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'<2 Nr. 263. Dienstag, den 13. November 1900. )0. Jahrgang Erscheint . Inserate ;eden Wochentag abends für den folgenden Tag und ^WM MM (M M M^ nehmen außer der Expedition auch die Austräger auf kostet durch die Austräger pro Quartal M. 1,b5 MU M^ U MM M^ dem Lande entgegen, auch befördern die Annoncen- durch die Post Mk 1,82 frei in's HauS. fW MM Expeditionen solche zu Originalpreisen, für Hohensteln-Grnstthat, Obrrlnngmitz, Gersdorf, Kuga«, Hermsdorf, Kernsdorf, Zangenberg, Falken, Langenchursdorf, Meinsdorf, Rußdorf, Wüstenbrand, Griina, Mittelbach, Urspning, Erlbach Kirchberg, Pleißa, Reichenbach, Callenberg, Tirschheim, Kuhschnappel, Grumbach, St. Egydieu, Hüttengrund u. s. w TlrrrtsZlcrtt für den Verwaltungsbezirk -es Stavtrathes zu Hohenstein-Ernstthal Orgcrn crlleu Gerneinöe-Vevwcrltvrngen öer rrrirliegerröeir Or lschcrfteir Im Könitzer Prozeß ist am Sonnabend Abend das Urtheil gefällt worden; wir haben dasselbe noch in der Sonntag-Nummer mittheilen können. Aus den Reden des Staatsanwalts und der Vertheidiger tragen wir das Folgende nach: Vertheidiger Rechtsanwalt Zielewski sührt aus: Meine Herren Geschworenen! Ich beantrage, daß Sie die Schuldfragen betreffs meiner Schutzbefohlenen Frau Martha Maßloff verneinen. Der Herr Oberstaats anwalt hat selbst gesagt: „Wenn die Angaben der Angeklagten wahr sind, dann ist die Familie Lewy belastet". Ich gehe weiter und sage: wenn die Angaben der Angeklagten richtig sind, dann sind die Juden in der Allgemeinheit belastet. Die zweieinhalbwöchentliche Verhandlung hat viel Belastendes gegen die Juden ergeben. Ganz besonders belastend war, daß die Juden bestritten, was die christlichen Zeugen beschworen haben. Nach den Angaben zweier christlicher Zeugen hat in dem Lewy'fchen Keller zweifellos Licht gebrannt. Es ist außerdem kein Zweifel, daß vor und am Tage des Mordes viele fremdländisch aussehende Juden, die anscheinend zumeist dem geistlichen Stande angehörten, nach Konitz gekommen waren. Glaubwürdige Zeugen haben bekundet, daß viele fremdländische Juden zu dem Jud m Leß gegangen sind. Leß aber weiß nichts davon. Glaubwürdige Zeugen, wie der Hotelomnibus- Kütscher Peglau und Dieckmann, haben bekundet, daß Tempeldiener Nosseck mehrere fremdländische Juden am Bahnhofe erwartet und zu den Hotelkutschern gesagt hat: „Ich nehme den Omnibus ganz allein". Verdächtig ist ferner, was der Zeuge Steinke bekundet hat, zu dem Eisenstedt in Prechlau gesagt hat: „Der junge Winter ist zum Schlachten". Auf die Frage: „Weshalb?" erfolgte die Antwort Eisenstedts: „Weil er viel Blut hat". Schwer belastend für die Juden ist, daß Alexander Printz noch vor der Auffindung der Leichentheile erzählt hat: im Lewy'fchen Keller sei von drei auswärtigen Schlächtern ein christlicher junger Mann geschlachtet worden. „Er hatte viel Blut". Es ist ferner sehr belastend, daß nachgewiesen worden ist: daß der Fleischer Eisenstedt in der Nacht vom 11. zum 12. März nicht im Krankcnhause war, was die Juden bestreiten. Als der Mord Winters bekannt wurde, sagten die Schwestern sogleich: „In dieser Nacht hat Eisenstedt im Krankenhause gefehlt". Als Eisenstedt hörte, daß er verdächtig war, war er mit Lewinsky bemüht, eine Bescheinigung darüber zu erhalten, daß er vom Sonntag zum Montag im Krankenhause gewesen sei. Diese Bescheinigung wurde ihnen aber nicht gegeben, da die Schwestern genau wußten, daß Eisenstedt in jener Nacht nicht im Krankenhause war. Eisenstedt bezichtigte die Schwestern hier in frechster Weise der Lüge. Die Staatsanwaltschaft hat sich bemüßigt gesehen, Eisenstedt durch Zeugenladung, allerdings vergeblich, zu Hilfe zu kommen. Die Krankenschwestern haben der aufopfernden christlichen Liebesthätigkeit in Krieg und Frieden gelebt. Diese Schwestern erheben ihre Hand nicht leichtfertig zum Schwur. An derartigen Eiden ist nicht zu rütteln. Wenn die Behörde solche Eide in Zweifel zieht, dann handelt sie nicht im öffentlichen Interesse. Die Staatsanwaltschaft fragte: „Es ist nothwendig an den Eiden Kritik zu üben". Wenn man an den Eiden der Krankenschwestern, des Anstalts arztes und deS durchaus glaubwürdigen Zeugen Milke rüttelt, dann entzieht man dem Richter die Grundlage, auf derer sein Urtheil aufbauen soll. Wo war Eisenstein in jener Nacht? Er muß es wissen, da er damals infolge seiner schlimmen Hand in seiner Thätigkeii beschränkt war. Er konnte aber nicht angeben, wo er gewesen war. Das ist doch höchst verdächtig. Das Dienstmädchen des Krankenhauses erzählte: „Am fol- genden Tage war Eisenstedt auffallend blaß". Be lastend für die Juden sind ferner die Vorgänge im Meyerschen Laden. Eine Reihe von Zeugen hat be kundet, daß ein Mann mit einer Liste in den Meyer schen Laden gekommen sei. Frau Meyer Hal ihnen gesagt: „Es handelt sich um eine Verschwörung gegen einen jungen Herrn". Der Oberstaatsanwalt sagte: „Es ist nicht glaubhaft, daß sie das vorher sagte". Die Sache ist aber sehr erklärlich. Es war eben eine Aufforderung zu einer rituellen Thai, die ihm, Meyer, innerlich zuwider war, die er aber nicht gut ablehnen konnte. Deshalb auch die aufgeregte Frage der Frau Meyer an die Zeugin Winyorra: „Kennen Sie den Gymnasiasten Winter?" Als die Zeugin bejahte, sagte Frau Meyer: „Es ist nicht gut. Es wäre gut, wenn ihm gerathen würde, an ein anderes Gymnasium zu gehen. Er wird sonst doch noch ge fangen". Die Zeugen Hellwig sind durchaus glaub würdige, ehrenwerthe Leute. Aber auch die Familie Lewy hat sich im höchsten Grade verdächtig gemacht. Moritz Lewy hat stets auf das Hartnäckigste geleugnet, mit Winter verkehrt zu haben. Und das ist doch durch zahlreiche Zeugen bewiesen worden. Es existirt kein Zweifel, daß nach Lage der Dinge die Uhrkette im Lewy'fchen Ofen Winter gehörte. Wäre die Kette von Moritz gewesen, dann hätte Frau Lewy dieselbe nicht erschrocken der Angeklagten aus den Händen ge rissen; dann hätte sie die Kette wohl auch an einem anderen Orte aufbewahrt. Es ist auch durchaus glaubhaft, daß Frau Maßloff die Photographie Winters bei Lewy gefunden hat. Dieselbe wurde selbstverständlich bald darauf beseitigt. Im Falle Eisenstedt hätte die Untersuchungsbehörde alle betheiligten Personen, die Krankenhausverwaltung, die Aerzle, die Schwestern und das Dienstpersonal vernehmen müssen. Daß dies nicht im vollen Umfange geschehen ist, das ist ein Manzel. Nur wenn man annimmt, daß die Angeklagten sich unter einander besprochen haben und die Rollen genau vertheilt haben, um die Belohnung zu erringen, nur wenn Sie, meine Herren Geschworenen, annehme!:, daß das, was die Angeklagten bekundet haben, ein abgekartetes Lügengewebe sei, können Sie die Angeklagte verurtheilen. Da dies aber bei den Angeklagten, bei welchen schon wegen der Religionsunterschiede fort während heftige Streitigkeiten herrschten, nicht möglich war, so beantrage ich aus vollster Ueberzengung, auf das Nichtschuldig zu erkennen. — Vertheidiger Rechts anwalt Heyer ist ebensalls bemüht, nachzuweisen, daß der Verdacht gegen die Juden in der Verhandlung nicht beseitigt worden sei. Die Untersuchung sei von Anfang an unzureichend gewesen. Es stehe fest, daß weder alle Räume bei Hoffmann noch bei Lewy unter sucht worden sind. Eins ist so falsch wie das Andere. Wenn der Verdacht gegen Hoffmann vorlag, dann hätten auch dessen Privaträume untersucht werden müssen, obwohl ich überzeugt bin, daß man bei Hoff mann nichts gefunden hätte. Diese Ueberz-ugung habe ich nicht betreffs Lewy. Hätte man sofort alle Räume Lewys untersucht, dann hätte man vielleicht die Uhrkette und das Taschentuch Winters gefunden. Auch bei der ersten Untersuchung der Synagoge hat Nossek den Beamten gesagt: eine Badezelle könne nicht untersucht werden, da eine Dame bade. Bei der Nachforschung eines Verbrechens darf aber keine Rücksicht walten. Der Criminalcommissarius Wehn ist drei Wochen nach dem Verbrechen aus Berlin hier eingetroffen. Alsdann waren die Spuren schon ver- wischt. Der Berliner Criminalinspector Braun hat nicht einmal die Angaben Masloffs genau geprüft. Ich habe früher eine andere Vorstellung von der Findigkeit der Berliner Criminal - Beamten gehabt. Vertheidiger Rechtsanwalt Heyer sucht nachzuweisen, daß Frau Bergs Angaben betreffs des Taschen tuches wahr seien, und schließt: Die Ermor dung Winters ist nicht aus der Welt zu schaffen. Einer muß es gewesen sein. Nach dem überein stimmenden Gutachten der medicinischen Sachver ständigen haben die That mehrere gethan. Alle Spuren deuren nach der jüdischen Seite. Es ist be dauerlich, daß dieser Faden durch Erhebung dieser Anklage frühzeitig zerrissen wurde. Tragen Sie, meine Herren Geschworenen, durch Ihren Urtheils- spruch mit dazu bei, daß der Faden wieder aus genommen werden kann, damit dieses schreckliche Ver- brechen noch in dieser Welt gesühnt und der Alp, der auf die Herzen nicht bloß der Bürger dieser Stadt, sondern des Vaterlandes drückt, beseitigt wird. Oberstaatsanwalt Lantz sührte aus: „Die wichtigste Frage, mit der die Anklage steht und fällt, ist die, ob Lewy und die Seinen an dem Tode Winters betheiligt sind. Wenn nachgewiesen werden kann, daß Lewy nicht der Thäter ist, so ist Masloff, sind die Roß und die übrigen Angeklagten schuldig. Der Beweis, daß Lewy unschuldig ist, läßt sich er bringen, zwar nicht direkt, aber aus dem Wege des Jndicienbeweises. Nehmen wir an, sie seien schuldig. Alsdann müßte Winter gestorben sein: entweder ge mordet als Opfer eines Complotts oder gestorben in folge von Körperverletzung mit Todeserfolg oder schließlich infolge fahrlässiger Tödtung. Sollte Winter das Opfer eines CoinplottS geworden sein, welches sind dann die Ursachen? Rachsucht, Habgier sind ausgeschlossen. Winter war ein friedlicher, harmloser, netter Mensch und besaß nichts, was die Habgier hätte reizen können. Bliebe also die Möglichkeit eines rituellen Verbrechens, zu dem die Lewys in Be ziehungen standen. Es ist bekannt, daß die jüdischen Religionslehren keine Bestimmung enthalten, die irgendwie einen Ritualmord motiviren könnten. Wo wirklich Neigung zu einem derartigen Verbrechen existiren sollte, würden die Cultusbeamten dagegen aufzutreten wissen. Ich berufe mich auf den Breslauer Fürstbischof Cardinal Kopp, der sich ausdrücklich zu der Ansicht bekennt, daß es keinen Ritualmord giebt. Weshalb sollten nun die Lewys einen solchen begangen haben? Die Ermittelungen bezüglich der Behauptung, es seien ungewöhnlich viele fremde Juden in Konitz anwesend gewesen, als der Mord geschah, haben ein geradezu lächerliches Resultat ergeben. Welch tolle Hirngespinste hier in Umlauf gesetzt worden sind, zeigen die Erzählungen des Knechtes Laßkowitz. Bei den Erzählungen der Frau Wiwjorra, des Schneiders Beier, deS Besitzers Hellwig und seiner Mutter, so wie der Frau Borchardt über Gespräche, die im Laden des Mathäus Meyer geführt sein sollen, ist charasteri- stiich, daß, zu so verschiedenen Zeiten auch diese Ge- fpräche geführt sein sollen, immer derselbe „unbekannte Mann mit der Liste" eine Rolle spielt. Stets hat sich im Anschluß an die Anwesenheit dieses Mannes dasselbe Gespräch entsponnen. Was sollte der „Blutkitt", daß die alten Kunden bleiben und neue kommen sollten, da doch die Meyers fort zuziehen beabsichtigen? Derartige Dinge kann man doch keinem vernünftigen Menschen einreden. Der Verdacht eines Ritualmordes ist bezüglich der Be wohner von Konitz im allgemeinen wie bezüglich der Le wys im besonderen ausgeschlossen. Können nun"^die Lewys aus irgend ein m Grunde aus dem Wege vorsätz licher Körperverletzung mit nachherigem Todeeersolge die That verübt haben? Alsdann müßte Winter mit den Lewys in der Zeit von 5 bis 7 Uhr in Contakt gekom- men sein. Gerade für diese Zeit aber ist das Alibi der Lewys ein vollständiges. Allerdings für das Kartenspiel Lewys bei Falkenberg ist nur ein Zeuge da. Indessen, gerade dies bekräftigt meine Ansicht, daß die Juden in dieser Sache keineswegs gemeinsam ctivas zu verbergen haben. Andernfalls würden die anderen bei Falkenberg ebenfalls anwesend gewesenen Juden ohne weiteres be> schworen haben, daß Lewy dort gewesen sei. Was nach sieben Uhr mit den Lewys gewesen ist, ist für uns gleich- gütig, da um diese Zeit Winter nach den Gutachten der Aerzte bereits todt war. Mit dem Alibi der Lewys fällt auch die Möglichkeit fahrlässiger Tödtung. Nun könnten andere den Lewyschen Keller benutzt haben, in dessen müßten auffällige Vorgänge im Lewyschen Hause, namentlich stundenlanges Wimmern, von den Nachbarn und von anderen Hausbewohnern wahrgenommen worden sein, namentlich von dem Bäcker Angerer, dann von Frau Hirsch und von Fräulein Kroll. Die Ursache des Verdachts gegen den Zeugen Lewy, don dem dieser hoffentlich nur bis zum heutigen Tage nicht wieder frei werden konnte, ist allein das dumme Gerede des Zeugen Printz. Wenn ein Verkehr Moritz Lewys mit Winter stattgefunden haben sollte, was würde das beweisen? Weshalb sollte Moritz Lewy in diesem Falle den Freund umbringen? Ebenso liegt die Sache bezüglich der angeb. lichen Fortschaffung von Leichentheilen durch Jsraelski. Weshalb sollen Lewys dessen Auftraggeber gewesen sein? Sie hätten die Entfernung bequemer haben und auf ihrem eigenen Wagen ganz unauffällig Leichcntheile nach auswärts bringen können. In dem Keller der Lewys kann der Mord nicht geschehen sein. Meine Herren Ge- chworenen! Ich bitte Sie, die Angeklagten schuldig zu prechen. Urtheilen Sie lediglich nach sachlichen Gründen. Konitz, 10. Novbr. Das Ende des Masloff- wozesses rief bei dem im Gerichtssaal anwesenden Publikum große Bewegung hervor. Den Wahrspruch der Geschworenen nahm man noch mit vcrhältniß- mäßiger Ruhe entgegen, wenn auch bereits im diesem Augenblick zu erkennen war, daß ein großer Theil des Publikums trotz des starken Belastungsmaterials las namentlich gegen Maßloff und gegen Frau Roß vorlag, auf einen Freispruch gerechnet hatte. Als aber der Staatsanwalt das Wort ergriff, als er in Rück- icht auf die Bedeutung der Angelegenheit, in der die Angeklagten die Behörden hinters Licht zu führen versucht hätten, schwere Zuchthausstrafen von 5 und 9 Jahren gegen die Schuldig-Gesprochenen mst ener gischen Worten beantragt hatte, da ging eine tiefe Be wegung durch den Saal. „Um Gottes willen!" rief eine Dame mit halblauter und doch im ganzen Saal vernehmbarer Stimme. Eine der Roß nahestehende Frauensperson im Zuhörerraum, sowie ihre beiden Töchter in der Anklagebank weinten laut auf. „Giebt es denn keinen Gott im Himmel!" schrie die Roß auf. „Benehmen Sie sich angemessen! rief ihr der Vor sitzende zu, und gegen das Publikum gewendet, drohte er, den Saal räumen zu lassen. Als das Urtheil des Gerichtshofes weiter bekannt wurde, bildeten sich überall in der Stadt wie namentlich vor dem Gerichtsgebäude Gruppen, in denen das Ereigniß des Tages lebhaft discutirt wurde. Die Bevölkerung blieb jedoch ruhig, auch während des Abends. Und wahrscheinlich wer den sich auch weiterhin keine Unruhen ereignen. Ueb- rigens würde man fehlgehen, hieraus auf eine gegen über dem Frühjahr eingetretene Wendung in der Stimmung der Bevölkerung zu schließen. Die An wesenheit des Militärs hält jedoch einmal die Neigung zum Tumulten im Zaum, andererseits ist an Stelle der lauten Aufregung eine stille, aber darum nicht weniger intensive Erbitterung eingetreten; namentlich auf dem Lande gärt es, wie alle Kenner der west- preußischen Verhältnisse versichern, nach wie vor ganz gewaltig. Mms über das KMninE lieber das schwere Unglück laufen weitere Schilderungen ein, aus denen sich ersehen läßt, mit wie furchtbarer Geivalt der Zusammenstoß erfolgt ist, und wie entsetzlich das Feuer nachher gewüthet hat. Von dem letzten Wagen des O-Zuges sind nur noch einzelne Eisentheile übrig; auch von den vorletzten Wagen wurde das aus Holz bestehende Obergestell völlig vernichtet. Die Unglücksstätle ist forgsältig ab gesucht worden, und zahlreiche Gegenstände sind ge sunden worden, welche die Feststellung der Persönlich keiten der auf so entsetzliche Weise ums Leben Ge kommenen erleichtern werden. Schilderungen von Augenzeugen der furchtbaren Katastrophe, die uns jetzt zugehen, zeigen, daß das Unglück noch viel ent setzlicher und in seinen Folgen noch viel trauriger war, als bisher angenommen wurde. Es müssen sich schreckliche Scenen abgespielt haben. Außerhalb des brennenden Waggons stehende Herren versuchten. Einer aus die Schultern des Andern steigend, den Unglück lichen im Innern der brennenden Wagen Hilfe zu bringen. Alle Mühe war vergebens, da Gerüche zum Einschlagen der Wagenwände und Fensterscheiben fehlten. Es ist nicht richtig, daß alle Insassen des letzten Wagens umkamen. Commerzienrath Franz Kupferberg aus Mainz, Director Hummel und Direclor Hoehl aus Geisenheim saßen im letzten Wagen. Im Moment des Zusammenstoßes erloschen die Lampen, und Herr Kupferberg rief feinen Mitreisenden zu, sie sollten sich zunächst ruhig verhalten, es sei ein Zu sammenstoß erfolgt. Nachdem ein angezündetes Streich hölzchen die Situation erkennen ließ, fchlug Hummel ein Fenster ein, wodurch die drei Herren sich retten konnten. Wieviel Personen umgekommen sind, ließ sich bis jetzt noch nicht feststellen. Constatirt wurde nur zuverlässig, daß die auf dem Offenbacher Fried hof untergebrachten K. ochenreste neun Personen (die Offenb. Ztg. spricht 10) anaehören, in der Mehrzahl Männern. Die Liste der Todten stellt sich, soweit sie jetzt bekannt sind, folgendermaßen zusammen: 1. Frau Direktor Hoffmann aus Mainz, Herr Klein auL Mainz, 3. Herr Willy Fuchs aus Homburg, 4. Frau Else Fuchs aus Homburg, 5. Herr Josef Jeidel aus Frankfurt, 6. Herr Dr. Freytag aus Schönebeck, 7. Fräulein Jungermann aus Berlin, 8. Fräulein Pochhammer aus Lausanne, 9. die Wartesrau W'ttwe Aeberlejn aus Schöneberg. Herr A. M. Marx, der Besitzer einer Großwein handlung hierselbst, einer der Geretteten, theilt über seine Erlebnisse bei der schrecklichen Katastrophe folgendes mit: „Ich kam von einer längeren Reise aus Schweden zurück und war einige Nächte durch gereist, um rasch nach Frankfurt zurückzukommen. Durch die lange Reise ruhelos geworden, verließ ich meinen Platz und ging, mit der Reisetasche in der Hand, in den Corridor, gleichzeitig in der Absicht, bei der baldigen Ankunft in Frankfurt so schnell wie möglich aus dem Wagen herauSzukommen, um meine auf dem Bahnhof mich erwartende Frau möglichst rasch begrüßen zu können. Mit mir hielt sich ein Schaffner in dem Corridor auf. Wir gingen eben