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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.09.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190009295
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000929
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000929
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-29
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.09.1900
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mittags erwartet. Mumm, der deutsche Gesandte, und Waldersee hatten eine Konserenz in Taku, infolge deren ein Telegramm an Li-hung-tschang geschickt wurde. Gerüchtweise verlautet, die Bewegungen der Flotten deuteten auf Operaüonen bei Schanhaikwan hin. Der „Standard" meldet aus Shanghai: Gerücht weise verlautet, Graf Walderfee habe gedroht, sämmt- lichen für den kaiserlichen Hof bestimmten, im Jangtse- thale aufgefundenen Proviant zu beschlagnahmen und eme internationale Expedition zu organisiren, um sich der Kaiserin und ihrer Umgebung zu bemächtigen, falls nicht die Anstifter der Unmhen unverzüglich die verdiente Strafe erhielten. Der Oberbefehlshaber Graf v. Waldersee, dessen Ankunft auf der Rhede von Taku am 26. September früh zu erwarten ist, trifft bei seinem Betreten Tschilis die Division Lessel vollständig an. Die zuerst ge landeten Theile derselben haben bereits bei Peitang und Lutai Lorbeeren errungen. Am 29. September wird, wie bereits gemeldet, der Vormarsch der Ver bündeten auf Paotingfu angetreten werden, das in spätestens 10 Tagen besetzt sein kann. Ein anderer Theil der Verbündeten wird in der Richtung auf Peking vorstoßen, während von Lutai aus noch kleinere Entsendungen nach Norden und von der Peiholinie aus nach Süden zu stattfinden müssen. Paris, 27. September. Der französische Konsul in Shanghai meldet unterm 25. ds.: General Tung- fu-siang ist zum Oberbefehlshaber der West- und Nordarmee ernannt worden; nachträgliche Ehrungen wurden durch kaiserliches Dekret Li-ping-heng verliehen. Meldungen aus chinesischer Quelle zufolge sollen den Vizekönigen und Gouverneuren vom Hofe geheime kaiserliche Befehle zugegangen sein, durch welche die selben angehalten werden, die Fremden zu bekämpfen und zu vernichten. Nach Telegrammen aus Shanghai bestätigt der dortige Mercury die Meldung, daß Li-hung-tschang den geheimen Befehl erhalten habe, die Rückeroberung Tientsins und Pekings zu versuchen und daß ihm 100000 Mann für diese Aufgabe zur Verfügung ge stellt worden seien. Es ist aber höchst unwahrschein lich, daß Li-hung-tschang einen solchen Versuch machen wird. Der Pekinger Morning Post-Korrespondent telegraphirt: Haarsträubende detaillirte Berichte über die Massacres von Missionaren in den Hauptstädten von Schansi und Tschili trafen hier ein. Juhsien, vormals Gouverneur der Provinz Schansi, war der Anstifter der Boxer-Bewegung als Gouverneur Schan- tungs. Von den Chinesen ist keine Sühne zu erwarten; sie haben kein Anerbieten, das auf ein Nachgeben deuten würde, gemacht. Die Pekinger Regierung existirt nicht mehr. Prinz Tsching repräsentirt nur die Kaiserin und den Prinzen Tuan. Das Gerede von Frieden ist zwecklos, solange der Gerechtigkeit nicht Genüge geleistet ist. London, 27. September. Der in Shanghai eingetroffene Präsident der kaiserlichen Universität in Peking, Dr. Madtin, erklärte, daß wenig Hoffnung auf Wiedereinsetzung des Kaisers vorhanden sei. Die reaktionäre Partei sei zu allmächtig. Das gegenwärtige Chaos würde wohl geraume Zeit fortdauern. Lyon, 27. September. „Lesmiisions catholiques" veröffentlichen folgendes Telegramm aus Taku vom 19. ds.: Die Monsignore Grassi und Fogalli, die Patres Elie und Balat, sowie sieben Nonnen sind in der Provinz Schansi massacrirt worden; auch der Pater Souvignet wurde getödtet. In der nördlichen Mandschurei, und zwar im Distrikt Mulden, sind mehr als tausend Christen enthauptet worden. In der ersten Zeit der chinesischen Wirren war die chinesische Flotte, die nach den vernichtenden Schlägen des chinesisch-japanischen Krieges durch den Zuwachs von mehreren auf europäischen Wersten er bauten Panzerkreuzern bereits wieder eine ansehnliche Stärke erreicht hatte, zur vollständigen Unthätigkeit verurtheilt. Infolge der thatsächlichen Unsicherheit, ob China mit den Mächten im Kriegszustand sich befinde oder nicht, kam sie nicht zur Action und die detachirten Torpedobootszerstörer im Peiho wurden ohne Wider stand gekapert. Das Ausleben der kriegerischen Stimmung am Kaiserhofe scheint jetzt auch auf die Thätigkeit der chinesischen Flotte von bestimmendem Einflüsse zu sein. Nach den letzten Meldungen werden sämmtliche chinesische Kriegshäfen blockirt, besonders Futschou und Kanton. Zum Schutze der Transport schiffe werden von den vereinigten Flotten schnell gehende Kreuzer abgesandt, um den Feind zu suchen. Bisher ist zwar von den chinesischen Kriegsschiffen kein Ueberfall zu verzeichnen, dennoch hat das Ab dampfen der chinesischen Flotte aus Shanghai den europäischen Admiralen Besorgniß eingeflößt. Im chinesischen Südmeer werden die Geschwader verstärkt werden müssen, sowohl zum Schutz der Transport- schiffe als auch zum selbstständigem Handeln. Bisher haben folgende chinesische Kriegsschiffe Shanghai ver lassen und sich auf das offene Meer begeben: 1 Kreuzer, 1 Panzerschiff, 6 schwimmende Batterien, 4 Kanonen boote, 3 Transportschiffe, sämmtlich Schiffe alter Konstruktton. Jivusttgc NlrldrtUArU. Washiugtov, 27. Sept. General Chaffee hat Befehl erhalten, den General Wilson in Peking zu belassen. Wilson wird voraussichtlich zum Bevoll mächtigten für die Friedensverhandlungen ernannt werden. Washington, 27. Septbr. Aus Tientsin wird vom 24. d. Mts. gemeldet: General Chaffee ist hier eingetroffen, hat Li - hung - Tschang einen inoffiziellen Besuch gemacht und mit ihm die Aussichten eines Abkommens besprochen. Von anderen Mächten hat bisher nur Rußland von Li-Hung-Tschangs Anwesen heit offiziell Notiz genommen. Hier verlautet, daß die Russen nach der Einnahme der Lutai-Forts eiligst längs der Eisenbahn nordwärts marschirt seien, um Schan-hai-kwan zu besetzen. Washington, 26. September. Eine Depesche des Generals Chaffee aus Peking vom 21. d. Mts. besagt: Ich habe Li-Hung-Tschang eine Begleit mannschaft aus Tientsin angeboten, die er abgelehnt hat. Das Land ist vollkommen ruhig. Petersburg, 26. September. Dem General stab ist heute ein genauer Bericht des Vice-Admirals Alexejeff über die Einnahme der Peitangforts zu gegangen. Nach demselben betrugen die Verluste auf russischer Seite: 4 Mann todt, 4 Offiziere und 36 Mann verwundet. General Zerpizky erhielt eine leichte Verwundung am Kopf. Nach der Einnahme Peitangs wurde eine Kavallerie-Abtheilung nach Norden ab- kommandirt, um die Stadt Lutai zu überrumpeln und zu nehmen, was vollständig glückte. (Nach früheren von uns wiedergegebenen Meld ungen haben bekanntlich auch die Deutschen bei der Einnahme von Lutai mitgewirkt.) Wien, 27. Septbr. Die „Wiener Abendpost" meldet: Das Commando des in Peking vereinigten Detachements der österreichisch-ungarischen Kriegs marine in einer ungefähren Stärke von einem Bataillon hat Linienschiffskapitän Bleß von Sambuchi über nommen. In Taku wurden bisher gelandet: 4942 Mann der österreichisch - ungarischen" Marine, 8178 Deutsche, 8353 Engländer, 5608 Amerikaner, 6575 Franzosen, 2541 Italiener, 20934 Japaner und 15570 Russen. An der Expedition gegen Patatschu nahm außer Deutschen und Italienern auch eine Abtheil- ung der österreichisch-ungarischen Marinetruppen theil. Shanghai, 27. September. (Reuter Meldung.) Ler Vicekönig Lui theilte den Konsuln mit, er sei im Begriff, sich wegen der Ernennung eines neuen Taotais von Shanghai mit dem kaiserlichen Hofe ins Benehmen zu setzen. Die fremdländischen Beamten glauben, dieser Schritt des Vicekönigs bedeute, daß sich die Amtsübernahme des neuernannten Taotais mehrere Monate verzögere. Shanghai, 27. Sept. Die Rinderpest ist unter dem von der deutschen Commission für die Truppen angekauften Schlachtvieh ausgebrochen und richtet großen Schaden an. (Vorsicht! englische Meldung!) Der Krieg um Transvaal. Lord Roberts kommt noch nicht nach Hause! Es wird jetzt erklärt, daß „irrthümliche Informationen" zu den vielen Meldungen von seiner Rückkehr Ver anlassung gegeben haben, und daß die Anwesenheit seiner Lordschaft auf dem Kriegsschauplätze oder viel mehr in der „eroberten Kolonie" doch für einige weitere Wochen erforderlich bleibt. Wenn diese neueste Meldung aus Wahrheit beruht, so fragt es sich, ob die aufgeschobene Rückreise des Feldmarschalls darauf zurückzuführen ist, daß seine Anwesenheit in England von der sehr sirgesgewissen Regierung für die bevor stehende Wahlkampagne nicht mehr für so nothwendig gehalten wird, oder daß die Lage in Transvaal und im Oranje-Freistaat immer noch eine so ernste ist, daß der Oberbefehlshaber einen Wechsel im Kommando für nicht angebracht hält. Verschiedene Kriegskorrespon denten erster englischer Blätter weisen in ihren Tele grammen darauf hin, daß es immer noch eine der Hauptaufgaben des englischen Hauptquartiers bleibt, den Buren-General De Wet zu fangen ober unschäd lich zu machen, weil sonst an eine wirkliche Beruhig ung der Oranje-River-Kolonie noch nicht gedacht werden könne. Es scheint also, als ob De Wet im Rücken der britischen Armee seine bekannte Thätigkeit in größerem Umfange wieder ausgenommen hat, ob wohl definitive Nachrichten über seine Bewegungen und Absichten seit mehr als vierzehn Tagen vollständig fehlen. Andererseits heißt es jetzt, daß Präsident Steijn die verantwortliche Oberleitung über die noch im Felde stehenden, zusammenhängenden Streitkräfte der Buren im östlichen Transvaal übernommen habe, und dieses besagt zur Genüge, daß trotz aller gegen- theiligen Meldungen aus englischen Quellen der Krieg noch lange nicht zu Ende ist, und Lord Roberts noch genug Arbeit in Südafrika vor sich sieht. Telegramme aus Pretoria über die Lage in Südafrika melden, daß die Hauptmasse der Boeren- streitkräfte, bei der Schalk Burger und General Viljoen sich befinden, sich an einem Punkte östlich von Petersburg zusammenzuziehen scheint. Diese un- gesunde Gegend ist für den Aufenthalt von Menschen massen ganz ungeeignet und von „Buschweldt" um schlossen, durch welches die Boeren fchwerlich durch brechen können, weil starke englische Streitkräfte die Bahnlinie halten. — Zur Delagoafrage wird aus Lissabon geschrieben: Halbamtlich wird mitgetheilt, die portugiesische Regierung habe das Angebot Englands, zur Aufrechterhaltung der Ruhe in Lourenzo Marques eine Abtheilung britischer Marinemannschasten zu landen, dankend abgelehnt, da jedenfalls die vorhan denen portugiesischen Truppen für den bezeichneten Zweck ausreichen und in kurzer Zeit bedeutende Ver stärkungen dort eintreffen würden. Lorevzo-Marquez, 27. Sept. Falls England auf die sofortige Abfahrt des Präsidenten Krüger be stehen sollte, wird, da das holländische Kriegsschiff nicht vor zehn Tagen hier eintreffen kann, Präsident Krüger auf dem Lloyddampfer „Syria" abreisen. Um einer gewaltsamen Beschlagnahme des Staatsarchivs zu entgehen, sind bereits photographische Kopien der wichtigsten und kompromittierendsten Schriftstücke an gefertigt worden. Ein Theil derselben wurde in Transvaal vergraben, ein anderer ist in sicheren Händen von Vertrauensmännern der Transvaalrepublik. Die „Times" befürworten am Schluffe ihres Leitartikels dringend, die Beschlagnahme des Trans vaal-Archivs und der Staatsgelder, die Präsident Krüger entführt habe und nach Europa schaffen möchte, zu veranlassen. London, 27. Sept. Aus Prätoria wird ge meldet: Frau Krüger ist nach Ausspruch des Arztes zu schwach zum Reisen und wird Zurückbleiben. Man erweist ihr jede Aufmerksamkeit. London, 27. Sept. Ein Telegramm aus Durban vom Mittwoch meldet, die Militärbehörden werden täglich 1500 Flüchtlingen gestatten, nach Transvaal zurückzukehren. Die Rückkehr kann in etwa 14 Tagen beginnen. Die Minengesellschasten bereiten sich vor, von der kommerciellen Hausse, welche folgen wird, Nutzen zu ziehen. Loudon, 27. Sept. Ein Telegramm aus Sabieriver-Drist vom Dienstag Abend meldet: die Buren, welche sich vor General Buller zurückzogen, conzentrieren sich jetzt an der Macmac-Drift auf dem gegenüberliegenden User, in nicht großer Entfernung von der englischen Stellung. Der englische Stab inspizirte gestern von der Spitze eines Berges die feindliche Stellung; ein Angriff wird stattfinden, sobald die nöthigen Unterstützungen ankommen. Die Buren verschanzen sich stark. Eingeborene melden, Präsident Steijn befinde sich bei dieser Abtheilung und dringe in sie, bis zum Aeußersten zu fechten. Aus Vryburg in Südafrika wird telegraphisch gemeldet:: General Settle mit 7000 Mann hat die von den Buren seit dem 17. September umzingelte Garnison von Schweizer Rennecke noch einem Gefecht entsetzt, in welchem die Buren schwere Verluste er litten. Der Commandant der Buren wurde gefangen genommen. Bon der Kriegführung der Buren, die recht wesentlich zu ihrem bedauerlichen Mißerfolge beige tragen hat, entwirft ein Mitarbeiter der „Köln. Zlg." ein nicht gerade erfreuliches Bild. Wir entnehmen seiner Darstellung folgenden kleinen, aber augenschein lich charakteristischen Zug: General Botha hat den Befehl zum Vorrücken gegeben. Unentwegt schlafen seine Buren in den Gräben der Verschanzungen und in ihren Ochsenwagen; andere kochen Kaffes wenige denken an das opraddela. „Kiek man", sagte Botha zu Herrn v. Trotha, einem früheren deutschen Offizier in seinem Lager, „kiek, wat rull ik met de kerels doea?" „(General, Qij moet de kerels dood- sekieten!" „die, mau, dat Kan ik niet docn!" er widerte der General. „Dann werde ich die kerels vernoeken", meinte der deutsche Leutnant. Er schleicht sich an die in den Gräben Schlafenden, ergreift das Gewehr eines der Schläfer und schreit englisch: „ttrmds up!" Erschrocken rollen die Erwachenden die Augen und einer stottert: „Ik tted oiets met den orlo§ ts doen!" Botha hält sich die Seiten vor Lachen. Die Buren aber sahen sich den ganzen Tag noch miß trauisch rach dem Herrn von Trotha um und sagten: „Ost is de slim duitsede veldluiteoant!" Vor gerückt wurde an diesem Tage aber doch nicht. Kopenhagen, 27. Sept. Ein hiesiges Blatt veröffentlicht Briefe eines skandinavischen Gefangenen, der im Burenlager focht, aus St. Helena. Die Briefe waren der englischen Censur entgangen und wurden, in Seife versteckt, hierher gesandt. Der Brief schreiber richtet schwere Anklagen gegen die Engländer wegen roher, unmenschlicher Behandlung der Gefangenen, die gepeitscht und sonst mißhandelt werden. Ein Ge fangener starb infolge der Mißhandlung. Chicago, 27. September. Burenfreunde aus allen Theilen der Bereinigten Staaten beschlossen in einer Versammlung, eine national-amerikanische Trans vaal-Liga zu bilden und Krüger aufzufordern, die Bereinigten Staaten zu besuchen und, wenn er ge zwungen wäre, Transvaal zu verlassen, in den Ver einigten Staaten sein Hein: aufzuschlagen. TschßscheS. Hohenstein-Ernstthal, 28. September 1900. R'tthevungen von allgemeinem Interesse werden dankbar ent- zegengevommen uno eventl. honvrttt. — Theater. Wir hatten uns in der gestern geäußerten Annahme, das „Weiße Röss'l" werde vor vollbesetztem Hause über die Bretter gehen, nicht getäuscht — ein modernes Stück übt eben auch hier gleichsam magnetische Anziehungskraft auf das Theaterpublikum aus. Es waren einige sehr vergnügte Stunden, die man gestern im „Weißen Röss'l" verlebte und sicher wird mancher auf die heutige, die Freitag-Vorstellung, gespannt sein; „Als ich wiederkam" ist nämlich die Fortsetzung des gestern aufgesührten Stückes. Der Inhalt des Letzteren kann sehr kurz wiedergegeben werden. Herr Giesecke, ein Berliner Glühstrumpf fabrikant, befindet sich zur „Erholung" im Salzkammer gut und logirt da im „Weißen Röss'l". Bald nach ihm trifft auch ein Berliner Rechtsanwalt dort ein, der einen von der Concurrenz gegen ihn geführten Proceß gewonnen. Da beschließt er, mit seiner Familie eine andere Wohnung zu suchen; und gerade, als die vom erfolglosen Herumlaufen ermüdeten Sommer frischler vor dem „Weißen Röss'l" anlangen, öffnet der Himmel seine Schleusen und ein ausgiebiger Regen ergießt sich auf die zur Zeit obdachlosen Berliner. Nun folgt eine drollige Verwickelung der anderen. Giesecke wünscht, daß seine Tochter und der inzwischen eingetroffene Arthur Sulzheimer, Sohn seines Con currenten, ein Paar werden. Er hatte aber, trotzdem er glaubte, alles schlau eingefädelt zu haben, die Rech nung ohne den Wirth gemacht und war nicht schlecht erstaunt, als der Berliner Rechtsanwalt Dr. Siedler um die Hand seiner Tochter anhielt. Sulzheimer hatte sich inzwischen mit der Tochter des gleichfalls im „Röss'l" wohnenden Privatgelehrten Hinzelmaun verlobt; die Röss'lwirthin selbst aber, eigentlich hätten wir das in erster Linie erwähnen sollen, entschloß sich kurz uno heirathete ihren Zählkellner. Damit hatten sich endlich nach mancherlei Kreuz- und Irrfahrten die sechs heirathsfähigen Personen des Stückes ge sunden. — Die Lustspieldichter zeichnen in scharfen Strichen die mitwirkenden Personen: Giesecke, den reichen, mangelhaft gebildeten Berliner Geschäftsmann, Siedler, den schlauen Juristen, Hinzelmaun, den an spruchslosen Naturschwärmer und nicht zum mindesten auch die umsichtige Röss'lwirthin. Es bedarf wohl kaum besonderer Erwähnung, daß die Darsteller auch gestern Abend nach besten Kräften zum Gelingen des Ganzen beitrugen. Die Herren Otto Grosch (Giesecke), Ernst Kraft (Dr. Siedler), Rich. Neumeister (Hinzel- mann), Paul und Otto Schmidt (Zählkellner im „Röss'l" bezw. Sulzberger) haben alle Veranlassung sich ihres Erfolges zu erfreuen. Die Röss'lwirthin wurde von Frl. Hamm vorzüglich wiedergegeben; die infolge ein:s Sprachsehlers anfänglich schüchterne Tochter Hinzel- manns stellte Frl. Mimi Hahn mit ganz besonderem Geschick dar, wie auch Frl. Künzel als die Tochter Gieseckes gut gefiel. Der langanhaltende Beifall be wies alles dies am klarsten. Schon jetzt, nachdem die Gesellschaft kaum eine Woche hier gastirt, erfreut sie sich allgemein des besten Rufes, den sie zweifelsohne auch in vollem Maaße verdient. IA. — Gersdorf. Nicht zwei Vlumenzüge, son dern zwei Laternenzüge gehen am Tage unserer Schulweihe 6 Uhr nach Ober- und Unterdorf ab. Die Erbschaft. Line Erzählung vom Lande von E. Siewert. 12. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.) Vor dem Spiegel stehend, sah er sein großes, graues Gesicht, die gefurchte Stirn, den herben, eisernen Mund. Wahrhaftig kein paffender Mann für sie. Er ordnete seine weiße Binde, doch Plötzlich sanken seine Hände herab, das Blut fauste ihm in den Ohren. „Nein, nein, sie muß mir gehören!" schrie er auf und schlug die Hände vor sein Gesicht. Solch ein Ausbruch des Schmerzes und der Eifersucht be deutete viel bej seiner beherrschten, verschlossenen Natur. Er sah sich hastig und erschreckt um: ihm war, als ände sein Vater mit erhobenem Zeigefinger hinter sthm: mit dieser Geste hatte er stets die ungeduldigen lKinder zur buhe verwiesen. Er riß sich gewaltsam aus dem Wirbel seiner Leidenschaft; vor den Spiegel tretend sah er mit Beschämung seine sorgsältig zurecht gestutzte Frisur zerwühlt und zerzaust. Geduldig machte er sich dran, die weißblonden, straffen Haare wieder zu scheiteln; einen Büschel, der sich am Wirbel aufbäumte, legte er immer wieder in eine glatte Lage, so lange, bis er nicht mehr von seinen Kopfe abstand, dann setzte er sich an seinen alten Sekretär, holte das Blättchen hervor, auf welchem stand: „Sie ist mir von Gott beschieden," und las diese Worte solange, bis ihm ein Trost daraus entsprang. Nach Verlauf einiger Stunden saß er dem Gegen stand seiner Betrachtungen, jenem Leidensgefährten, dem Provisor Alfinger, gegenüber, und zwar an einem schmalen Seitentisch in der Bierstube, die neben dem Tanzsaal lag. Durch die offene Thür sah man in den Hellen Raum, in dem sich die Paare unermüdlich drehten. Ein gelinder Sturm fegte von Zeit zu Zeit von dorther herein, zugleich mit den Tönnen des alt modischen Walzers, den Herr Wuptich zum Besten gab. Der schüchterne, kleine Provisor war ganz red selig geworden, als er zu seinem Erstaunen merkte, wie sehr dem jungen Inspektor an seinen Ansichten lag. Dieser saß ihm steif und beobachtend gegenüber, förmlich festgesogen an seinen Mienen, er wollte in sein Inneres eindringen. „Welche Pläne haben Sie für Ihr weiteres Leben?" fragte er im Verlauf des Gesprächs. „Ich vermuthe, daß Sie nicht immer in einem Landstädt chen zu bleiben gedenken." „Mir steht eine ziemlich bedeutende Erbschaft be vor," erwiderte der Provisor, sich mehrmals räuspernd, seine Stimme war immer belegt, wenn er nicht grade fang. „Es entscheidet sich in nächster Zeit, wenn ich alle Papiere beigebracht habe. Da meine Eltern in Lodz in Polen gestorben sind, hält es schwer, die nöthigen Totenscheine rc. zu beschaffen. Dann gedenke ich mir eine Apotheke zu kaufen und zu heirathen." Otto sah ihn finster an und fand, daß es ein unangenehmer Mensch sei. „Die Gothes haben . . ." Der Provisor beugte sein rundes Köpfchen vertraulich seinem düstern Gegen über zu. Da rief eine Helle Stimme: „Herr Dücker!" und neben ihnen stand Magda. Die Lust, die sie umwehte, wirkte wie ein Zauber. Wie damals schaute Otto Dücker zu ihr auf, als er sie zum ersten Mal auf dem Markte sah, aber wie stark war er damals gewesen, wie war seine Energie entflammt. Wie schwach hatte ihn die unselige Leiden schaft schon gemacht, er fühlte sein Blut heiß werden und dann kalt, seine Kniee zitterten, er erhob sich mühsam. „Ich suche Sie wie eine Stecknadel, wo haben Sie sich denn versteckt? Es ist Damenwalzer, ich will mit Ihnen tanzen," sagte Magda hastig und rasch athmend. „Ich hole sonst keinen, nur Sie, ich will mich einmal ausruhen." Sie warf die Worte hin und sah dabei den Provisor an, der sich ehrerbietig erhoben hatte und sie mit seinen runden Augen un verwandt aastarrte. „Weshalb holen Sie mich, Fräulein Magda?" fragte Otto Dücker leise, die Handschuhe anziehend, „ich wollte Sie eben ein bischen vergessen." Sie ließ ihre Augen entflammen und lächelte. „DaS können Sie ja doch nicht," zischte sie, ihren weißen, weichen Arm unter seinen schiebend und ihn an sich drückend. Sie mochte ihn doch eigentlich herz lich gern, er war immer derselbe. „Sie tanzen so gut, Dückerchen, so bequem und behaglich, wie ein Sofa!" „Ich habe noch nie ein Sofa tanzen sehen." „O, Sie alter Schulmeister!" Er nahm sie mit einem Seufzer in den Arm und tanzte. Weiter kümmerte sie sich aber nicht mehr um ihn an diesem Abend, sondern verlor sich in dem Strom von Koketterie und Lebenslust, in dem sie sich befand. Ihre Augen schienen die Leuchtkraft aller Kerzen in sich eingesogen zu haben, so flammend blickten sie; das rosa Kleid, welches sie trug, verlieh ihren weißen Wangen einen warmen Schimmer. Herr Tilo wich nicht von ihrer Seite, sie flüsterten und lachten zusammen und schwatzten dummes Zeug, während Otto Dücker einige Tänze wie rasend durchtanzte, um seine eifersüchtigen Qualen zu betäuben. Dann zog er sich eiligst ohne rechts und links zu schauen in die Bierstube zurück zu dem Provisor, der immer noch auf seinem Platze saß und beglückt war, als er wieder erschien. „Ich versuche es garnicht, zu der Gothin durch zudringen," sagte er elegisch. „Wissen Sie, unsereins — was sind wir!" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Diese Bescheidenheit ist widerlich," dachte Otto Dücker gereizt. „Mag er so denken, ich denke anders! Sie verschmäht meine ehrliche Liebe — ach, sie weiß nicht, sie ahnt nicht, was lieben heißt — nun, dann muß ich sie eben überwinden, wenn ich zum Schächer darüber werden soll — ich muß mich losreißen. Zur Strafe für meine Liebe muß ich noch den Hohn, die Demüthigung von meiner Familie hinnehmen." (Fortsetzung folgt.)
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