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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.11.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190011116
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19001111
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19001111
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- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-11
-
Monat
1900-11
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.11.1900
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UeHein-ElilDiiltt ssMM. Amtsblatt. Nr. 262. Sonntag, den 11. November 1900. 1. Beilage. 3m« Sächsische«. — Im letzten Bericht der Handels- und Gewerbe kammer Chemnitz über die Erledigung der Registranden, eingänge wird u. a. folgendes auSgeführt: Ersuchen der Königlichen Kreishauptmannschaft in Zwickau um eine Aussprache darüber, ob der Standpunkt der Gewerbekammer hinsichtlich des Antrags aus Er- richtung einer Zwangsinnung für Tischler, Glaser, Schlosser, Klempner und Böttcher in Oberlungwitz im Gutachten vom 8. Januar 1900 auch einem er neuten Gesuch der Oberlungwitzer Gewerbtreibenden an das Königliche Ministerium des Innern gegenüber festgehalten wird oder ob den Interessen der letzteren durch eine in Oberlungwitz zu bildende Zwangs innung besser gedient sein würde. Der Kreishaupt mannschaft wurde gemäß einstimmigem Beschlusse des Handwerksausschusses der Kammer vom 19. Juni l. I. mitgetheilt, daß man an dem im Gutachten vom 8. Januar er. in der Sache dargelegten Standpunkt auch den erneuten Aussührungen der Oberlungwitzer Gewerbtreibenden gegenüber sesthalie. Was die in dem Gesuche an das Ministerium des Innern ge machte Bemerkung bezüglich des höheren Schulgelds für auswärtige Schüler an der Hohensteiner Gewerbe schule anlongt, so weise der Ausschuß daraus hin, daß hieran die Hohensteiner Innung, der die Oberlung witzer Fachgenossen anzugehören haben, nichts ändern könne, da die Normirung des Schulgeldes ortsgesetz liche Bestimmung bilde und daß auch anderwärts auswärtige Schüler höheres Schulgeld zahlen müßten. Der Ausschuß habe hierbei noch der Meinung Aus- druck gegeben, daß, sobald in Oberlungwitz eine gewerbliche Fortbildungsschule gebildet worden sei, die Hohensteiner Innung wohl nichts dagegen einzuwenden haben werde, wenn die Lehrlinge der JnnungSmeister in Oberlungwitz die gewerbliche Fortbildungsschule daselbst besuchen. Sollte es später der Innung in Hohenstein-Ernstthal gelingen, spezielle Fachklassen ins Leben zu rufen, so werde dann ja auch für die Lehrlinge fämmtlichcr zu ihrem Bezirke gehöriger Meister das Schulgeld das gleiche sein. — In der letzten Sitzung der Gewerbekammer kam ein Schreiben der Sattler- und Riemer-Innung in Chemnitz, betreffend Ausbildung der Schüler der dasigen landwirthschast- lichen Schule im Sattlergewerbe zur Besprechung. Die genannte Innung habe der Kammer mitgelheilt, daß durch diese praktische und theoretische Ausbildung der Oekonomen im Sattlergewerbe besonders den Land- meistern, die in der Hauptsache ihren Verdienst im Repariren von Geschirrtheilen suchen müßten, erheb licher Schaden erwachse und daß eine Abhilfe sehr erwünscht sei. Der Handwerksausschuß habe sich bereits mit dieser Frage zu beschäftigen zeyabt und nach eingehender Prüsung eine Schädigung des Sattlerhandwerks durch den in Rede stehenden Unter richt nicht erblicken können, da letzterer nur einen Handfertigkeitsunterricht darstelle, der den Schülern die einfachsten Handgriffe beibringen soll. Dieser Standpunkt werde auch durch ein in der Sache ein gegangenes Schreiben des Direktors der landwirth- schaftlichen Schule, sowie durch die Angaben des den Unterricht ertheilenden Sattlers bestätigt. Darnach handle es sich lediglich darum, die Schüler zu be fähigen, in ihrem späteren Berufe einmal eine einfache Reparatur im Falle des Zerreißens von Ledergegen- ständen, also eine einfache Naht auszusübren. Der ganze Unterricht erstrecke sich auf höchstens 40 bis 50 Stunden, in welchen die Schüler unmöglich von der Sattlerei so viel sich aneignen könnten, um die Sattler n ihrem Gewerbe zu schädigen. Er bitte deshalb, das etreffende Gesuch der Sattler- und Riemer-Innung in Chemnitz auf sich beruhen zu lassen und die Innung entsprechend zu bescheiden. Die Gewerbe- kammer beschloß einstimmig demgemäß. — In der Sitzung der Handels- und Gewerbekammer kam ein Ersuchen der Gewerkschaft Oberzschocken in Zschocken, dahin zu wirken, daß der Königlich Sächsische Staats fiskus die von ihr begonnenen Arbeiten zur Aus schließung neuer Kohlenfelder finanziell unterstützt, zur Verlesung. Die gedachte Gewerkschaft führt in ihrem Schreiben unter Hinweis auf die Bedeutung einer Aufschließung neuer Steinkohlenfelder für Sachsen an, daß sie auf Zschockener Flur ein größeres Stein kohlenareal zehntenfrei erworben und im Juli 1899 eine Tiesbohrung begonnen habe. Es sei mit äußer ster Anstrengung bereits die Teufe von 857 Meter erreicht. Damit stehe man unmittelbar vor der Stein kohlenformation. Die Betheiliguug von Kapitalisten an dem Unternehmen sei merkwürdig gering gewesen. Der Sächsische Herr Finanzminister habe zwar der Tiefbohrung sein Interesse geschenkt, aber eine Be theiligung des Fiskus oder eine Vergrößerung des fiskalischen Bergbaues durch Erwerb und Ausschließung neuer Kohlenfelder im Anfang dieses Jahres wegen Mangels liquider Mittel abgelehnt. Auch in der Kammer schlug der zur Berathung der Kohlensrage eingesetzte Ausschuß vor, die Sache solange aus sich beruhen zu lassen, bis nicht das Vorhandensein von Kohlen thatsächlich nachgewiesen sei. — Eine interessante Fenerwehrübung steht für die nächste Zeit am Elektricitätswerk der Gemeinde Copitz bei Pirna im Liebethaler Grund bevor. Es handelt sich um die Frage, ob der von einem Rohr führer auf eine elektrische Starkstromleitung gerichtete Wasserstrahl unter gewissen Umständen eine Verbindung zwischen der Leitung und dem Rohrführer Herstellen und dadurch den Letzteren in Gefahr bringen kann. Die Uebung wird natürlich mit der größten Vorsicht vorgenommen werden müssen. — Grünftä-iel, 7. Novbr. Gestern morgen stürzte hier von einem Neubau ein Zimmermann 6 Meter hoch ab. Der Bedauernswerthe fiel gerade mit dem Kopfe auf einen Ziegelhaufen und erlitt schwere Verletzungen am Kopfe, einige Rippenbrüche und schwere innere Verletzungen. Der herbeigerufene Arzt ließ den Verunglückten nach Anlegung der Ver bände ins Kreiskrankcnstift nach Zwickau übersühren. — Hatnichen, 5. November. Gestern fand die Eröffnung des von der Stadt Hainichen errichteten I und unter der Leitung des Herrn Direktors Boltz stehenden Technikums statt. — Taucha. Im hiesigen Krankenhause ist Donnerstag früh, ohne wieder zum Bewußtsein ge kommen zu sein, der Schlosser Eugen Carl Alfred Cordes gestorben, der am Sonntag Nachmittag aus der Landstraße zwischen Pehritzsch und Taucha mit den Rade stürzte nnd dabei einen Schädelbruch erlitt. — Der StationSassistent Deinert in Ebersbach hat in die Jrrenheilanstalt Hubertusburg eingeliesert werden müssen. Der in den 30er Jahren stehende verheirathete Beamte hat vor einigen Wochen durch falsches Signal einen Tisenbahnunfall veranlaßt. Hierbei waren drei Wagen eines Personenzuges ent- gleist und ein Wagen 4. Klasse war umgestürzt; einige Passagiere waren leicht verletzt worden. Seitdem! wär der genannte B.amte dispensirt; wie sich herausstellte, litt er an nervösen Störungen, die sich nun zur völligen Geisteserkrankung ausgebildet haben. — Leipzig. Der 10. deutsche Gastwirtslag, welcher im Juli v. I in Breslau abgehalten wurde, hatte bekanntlich ein gerichtliches Nachspiel, indem einige Mitglieder des mit der Leitung dieses, mit einer Ausstellung und Lotterie verbundenen Kongresses be- betrauten Ausschusses sich Unrechtmäßigkeiten hatten zu schulden kommen lassen. ES waren dies der Vor sitzende dieses Ausschusses, Hotelbesitzer Oskar Ziegert, die Restaurateure Eduard Kieser, Josef Hutter und Josef Pelka, sowie der als Schriftführer thätige Kauf mann Hans Malcherek, denen zur Last gelegt ist, daß sie Gegenstände der Lotterie, welche nicht abgeholt sind, an sich genommen, daß die Beträge, welche durch Rabatt für Annoncen nnd Reklamen erzielt wurden, unter sich getheilt und auch von einem Betrag in Höhe von 1000 M., welchen ein Aussteller bezahlt, nur 300 M. als Platzmiethe gebucht zu haben. Ebenso waren bei der Vertheilung der Ehrenpreise für die Aussteller Unzuträglichkeiten vorgekommen und hatten die Angeklagten sich selbst Preise zugewendet. Das Landgericht Breslau hatte nach mehrtägiger Ver handlung am 10. Mai wegen versuchten Betruges, Untreue und Unterschlagung verurtheilt: Ziegert zu 3 Monat Gefängnis, Kiefer zu 2 Monat 2 Wochen Gefängnis, Hutter zu 3 Monat 1 Woche Gefängnis, Pelka zu 2 Tagen und Malcherek zu 3 Tagen Ge fängnis. Die gegen dieses Urteil eingelegte Rivision beschäftigte heute den vierten Strafsenat des Reichsge richts und hat der höchste Gerichtshof die Rivision in einem Falle für begründet angesehen, indem die Fest stellungen bezüglich des Verfügungsrechtes des Ziegert und der Mitthäterschaft der anderen Angeklagten als nicht ausreichend erachtet wurden. Bezüglich dieses einen Falles wu.de deshalb das Urteil gegen Ziegert, Kieser und Hutter aufgehoben und die Sache insoweit zur nochmaligen Verhandlung an die Vorinstanz zu- rückverwiesen, im übrigen aber die Rivision verworfen. — Leipzig. Das Ende eines Mörders wird hier lebhaft besprochen. Am 30. Juni d. I. überfiel der 1872 in Großdölzig geborene Handarbeiter Donau in Priestäblich am Hellen Tage die Ehefrau des Maurers Völkner, brachte ihr mit einem eisernen Haken sv schwere Verletzungen bei, daß die Unglückliche am 2. Juli starb, und raubte in der Wohnung die Kleidungsstücke ihres Mannes. Der Mörder kleidete sich um nnd versteckte seine eigene Kleidung in einem Haserfelde bei Miltitz, wo dieselbe aufgesunden wurde. Am 4. Juli ward Donau Nachts bei einem Einbrüche im Stadtthril L.-Eutritzsch verhastet und da er die Kleidung des Maurers Völkner trug, wegen Mordverdachts in Unter suchungshaft behalten. Er leugnete beharrlich — nach dem es aber in den letzten Tagen gelingen war, auf wissenschaftlichem Wege festzustelle», daß in den durch Regen vollständig ausgewaicyenen Kleidern ?onaus zahlreiche Spuren von Menschenblut sich vorsanden, gab sich der Mörder wohl selbst verloren und entzog sich durch Erhängen seinen irdischen Richt» r». At WtMihl Wim Mal Miss W WBknttn litt Ltttilligltü Ltaatlli m MiWmla. -Wie es bereits vorau-gesehen werden konnte, ist der bisherige Präsident der Vereinigten Staaten William Mac Kinley bei der ain ti. November in allen Wahlbezirken der großen transatlantischen Republik abgehaltenen Präsidentenwahl wiederum aus 4 Jahre zum Präsidenten gewählt worden. Mac Kinley, der Candidat der Republikaner, der Jmp.rialisten und der Goldwährungsleute, hat mit 294 Stimmen gegen den Candidaten der Demokraten und Silbermänner Mr. Bryan, der nur 153 Stimmen erhielt, glänzend gesiegt. Der Wahlkampf ist in Amerika mit großer Leidenschaft ansgefochten worden, in mehreren Staaten, wie in Indiana und Tenessee fanden sogar Wahltumulte verbunden mit blutigen Raufereien statt, aber daS Ergebniß der Präsidentenwahl, sowie der gleichzeitig damit verbundenen Neuwahlen für daS Repräsentanten haus bedeutet doch einen großen Sieg der amerikanischen Republikaner und Imperialisten. Es ist die Politik der starken Hand, die nach den fest ins Auge gefaßten Zielen ohne jeden Skrupel strebt, die große Erfolge aufzuweisen hat und nach noch größeren die begehr lichen Finger auSstreckt, die in Amerika gesiegt hat, mag man die Partei nebst ihrem Führer Mac Kinley nun Republikaner, Imperialisten, Gvldwährungsleute oder aufgeklärte Schutzzöllncr nennen. Das mächtig aufstrebende nordamerikanische BundeSstaatenreich hat unter dem PräsidentenMacKinlkybereits feit vier Jahren ganz neue politische Bahnen betreten, es wollte Welt- machkpolitik treiben und Groß- und Weltmacht werden. Zu diesem Zwecke beschloß es Eroberungen zu machen, seinen Einfluß und Besitz zu vermehren, und dank der unerhört günstigen Umstände ist dies den Vereinigten Staaten von Nordamerika in kurzer Zeit mit großen Erfolgen gelungen. Dem schwachen und in seinem ganzen Staats-, Heeres- und Flottenwesen zurück gebliebenen Königreiche Spanien wurde von den Ameri kanern Euba, Pvrtoriko, die kleinen Antillen und auch die Philippinen in einem leichten Kriege weggenommen, und seit diese- Zeit tritt Nordamerika bei allen Welt- machtssragen, so auch in China als ebenbürtige Groß macht neben den anderen Großmächten aus. Ter politische Erfolg der Vereinigten Staaten ist seit drei Jahren ganz bedeutend, geradezu überraschend gewesen, aber auch die wirthschaftlichen Fortschritte waren in der großen Republik beträchtliche, eine Geschüflskrisis von langer Dauer wurde überwunden, und das ganze wirthschaflliche Lebe» der Vereinigten Staaten wieder flott gemacht. Solche Erfolge mußten zur Wiederwahl Mac Kinley'S führen, denn sein System, sein Streben nach Macht und Gold ohne jeden Gewissensskrupel, ist ja den richtigen Aankees so recht auf den Leib ge schnitten; in dieser Weise haben sie ihre Staaten ge gründet, Neuland erobert und Geld und immer wieder Geld gemacht. Der wicdergewählte Präsident Mac Kinley und seine Anhänger sind Realisten von reinstem Wasser, und dieser Umstand hat sie auch mit klarem Blicke manche Aenderung und Besserung in der ameri kanischen Handelspolitik und in den Beziehungen zu den europäische» Großmächten herbeiführen lassen. Hoffentlich wird diese klare, realistische Politik auch dazuführen, daß Noidamerika mit dem deutsl en Reiche -inen annehmbaren Handelsvertragsvorschlag machen wird, denn eine Neuordnung der veralteten Handels- vertragiverhälimsse ist die wichtigste schwebende Frage zwischen den Vereinigten Staaten und dem Deutschen Reiche. Kit ein MrilWs-tl PrMtnt gMlt M. Zelnwtnm . einci anicnt.unictien 'pi-indcntsch.u'ls i!öa!>lkainv>i ',rik. 7 a » : e t >> oii; g fNachümck end.-ine „ViAilmice is tiw price iU libcrt^!" so rief einst der gewaltige Präsident Jefferson feinen Mit bürgern zu, „Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit!", d. h. mit andern Worten: Die Freiheit eines Volkes ist nur dann sicher, wenn sie beständig bewacht wird. Zu dieser Wachsamkeit über den Bestand ihrer Freiheit gehören auch die vielen Wahlen der amerikanischen Nation. Alle 4 Jahre Präsidentenwahl! Man sollte meinen, der Termin eines Präsidenten sei doch zu kurz, der Mann könne ja kaum recht eigentlich warm werden im Weißen Hause! Das soll er auch nicht Eben aus diesem „Warmwerden" entstehen die Gin Testament. Novelle von Emma Merk. 5. Fortsetzung. Nachdruck verboten.) Adele hatte den Schleier zurückgeschlagen. Er sah, wie die schönen Augen sich wieder mit Thränen füllten. „Verzeihen Sie," sagte sie, um Fassung ringend, „diese Stunde hat so viel traurige Erinnerungen auf gewühlt —" „Sie sind so jung und haben schon so viel Trauriges erlebt?" Der Blick, mit dem sie ihn ansah, ging ihm tief zu Herzen. „Ich habe meine beiden Eltern so früh ver- loren Seit fünf Jahren bin ich allein auf der Welt!" Ein tiefes Lebensleid, eine lange traurige Ge schichte lag in den wenigen Worten. „Armes Fräulein," sagte er mit herzlichem Mit- leid. „Ach, das verlor ne Elternhaus ist unersetzlich, — ich weiß das, — und wenn man auch Verwandte hat —" Nun blitzte ein düsterer Trotz in ihren Augen auf und sie unterbrach ihn rasch. „O, ich lebe nicht bei meinen Verwandten. Ich bin seit mehreren Jahren Lehrerin in dem Institut, in dem ich erzogen wurde. Gott fei Dank, — das Gnadenbrot brauche ich nicht zu essen. Aber wenn man nichts sieht von der Welt als ein nüchternes Haus mit Klassenzimmern und einem ummauerten Garten, wenn man jahraus, jahrein Gramatik-Regeln herleiern lassen muß, — dann meint man wohl zuweilen, die Brust müßte zerspringen vor Sehnsucht. Aber, — eines Tages wird man ja alt und stumps sein und alles Wünschen verlernt haben!" Wie leid sie ihm that, wie unsagbar leid! Dieser trostlose, bittere Ausschrei kam von so jungen Lippen. Und über der biegsamen Gestalt lag solche Anmuth. Dieses blasse Gesicht mußte zu einem berückenden Liebreiz aufblühe», wenn nur ein bischen Glück, ein bischen Sonnenschein den trüben Ausdruck verscheuchte. Er hätte nur gewollt, daß er stundenlang neben ihr hergehen dü ste an den Vogelbeerbäumen vorüber, an denen die rvthen Früchte leuchteten, in der länd lichen Stille, du ch die nur Hühne'gegacker und Kuh glockengeläute klang, unter dem klaren, reinen Herbst himmel. Mit jedem Wor:, das über ihre Lippen kam, gefiel sie ihm besser. Ja, er vergaß die seelische Niedergeschlagenheit dieser letzten Tage, sogar sein Verlangen nach freier Bewegung, weil er fühlte, daß sie Vertrauen zu ihm halte, daß sich die schönen, lang bewimperten Augen, die so dunkel wirkten, obwohl sie blau waren, immer freundlicher und wärmer zu ihm aufschlugen. Als sie das Dorsgasthaus erreichten, in dem der Hofrath mit den Damen abgestiegen war, trat er mit ein, um dem Bruder des Verstorbenen Rechnung ab zulegen über die gehabten Auslagen und ihm die Brief tasche und die Börse des Verunglückten zu überreichen. Frau Hartung hatte ibn mit ihrer Nichte heran- kommen sehen und ihr eifriges Gespräch, ihren Herz- lichen Händedruck b-im Abschied beobachtet. Sie kam ihm entgegen, entschuldigte ihren Bruder, der noch einen Brief erledigen müsse, da sie in einer Stunde nach München zurückreisen wollten, und sagte dann mit einem Seufzer: „Ist es nicht mettwürdig, daß aus dem Unglück, daS den einen trifft, für einen anderen Segen er ¬ wächst? Für die arme Adele ist es ja eine günstige Wendung, daß unser Bruder Thomas so bald dahin gehen mußte. Ihr Vater, unser dritter Bruder, hat sein Vermögen in einer unglücklichen Spekulation ver loren. Als er in frühen Jahren starb, blieb das Kind ganz mittellos. Mein Gott, — mein Bruder, der Hofrath, und ich, wir haben beide selbst Kinder. Ich habe sogar einen Sohn, der Offizier ist. Sie wissen ja, was das bedeutet." Ein neuer Seufzer, wenn auch ihre Augen in mütterlichem Stolz auf leuchteten. „Wir haben unsere Verwandtenpflicht erfüllt und die Nichte erziehen lassen, — mehr können wir nicht thun. Aber nun wird Adele ein ganz hübsches Ver mögen erben; sie ist jetzt, bei ihren bescheidenen An- sprüchen, eine nette Partie." Otto war's zu Mute, als bekäme er einen Schlag vor die Stirn. Der Eindruck, den das Mäd- chen auf ihn gemacht, hatte ihn so verwirrt, daß er sich die Sachlage gar nicht klar zu machen gesucht, überhaupt nichts weiter mehr gedacht hatte, als wie er diesem lieben Mund ein leises Lächeln entlocken könnte. Und nun, welch furchtbare Verkettung der Um stände! Dem schönen stolzen Geschöpfe hätte diese Hinterlassenschaft Freiheit, Unabhängigkeit geschenkt. Und er, der solches Mitgefühl mit ihr empfand, der > gerne mit vollen Händen Glück über sie ausgestreut hätte, — er war berufen, ihr die Aussicht auf eine bessere Zukunft zu raaben. Er trug in seiner Tasche das Blatt, daS jede Hoffnung auf ein leichteres Los für immer für sie vernichtete! Der verwunderte Blick, den Frau Hartung auf ihn richtete und in ihrer Weise zu deuten schien, rasch zu bemerken: ! „Gnädige Frau, ich habe Ihnen und Ihrem Herrn Bruder, sowie Ihrem Fräulein 'Nichte noch den letzte» Willen des Verstorbenen kundzugeben. Er hat mich, da niemand sonst in seiner Nähe war, beauf tragt, Ihnen feine Wünsche zu übermitteln. Wenn Sie allerdings in einer Stunde abreisen, so werde ich wohl erst in München um eine Unterredung bitten dürfen. Ich bin bereit, morgen dahin zurückzukehren." Frau Hartung sah ihn mit weitgeöfsneten, über raschten Augen an. „Hat Thomas wirklich noch besondere Ver fügungen getroffen? Wahrscheinlich einige kleine Legate ? Ei, ei! — Das sieht ihm ja garnicht ähnlich.^ Aber allerdings, — wir müssen in einer halben Stunde zur Bahn und noch unsern Thee einnehmen. Mein Bruder ist ja ein so beschäftigter Arzt, — er wird er wartet. Und ich möchte auch, daß mein Mann, der seiner Gesundheit wegen zu Hause bleiben mußte, dabei wäre, wenn es sich um Wichtiges handelt." Obwohl ihr neugieriger scharfer Blick ihm förm lich eine Andeutung Herausangeln wollte, sagte Otto nur: „Also morgen, in München! Wenn Herr Hof rath die Güte haben will, mir eine passende Stunde zu bestimmen." Er verhielt sich auch dem Hofrath gegenüber sehr gemessen und zurückhaltend und empfahl sich, ohne der Aufforderung, beim Thee zu bleiben, Folge zu leisten, obwohl es ihn gelüstet hätte, das bleiche Gesicht mit den dunklen Brauen noch länger zu betrachten. Er hatte Glück; kurz vor der Abreise war ihm noch ein wbelauschter Moment vergönnt, in dem er sich von Adele verabschieden konnte. (Fortsetzung folgt.)
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