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HiIMii-SntWn SWlitt. Amtsblatt. Nr. 169. Mittwoch, den 25. Juli 1900. 1. Beilage. Die chinefische« Wirre«. Auch heute liegen direkte Nachrichten von den angeblich noch lebenden Gesandten in Peking nicht vor, man kann deshalb von den so geflissentlich ver breiteten chinesischen amtlichen Nachrichten, daß die Gesandten noch leben, auch heute nichts halten. Man wird sich in Geduld fassen müssen, bis die angekündigte Wiederherstellung der diplomatischen Verbindung mit Peking zur Thatsache geworden ist. In berliner diplomatischen Kreisen hält man das über dem Schick sal der Gesandten schwebende Dunkel heute für eben so wenig geklärt, wie vor derBekanntgabe derCongerschen Depesche. Daß jenes Telegramm in der That von dem amerikanischen Gesandten aufgegeben ist, darf als feststehend betrachtet werden. Da aber über das Datum der Drahtung völlig Ungewißheit herrscht, so ist der Werth dieses Documems auch nur ein sehr illusorischer, und nach wie vor ist jeglicher Bermuthung Thür und Thor geöffnet. In den erwähnten Kreisen neigt man übrigens vielfach der Ansicht zu, daß Congers Telegramm zeitlich mit den Depeschen unseres Attaches Herrn von Bergner und Harts zusammen falle. Jene beiden Drahtungen habe man abgehen lassen, Congers Depesche habe man jedoch — vielleicht mit den Telegrammen auch anderer Diplomaten — zurückgehalten und sie jetzt hervorgeholt, um in der bekannt gewordenen Weise damit in Washington zu operiren. — Wie über das Schicksal der Gesandten so ist man hier in völliger Unklarheit auch darüber, ob es in Peking wieder eine Regierung giebt und wer das Regiment führt. Prüft man übrigens die Skala der von den chinesischen Amtspersonen ausgegebenen Nachrichten über das Schicksal der Fremden genau, so muß es auffallen, daß diese Nachrichten immer ungünstiger wurden, je aussichtsvoller die Sache der Chinesen bei Tientsin stand, und daß sie günstiger zu werden be gannen, als die chinesische Armee zweifellos geschlagen war. Auch die Absendung des Vermittelungsgesuches an Frankreich scheint unter dem Eindrücke der Nieder ¬ lage erfolgt zu sein, die den Chinesen zeigte, daß doppelte oder dreifache Uebermacht noch nicht hinreicht, um sie gegen europäische, amerikanische und japanische Truppen widerstandsfähig zu machen. In Paris wird die Unterwerfung des Aufstandes und die Rettung der Europäer als die erste und dazu noch die leichteste Hälfte der diplomatischen Arbeit angesehen. Denn an dem Tage, wo Rußland wegen des Ueberfalles der russischen Stationen in Sibirien, Deutschland wegen Ermordung Kettelers und England, Japan, Italien und die Vereinigten Staaten wegen der ihren verschiedenen Unterthanen zugefügten Schäden, Genugthuung eventuell gewisse Gebietsabtretungen fordern werden, dürfte die diplomatische Vermittelung unvermeidlich sein. Aus London wird gemeldet: Die Circulardepesche des Vizekönigs von Nanking, die der hiesigen Regierung wie der in Berlin, Paris und Washington durch die betreffenden chinesischen Gesanden übermittelt worden ist, wird von der hiesigen öffentlichen Meinung über wiegend als bloßer Beweis dafür aufgefaßt, daß den Chinesen der Erfolg, den sie mit der Congerschen Depesche wenigstens in Amerika erzielt haben, zu Kopfe gestiegen ist und sie es jetzt mit weiteren Spekulationen auf die Leichtgläubigkeit der Nationen versuchen. Der britische Konsul in Tschifu hat Auanschikais beruhigende Versicherungen mit der Anfrage beantwortet, warum keine direkte Mittheilung vom englischen Gesandten in Peking vorliege, und ihn ersucht, sofort für direkte Verbindung zu sorgen. Auanschikai hat darauf ge antwortet, daß er dieses Ersuchen dem Tsungli-Iamen mitgctheilt habe. Der erste Sekretär der hiesigen chinesischen Gesandtschaft versicherte einem Vertreter des Daily Telegraph, er zweifele nicht im Geringsten daran, daß die direkte Verständigung mit den fremden Vertretern in Peking binnen kürzester Frist wieder möglich sein würde. Nach Shanghaier Meldungen desselben Blattes haben sich die Kaiserin-Wittwe und der Hof nach Hsianfu begeben. Li-Huug-Tschang. London, 23. Juli. Vor der Ankunft Li- Hung-Tschangs in Schanghai am Sonnabend hatten, wie schon berichtet wurde, die fremden Konsuln eine Zusammenkunft. In dieser beschlossen sie, Li-Hung- Tschang habe ihnen zuerst einen Besuch abzustatten, und die Größe seiner Eskorte, mit der er die Fremden niederlassungen besuche, dürfe 100 unbewaffnete Per sonen nicht übersteigen. In einer weiteren englischen Nachricht heißt es, Li-Hung-Tschang ist sehr verdrossen über den kühlen Empfang, den ihm die fremden Konsuln in Schanghai bereitet haben, die seiner Leibwache nicht an Land zu kommen gestatteten. Seine Umgebung ist sehr besorgt und weigert sich, die Reise nach Peking fortzusetzen, bevor nicht Gewähr dafür vorhanden ist, daß man dabei nicht sein Leben riskirt. Nach „Times"- Berichlen aus Schanghai ist das Zusammenwirken der dortigen Konsuln durch Mißhelligkeilen ebenso er schwert, wie das der Truppenbefehlshaber in Tientsin. Eine Depesche des „Daily Expreß" berichtet zur Illu stration dieser Meldung, daß der russische, französische und belgische Konsul bereit waren, Li-Hung-Tschang zu empfangen und mit ihm zu verhandeln, daß da gegen der deutsche, englische und amerikanische Konsul den genau entgegengesetzten Standpunkt vertraten, während der japanische Vertreter schwankte. Der Korrespondent erklärt sich für autorisirt zu der Mit theilung, daß in den Augen des englischen Re gierungsvertreters in Schanghai der Vicekönig Liu von Nanking der einzige Repräsentant einer legitimen chinesischen Regierung ist. Aus der Gesammtheit der hier vorliegenden Schanghaier Telegramme gewinnt man den Eindruck, daß die dortigen Konsuln, ins besondere der englische, die Bedeutung ihrer persön lichen Ansichten und Maßnahmen etwas überschätzen. Li selbst zögert mit der Weiterreise und wartet die Antwort auf eine nach Peking gerichtete Anfrage be züglich des dortigen Standes der Dinge ab. Li- Hung-Tschang verhandelt beständig mit Scheng, aus Schonst sind Emissäre in Schanghai eingetroffen, um für eine halbe Million Taels Munition zu kaufen. Kanton und Hongkong sind ruhig. Auf die Frage, was er über Li-Hung-Tschang dächte, antwortete Mr. Byron Brenan, der in London eingetroffene Generalkonsul in Schanghai, nur, daß Li Kanton ja nun endlich verlassen habe und angeb lich auf dem Wege nach Peking sei; er drückte sich im Uebrigen wenig vertrauensvoll über den „großen alten Mann" von China aus. Für die Ausländer in Peking giebt es nach Ansicht des Generalkonsuls thatsächlich durchaus keine Hoffnung mehr. Tieutst«. Nach einer Pariser Meldung sind die Ver handlungen zwischen den Großmächten betreffs des Oberkommandos der vereinigten Truppen in China dahin abgeschlossen worden, daß England den Ober befehl über die vereinigten Flotten erhält. Was den Oberbefehl über die Landlruppen betrifft, so glaubt das Blatt mittheilen zu können, daß die Großmächte Kaiser Wilhelm ersucht haben, den Führer der ver bündeten Truppen zu bestimmen. Kaiser Wilhelm soll aber aus Galanterie sich dahin ausgedrückt haben, dieses Kommando einem französischen General an zuvertrauen. Das Blatt glaubt, die französische Re- zierung habe dieses Anerbieten dankend abgelehnt. Der Chef des Kreuzergeschwaders berichtet nach einer eingegangenen telegraphischen Mittheilung aus Taku vom 20. d. Mts.: Die deutsche Besatzung von Tientsin ist auf 300 Mann unter dem Kommando )es Kapitänleutnants Weniger reducirt. Kapitän von Usedom, dessen Verhalten von englischen und russischen Befehlshabern gleichmäßig gelobt wird, ist mit den übrigen Leuten frisch und guter Gesundheit an Bord zurückgekehrt. Der Kaiser hat den Kommandanten des Kreuzers „Hertha", Kapitän zur See v. Usedom, zum Flügel adjutanten ernannt. Nach einem Telegramm geschah dies durch folgendes Telegramm an die Marine: „In frischer Gesundheit ist Kapitän v. Usedom mit dem größten Theile des Landungskorps zu Meiner Freude auf die Schiffe zurückgekehrt. Der