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HchMiii-CliWIn TMMt. Amtsblatt. Nr. 215. Sonntag, den 16. September 1800. 2. Beilage. Pariser Ausstellungsbrief. Bon Ingenieur A. I. Holtz. (Nachdruck verboten.) Wir gehen heute in die Abtheilung für Zimmer» ausschmückung. Ein besonders großer Werth ist hier bei auf die Jnnendecoration von Zimmern gelegt worden, wobei die moderne Stylrichtuug in der Kunst natürlich ihre Triumphe feiert. Endlose Linien in den einzelnen Arrangements, verschlungene Ornamente, dunkelgetönte stumpfe Farben geben einem derartig eingerichteten Zimmer etwas Verwirrendes und Be ängstigendes zugleich, so daß den Beschauer förmlich ein Wonnegefühl durchschauert, wenn er daheim an „Mutters Stuben" und seien sie noch so schlicht, un- modern und den Anforderungen des neuen Geschmacks o gut wie garnicht entsprechend, zurückdenkt. Im lebrigen herrscht in der Anordnung der Räumlich eiten für Innendekoration das alte, bekannte und hierfür übliche Arrangement: Spielzimmer, Kinder zimmer, Rauchzimmer, Lesezimmer, Damenzimmer, Jagdzimmer usw. Anlehnend an die Jnnendecoration dürfte gleich falls ein Gebiet sein, das eigentlich zum intimen Arrangement jeder Decoration gehört: die Uhr industrie. Hier liefert der an die Schweizer Berge angrenzende Theil Frankreichs entschieden das Groß artigste. Besonderer Werth ist aber in allen Fällen auf die wirkungsvolle Ausstattung des Uhrgehäuses gelegt worden, das, oft aus kostbarstem Holz bestehend, mit allerprächtigsten Schnitzereien versehen ist. Das Zifferblatt ist in vielen Fällen in einer matten, metallischen Abtönung, doch immer in inniger Be ziehung auf die Holzart des Uhrgehäuses gehalten, so z. B. ist für Eichenholz ein aluminiumgrauer, zur Blutbuche ein stumpfrothes, zu Mahagoni ein stumpf blaues oder mattgrünes Zifferblatt usw. gewählt. Veränderungen gegen früher haben nur Zifferblatt und Zeiger, die dem modernen Kunstgeschmack an gepaßt sind, erfahren, sowie auch die Glockenwerke, deren Klangabtönung etwas umhüllter und weniger kreischend und indiscret gehalten ist, als dies bei den Glockenwerken früher erbauter Uhren der Fall ist. Wenn auch die Ausstellung der Uhrenabtheilung nicht besonders ausgedehnt ist, so ist sie doch recht geschmack- voll arrangirt. Daß auch in Modellen ebensoviel Interessantes wie Belehrendes geboten wird, zeigt der Pavillon der russisch-amerikanischen Kautschuckfabrik, der mit seinen fünf graziösen Thürmchen und seinen Ziegen mit Gummischuhform entschieden eine „attraction" der Ausstellung ist. Im Innern des Pavillons wird durch Modelle, Zeichnungen und Photographien die Herstellung der Gummigaloschen vom Abernten der Gummibäume an bis zum Aufdruck des Stempels au die fertigen Schuhe demonstrirt. Rußland hat im übrigen überhaupt recht interessante Dinge, betreffend den Tabakanbau, Theetransport, Fischereiwesen re. ausgestellt, deren Schilderung in Einzelheiten für den mir zur Verfügung stehenden Raum nicht angebracht sein dürfen. Selbstverständlich leisten auch andere Länder, namentlich die weitentlegenen auf dem Gebiete der Modellimitation recht Großes. Ich habe Rußland nur deshalb herausgegriffen, weil geradeseine Ausstellung zur Beurtheiluug des noch immer kulturell zurück gebliebenen Landes typisch und ausklärend wirkt und zweitens, weil kein anderes Land auf der Ausstellung derart bevorzugt wird, als der östliche Alliirte Frank reichs — das russische Zarenreich. — Unser Hauptaugenmerk aber wollen wir heute auf die keramische Abtheilung legen. Majolika, Terrakotta, Porzellan und Steingut wetteifern mit einander. Was die Reichhaltigkeit anbetrisft, marschirt auf diesem Ge biete Deutschland voran, im Geschmack der Ausführung wetteifert aber Frankreich gewaltig mit ihm, während beide genannte Länder Nordamerika in der praktischen Verwendbarkeit überslügelt und dem gegenwärtigen Zankapfel in Ostasien, dem chinesischen Riesenreich der Vorrang gelassen werden muß, daß es in der Feinheit und Weichheit der keramischen Masse, namentlich des Porzellans noch immer nicht von der Fachindustrie irgend eines anderen Landes übertroffen wird. Wenn auch das chinesische Porzellan mit seiner grotesken Farben- und Formengebung zuerst einen verschnörkelten Eindruck auf uns macht, so wissen die Fachleute doch noch immer die ganze Art der „Mache" zu schätzen, die die Chinesen, wenigstens in den Haupt zügen, als Geheimniß gegenüber den „weißen Teufeln" wahren. Die kostbarsten chinesischen Porzellanstücke machen überhaupt kaum mehr den Eindruck von Por zellan, sondern weit eher den von einem fein gearbeiteten und vorzüglich gefärbten Milchglas. Das Keramische Knnstgewerbe hat, soweit man so etwas überhaupt bemerken kann, seine Hauptaufgabe auf die Behandlung des Weichporzellans gesetzt, jenes Gebildes, in das man mit Leichtigkeit schneiden, ziseliren und emailliren kann, Blumen, Blattpflanzen und Vogeldekorationen oder Arabesken, im modernen Stil gehalten, sind hierbei hauptsächlich zur Verwendung gelangt, während das Genre, das noch vor kurzem, namentlich zur „Delft-Zeit" so beliebt war, immer mehr verschwindet und die idyllischen Schäferscenen oder Schlachtenbilder nunmehr ganz von der Lotos blume oder der Orchidee überwunden sind. Deutschland feiert hingegen seine Triumphe durch Berlin und Meißen, zwei Erscheinungen, auf die ich bereits in einem anderen Briefe zurückgekommen bin. Amerika schließlich, das hauptsächlich in Fayence und Steingut arbeitet, weiß besonders durch die riesigen Dimensionen seiner ausgestellten Vasen zu imponieren, wie auch durch die Tongebung, die in einem verwaschenen Graugrün gehalten, lebhaft an die unheimliche Atmosphäre der nordamerikanischen Prärien, an Büffelherden, Jndianerwigwams und Tomahawks erinnert. Immerhin aber kann man alle Achtung vor den Erzeugnissen der amerikanischen keramischen Industrie haben! Auch auf religiös-kunstgewerblichem Gebiete sind auf der Pariser Weltausstellung prächtige Schaustücke zu sehen. Kruzifixe aus den edelsten Metallen und mit den herrlichsten und werthvollen Verzierungen nlden Glanzstücke der Ausstellung. Bildstücke mit künstlerisch vollendeter Schnitzerei, auf die theilweise schon das enkaustische Verfahren angewandt ist, geben glänzend Zeugniß ab von der Entwicklung der modernen Stilgeschichte, und haben auch gleichfalls insofern eine historischen Wert, indem sie das getreueste Abbild von dem alten, halbheidnischen Volksglauben mit dec christ lichen Lehre geben. Von dieser kirchlichen Kunst bis zur Photographie ist ein etwas weiter und gewagter Sprung, doch wir müssen denselben entschieden wagen, denn auch die Photographie in natürlichen Farben hat es nicht ver absäumt, auf der Weltausstellung ihre Visitenkarte abzugeben. Für diese Zwecke besonders interessant find die mit Bichromat-Gelatine sensibilisierten Glas platten, die in warmen Wasser entwickelt werden müssen. Auch die Photographieen mit dreifarbigem Pigmentpapier, die in ihrer Wirkung den natürlichen Farben so überaus nahe kommen, erwecken bei Fach leuten die beste Hoffnung auf eine baldige und er schöpfende Lösung dieser für die Photographie so hoch wichtigen Frage. Um noch einmal auf die Modelle zurückzukommen, so möge hier eins von dem Pariser Schlachthofe näher erörtert werden. Eine große Berkausshalle, deren wirkliche Zahlen leider nicht angegeben sind, ist wohl das Gewaltigste des ganzen Viehhofs. Außer dieser Halle aber zählen wir nicht weniger als 16 Rinder ställe, die je 164 Rindern Raum und Unterkunft bieten. Dann kommen die Düngerentladungsstätten, die täglich 350000 Zentner Dünger liefern, dann die Häutesalzerei, dann die Kälber- und Hammelhallen rc. Die letztere ist allein 217 Meter lang und 72 Meter breit; sie kann 30000 Schafe beherbergen. Die Schweinehalle ist etwa halb so groß und bietet circa 10000 Borstenthieren Unterkunft. Diese Minderbe wertung der Schweine erklärt sich daraus, daß in Frankreich ganz bedeutend mehr Hammel- als Schweine- leisch konsumiert wird. Die Spülvorrichtungen zur Sauberhaltung der einzelnen Buchten und Ställe sind außerordentlich interessant, jedoch kann man durch die Vorführung im Modell sich kaum eine rechte Vor stellung von der Wirksamkeit und der eigentlichen