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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.11.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190011182
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19001118
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- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19001118
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- Saxonica
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-18
-
Monat
1900-11
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.11.1900
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MenM-Eln-Aler TiMM. Amtsblatt. Nr. 268. Sonntag, den 18. November 1900. 1. Beilage. Die chinesischen Wirre«. Die «rä«el der Russe« irr der Mandschurei. Interessante Streiflichter auf das Vorgehen der Russen in der Mandschurei wirst ein Bericht der be- kannten Reiseberichterstatters der „Nowoje Wremja", Moltschanow, der sich also vernehmen läßt: .Die friedliche Eroberung Ostsibiriens durch die Chinesen ist eine unbestreitbare Thatsachc. Auf den Stanitzen (Kosakendörfern) am Amur giebt es keine russischen Handwerker; Ziegelstreicher und sogar Zimmerleute sind Chinesen. Am Assuri sitzt der russische Ansiedler auf seinem fruchtbaren Landgut, aber chinesische Hände bringen ihm die Ernte ein. Auf den Bazaren der Städte kauft man chinesisches Getreide, chinesisches Heu und mandschurisches oder mongolisches Fleisch; wo gebaut wird, sind die Arbeiter Chinesen, in den Magazinen — Chinesen die Kauf leute, in den Banken Chinesen die Beamten, bei Ge schäften sind sie die Unternehmer und im Hause sind Chinesen die Bedienten. Wo Gold auf erlaubtem oder unerlaubtem Wege gegraben oder gewaschen wird, kommen auf 50 russische 1000 chinesische Arbeiter. Es wäre daher die äußerste Heuchelei, wenn man von der Besiedelung Ostsibiriens spricht, die Chinesen zu übergehen, da sie nicht nur eine hohe Ziffer, sondern auch eine äußerst wichtige ökonomisch politische Kraft darstellen." Herr Moltschanow wirst darauf die Frage auf, ob jene Chinesen russifizirt werden können. Es sei außerordentlich wichtig, gerade darüber klarzusehen, denn hinter jenen ostsibirischen Chinesen ständen Hunderte von Millionen anderer Chinesen. Weiter heißt es: „Auf diese große und wichtige Frage antworten kundige Leute mit einem entschiedenen „Nein!" Die Chinesen, sagen sie, sind organisch nicht geeignet zur Assimilation. Auch giebt es bei ihnen eine Art Kahal, welches die Abfallenden verfolgt. Der chinesische Kaufmann, der europäische Kleidung anlegt, verliert sofort alle chinesische Kundschaft und allen Kredit. Die Chinefen schätzen sogar die Aeußerlichkeiten der chinesischen Kleidung und die Aufrechterhaltung der chinesischen Gemeinschaft höher als die Reinheit der Nationalität und der Blutes. So hat das chinesische Ufer des Amur eifrig alle die Tausende unglücklicher Chinesen zusammengeschossen, die aus Blagoweschtschensk flohen und vergebens versuchten, durch den reißenden Strom zu fahren, um das heimathliche Ufer zu er- reichen. Man erschoß sie aber nur, w il sie im Ver- trauen auf russischen Schutz nicht am bestimmten Tage hinübergekommen, sondern auf dem russischen Ufer geblieben waren. Die Tausende chinesischer Leichen, die Wasser und Lust am Amur verpesteten und durch die Fluth auf die Ufer geworfen wurden, wo Schweine und Hunde sie wetteifernd zerrissen — die ganze widerwärtige Erinnerung und dies abstoßende Schauspiel dankt zur Hälfte dem Umstande die Ent- stehung, daß die Chinesen des rechten Ufers mit echt mongolischer Härte ohne zu ermüden und ohne zu fehlen, einen ganzen Tag lang auf ihre eigenen Lands leute schossen, die so schuldlos, so tragisch unglücklich und so wehrlos über den Fluß schwammen. Die Furcht vor dem Kahal muß bei den Chinesen entsetz- lich groß sein. Der verstorbene Generalgouverneur des Amurgebietes, Baron Korff, verlangte, daß ein Chinese, wenn er russischer Unterthan werden wollte, sich den Zopf abschneide. Jetzt sind die Zeiten liberaler und der Zopf ist kein Hinderniß für die Aufnahme in den russischen Unterthanenverband. Aber unter der Million Chinesen, die auf russischem Boden arbeiten, ist die Annahme der russischen Staats- angehörigkeit und des russischen Glaubens nicht nur vereinzelt, sondern ausgeschlossen. DaS Entsetzen der Tage, welche auf die Einnahme von Blagoweschtschensk folgten, hätten die Assimilation mächtig fördern müssen, aber eS kam ganz anders. So sehr ich mich um Angaben bemüht habe, hörte ich doch nur von wenigen Chinesen, die unter dem Drucke der sehr ernst zu nehmenden Panik ihre Nationalität aufgaben. Auf )em Dampfboot „Pott Arthur" schnitt ein 17 jähriger Bursche sich den Zopf ab und wurde zu einem Michael. In der Stanitza Jnokentjewskaja fanden sich, als die Chinesen ermordet wurden, drei Kaufleute bereit, den orthodoxen Glauben anzunehmen, und das hat sie wirklich vor dem schrecklichen Schicksal der übrigen im Dorfe wohnenden Chinesen bewahrt. Das waren aber auch alle, ich habe sonst von keinem Renegaten des Chinesenthums gehört, obgleich in der Geschichte der Menschheit die blutigen Tage, die auf den Fall von Blagoweschtschensk folgten, durch Jahr hunderte fortleben werden, und obgleich die Chinesen alle diese Tage vor der Entscheidung standen, ent weder rechtgläubig zu werden oder überhaupt nicht zu sein. Niemand, weder die Regierung noch das Volk, nöthigte sie zum Renegatenthum, aber die Chinesen sahen, hörten, wüßten und verstanden, daß nur, wenn sie erklärten, russische Christen werden zu wollen, das Damokles-Schwert nicht auf sie niederfiel, denn dieses Schwert tödtet nicht im Zorn oder aus Zufall, sondern ruhig und mit elementarer Gewalt." Zu welchen entsetzlichen Gräueln, bemerkt dazu die „Kreuzztg.", der wir obigen Bericht entnehmen, bekennt sich hier das russische Volk durch den Mund des Herrn Moltschanow! Tausende ermordet, weil sie nicht bereit waren, zur russisch-griechischen Kirche überzutreten. Denn, trotz aller Verkleidungen, das ist doch das Motiv gewesen, das „mit elementarer Ge walt" die Morde hervorrief! Herr Moltschanow be- ruft sich izur Entschuldigung dieser Frevel auf den nationalen Instinkt. Es seien nicht Betrunkene, nicht Buben, sondern ruhige Männer gewesen, die aus nationalem Gefühl, wohlüberlegt, so gehandelt hätten. In den Dörfern, in denen nur wenige Chinesen wohnen, haben die Russen aus Mitleid es so eingerichtet, daß der Tod die Unglücklichen ganz unerwartet traf! So hat man in Kasatkina sieben dort wohnende Chinesen, ohne daß sie etwas vorher ahnten, während sie arbeiteten, mit Verdangewehren niedergestreckt. Herr Moltschanow erzählt in dieser lehrreichen Korrespondenz noch den folgenden Fall: „In den Tagen des Schreckens und der Bom- bardierung von Blagoweschtschensk fuhr auf dem Fluß ein Boot mit Chinesen. Man holte es ein, brachte die Chinesen ans Land und erklärte ihnen offen, welches Schicksal ihnen in 5 Minuten beoorstehe, dazu sagte man ihnen, daß die Chinesen, welche in Jnokentjewskaja sich hätten zur rechtgläubigen Kirche taufen lassen, verschont worden seien. Was geschah? Nicht ein Chinese wollte mit diesem Preis sein Leben erkaufen." * * * Von den Boxerjagden zwischen Tientsin und Peking entwirft der Berichterstatter der „Köln. Ztg." folgendes Bild: „Die vereinzelten Schüsse, die dann und wann von irgend woher irgend wohin geschossen werden, lassen eher an einen pirschenden Jäger denken, a!S an fremde Wachtposten in Feindesland, die jeden Eingeborenen wie Wild abschießen, sobald sich so ein Unglückskerl in der Nähe einer militärischen Station sehen läßt. Denn diese Gewohnheit hat sich leider ausgebildet, zumal bei den Russen und Franzosen, daß die Chinesen gejagt werden wie die Hasen, auch wenn sie unbewaffnete und unkriegerische Bürger sind. Zur Entschuldigung kann nur angeführt werden, daß allerdings auch hier, unmittelbar an der Etappenstraße, noch Boxer in größeren und kleineren Scharen ge sunden woreen sind, und daß einzelne Boxer, die von Patrouillen überrascht wurden, gern ihre Kriegskleider abwerfen und im Grase hockend sich als harmlose ackerbestellende Bauern gebärden. Ob solche List der Boxer, die denn doch nur selten hier noch getroffen worden sind, das rücksichtslose Abschießen der ganzen Bevölkerung rechtfertigt, muß füglich bezweifelt werden. Das Land ist schon jetzt wie ausgestorben, die dieses Jahr besonders reich ausgefallene Ernte wartet auf die Schnitter, und bei diesen russischen Mitteln der Beruhigung deS Landes wird es sicherlich nicht leicht sein, die Bevölkerung zur Rückkehr zu bewegen. Zur Zeit sind die Leute noch so eingeschüchtert, daß sie sofort in die Felder verschwinden, wenn sie von Fremden gesehen werden. Früher pflegten vor jedem Dorfe Theeverkäufer zu stehen, die den über Land Reisenden eine Schale Thee reichten und die Pferde tränkten. Von diesen nützlichen Geschöpfen hatten sich anfangs einige auf der Etappenstraße eingefunden, in der bescheidenen Hoffnung, ein paar Kupfermünzen im Laufe des Tages zu verdienen. Aber auch mit ihnen haben die Russen aufgeräumt." Tagesgeschichte. De«tschla«d. — Die „Kons. Korr." schreibt: Ter Tübinger Professor v. Schönberg stellte jüngst in einer Rede folgende zusammenfassende Betrachtung über die bis herigen Leistungen der deutschen Arbeiterschaft an: Tie Krankenversicherung, deren Beiträge bekanntlich zu zwei Dritteln von den Arbeitern, zu einem Drittel von den Arbeitgebern bezahlt werden müssen, hat von 1885 bis 1900 etwa 1500 Millionen Mark, die Un fallversicherung, deren Kosten von den Arbeitgebern allein aufgebracht werden müssen, 17 000 000 Mk. an Entschädigung ausbezahlt, die Invalidität?- und Altersversicherung seit ihrem Bestehen 500 00O000 Mk., wovon je 126 Millionen durch die Arbeiter und Arbeitgeber, der Rest durch den Staat getragen wurde. Jnsgesammt haben die Arbeiter bis jetzt rund 750 Millionen Mark mehr an Entschädigungen heraus bekommen, als sie Beiträge gezahlt haben. Daraus ergicbt sich, so schloß der Redner mit Recht, daß die arbeitenden Klassen mehr als irgend ein anderer Stand Ursache haben, für die Entstehung des Deutschen Reiches dankbar zu sein. Was auf den Gebieten des Arbeiterschutzes und der Arbeilerversicherung in Deutsch land bis jetzt erreicht worden ist, gehört in der That mit zu den größten Errungenschaften des neuerstan denen Reiches. Wie albern nimmt sich solchen Riesen ziffern, wonach bereits über zwei Milliarden für die Lageverbesserung der Arbeiter nur auf dem Gebiete des Versicherungswesens aufgewendet worden sind, das sozialdemokratische Gerede von dem „bißchen Sozialreform" und die Behauptung aus, daß die Ar beiterinteressen von den „herrschenden Klassen" „ver- rathen" würden. (Alters- und Invaliditäts-Versicherung betr.) Bei der Landesversicherungsanstalt Königreich Sachsen wurden bis zum 30. Sept. 1900 insgesammt gestellt 39508 Anträge aus Invalidenrente (hiervon im laufende: Jahre 7097). Im Feststellung?- oder weiteren Verfahren wurden anerkannt insgesammt 32489 (im lausenden Jayre 6121), abgelehnt insge sammt 4082 (im laufenden Jahre 316), in anderer Weise erledigt 2072 (im laufenden Jahre 433.) Anträge auf Altersrente wurden gestellt insgesammt 33876 (hiervon im laufenden Jahre 2191). Im Feststellnngs- oder weiteren Verfahren wurden aner- kannt insgesammt 27417 (im laufenden Jahre 2014,) abgelehnt insgesammt 1345 (im laufenden Jahre 201,) (im laufenden Jahre 215). Anträge auf Beitrags- Zurückerstattung fanden Bewilligung in 64780 Heirathsfällen (im laufenden Jahre 12830) sowie in 11032 Todesfällen (im laufenden Jahre 2359. Berlin, 16. Novbr. Dem Reichstag ging ein Antrag Roesicke zu betr. die Errichtung von Arbeits nachweisen, sowie ein Antrag Rickert betr. Abänderung des Wahlgesetzes für den Reichstag. Berlin, 15. November. Dem Reichstage ging ein Antrag Münch-Ferber zu, die Regierungen zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die Errichtung deutscher Handeln kammern im Auslande herbeigeführt werde, ferner ein Antrag des Abg. Munckel, welcher anstatt Z 360 Abs. Il des Strafgesetzbuches (Grober Unfugsparagraph) folgende Bestimmung vorschlägt: 11. wer durch Erregung von Lärm oder ähnlicher unmittelbar in diesen Sinn fallender Handlungen die öffentliche Ruhe ungebührlicher Weise stört: ferner ein Antrag Bekh Coburg zum Para graphen 7 der Strafproceßordnunq, welcher feststellt, daß ver Gerichtsstand einer durch den Inhalt einer Druck schrift begründeten Strafthat ausschließlich bei dem Ge richte begründet ist, in deffen Bezirk die Druckschrift er schien; ein Antrag Bargmann, betreffend Aushebung der Theaterzensur und in den Paragraphen 32 und 33 der Gewerbeordnung m bestimmen, daß die vorgängige Er- laubniß zu theatralischen Vorstellungen, Singspielen, Schau stellungen rc. nicht erforderlich ist, ebenso bei nicht ge werbsmäßiger Veranstaltung. Berlin, 16. November. In der deutschen Ko lonialgesellschaft hielt gestern Abend Professor Dr. Koch einen Vortrag über die Malaria und ihre Bekämpfung. Er bezeichnete als einzigen Träger des Malariaparasiten den Menschen, während die Ueberträgerin eine Mückenart sei. Die Bekämpfung müsse durch Vernichtung der Para siten im Menschen erfolgen. Professor Koch empfahl, Acrpe, di« mit der Anwendung des Mikroskops vor- gebildet sind, nach den Kolonien zu schicken, um die Untersuchungen dort sortzuletzen. Dem Vortrag wohnten Staatssekretär Frhr. von Richthofen, Unterstaatssekretär von Mühlberg, sowie sonstige.Vertreter der Reichsbehörden, Mmisterien und der Wissenschaft bei Die im letzten Juli abgebrannten New-Porker Docks des Norddeutschen LloyS werdin bedeutend ver größert resp. wieder aufgebaut werden. Die Kosten belaufen sich aus mehrere Millionen Dollars. Die Docks werden die großartigsten der Welt sein. Frankreich. Paris, 16. Nov. Der vom Handelsminister Millerand ausgearbeitete Gesetzentwurf über die obli gatorischen Schiedsgerichte enthält u. a. folgende Be stimmungen: In jedem Betriebe von mindestens 50 Arbeitern werden den Arbeitern alle Fälle bekannt gegeben, die zur Zuständigkeit der Schiedsgerichte ge hören. Ausstände können nur durch regelrechte Ab stimmung der Arbeiter beschlossen werden. Die Theilnahme an einem ohne Abstimmung beschlossenen Ausstand wird mit Gefängniß bis zu einem Jahr und Geldbuße bis zu 3000 Frcs. bestraft. Eine entsprechend den Vorschriften deS Gesetzentwurfs be schlossene gemeinsame Einstellnng der Arbeit ist für alle Arbeiter eines Betriebes bindend. Die Ab stimmung über einen Ausstand muß jede Woche er neuert werden. Diejenigen Betriebe, die Arbeit für den Staat übernehmen, sind verpflichtet, sich dem Gesetz über die Schiedsgerichte zu unterwerfen. Die Entscheidungen der Schiedsgerichte haben für sechs Monate Giltigkeit. Paris, 15. Nov. Bei dem Abschiedsbankett das die fremden Ausstellungscommissare heut im Hotel Continental gaben, hielt Geheimrath Richter als Vorsitzender des Banketts eine von häufigem Beisall unterbrochene Rede, in welcher er die große Bedeutung der Pariser Ausstellung hervorhob, welche alle srüheren weit Übertrossen habe. Er dankte für die großartige Gastlichkeit und die schmeichelhaften Aus zeichnungen, welche die auswärtigen Commissare er fahren hätten, und toastete auf da- Wohl des Präsi denten und feiner Gemahlin. Dem Bankett wohnten die Minister und außer vielen anderen hervorragenden Persönlichkeiten auch die französifchen Ausstellungs behörden bei. Das Pariser „Petit-Journal" meldet einen Grenz- conflict, der sich am letzten Freiwg au? der Landstraße zwischen Mars la Tour unv Vionville ereignete. Ein Erdarbeiter Harmant aus Lainie Marie aux Chönes, ge wesener Fremdenlegionär, naluralisirter Franzose, wurde deutscherseits wegen unerlaubten Auswanderns gesucht. Der jetzt mit seiner Familie in Jarny Wohnhafte wurde in einer Wirthschakl zu Vionville von einem deutschen M« Testament Novelle von Emma Merk. 8. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Otto konnte ihren Augen nicht begegnen, wie dringend, wie bittend er auch auf ihrem Gesicht forschte. Frau Hartung aber, die Adele einen bitter bösen Blick zugeschleudert hatte, bemerkte wohl den Ausdruck, die Bewegung des jungen Mannes, in dem sie geneigt war, nur einen Feind zu sehen: „Erlauben Sie mir eine Frage: Waren Sie ganz allein in der Nähe unseres armen Bruders, als er Ihnen diese merkwürdigen Mittheilungen machte? Die beiden Zeugen, der Bauer und der Knecht, dürf ten wohl kein Verständniß für die Sache gehabt haben." „Allerdings, gnädige Frau. Ich war allein, der Arzt traf erst später ein, als der Verunglückte schon einen zweiten Blutsturz gehabt und völlig be wußtlos war." Frau Hartung zog die Brauen in die Höhe und sah sehr nachdenklich aus. „Ich bin überzeugt, daß sich unter den Papieren des Verstorbenen Briefe, ein Trauzeugniß, ein GeburtS- schein des Kindes, irgend ein Dokument findet, daS Klarheit in die Angelegenheit bringt und die Aus sagen des Todten bestätigt," fuhr Otto fort. Der Hofrath lächelte höhnisch, aber er schob doch unruhig seine Brille hin und her und sagte ziemlich gereizt: „Sie beabsichtigen ja ohnedies, sich mit dem Gericht ins Vernehmen zu setzen, Herr Doktor, das bis zur Regelung der Verlasienschaft jedenfalls die Papiere meines Bruders versiegeln wird, da bekannter Weise keine direkten Erben vorhanden. Vielleicht wollen Sie mich gütigst benachrichtigen, wann sich der Amtsrichter, der die Sache über hat, in die Wohnung begeben wird, dann können wir ja nachsehen, was sich vor findet." Otto hatte sich erhoben. Adele verließ mit einem kurzen Nicken daS Zimmer. Sie war sehr bleich. Wie gerne er allein mit ihr gesprochen hätte! Sein Gesicht leuchtete auf, als eS sich bei seinem nächsten Besuch traf, daß sie ihm die Thür öffnete, daß sie ihn in den Salon sührte. „Onkel bittet um einen Moment Geduld!" Sie bot ihm einen Stuhl an, aber sie schien sehr verlegen und niedergeschlagen und hatte verweinte Angen. „Mein Fräulein," sagte er ganz bewegt. „Es thut mir so leid, daß ich der Ueberbringer einer Nachricht sein mußte, die sür Sie von schwerwiegen der Bedeutung ist. Aber bitte, zürnen Sie mir nicht! Die gereizte Stimmung Ihrer Verwandten will ich ja gerne über mich ergehen lassen. Aber Sie sollen mir die Hand geben, — freundlich und lieb, wie da draußen in Buchenheim und mir sagen, daß Sie trotz allem an meine warme Freundschaft glauben!" Er sah, daß es um ihren Mund zuckte, als wäre sie dem Weinen nahe. Aber sie wendete ihr Gesicht ängstlich ab, als warte sie mit Ungeduld aus das Eintreten ihre- Onkels und ihre Hand, die er er faßte, lag leicht und fremd in der seinen. „ES schien mir, als hätten wir uns in einer kurzen Stunde besser kennen gelernt, als das im All tagsleben oft in vielen Wochen möglich ist. Ein ernstes Ereigniß bewegt die Herzen in der Tiefe. Es schien mir, als hätten Sie ein wenig Vectrauen zu mir, Fräulein! Ach, Sie glauben nicht, wie viel ich über Ihr Schicksal nachgedacht habe! Wie glück lich eS mich machen würde, wenn ich irgend etwas thun könnte, um Ihnen Ihr hartes Loos zu er- leichtern!" — „Sagen Sie das nicht!" erwiderte sie mit einem ganz erschrock-nen Blick. „ES ist viel besser, wenn niemand an mir Interesse hat! Wenn ich wieder in meinem Institut bin, unter den Kindern — sic sind harmlos und gut!" Er wurde nicht klug aus ihren Worten. „Warum sind Sie so bitter! Mein Gott, ich begreift, daß daS Testament des Onkels Sie ent- täuschte! Ihre Verwandten werden Ihnen ihre üble Laune entgelten lassen. Aber ich bin doch schuldlos, daß es so kommen mußte! Wie kommt's, daß Sie gegen mich so cheu geworden, so abweisend, so feindselig? „Bitte, fragen Sie mich nicht! Quälen Sie mich nicht! Ich'wollte, ich wäre weit fort von hier und hörte kein Wort mehr von dieser Erbschaft, von diesem Testament!" ries sie in leidenschaftlicher Er regung und öffnete dann die Thür in daS Neben zimmer. „Ich will doch sehen, wo Onkel bleibt!" fügte sie hastig und verwirrt hinzu. Er fand nur eine Deutung für ihr Wesen: Sie war aufgebracht, verstimmt über das Testament wie ihre Verwandten. Frau Hartung hatte ihr mit ihrer plumpen Deutlichkeit auseinandergesetzt, daß mit diesem Blatt jedwede Hoffnung auf eine freiere Zukunft für sie vernicbtet worden und nun kochte in ihrer nach Frei heit dürstenden jungen Seele ein wilder Zorn. Durste er es ihr im Grunde verdenken? War dieser Hunger nach Geld nicht der Grundzug der modernen Zeit? Und doch! Ihre ernsten Züge schienen eine große, vornehme Seele zu verrathen, die klar und ge- recht urtheilte, die sich in idealem Schwung emporhob über die engherzige habgierige Gesinnung ihrer Ver wandten. ES that ihm bitterlich weh, daß er sich in ihrem Charakter erst getäuscht, daß er sie klein und gewöhn- lich finden mnßte, daß diese wunderbaren Augen mit ihrer schwcrmüthigen Tieft logen, daß sie gereizt, er- bittert, ungerecht war wie die andern. In der einsamen Wohnung deS Verstorbenen wurden sie von lautem, freudigem Hundegebell em pfangen, daS sich gleich darauf in klägliche- Winseln verwandelte. Der treue Waldmann hatte, als er Männer schritte Hötte, wohl gehofft, sein Herr kehre zurück
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