höchst dankens wert — wir denken z. B. an Obernetters Publikation Dürerscher Kupferstiche oder Rommels Rembrandt-Werk — so erheben sich die Photogravüren A. Durands (nach Ruysdael oder die Illustrationen zu Duplessis bmtoirs clo In Arnvnrs), die Photo- typieen Bruckmanns (Inkunabeln des Münchener Kabinetts), die Heliogravüren Grotes (oder der Reichsdruckerei?) (Schon- ganer, Dürer, Rcmbrandt) zu einer so vollkommen täuschenden Aehnlichkeit, daß auch ein Geübter bei der Unterscheidung in Zweifel geraten kann. Geläng es keinem der früheren Verfahren Handschriften so treu wiederzugeben, daß dem Forscher nicht doch ein gewisses Mißtrauen hätte bleiben müssen, so beseitigt die Photographie dieses völlig. Andrea Valentinis Publikationen oberitalicnischer Codices (Lichtdruck), Henri Omonts taesiinilss äs nnmuscrits gnsos clu XV. st XVI. sisels, in Photolithographie, wie Nordenskiölds livrs cks Nareo Lola, Laistners Hohenems-Münchener Handschrift der Nibelungen (Phototypie), Charenceys Nappa kieiniLcIi (Photo gravüre) u. a. m. lassen an Deutlichkeit gewiß nichts mehr zu wünschen übrig; die skrupulöse Gewissenhaftigkeit der Wiedergabe kann ja überhaupt nicht mehr in Frage kommen. — Und wie mit Kupferstichen und Manuskripten, so steht es auch mit Holz schnitten und Letterndrucken. Dürers Holzschnitte von K. von Lützow (Lichtdruck), Holbeins Todtentanz von Lippmann (Photo typie), die Druckschriften des 15.—18. Jahrhunderts der Reichs druckerei lassen ebensowenig zu wünschen übrig, wie die prächtigen Faksimiles, welche A. Pilinski L fils in Paris in einem Ver fahren liefern, welches ihr Geheimnis zu sein scheint. Die Tafeln, welche sie z. B. für Dutuits mannsl äs I'ninatsnr ä'sstnwxea nach Tylographieen lieferte, die Karten und Letterndrucke, die sie, wie Boulanger d'Albis Globuskarte oder Vespuccis Brief an Lorenzo de Medici, reproduzierte, lassen in ihrer Vorzüglichkeit an einen weiteren Fortschritt nicht mehr glauben. — Auch Privatleute haben sich auf diesem Gebiet große Verdienste erworben, wie Ralph von Rettberg-Wettbergen, der berühmte Sammler, welcher nach und nach zu seinem Vergnügen fast das ganze Dürer-Werk faksimilierte, und Ur. Julius Friedländer, der diesen Verfahren ganz besondere Aufmerksamkeit schenkte und ihnen jahrelange an gestrengte praktische Studien widmete; von den schönen Resultaten, welche er erzielte, ist leider wenig bekannt geworden; es möge nur die Wiedergabe einer kleinen Flugschrift des 16. Jahrhundert erwähnt sein. Wir müssen schließlich noch des Faksimile durch Holzschnitt gedenken. Wie wir schon im Eingänge erwähnten, war die Technik desselben als Kunstübung dem vergangenen Jahrhundert ganz abhanden gekommen und so fremd geworden, daß, als z. B. Bartsch 1799 Dürers große Trinmphpforte des Kaiser Max herausgab, er diejenigen Blätter, für welche sich keine Stöcke mehr fanden, nicht etwa, was doch natürlicher gewesen wäre, nachschneiden, sondern in Kupfer stechen ließ, und so bedurfte dieser Kunstzweig denn einer völligen Neuerweckung, die ihm auch und zwar hauptsächlich durch Professor Gubitz in Berlin zu teil wurde. Wir brauchen uns nicht bei den Leistungen des Holz schnittes im 19. Jahrhundert aufzuhalten, sie liegen einem jeden täglich vor Augen, und so bemerken wir für unser spezielles Thema nur, daß ebenso wie beim Kupferstich die Faksimiles, welche er liefert, wesentlich auf freier künstlerischer Nachbildung beruhen, also naturgemäß auf seinem eigenen Gebiet am ehesten zur Geltung kommen werden. Im letzten Jahrzehnt natürlich