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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 14.10.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190010145
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19001014
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19001014
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
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Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-14
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 14.10.1900
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Hchknstck-Clii-Wr Tageblatt. Amtsblatt. Sonntag, den 14. October 1900. 1. Vellage. Nr. 239. Politische Wochenschau. Allgemach machen sich die Anzeichen bemerkbar, daß wir uns der politischen Wintersaison nähern. Auf dem Gebiet der äußeren Politik freilich ist diesmal die „tote Saison" überhaupt ausgefallen. Aber auch auf dem Gebiet der inneren Politik be ginnt sich jetzt bereits regeres Leben zu entfalten. Die Parteien rüsten sich auf die Reichstagssaison und das politische Geplänkel, welches den Vorläufer der eigent lichen politischen Kämpfe bildet, ist bereits auf der ganzen Linie entbrannt. Im Mittelpunkt des poli tischen Kampfes, dem wir entgegengehen, steht natur gemäß der Kampf um die Frage der Getreidezölle, der. schon jetzt zum heftigen Aufeinanderplatzen der Geister geführt hat. Die eigentliche Schlacht wird freilich erst beginnen, nachdem der so ost angekündigte Zusammentritt des Reichstags endlich zur That geworden ist. Die Regierung hatS in dieser Beziehung nicht eilig. Nach den letzten Ankündigungen, die freilich schon recht oft gewechselt haben, wird die neue Session des Reichstags jedenfalls nicht vor der zweiten Hälfte des November das Licht der Welt erblicken. An Arbeit und an Stoff und Gelegenheit zu heftigen Debatten wird es dem Reichstag nich'. fehlen. Den ersten „großen Tag" dürfte der Reichstag bei der zu er wartenden China-Debatte erleben, die sich allem An schein nach zu einer parlamentarischen Schlacht ersten Ranges gestalten wird, da die Regierung sich auf mancherlei kritische Attacken und vor allem auf einen scharfen Vorstoß von sozialdemokratischer Seite gefaßt machen muß. Die Hoffnung der Regierung, dem Reichstag in der China-Sache bereits mit einem luit aocompli kommen zu können, hat sich als unausführbar erwiesen. So schnell sich anfänglich die militärischen Operationen in China vollzogen, so langsam ist der Krebsgang der diplomatischen Verhandlungen, die sich nun schon seit Monaten hinziehen, ohne vom Fleck zu kommen. ES nützt eben nichts, sich über die Thatsache hinwegzu täuschen, daß die meisten Mächte nur mit Widerwillen und der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe, im Konzert der Mächte verharren. Das ist eben der Grund, weshalb die Mächte noch immer nicht über einen Notenaustausch hinweg gekommen sind, der bisher noch keine greifbaren Resultate ergeben hat. Die Amerikaner, die im Grunde des Herzens das Konzert der Mächte am liebsten dahin wünschen möchten, wo nach be glaubigten Mittheilungen der Pfeffer wächst, verfolgen die Taktik, auf jeden Klotz einen Keil, das heißt auf jede Note einer anderen Macht eine eigene Note zu fetzen, so daß hier allgemach ein recht unfruchtbares Frage- und Antwortspiel entstanden ist. Die Taktik der Engländer ist eine andere, aber nicht weniger wirksame. Sie pflegen die Noten der Mächte erst dann zu beantworten, wenn der Gegenstand, um den es sich handelt, Halbwegs erledigt ist. Die Franzosen und Russen pflegen zwar den diplomatischen Noten zuzustimmen, aber sie sind bemüht, dem glatten Fort gang der diplomatischen Verhandlungen auf dem „Verwaltungswege" Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Diese Uneinigkeit der Mächte, über welche keinerlei euphemistisch gehaltene offizöse Darstellungen hinwegzutäuschen vermögen, hat denn auch ihre Wirkung auf die Machthaber in China nicht verfehlt. Bei allem äußerlichen Nachgeben haben sie sich that- sächlich auf eine Taktik des passiven Widerstandes gegen die Forderungen der Mächte verlegt, welche den Gedanken an eine schnelle und befriedigende Beilegung der chinesischen Wirren garnicht aufkommen läßt. Die höfliche Einladung der Mächte, nach Peking zu kommen, hat der Kaiser von China ebenso höflich wie be stimmt abgelehnt in der Erwägung, daß die Situation in Singanfu fern vom Schuß für ihn weit an genehmer ift. Unter diesen Umständen bieten auch die schönsten Strafedicte des Kaisers von China nicht die geringste Garantie für den aufrichtigen Willen der chinesischen Machthaber, die berechtigten Forderungen der Mächte zu erfüllen. Es kann des halb nicht weiter Wunder nehmen, daß man sich seitens der Mächte bereits aus die Nothwendigkeit eines Winterfeldzuges in China einrichtet. Der Wahlfeldzug in England geht seinem Ende entgegen und sein Ausfall ist so, wie ihn die ihres Sieges sichere Regierung erwartet hatte. Die jenigen, welche in dem Wahn gelebt hatten, daß die öffentliche Moral in England stark genug sein werde, um ein Kabinet vom Schlage Salisbury-Chamberlains aus dem Sattel zu heben, sehen sich getäuscht. Der „imperialistische" Rausch, in den die überwiegende Mehrheit des englischen Volkes verfallen ist, hat sich als stark genug erwiesen, um alle die schweren politi schen Sünden zuzudecken, welche das Kabinet auf seinem weiten Gewissen hat. Die Mehrheit der eng lischen Nation hat durch seine Stimmabgabe bei den Wahlen die südafrikanische Politik des sauberen Herrn Chamberlain gutgeheißen und sich dadurch zu seinem Mitschuldigen gemacht. Fürs erste freilich triumphirt diese Politik. Das südafrikanische Kriegsdrama geht seinem Ende entgegen und dieses Ende ist ein tiestragisches. Zwar kämpft noch eine Anzahl kleiner Burenschaaren den verzweifelten Kampf gegen die erdrückende englische Uebermacht, aber in diesem Guerillakrieg sind ernst hafte Erfolge nicht mehr zu erhoffen. Soll doch die Schaar des tapfersten aller Burensührer, De Weis, bereits zersprengt worden sein. Am Donnerstag war ein Jahr seit dem Anfang des Burenkrieges verflossen. Wenn auch ein Theil der Buren den Kleinkrieg noch geraume Zeit fortsetzen dürfte, so wird doch der eigentliche Krieg den Jahrestag seines Beginns schwerlich lange überleben. Die chinesischen Wirren. Rußland hat der Welt wieder einmal eine Ueber- raschung bereitet: es schlägt vor, die chinesische Frage insoweit, als die den betheiligten Mächten zu leistenden Beschädigungen in Betracht kommen, dem inter nationalen Schiedsgericht im Haag zu unterbreiten, falls die Meinungen darüber auseinandergingen. Man erfährt dies aus der Beantwortung der französischen Note durch den Präsidenten McKinley, der seinerseits hinzufügt, er sei der Ansicht, daß dieser Vorschlag der Aufmerksamkeit der Mächte Werth sei. ES ist hiermit zu den bisherigen Problemen ein neues hinzugekommen, dessen Lösung kaum ohne langwierige Verhandlungen sich ermöglichen lassen dürfte. Seitens der japanischen Gesandtschaft in London wird vor allzu großer Leichtgläubigkeit hinsichtlich der chinesischen Meldungen gewarnt. So sei es zum Bei spiel lächerlich gewesen, als man von chinesischer Seite das Mitleid der Mächte für die Kaiserin-Wittwe wach- rufen wollte und erzählte, dieselbe habe in bettlerartiger Kleidung und in schlechtem Gefährt aus Peking flüchten müssen und habe während ihrer Reise kaum die aller geringste Nahrung gehabt. Dem gegenüber wurde aus Tokio gemeldet, die Kaiserin habe ihre Flucht in bester Weise vorbereitet und habe diese in China als eine Art „Triumphzug zur Täuschung und Verspottung der fremden Teufel" ausposaunen lassen. Auf japanischer Seite sieht man daher auch die neuesten Strafedikte des Kaisers Kwangsü entweder als nicht echt oder als völlig gegenstandslos an, da nach den neuesten, über Tokio eingetroffenen Meldungen Prinz Tuan nach wie vor in seiner einflußreichen Stellung verharrt. Zwei der angeblich zur Enthauptung verurtheilten Mandarinen, Kangyi und Tschaoschutschiao sind von Anfang an als Häupter der fremdenfeindlichen Be wegung genannt worden. Kangyi war Gouverneur von Schansi (1885), Kiangfu (1888) und Kwantung (1892); nach Beginn der vom Kaiser Kwangsü unter stützten Reformbewegung wurde er nach Peking berufen, und er soll es gewesen sein, der der Kaiserin die Ge fahr der Reformen voistellte und sie für die Anschauung zu gewinnen wußte, daß alles Fremde im Reiche aus gerottet werden müsse. Um die Geldmittel für diesen Feldzug aufzuireiben, wurde er als besonderer Kommissar nach Kiangsu und später nach Kanton gesandt und zeichnete sich durch das finanzielle Geschick aus, mit dem er diese Aufgabe zu lösen und der Centralregierung neue Geldquellen zu erschließen verstand. Seine Haupt stütze bei der Vorbereitung der Fremdenhetze war der auS Scheust gebürtige Tschaoschutschiao, der ebenfalls im Jahre 1892 als Tao-tai von Wentschou in Tsche- kiang nach Peking in die Umgebung der Kaiserin be rufen wurde, Minister im Dung-li-Iamen und Gou verneur von Peking war. Gemeinsam mit Kangyi soll er die Boxer veranlaßt haben, in Peking einzu dringen und die Gesandtschaften anzugreifen. Bei der Bestrafung des Prinzen von Tuan wird nicht ange geben, ob er lebenslänglich oder nur zeitweilig ver bannt ist, die Nebenstrafe der Zwangsarbeit, die ihm auferlegt sein soll, wird sehr häufig mit der Verbannung verknüpft. Es fehlen übrigens noch viele Namen, deren Träger als Hauptschuldige im Lause der Un ruhen genannt worden sind; so Tungfuhsiang, der be- kannte General der Kansutruppen, der den Sturm auf die Gesandtschaften leitete, Lilaifu, der Häuptling der Boxer, Junglu, der Oberbefehlshaber, dessen Rolle immer noch nicht klargestellt ist, der Großsecretär Hsü- tung, der freilich einem Gerücht zufolge gestorben sein soll, der Herzog Tschungyi, Schwiegervater des Kaisers Tungtschi, und andere. Der amerikanische Gesandte Conger soll denn auch bereits zehn oder zwölf weitere Mandarinen, deren Bestrafung zu fordern sei, bezeichnet haben. Die Uebersiedelung des chinesischen Hofes nach Singanfu dürste jetzt bereits eine vollzogene Thatsache sein. Inwieweit dabei Kaiser Kwangsü freiwillig gehandelt oder dem Zwange seiner Umgebung nach gegeben haben mag, läßt sich vorerst gar nicht beur- theilen. Nach Depeschen aus Schanghai werden alle für den chinesischen Hof bestimmten Telegramme nach Singanfu adressirt; der Vicekönig Tschanschitung setze die Verfolgung der geheimen Gesellschaften fort. Täg lich werden neue Verhaftungen gemeldet, und zahlreiche Hinrichtungen sind bereits erfolgt. — Um die Be strafung der schuldigen Großwürdenträger bemüht sich jetzt sogar eine Anzahl der bei den Mächten beglau bigten Herren Gesandten des chinesischen Reiches. Nach einem Telegramm überreichten die chinesische Gesandten in London, Paris, Tokio, Petersburg und Washington eine gemeinschaftliche Anklageschrift gegen mehrere chinesische Beamte. Li-ping-heng steht an der Spitze der Liste, dann folgen Auhsien, Kangyi, Tschao- schu-tschiao und Tung-fu-hsiang. Prinz Tuan und Tsailan werden erst zuletzt genannt. Das neue Edict bezüglich der Bestrafung des Prinzen Tuan und Ge nossen drückt abermals Bedauern über die Ermordung des Freiherrn von Ketteler aus und tadelt die Kaiser liche Familie wegen Unterstützung der Boxer. Es wurde auf Wunsch Li-Hung-Tschanzs erlassen um die Mächte zu besänftigen und eine Conferenz vorzubereiten. Es wäre jedoch ein Wunder, wenn der Kaiser und die Kaiserin das Edict wirklich ausführen ließen. Hl Hl Im Süden Chinas scheinen die Wirren zuzunehmen. Daily Mail meldet aus Hongkong: Die Aufständischen in Kwantung zeigen mehr fremdenfeindliche Tendenzen. Fünf Missionen in Hakingtschan wurden zerstört. Admiral Ho traf in Saschu ein, und die Rebellen sollen sich nordwärts ziehen. Der Vicekönig wird dringend aufgefordert, die Aufstände in Wutschau und Warschau zu unterdrücken. Gegen die Mission ge richtete Ausstände fanden auch in Tschungluk und Tungkun statt, ein französisches Kanonenboot ging dahin. Der britische Consul in Kanton erhielt ernen von einigen Reformern unterzeichneten Brief, daß dem nächst eine Rebellion in Kanton auSbrechen würde, die Ausländer möchten die Stadt verlassen. Der Kalun- District ist ruhig. Schanghai, 12. Oktober. Im Hauptquartier in Tientsin wird die revolutionäre Bewegung in Kanton für sehr ernst gehalten. Der „Luchs" und „Tiger", sowie ein englisches Kanonenboot erhielten Befehl, dort zu bleiben. Der Alarm am vergangenen Sonntag und die seitens der europäischen Truppen getroffenen Maß- regeln veranlaßten die chinesischen Behörden, gegen jede Besetzung chinesischen Gebiets in Schanghai außerhalb der europäischen Niederlassungen zu pro- tesüren. Die Vicekönige im Dangtsethale erklären offen, daß sie jedem Vorrücken der Deutschen in Schantung Das Oorpus äsUeti. Novelette von Reinhold Ortmann. 2. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Es handelt sich da nicht um eine kleine Zahl von wohlbekannten Waldfrevlern, unter denen mit einiger Aussicht auf Erfolg der Mörder zu suchen ge wesen wäre, sondern es gab eine Menge von Gelegen heits-Wilderern, die sich nach der Angabe des Ober försters zum Theil sogar aus den besseren Ständen rekrutierten, und denen es viel weniger um die Er beutung eines Wildprets, als um die wohlfeile Be friedigung ihrer Jagdlust zu thun war. Und den Hinweis auf diese Menschengattung griff der Unter- fuchungSrichter sogleich mit großem Eifer auf. „Wir werden unsere Nachforschungen vor allem nach dieser Richtung hin vornehmen," erklärte er. „Ein gewohnheitsmäßiger Wilddieb, sür den eine Ge- fängnißl rase nicht etwas gar so Schreckliches bedeutet, überlegt sich's wohl hundert Mal, ehe er einen Tod schlag begeht. So ein seines Herrchen aber, dem viel leicht seine ganze Existenz durch eine Anzeige ver nichtet werden würde, mag sich von der Verzweiflung leicht genug zum Aeußersten treiben lassen. Es wird eine schwere Aufgabe sein, die uns da erwächst, aber ich hoffe sie zu lösen. Zunächst müssen wir natürlich eine peinlich genaue Durchsuchung des Thatortes vor nehmen. Irgend eine Spur pflegt ja fast immer da zu sein; man muß nur ordentlich die Augen auf machen, um sie zu finden." Die Durchsuchung, für die jedem der anwesenden Herren ein bestimmtes Revier zugetheilt wurde, ließ denn auch an Gründlichkeit nichts zu wünschen übrig. Namentlich der Referendar bewies, um sich des ihm vorhin ertheilten Lobes würdig zu zeigen, einen ganz außerordentlichen Eifer. Er begnügte sich nicht damit, jeden Stamm und jede Baumwurzel eingehend zu mustern, sondern er kroch stellenweise sogar auf allen Vieren im Unterholz herum, damit er nachher mit gutem Gewissen versichern könne, daß kein Fußbreit seines Bezirks undurchforscht geblieben sei. Aber er fand nichts — keinen angebrannten Papierpfropfen, keine Fußspur oder sonst ein verräterisches Zeichen. Als die Kommission mit Ausnahme des Gensdarmen, der die Sache noch fortsetzte, nach einer halben Stunde wieder zusammentrat, mußte zur schmerzlichsten Ent täuschung des Landgerichtsraths festgestellt werden, daß nichts zn entdecken gewesen sei, was der Untersuchung irgend welchen Anhalt hätte gewähren können. Aber während man noch berieth stieß der Gendarm plötzlich einen Ruf der Ueberraschung aus und kam dann raschen Schrittes auf die kleine Gruppe zu, einen Gegenstand, den er offenbar für sehr bedeutsam hielt, in der erhobenen Rechten. „Dieses Täschchen habe ich soeben dort im Ge büsch gefunden," sagte er, und alle drängten herzu, um das wichtige Objekt, in dem man vielleicht das gesuchte corpus dclicti zu erblicken hatte, in Augen schein zu nehmen. Einem gewöhnlichen Wilderer aus den unteren Volksschichten konnte es allerdings nicht gehört haben, das erkannten alle sofort. Denn es war ein sehr elegantes und anscheinend noch ganz neues Visiten kartentäschchen aus grünem Sasfianleder, wie es Leute der niedrigen Stände gewiß niemals führen. Karten oder Papiere, die einen Schluß auf die Person des Eigenthümers gestattet hätten, fanden sich allerdings darin nicht vor. Die beiden inneren Taschen waren vollständig leer. Allem Anschein nach handelte es sich da um ein Geschenk, das der Besitzer noch garnicht in Gebrauch genommen hatte. Die im Innern befind liche kunstvolle Stickerei, einen Strauß von Tausend schönchen und Vergißmeinnicht darstellend, ließ wenig stens mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen, daß der kleine Gegenstand ein von zarter Hand gespendetes Angebinde darstellte. Die Falkenaugen des Unter suchungsrichters, der das Täschchen sogleich an sich genommen hatte, entdeckten darin jedoch noch etwas anderes, nämlich den in der unteren Ecke mit winzig kleinen, vergoldeten Buchstaben eingeprägten Namen des Fabrikanten, eines bekannten Lederwaarenhändlers der Stadt. „Nun, meine Herren," sagte er triumphierend, „ich denke, wir hätten die gesuchte Spur glücklich ge funden. Sie sehen, daß ich mich mit meiner vorhin ausgesprochenen Bermuthung durchaus auf dem rich- tigen Wege befand. Dieses Täschchen kann von keinem anderen verloren worden sein, als von dem Mörder des unglücklichen Birkner. Ich sage, es kann nicht — und ich habe dafür, wie Sie sogleich hören werden, meine guten Gründe. Der erste derselben ist der Ort, an welchem es von dem Gensdarmen gefunden wurde. Was hätte ein harmloser Spazier gänger dort mitten im Buschwerk und Gestrüpp zu schaffen gehabt? Wohl aber mochte ein auf ver botenen Wegen befindlicher Wilddieb, als er die An näherung eines Menschen wahrnahm, sich da hinein verkriechen. Seit der Auffindung der Leiche hat nach der Aussage des Forstbeamten niemand mehr den Platz oder seine nächste Umgebung betreten. Das Täschchen ist aber weder beschmutzt noch durchnäßt; es kann also erst seit sehr kurzer Zeit dort gelegen haben, urd nur die blödeste Kurzsichtigkeit könnte sich der Gewißheit verschließen, daß es dem von uns ge suchten Verbrecher entfallen sei. Wir haben damit zugleich den unwiderleglichen Beweis, daß er wirklich den besseren Ständen angehört hat, und wenn uns, wie ich hoffe, der Fabrikant Auskunft darüber geben kann, an wen er das Täschchen verkauft hat, so wird es uns nicht mehr allzu schwer fallen, den Schuldigen zu ermitteln." Der Staatsanwalt wagte zwar noch einigen leifen Zweifeln an der Unfehlbarkeit dieser Beweisführung Ausdruck zu geben. Aber der LandgerichtSrath, der offenbar von nicht geringem Stolze auf seinen eigenen Scharfsinn erfüllt war, nahm diele Bedenken so un- gnädig auf, daß niemand einen weiteren Versuch machte, ihn auf die Gewagtheit seiner Vermuthungen hinzuweisen. Man kehrte in die Stadt zurück, und der Herr ^ath entwickelte einen geradezn fieberhaften Eifer, um womöglich noch an diesem ersten Tage volles Licht in das Dunkel der rätselhaften Angelegenheit zu bringen. Ein Kriminalbeamter wurde zu dem Lederwaaren-Fabrikanten entsandt, um ihm das Lorpus äelietl vorzulegen, und zur nicht geringen Freude des Untersuchungsrichters kehrte er schon nach einer halben Stunde mit der Meldung zurück, das Täsch chen sei erst im Laufe dieses Monats von einem Fräulein Rogall gekauft worden. Der Geschäftsin haber konnte sich dessen mit aller Bestimmtheit erinnern, weil es sich um das einzige, bisher abgesetzte Exemplar eines ganz neuen Musters handelte, und weil die junge Dame außerdem mehrere Tage später noch ein mal erschienen war, um die von ihr angefertigte Stickerei in dem Täschchen anbringen zu lassen. Der Referendar glaubte vor Entsetzen vom Stuhle sinken zu müssen, als er den Namen des an- qebeteten Mädchens — und es gab nur ein einziges Fräulein Rogall in der ganzen Stadt — in Ver bindung mit dieser Mordaffaire vernahm. Darum also hatte sie ihn in der letzten Zeit ohne jeden er kennbaren Grund so kühl und abweisend behandelt. Ihr Herz hatte sich einem anderen zugewendet, dem sie durch reizende und vielsagende Geschenke ihre Neigung zu erkennen gab — einem Unwürdigen, über dem jetzt dasDamoklesschwert der strafenden Gerechtigkeit schwebte. Die ganze Untersuchungsangelegenheit, die für Walter Karstedt bis dahin nur ein rein kriminalistisches Inte resse gehabt hatte, gewann in seinen Augen nun plötz lich ein ganz anderes Aussehen. Er brannte vor Begierde, den Namen des bevorzugten Nebenbuhlers zu erfahren, und er war all' seiner sonstigen Gutmüthigkeit zum Trotz schlecht genug, zu wünschen, daß man ihn des an dem Waldheger begangenes Mordes möge überführen können. So ganz beherrschte ihn das Gefühl bitterer Kränkung über Jlse's treulosen Wankelmuth, daß er ohne jede Regung des Mitleids das Vorladungs-Formular ausfüllte, in welchem sie zu sofortigem Erscheinen vor dem Untersuchungsrichter aufgefordert wurde. Aber als sie dann ein paar Stunden später wirklich erschien, noch ohne Kenntnis dessen, was man eigent lich von ihr begehrte, doch mit allen Zeichen der Be stürzung und der mädchenhaften Verlegenheit in AuS- ehen und Benehmen, als sie ihm einen stumm be- revten, gleichsam hülfeflehenden Blick zuwarf, da erwachte die Liebe, die er für immer aus seinem Herzen gerissen zu haben glaubte, aufs neue in ihrer alten Glut und Innigkeit. Er begrüßte die zitternde Ilse mit einer so tiefen und ehrerbietigen Verbeugung, wie sie wohl kaum jemals einer Zeugin von einem amtlich funktionierenden Protokollführer zu theil ge worden war und suchte ihr, da er sie im Beisein deS Herrn Landgerichtsraths selbstverständlich nicht anreden durfte, durch allerlei Zeichen bemerklich zu machen, daß sie nicht« zu fürchten habe. (F. f.)
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