Suche löschen...
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 27.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190006273
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000627
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000627
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-27
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 27.06.1900
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
— Glauchau, 25. Juni. Am 21. Juni e. hielt der hiesige Militär-Brieftaubenzüchterverein „Schönburg" sein erstes größeres Preis- und Wett- fliegen ab Mainz (318 Kilometer Luftlinie) ab. Dieses Fliegen, das vom Wetter begünstigt war, kann als ein gelungenes bezeichnet werden, da bereits am ersten Tage von den 22 eingesetzten Tauben 16 Stück zu rückkehrten. Die Tauben wurden früh 7 Uhr 20 Minuten von der Kaiserlichen Fortifikation in Mainz, nachdem dieselben dort mit Stempel und Nummern versehen worden waren, aufgelassen, und es erreichte die erste Taube den heimathlichen Schlag bereits 11 Uhr 56 Minuten, also mit einer Geschwindigkeit von 1143 Meter per Minute. Von den drei ausgesetzten Preisen erhielten Herr Hermann Kratz den ersten, Herr Rudolph Theison den zweiten, Herr Gustav Schindler den dritten Preis. Ein weiteres Wettfliegen findet Anfang September ab Kulmbach circa 110 Kilometer Luftlinie) mit diesjährigen jungen Tauben statt. — Stollberg, 25. Juni. Heute trifft der Generalstab unseres XIX. König!. Sächs. Armeekorps hier ein, um in unserer Stadt verquartirt zu werden. Derselbe, bestehend aus 18 Offizieren, 26 Unter offizieren und Mannschaften mit 34 Pferden, ist auf einer Uebungsreise begriffen und wird uns am Mitt woch wieder verlassen — Vor einigen Tagen beab sichtigte ein etwa 24jähriges Dienstmädchen aus Nieder- darf seinem Leben im Höhlteich (Oelsnitz) ein Ende zu bereiten, als es, gerade im Begriff, halbnackt ins Wasser zu gehen, von einem vorübergehenden Herrn hiervon abgehalten werden konnte. Das junge Mäd chen hatte die That wohl aus Schwermuth beab sichtigt. Sie hatte keine Eltern und Geschwister mehr und war, da sie nicht ganz zurechnungsfähig war, bei einem Bauern ohne Lohn, nur für Kost und Lebens unterhalt als Magd verdungen. Dies mochte ihr nicht mehr gefallen haben und so kam sie auf den unseligen Gedanken. Nachdem sie von der Familie Drechsel sorgfältig gepflegt und übernachtet wurde, wurde sie am andern Morgen früh ihrer Heimathsbehörde wieder zugeführt. — Auf dem Hauptbahnhose zu Chemnitz herrschte am verflossenen Sonntag wieder ein sehr starker Verkehr. Die meiste Frequenz wies die Haupt linie Hohenstein-Reichenbach auf mit 4270 ankommen den und 4450 abfahrenden Personen; u. a. wurden 916 Fahrkarten nach Hohenstein-Ernstthal, 355 nach Grüna verkauft. Hohenstein-Ernstthal als Ziel nahmen sich u. a. zwei Chemnitzer Vereine, die die Hüttenmühle und das Logenhaus als Bewirthungslocale gewählt hatten. — Kappel, 25. Juni. In dem durch Schönau fließenden Pleißbache ist gestern Nachmittag beim Baden der 12 jährige Pflegesohn des Strumps- fabrikanten W. von hier ertrunken. — Mülsen St. Jacob» 24. Juni. Gestern gegen Abend verunglückte ein sehr schnell einhersahrendes Lichtensteiner Geschirr auf hiesiger Hauptstraße in der Nähe der „Deutschen Bierhallen" dadurch, daß der Schloßnagel des Gefährts versagte, beide Wagentheile sich trennten, wodurch der Insasse herausgeschleudert wurde, und das scheugewordene Pferd in der Gabel mit den Vorderrädern thalabwärts davonjagte. Plötz lich verließ dasselbe die Straße und sprang über Barriere und steile Ufermauer in den tiefgelegenen Mülsenbach. Dabei traten Eisenbarriere und Stein säule den mitgeführten Vorderrädern hemmend in den Weg, sodaß das Pserd kurze Zeit zwischen Himmel und Erde schwebte. Im Flußbett raste der Durch gänger wieder tha! auswärts, und riß zwei Stegpfeiler um. Endlich kam das Thier zum Sturz und wurde mit Mühe ans Ufer gebracht. — Vom Königlichen Landgericht Zwickau wurde der 24 Jahre alte vorbestrafte und in München wohn hafte Bahnarbeiter Josef Schäffer wegen Erpressung zu 2 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Ehrenrechts verlust verurtheilt, worauf man ihn 2 Monate von der erlittenen Untersuchungshaft anrechnete. Schäffer, der früher bei einem Geschäftsmann in Hohenstein- Ernstthal als Arbeiter beschäftigt war, hatte später an diesen wiederholt Briefe geschrieben und ihm darin mit Anzeige wegen einer strafbaren Handlung gedroht, wenn er ihm nicht gewisse Summen Geld zahle. Ans diese Weise hatte er dem betreffenden Geschäftsmann nach und nach 1000 Mark abgepreßt. — Wittgensdorf. In einer hiesigen Familie wurde ein Kind weiblichen Geschlechts geboren, das an jeder Hand sechs Finger und ein Gesicht mit wolfs ähnlichem Rachen aufwies. Das bedauernswerthe Kind ist nach 4 Tagen gestorben. — Jahnsdorf. In unserem regsamen Ort ist man gewillt, ein Elektrizitätswerk zu errichten und beschloß der Gemeinderath in seiner letzten Sitzung, dem Vertreter der neuen Chemnitzer Elektricitäts- Actiengesellschast, Herrn Kunath, die Concessron zu er- theilen. Man hofft, noch in diesem Jahre das Werk in Betrieb nehmen zu können und wird die erforder lichen Arbeiten nach Möglichkeit beschleunigen. — In Neukirchen ist am 19. d. ein toller Hund getödtet und deswegen für die Orte Grüna, Reichenbrand, Siegmar, Mittelbach die Hundesperre verfügt worden. — Falkenstein. D is Gewitter am Sonnabend Nachmittag war in unserer Gegend von einem heftigen Schloßenfall begleitet. Die Fluren sahen für einige Zeit ganz weiß aus. Beim Fuhrwerksbes. Poller im Anger schlug der Blitz ein und tödtete im Stalle eine Kalbe. — Zur Wechselburger Affaire geht den „Dr. Nachr." von berufener Seite Folgendes zu: Der scha-.se Zusammenstoß, den die staatliche Behörde mit dem Grafen Joachim in Wechselburg gehabt hat, da sie unter An drohung der höchsten Strafen ihm verboten Hai, in seiner Schloßkirche andere als Hausgottesdienste zu halten, und der Kirche den Charakter einer öffentlichen gottesdienst lichen Stätte abgesprochcn hat, hat wieder einmal die Frage der Parität, der Gleichberechtigung zwischen Evan gelischen und Katholiken aufgerollt. Wie steht es denn mit den unter uns in der Diaspora lebenden Katholiken ? Wie viele sind ihrer? Haben sie die Möglichkeit, sich in ihren Gottesdiensten zu erbauen? Es versteht sich für einen Evangelischen, der feines Glaubens gewiß ist und weiß, was er an seinen Gottesdiensten hat, ganz von selbst, daß er den Katholiken es gönnt, daß auch sie in ihrer Weise ihre Andacht finden können. Ein Evangelischer braucht nur daran zu denken, wie es seinen Glaubensbrttdern in der Zerstreuung draußen, z. B. in Böhmen, zu Muthe ist, wenn sie keine Kirche, keine Schule, keinen Lehrer, keinen Seelsorger haben, und wie dankbar sie auf der anderen Seite sind, wenn sie kirchlich versorgt sind, um dann den Katholiken das in vollem Maße auch zu gönnen. Das ist ja das spezifisch Protestantische, daß wir tolerant sind und keine Hindernisse bereiten, wo man um des Seelenheils willen nach gottesdienstlicher Bethätigung sucht. Aber handelt es sich darum? — Die kirchliche Versorgung der Katholiken unter uns untersteht dem ka tholischen Pfarramt in Chemnitz In Chemnitz, Glauchau, Penig, Mittweida sind regelmäßige Gottesdienste. Von den 2467 Katholiken der rund 114,000 Einwohner zäh lenden Rochlitzer Ephorie entfallen 1203 auf Mittweida, in den übrigen Städten mit weiten Dörferumgebungen gerechnet leben durchschnittlich je 100 Katholiken. Sie alle können mit Leichtigkeit eine oder die andere der oben genannten Gottesdienststationen erreichen, so daß zur Ver mehrung derselben noch niemals ein Bedürfniß vorhanden war oder defsen Befriedigung vom zuständigen Pfarramt in Chemnitz wäre in die Wege geleitet worden. In Wechfelburg selbst wohnen 103 Katholiken, meist dem gräflichen Hausstande angehörig, für die es Hausgottes dienste giebt. Ein Bedürfniß zur Errichtung einer neuen öffentlichen gottesdienstlichen Station liegt also ganz und gar nicht vor. In dem Bestreben aber, in Wechselburg einen öffentlichen Gottesdienst zu etabliren, liegt System. Als Anfang der 40er Jahre der Graf Alban seine evan gelische Kirche den Katholiken zu „einigen Gottesdiensten im Jahre" einräumte, gab es im Umkreise von vielen Stunden überhaupt nur drei Katholiken. Erst mit dem Uebertritt des verstorbenen Grafen kamen durch die Dienerschaft und Beamtenschaft eine größere Anzahl Ka tholiken nach Wechselburg. Die denselben gestatteten Hausgottesdienste sind aber von Anfang an durch die Hauskapläne dazu benutzt worden, für römisches Wesen Propaganda zu machen. Die Hauskapläne, die nicht das geringste Recht dazu hatten, irgend welche seelsorgerische oder pfarramtliche Funktionen außerhalb des Hausstandes des Grafen zu vollziehen, haben stets, als gebe es keine Landesgesetze, Allen, die man nach Wechselburg zog, Beichte gesessen, Messe gelesen, haben Taufen und Beerdigungen vollzogen, in gemischten Ehen die Kindererziehung zu be einflussen gesucht u. A. m Das katholische Pfarramt zu Chemnitz, das sich gegen diese Uebergriffe in ihm allein zustehende Rechte und Pflichten hätte verwahren müssen, hat stets ge- chwiegen, ließ die Dinge ruhig gehen. Aber sobald ;egen die unterschiedlichen Kapläne mit Strafantrag wrgegangen werden sollte und diese den Boden unter ihren Füßen heiß werden fühlten, verschwanden sie und neue Persönlichkeiten traten an ihre Stelle, die das alte Spiel wieder aufuahmen. Die systematische ungesetzliche Handlungsweise sehen wir als ein großes Unrecht an. Wenn in der „Köln. Volksztg." und anderen Blättern unter der Ueberschrift „Der Toleranz- kandal auf Schloß Wechselburg" zu lesen steht, daß es den Katholiken der Umgegend von W. von jeher gestattet gewesen sei, an Sonn- und Festtagen dem Nvttesdienste in der Schloßkirche beizuwohnen, so ist dieser Satz, aus dem dann alle weiteren Schlüsse ge zogen werden, eine grobe, dreiste Unwahrheit. Die Schloßkirche zu Wechselburg ist seit dem Uebertritt des verstorbenen Grafen niemals eine öffentliche katholische Gottesdienststätte gewesen. Das jetzige Vorgehen der Behörde ist also weiter nichts als eine nachdrückliche Zurückführung der Dinge auf den einfachen, recht mäßigen, ursprünglichen Stand. Daß die Straf androhung sich jetzt anstatt gegen die vorgeschobenen und wieder verschwindenden Hauskapläne' gegen die Person des Grafen selbst gerichtet hat, ist ein Vor gang, der unseres Erachtens nach längst hätte ein geschlagen werden können. — Die ultramontane Köln. Volksztg. schreibt in derselben Angelegenheit: Der Skandal in Wechselburg steht, wie wir ganz bestimmt wissen, nicht vereinzelt da. Auch anderswo hat man den Versuch gemacht, den Besuch des katholischen Gottesdienstes in einer Privatkapelle durch Straf verfügung zu verhindern. Wenn solche Fälle nicht längst an die Oeffentlichkeit gekommen sind, so kann der Grund nur in der Besorgniß unserer sächsischen Glaubensgenossen liegen, die Zustände noch zu ver schlimmern. Jetzt ist offenbar der Zeitpunkt gekommen, diese Rücksicht fallen zu lassen. Die Wechselburger Geschichte hat in katholischen Kreisen das größte Auf sehen erregt, und auch die nichtkatholische Presse, die bi« jetzt in beredtem Schweigen verharrt, wird auf die Dauer nicht umhin können, Stellung zu nehmen. Wir bitten dringend diejenigen sächsischen Katholiken, welche gleiche Erfahrungen gemacht haben wie Herr Gras Schönburg, jetzt dieselben der Oeffentlicbkeit zugänglich zu machen, und erklären uns unserseits gern dazu bereit. Man schmiede das Eisen, so lange es warm ist! Wenn )ie sächsischen Katholiken jetzt nicht sich ein Stückchen Religionsfreiheit gegenüber beschränktester und kleinlichster Unduldsamkeit erkämpfen, dann können sie noch lange darauf warten. — Hartmannsdorf, 24. Juni. In unserem im schönsten Festschmucke prangenden freundlichen Orte wurde am heutigen Sonntage die 33. Versammlung des Mittelsächs. Kreisfeuerwehrverbandes abgehalten. Die Versammlung eröffnete und leitete Pro'. Keller bauer-Chemnitz. Aus dem erstatteten Jahresberichte ging hervor, daß der Verband genau so viel Feuer wehren zählte wie im vorigen Jahre mit etwa 5000 Mitgliedern. Auch die Ausschußmitglieder und die Verwaltung des Verbandes sind im Großen und Ganzen dieselben geblieben. Im letzten Jahre hat sich die Zahl der Jnspectionen verringert und zwar durch nicht weniger als acht Führercurse mit zwei Uebungen. Bisher sind seit der Einführung der Jn spectionen 387 derselben abgehalten worden. Für dieses Jahr ist wiederum eine größere Anzahl von Jnspectionen in Aussicht genommen worden. Die Vereinsthätigkeil außerhalb der Uebungen hat sich in den Versammlungen hauptsächlich mit Behandlung technischer Fragen beschäftigt. Leider würde das Maß der Vergnügungen hin und wieder überschritten; man solle doch lieber auf Vervollkommnung der Vergnüg ungen sehen. Bei Bränden waren die Verbands feuerwehren 229 Mal im Ort und 123 Mal außer halb, also msgesammt 352 Mal thätig, gegen 305 Mal im Vorjahre. An schweren Unglücksfällen ist mich in diesem Jahre erfreulicher Weise nichts zu ver zeichnen. Der Kaffenbestand betrug am 1. Januar 1899 269,98 Mk., die Einnahmen 1104,74 Mk., die Ausgaben 852,41 Mk., sodaß sich der Kassenbestand 1900 auf 522,32 Mk. bezifferte. Herr Nauck-Siegmar berichtete über die geplante Abänderung des Exercier- Reglements, das zum Theil dem militärischen nachge bildet ist, doch ist es unmöglich, hier das „Links"- Kehrt einzusühren. Im 3. Punkte der Tagesordnung erstatteten die Vertreter der 12 Bezirke Bericht, für den abwesenden Herrn Hauptmann Redslob- Hohenstein-Ernstthal that dies Prof. Kellerbauer. Nach der Versammlung fanden im Garten des „Kron prinz" Fußexercitien und Gerätheübungen dec beiden Hartmannsdorfer Compagnien statt. Hierauf formirte sich bei schönstem Wetter der Festzug. Aus der am Sonnabend abgehaltenen Sitzung der Hauptleute sei noch erwähnt, daß von den ausscheidenden Bezirks vorstehern Herr Redslob-Hohenstein-Ernstthal wieder gewählt wurde. An den in Wiesbaden weilenden Vorsitzenden Branddirector Weigand wurde ein Be grüßungstelegramm gesandt. Der nach dem Zapfen streich abgehaltene Commers verlief in sehr animirter Weise. — An der heutigen Bersammung nahm auch Herr Amtshauptmann Dr. Süßmilch-Rochlitz theil; Herr Amtshauptmann Hallbauer-Chemnitz war wegen schwerer Erkrankung behindert. — Dresden. Se. Kaiser!, und König!. Hoheit Erzherzog Franz Ferdinand von Oesterreich, der präsum tive Kaiser von Oesterreich, welcher sich demnächst mit der Komteß Chotek. der Tochter des verstorbenen früheren hiesigen österreichisch,ungarischen Gesandten, vermählen wird, weilt bereits seit einigen Wochen inkognito in Dres den. Unter einem gräflichen Namen wohnt er in einem Hotel in der Neustadt. Eine Schwester der erzherzoglichen Braut ist mit dem Rittmeister von Wuthenau im Garde reiter-Regiment vermählt — In Grra hat der Drogist Noah seine 2 und 3 Jahre alten Kinder vergiftet und sich dann geflüchtet: inan glaubt, daß er sich auch das Leben genommen. Das eine Kind lebt noch. Telegramme Chemnitz, 26. Juni. Das hiesige Schwur gericht verurtheilte heute den Kaufmann Hetze, der, wie erinnerlich, sein sechs Monate altes Kind gewaltsam ums Leben brachte, wegen Todtschlags zu 15 Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust. London, 26. Juni. Lord Roberts meldet vom gestrigen Tage aus Prätoria: General Clemens hatte gestern in der Nähe von Wynburg ein Gefecht mit einer Abtheilung der Buren und warf dieselbe mit Verlusten nordwärts vom Zandriver zurück. Huttons beritttene Infanterie hatte gestern im Südosten von Prätoria ein erfolgreiches Scharmützel mit einer Burenpatrouille. Passau, 26. Juni. Wie die „Donau-Ztg." meldet, entgleiste der Personenzug Passau-Freyung bei der Station Röhrnbach. Ein Beamter und ein Passa gier wurden schwer und mehrere Passagiere leicht ver- etzt. Ein Hilfszug ging von Passau nach der Un fallstelle ab. China. Im englischen Unterhaus hat gestern die Re gierung auch nichts mittheilen können, was zur Klä rung der Lage in China beitrüge. Wie man uns aus London telegraphirt, erklärte der Parlamentssecretär des Aeußern, Brodrick, seit die gegenwärtige Krise in ein acutes Stadium getreten sei, habe jede Verbind ung mit der chinesischen Regierung aufgehört, alle telegraphischen Verbindungen seien unterbrochen. Die Regierung habe keine Nachricht darüber, daß 40000 Russen von Kiachta aus in den nordwestlichen Theil Chinas einmarschirt seien und sich aus dem Marsche gegen Urga befänden. Brodrick erklärt weiter, er be dauere sagen zu müssen, daß seit dem letzten Freitag keine bestimmte Nachricht aus Tientsin vorliege; die Regierung sei noch ohne jede Nachricht vom Admiral Seymour und von den Gesandtschaften in Peking. Brodrick verliest sodann ein Telegramm des Contre- admirals Bruce: „Die gesammte Truppenabtheilung, welche mit dem Oberbefehlshaber Tientsin verließ, um sich nach Peking zu begeben, beträgt ungefähr 2000 Mann und besteht aus Besatzungsmannschasten der zusammen wirkenden fremden Kriegsschiffe. Es war unmöglich, etwas zu unternehmen, um dem Oberbefehlshaber zur Hilfe zu eilen, weil nur bekannt geworden ist, daß er abgeschnitten sei, da Tientsin eingeschlossen ist. Tientsin hat seitdem einen Kampf auf Leben und Tod zu führen gehabt. Auf das Eintreffen der Nachricht, daß von dem chinesischen Heere Eisenbahnzüge bestellt worden, um Tientsin anzugreifen, daß die chinesischen Truppen Tongku verwüsteten, Taku verstärkten und in die Mündung des Peiho Mitten legten, ivurde schnell beschlossen, Taku zu nehmen. Seitdem sind alle An strengungen gemacht worden, Tientsin zu entsetzen." Brodrick sügt hinzu, die Regierung habe von anderer Seite erfahren, daß der von russischen und amerikanischen Truppen am Donnerstag unternommene Versuch, die Verbindung mit Tientsin berzustellen, an dem Widerstand einer starken Abtheilung Chinesen gescheitert sei. Seitdem seien die von Hongkong ab gegangenen Truppen eingetroffen. Man glaubt, daß 3000 Mann japanischer, 1000 Mann deutscher und 2000 Mann französischer Truppen eingetroffen seien oder in kurzem eintreffen würden; die Regierung habe jedoch keine Nachricht über irgend eine Operation, die seitdem unternommen wäre. Ueber das Schicksal der Gesandtschaften in Peking wird dem B. L.-A. geschrieben: Wenn der Draht keine Nachricht uns aus Peking zuträgt, so hat dies seine Er klärung. Unerklärlich aber ist es, daß niemand von dem zahlreichen diplomatischen Corps einen Chinesen gefunden haben sollte, der ihm als Courier gedient hätte. Viele der Herren sind jahrelang auf ihren Posten, viele Mit glieder beherrschen als Dolmetscher vollständig die Landes sprache. Die Gesandten besitzen eingeborene Diener, die ihrer Herrschaft oft treu ergeben sind. Schließlich giebt es zwischen den Diplomaten und den einheimischen Wür denträgern manche gesellschaftliche Berührungspunkte, die nicht selten zu einem gewissen freundschaftlichen Verkehr geführt haben. Wir dürfen auch die europäische Geschäfts welt in der Hauptstadt nicht vergessen. Sie arbeitet mit chinesischen Staatsbeamten, Firmen und Angestellten. So ist eine zahlreiche Auswahl vorhanden unter denjenigen, die einen Courier stellen oder selbst den Dienst leisten könnten. Reiche Belohnung ist dem Boten gewiß in Aussicht gestellt, und die Leistung an sich ist eine ganz unbedeutende. Denn was wollen die zehn Meilen von Peking zur Küste für Bewohner eines ungeheuren Landes besagen, in welchem man erst jetzt mit dem Bau von Bahnen begonnen hat. Wer sich dies alles vergegen wärtigt, muß bezüglich des Schicksals der Gesandten die ernstesten Besorgnisse hegen. Entweder ist das Schicksal der Europäer bereits besiegelt, oder Peking steht unter einer Schreckensherrschaft, die das Schlimmste, falls es noch nicht eingetroffen, jeden Augenblick befürchten l int Wenn wir aus der Geschichte eine ähnliche Situation r n Vergleich heranziehen wollen, so brauchen wir nur an t Paris im Jahre 1792, 93 und 94 zu denken. C ae einzige Botschaft hätte damals viele der eingeschlosß nen hohen Herren und Damen zu retten vermocht. Hund ne waren gewiß für ihre einstigen Freunde oder Geb 'er eine solche rettende Botschaft zu übernehmen bereit. Ader der Schrecken hielt alles^mit eisernen Krallen unter sei» n Bann und erstickte jeden Rettungsgedanken im Keime o 'er führte den Boten selbst ins Verderben. Und wer w.ll leugnen, daß Couriere aus Peking nicht auch mit dem Leben ihr Unterfangen büßen mußten? Eine Autorität in chinesischen Angelegenheiten r- klärte einem Vertreter der Westminster Gazette: Sir Robert Hart war, wie er wisse, reichlich mit Courie en versehen, und wenn die geringste Möglichkeit vorhanden wäre, würde er eine Meldung durchbekommen haben. Es sei undenkbar, daß die Handvoll Europäer nur einen Tag gegen eine mächtige, blutdürstige Rotte von Chinesen Stand halten konnte. Er glaube nicht, daß einer noch am Leben sei. London, 26. Juni. „Daily Expreß" meldet ans Shanghai vom 25. d. M.: Laut hier eingetroffen r, offizieller Nachricht ist eine Kosaken-Abtheilung in Peitaiho gelandet worden, eine andere in Schanhaikwun. Die Truppen halten beide Orte besetzt, um die chinesischen Truppen, die auS der Mandschurei gegen Tientsin vorrücken, abzuschneiden. Daily Erpreß meldet aus Tschifu vom 25. d. M.: Nach soeben eingetroffener Nachricht sind 3000 chinesische Truppen in Eilmärschen von Taku kommend in Tientsin angekommen zur Verstärkung der chinesischen Truppen uno der Boxers. London, 26. Juni. Die Blätter veröffen - lichen ein Telegramm aus Shanghai vom gestrig-n Tage, welches besagt, daß der englische Kreuzer „Terribel" dort von Taku eingetroffen sei. Derseloe berichtet, einer Streitmacht von 800 Sikhs und 200 wallisifchen Füsilieren sei die Verbindung zwischen den deutschen, amerikanischen und russischen Truppen g.- lungen. welche von den Chinesen an dem vorher gegangenen Abend ungefähr 9 Meilen von Tientsin abgeschnitten waren. Petersburg, 25. Juni. Der hiesige chinesische Gesandte Aangyue hat gestern ein Telegramm vom Vizekönig von Nanking erhalten, nach welchem die Vertreter der ausländischen Mächte in Peking unvm- sehrt sind. Berlin, 26. Juni. Wolffs telegraph. Bureou erfährt: Nach einem am Vormittag eingetrosfenen Te legramm des deutschen Konsuls in Tschifu soll,.Ad miral Seymour 20 Kilometer vor Tientsin sein, nm den Gesandten, bedrängt von den Boxers und So daten. Ein Hilfskvrps zur Aufnahme Seymours ver ließ am 24. d. Mts. Tientsin, nachdem das Entsatz korps von Taku am 23. Nachmittags in Tientsin ein gezogen war. Lhaughai, 25. Juni. In Taku sind 8000 europäische Truppen, darunter 1200 Deutsche, gelandet morden. Wie hier verlautet, sind am 22. die Boxer bei Tientsin mit einem Verluste von 120 Todten und 300 Verwundeten zurückgeschlagen worden. Di-' 300 Welshsüsiliere und die 9o0 indischen Truppen, welche von Hongkong nach Taku gekommen waren, sind zum Entsatz von Tientsin abgegangen. Aus guter Quelle verlautet, die britische Regierung habe den Chinesen zugesichert, sie werde im Jangtsethale keine Mannschaften landen, außer zu dem Zweck, die chinesische Regierung bei der Unterdrückung von Ruhr- störungen zu unterstützen. London, 26. Juni, Die heutigen Morgenblätter besprechen die Lage in China als ernster, als man jemals erwartet hatte. „Daily Mail" meint sehr zutreffend, es herrsche augenblicklich ein wirklicher Kampf um das Dasem in China, und die übrigen Blätter schlagen ebenfall' einen pessimistischen Ton an. „Daily Telegr." hat alle Hoffnung aus Rettung der Hilfskolonne des Admirals Seymour ausgegeben. Noch ist in Schanghai alles ruhig, dennoch ist man nicht ohne Sorge; im Hafen liegen 6 Kriegs schiffe der Mächte, doch haben die jüngst eingetroffenen 5 chinesischen Kreuzer, die zwar ihr Wort, nicht zu kämpfen, verpfändet haben, die Uebermacht. Auch er regt es große Besorgnis;, daß die Chinesen Truppen in großer Zahl aus Soodow heranziehen. Aus Shanghai wird gemeldet: Beamte schätzen die Zahl der Aufständischen auf drei Millionen. Man glaubt einem aus chinesischer Quelle stammenden Gerücht, demzufolge schon ein neuer Kaiser proklamirt sein soll. Newyork, 26. Juni. Nach einer Depesche aus Tschifu voki Admiral Kempfs hat selbiger dorthin ge meldet, er habe durch ein japanisches Torpedoboot die Nachricht erhalten, daß die vereinigte Streitmacht der Mächte in Tientsin eingerückt sei, nach einem Kampfe, bei welchem die europäischen Verluste leicht waren. Die Streitmacht sei dann zur Unterstützung des Admirals Seymour abgerückt. Nach Gerüchten aus japanesischer Quelle sei Admiral Seymour ge fangen. Die fremden Gesandten hätten Peking unter dem Schutze einer Eskorte chinesischer Truppen ver lassen. Man weiß nicht, wo sie sich befinden. Vermischtes. * Der Rentier Ledoir hat der Stadt Kassel vier Millionen Mark zur Errichtung eines Waisenhauses zugewendet. * Eine verwickelte Verwandtschaft. Nicht eine verfrühte Hundstagsgeschichte, sondern ein wirk liches Erlebniß ist das Ehe-Durcheinander von Friedr. Schramm aus Freiburg i. B., ein toller Roman, dessen Schauplatz theils das schöne Rheinland, theils das minder schöne Chicago ist. Schramm machte vor etwa 8 Jahren in Käppel a. Rh. die Bekanntschaft eines hübschen und nicht unbemittelten Mädchens und verheirathete sich mit demselben. Das Eheglück war aber nur von kurzer Dauer, Frau Schramm kehrte zu ihrer Mutter heim und ließ sich scheiden. Inzwischen hatte Schramm eine wohlhabende Wittwe, Frau Lina Küster, kennen gelernt und ging mit ihr die zweite Ehe ein. Frau Küster hatte drei fast erwachsene Kinder, Hans, Auguste und Gretchen. Bald nach der Hochzeit siedelte das Ehepaar nach Chicago über und nahm die beiden Mädchen mit, während Hans in Deuschland zurückblieb. Frau Schramm Nr. 2 scheint aber das Chicagoer Klima nicht gut bekommen zu
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)