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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190006209
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000620
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000620
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-20
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 20.06.1900
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der Boxer, die Art und Weise, wie man in China uns Europäer und unsere Cultur beurtheilt, folgen dermaßen schildern: Die westliche Civilisation, so sagte der Chinese, ist in unseren Augen wie ein Pilz, wie ein Ding von gestern. Die chinesische Civilisation dagegen ist ungezählte Jahrtausende alt; wir glauben daher, daß wir euch um mindestens 2000 Jahre vor- aus sind. Auch bei uns gab es eine Zeit, da wir unsern „Kampf um's Dasein", unsere Jagd nach Reichthum, unsern Machthunger, unstr Hasten und Hetzen und unsere Qual hatten. Auch wir hatten unsere klugen Erfindungen, wir hatten das Schieß pulver, den Buchdruck und alles Uebrige, aber wir haben lange genug gelebt, um zu erkennen, wie wenig nothwendig und wie nutzlos alles Das ist. Wir haben auch unsere Zeiten des Zweifels, des Fanatismus und des Streites in Religionssachen gehabt; wir hatten unsere Märtyrer, unsere Reformationen, unsere In toleranz — und das Alles vor Tausenden von Jahren. Aber, wie gesagt, wir sind diesen Dingen entwachsen. Aus den Erfahrungen vergangener Jahrhunderte haben wir Weisheit, aus den Fehlern und Unfällen unserer Ahnen haben wir gelernt, daß keines der Dinge, nach denen wir strebten, des Strebens Werth war. So haben sich unsere Leidenschaften und unser Ehrgeiz allmählig abgesetzt in dem ruhigen Wunsche nach Glück seligkeit in dieser Welt, unsere Religion ist zu einer Lebensphilosophie geworden, die sich in der Probe der letzten 2000 Jahre als gesund erwiesen hat. Wir glauben, daß das Beste, was man in diesem Leben er reichen kann, die Glückseligkeit ist, und wir lehren unsere Kinder, daß sie dieses Glück nur durch Pflichterfüllung erzielen, dadurch, daß sie die Vorschriften der Moral und der Lebensgemeinschaft erfüllen und sich mit einem Kreise gleichfalls glücklicher Freunde und Verwandten umgeben. Wenn ein Chinese mehr von geschäftlichem Glück begünstigt ist, als seinen Verwandten zu Theil geworden, so findet er seine größte Befriedigung darin, sein Vermögen mit jenen zu theilen. Und wir in China hören nie auf zu arbeiten, etwas, wie ein Zu rückziehen vom Geschäft giebt es nicht, die Arbeit ist ein Theil unseres Vergnügens, weil sie unsere Pflicht ist. Wir glauben das Beste in diesem Leben zu thun, weil es das einzige ist, von dem wir etwas Sicheres wissen. Das ist das letzte Sein und Ende der chinesischen Philosophie. So werden sie überall in China dasselbe Maß und denselben gleichartigen Geist der Befriedig ung finden. Sie mögen glauben, wir lebten in Un wissenheit, Schmutz und Trägheit, aber ich versichere Sie, es ist nicht der Fall. Wir fühlen uns so wohl, wie wir wünschen, und kein Mensch kann uns darin eine Besserung bringen. Und nun kommt ihr aus eurer westlichen Welt zu uns mit dem, was ihr eure neuen Ideen nennt. Ihr bringt uns eure Religion — ein Kind von neunzehnhundert Jahren; ihr fordert uns auf, Eisenbahnen zu bauen, damit wir von einem Ort zum andern fliegen können mit einer Eile, die uns weder Bedürfniß ist, noch Reiz für uns hat. Ihr wollt Fabriken bauen und dadurch unsere schönen Künste und Gewerbe verdrängen, ihr wollt blendenden Flitter verfertigen statt der schönen Gebilde und Farben, die wir durch Jahrhunderte erprobt haben. Gegen alles Das erheben wir Einspruch. Wir wollen allein gelassen werden, wir wollen die Freiheit haben, unser schönes Land und die Früchte unserer alten Erfahrung zu genießen. Wenn wir euch bitten, weg zugehen, so weigert ihr euch und ihr bedroht uns gar, wenn wir euch nicht unsere Häfen, unser Land, unsere Städte geben. Daher sind wir Mitglieder der Gesellschaft der sogenannten Boxer nach reiflicher Ueberlegung zu der Erkenntniß gekommen, daß die einzige Möglichkeit, euch los zu werden, darin liegt, daß wir euch tödten. Wir sind von Natur nicht blutdürstig, aber wenn Zureden und Ueberzeugung und die Berufung an euren Verstand und euer Ge rechtigkeitsgefühl versagen, so sehen wir uns der That- sache gegenüber, daß unsere einzige Rettung ist, euer Dasein auszulöschen. Nehmen Sie Ihre Missionare. Sie kommen zu uns mit einer neuen Religion, über deren hauptsächlichste Grundsätze sie selbst unter ein ander bitterlich uneins sind; sie sagen uns, wenn wir ihre Lehre nicht annehmen, würden wir ewige Strafe erdulden. Sie schrecken unsere Kinder und alten Leute und veranlassen alle möglichen Zwistigkeiten zwischen Familien und einzelnen Personen. Da ist es doch kein Wunder, daß wir sie nicht dulden wollen. Wenn wir eure Eijenbahnen und Maschinen haben wollten, so könnten wir sie ja kaufen; aber wir wollen sie nicht, sie sind uns nichts nutz, wir haben gelernt, ohne sie fertig zu werden. Trotzdem sagt ihr, ihr würdet uns zwingen, sie zu kaufen, ob wir wollen oder nicht. Ist das gerecht? Ich sage, es ist eine Anmaßung, eine Beschimpfung. Biel Wesens wird auch daraus gemacht, daß wir keine Soldaten sind. Wir aber haben aufgehört, Soldaten zu sein, weil wir civilisirt geworden sind. Der Krieg ist barbarisch. Die Wirkung davon, daß wir auf unserer jetzigen Höhe der Civilisation angelangt sind, ist, daß wir uns mehr als irgend eine andere Rasse auf der Erde vermehrt und vervielfacht haben. Trotz unserer großen Sterblichkeit — an der Sie wieder Anstoß nehmen, obwohl wir glauben, daß sie eine weise Vorsehung der Natur ist — vermehrt sich die chinesische Rasse schneller als irgend ein anderes Volk der Welt. Wenn wir es darauf anlegten, könnten wir die übrige Menschheit überwältigen; daß wir das nicht thun, ist nur der Vollendung unserer Civilisation, unserer Philosophie, unsern Sitten zuzuschreiben. Wir zählen 400 Millionen menschliche Wesen, und wer könnte uns Widerstand leisten, wenn wir unsere Macht zur Geltung bringen wollen? Glauben Sie, wir seien uns dessen nicht bewußt? Im Gegentheil, wir wissen es zu gut, und nun ist es Sache der weißen Rassen auf der Erde, zu erkennen, daß wir, nicht sie die Herren sind. Ueber Peking, die Hauptstadt von China, lesen wir in der Post: Peking besteht eigentlich aus zwei, zwar dicht aneinander grenzenden, aber doch durch eine hohe Mauer von einander geschiedenen Städten, der sogenannten Mandschustadt — auch Tartarenstadt ge nannt — und der Chinesenstadt. Diese Eintheilung stammt aus der Zeit der Eroberung durch die jetzige Mandschudynastie. Erstere enthält in der Mitte die kaiserliche Stadt, in welcher wiederum die rothe, ver botene, oder heilige Stadt, ein Viertel für sich von Wall und Graben umgeben, die eigentliche Residenz des Kaisers von China bildet. Die Tartarenstadt bildet ein Quadrat und ist von einer 24 Kilometer langen, 13 Meter hohen und 11 Meter breiten Mauer umgeben, die im Ganzen 9 Thore, je 2 nach Osten, Norden, Westen und 3 nach Süden, aufweist. Sämmt- liche Thore sind durch kleine äußere Enceinten und durch 30 Meter hohe Thürme vertheidigt. Auch an den 4 Ecken der Stadt sind solche Schutzthürme er richtet. Die Straßen der Stadt laufen sämmtlich Nord-Süd bezw. Ost-West, schneiden sich also unter dem rechten Winkel. Die Häuser sind einstöckig, die Dächer der Tempel und Paläste sind mit blau bezw. mit gelbgrün glasirten Ziegeln belegt. Peking ist der Sitz aller Ministerien und höchsten Aemter des Reiches. Die etwas kleinere Chinesenstadl ist ebensalls mit einer Mauer umgeben, doch hat letztere nicht die enormen Dimensionen, wie die der Mandschustadt. Hier be finden sich großartige Tempelanlagen, unter denen der Tempel des Himmels und der des Ackerbaues den ersten Rang einnehmen. Sieben Thore führen aus der Chinesenstadt heraus, 2 nach Norden, 3 nach Süden, je 1 noch Osten und Westen. Die Verbindung mit der Mandschustadt wird durch drei Thore her gestellt. Die Gesandtschaften Deutschlands, Englands, Frankreichs, Rußlands, Italiens, Spaniens, der Ver einigten Staaten von Nordamerika, Japans und Belgiens liegen südöstlich der kaiserlichen Stadt. In der Tartarenstadt befindet sich auch eine ganze Anzahl von protestantischen und katholischen Kirchen und Krankenhäusern, sowie mehrere Moscheen. Im Ganzen leben etwa 200 Europäer in Peking, da diese Stadt dem ausländischen Handel nicht geöffnet ist. Der chinesische Name für Peking ist Kingtscheng oder Kingtu, was soviel wie „Hauptstadt" bedeutet. Der Krieg um Transvaal. Mit dem Gange des Krieges beschäftigt sich die „Volksstein" am 10. Mai in einem längeren Artikel, der Aufklärung über manche Erscheinungen aus jener Zeit giebt, darin heißt es: In diesem Kriege ist cs wie in allen anderen gegangen, im Anfang ist der Kampftrieb warm und allgemein und bringt unter den Kämpfenden glänzende Thaten hervor. Aber nach und nach nimmt der Vorrath von freiwilligem Eifer ab und das Volk muß ihn ergänzen durch seine besseren und solideren Eigenschasten; nach und nach entstehen Eifersüchteleien und Neid und bringen Zersplitterung hervor, anstatt daß ruhige, nüchterne Vaterlandsliebe dem ansänglichen Rausche Platz machen müßte. Da her ist es wahrlich kein Wunder, daß nach einem un unterbrochenen Kampfe von sieben Monaten die Buren jetzt Zeichen erkennen lassen von sittlicher Ermüdung, von Verminderung ihrer anfänglich sehr starken Thaten- lust, denn der Krieg verbraucht nicht allein die Körper kräfte der Burghers, sondern spannt auch in hohem Maße das Denkvermögen des ganzen Volkes an, vor allem bei einem Volke, wie dem unseren, welche- auch in einem Kriege seine sonstige Thätigkeit nicht ein stellen und seine Aufmerksamkeit der Beschaffung körperlicher Bedürfnisse widmen muß. Dazu kommt noch, daß die altholländischen Eigenschaften von Stand- Hastigkeit, Zähigkeit, unbeugsamem Willen und Hals starrigkeit durch ihre Berührung mit dem Blute der genialen Hugenotten etwas angenommen haben von französischer Unruhe und Empfindlichkeit für starke Reaktionen. In Zeiten großer nationaler An strengungen lernt man die guten wie die schlechten Eigenschaften des Volkes besser kennen, als in Tagen gemeinsamer Arbeit und ruhigen Gedeihens. Die gallische Leichtherzigkeit und Nachgiebigkeit kann unserem Volke leicht großen Schaden zufügen, wenn wir uns nicht unverzüglich mit der zähen Ausdauer stärken, welche auch unser Erbtheil ist. Mit Genugthuung haben wir aus verschiedenen Bezirken Zuschriften er halten, welche die Hoffnung rechtfertigen, daß die germanische Zähigkeit, welche noch vor kurzem bei unseren Feinden, den Engländern, so großes geleistet hat, sich bei unseren Burghers auch geltend macht. Wir haben schon darauf hingewiesen, wie die englische Kriegsmacht trotz ihrer großen Ueberzahl doch mit Erfolg durch die Buren bekämpft werden kann. Doch dazu ist Ausharren und noch einmal Ausharren nöthig. Feste Entschlüsse sind in einem Kriege wie dem unseren noch mehr werth als der bloße Kampfesmuth. Wir dürfen keine Sekunde ans Nachgeben denken. Die „Rheinisch-Westfäl. Ztg." erfährt von der Brüsseler Transvaalgesandtschaft, daß der Entschluß bestehe, sich aufs äußerste zu vertheidigen, der Verlust und die Besetzung der Hauptstadt eines Landes bedinge durchaus nicht das Ende des Krieges. Die Beendigung ces Kampfes stehe noch in weitem Felde, da Munition und Lebensmittel reichlich vorhanden seien. Englische Blätter berichten andauernd über die Geldnoth, in der sich die Buren befinden. Niemand, selbst ihre eigenen Beamten nicht, wollen noch das staatliche „Papiergeld" nehmen, selbst prägen können die Buren aber kein Geld, da sie keine Münze haben. Die Regierung hilft sich jetzt damit, daß sie ungemünzte Goldstückchen ausgiebt in dem Werthe von je einem Pfund Sterling, oder Barrengeld den Beamten zu wiegen läßt. Krüger soll übrigens im Besitze be deutender Goldvorräthe sein, angeblich im Werthe von 3^ Millionen Pfund. London, 19. Juni. Feldmarschall Lord Roberts meldet aus Prätoria vom 18. d. Mts.: Baden-Powell ist heute hier eingetroffen. Aus dem englischen Hauptquartier am Laingsnek meldet „Reuters Bureau": Die Buren haben sich von den Volksrust beherrschenden Hügeln zurück gezogen. Es heißt, daß einige Buren-Kommandos sich bei Walkerstroom zeigen. Bis jetzt haben sich etwa 100 Buren in Volksrust ergeben. Es ist jetzt sehr kaltes Wetter eingetreten. London, 18. Juni. Eine Depesche des Feld marschalls Roberts aus Prätoria vom 16. Juni be sagt: 800 Buren griffen am 14. Juni den Posten von Zandriver an, wurden aber von Knox, der von Kroonstad aus anrückte, verjagt. Auf britischer Seite wurden ein Osficier und zwei Mann getödtet, ein Osficier und acht Mann verwundet. Hohenstein «Ernstthal, 19. Juni l900 r ng-c'ui-Arn von allgemeinem Interesse werden darwar-n' ^eingenommen und eveut!, ^misr'rt. — Vom Schützenfeste. Auch der gestrige Montag hatte sich keines besonders schönen Wetters zu erfreuen, indessen lachte doch am Nachmittag, als die Schützencompagnien ihren Umzur durch die Stadt und Auszug nach dem Schützenhause vollzogen, ein freundlicher blauer Himmel. Das Schützenmahl nahm den üblichen heiteren Verlauf, und au dem sich an schließenden Schießen zeigte sich eine starke Frequenz. Leider setzten in den späteren Nachmittagsstunden wieder heftige Regengüsse ein, die den Festplatz in der schwierigen Passage erhielten, die bereits am Sonntag Nachmittag zu bemerken war. Man hatte indessen auf den Haupt wegen durch Auffahren von Schlacken versucht, den Wegen Grund zu verschaffen, und so war etwas Besserung in denWegeverhältniffen eingetreten. Einzelne Partien des weiten Platzes waren aber immerhin nur für Turnkünstler oder besonders Leichtfüßige zu „nehmen" und nur mit erheblicher Kraftanstrengung konnte man den Fuß einen Schritt weiter setzen; be- gegneten sich zwei Bekannte, dann fiel sicher der gegen seitige Blick zuerst auf die „Stibbeln", die eine ziem liche Gewichtszunahme erfahren hatten. — Das alles aber war nicht dazu angethan, die fröhliche Stimmung der Schützenfestbesucher zu beeinträchtigen. Unter Lachen und Scherzen stiefelten ungezählte Schaaren munter auf dem Platze umher, um sich endlich in irgend eine Schaubude zu verlieren oder in einem Trinkzelt vor Anker zu legen. Besonderes Leben herrschte natürlich im Schützenhause, wo auf dem Saale Ball abgehalten wurde, während im Salon die Künstler-Vorstellung wieder ihre Anziehungskraft bewährte. Die Besitzer der Schaukeln, Reitschulen, Schaustellungen u. s. w. haben zweifellos unter der Ungunst der Witterung zu leiden gehabt, indessen war der Gesammtbesuch des Festplatzes namentlich von auswärts weit zahlreicher als unter den obwaltenden Verhältnissen erwartet werden konnte. — Vergangenen Sonntag fand im Gasthaus zur „Zeche" eine öffentliche Arbeiterversammlung statt, in deren Verlaufe ein socialdemokratischer Agitator, Herr Brügemann aus Münster i. Wests, über den Deutschen Textilarbeiterverband referierte. Nach einer Aussprache über das Gehörte nahmen die Anwesenden einstimmig eine Resolution an, in welcher sie erklärten, daß sie mit den Ausführungen des Referenten einverstanden seien und mit allen gesetzlich erlaubten Mitteln dem 10 Stunden-Arbeitstage zustreben wollen. Die Ver sammlung, welche offenbar den Zweck hatte, dem Textilarbeiterverband neue Mitglieder zuzuführen, war von kaum hundert Personen besucht. — Der Deutsche Arbeitgeberbund für das Bau gewerbe hat sich mit einer eingehend begründeten Eingabe um Einführung der Streikklausel in die Bauverträge an alle Staats-, Provinzial- und Communalbehörden in Deutschland gewandt. Diese Klausel lautet folgendermaßen: „Bei einem Ausstand oder einer Bqusperre der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber verlängert sich die Bauzeit um die Dauer des Ausstandes oder der Sperre, gleichviel ob diese einen gänzlichen oder einen theilweisen Stillstand der übernommenen Arbeiten herbeigeführt haben." — Russische Gänse in Sachsen. Die Einfüh rung von russischen Gänsen nach Sachsen und ins besondere in das Vogtland hat in diesen Tagen wieder begonnen. In Satzung bei Marienberg befindet sich die Centrale dieses Imports, welcher dort nahezu 300 Personen beschäftigt. Die Großhändler reisen an die russische Grenze, kaufen den russischen Aufkäufern die Gänse ab und schicken dieselben mit der Eisenbahn nach Sachsen. Auf diese Weise werden jährlich mehr als 300000 russische Gänse nach Sachsen eingeführt, von den Kleinhändlern von Ort zu Ort getrieben und durchschnittlich für 3 Mark verkauft, während an Ort und Stelle und im Ganzen das Stück mit etwa 2,40 Mk. bezahlt wird. Wenn diese Feststellung dazu führte, die Gänsezucht in Sachsen anzuregen und zu fördern, damit die Einfuhr nach und nach sich ver minderte, so würde ohne Zweifel ein großer volks- wirthschaftlicher Nutzen sich ergeben. Die letzte in Sachsen vorgenommene Zählung der Geflügelbestände ergab das Vorhandensein von nur 372350 Gänsen und 41924 Enten; die sächsische Gänsezucht müßte also ungefähr verdoppelt werden, wenn wir uns vom Auslande unabhängig machen wollten. — Oelsnitz i. E. Am Sonntag wurde der Schneidermeister Neubert hier von einem Radfahrer ange- fahrcn und umgerissen. Herr Neubert wurde hierdurch leider sehr schwer verletzt. Es heißt, daß er außer einem Schlüsselbeinbruch eine Gehirnerschütterung erlitten habe. — Glauchau, 17. Juni. Gestern wurde hier der Gastwirth W. gefänglich eingezogen, weil er im Verdacht steht, eine auswärtige Brauerei um eine größere Summe — man spricht von 3000 Mark — dadurch betrogen zu haben, daß er ihr sein gesammtes Mobiliar verkaufte, das ihm aber thatsächlich gar nicht mehr gehört haben soll, weil er es bereits vorher einer anderen Brauerei abgetreten hatte. Thatsache ist, daß sich W. schon seit längerer Zeit in schlechten Vermögensverhültnissen befunden hat und schon viel fach verklagt worden ist. — Zum Geschäftsgang in Meerane-Glauchau berichtet die von Theodor Martin's Textilverlag heraus gegebene „Leipziger Monatsschrift für Textil-Jndustrie" unter Anderem folgendes: Obwohl die Beschäftigung in den einzelnen Textilctablissements unseres Bezirkes zur Zeit keine gleichmäßig starke ist, sodaß die einen in den Tageszeitungen Arbeitskräfte suchen, während andere sich veranlaßt sehen, den Betrieb durch Verkürzung der Ar beitszeit oder andere Maßnahmen einzuschränken, läßt sich doch nicht verhehlen, daß der Geschäftsgang im allgemeinen sehr zu wünschen übrig läßt und zu allerlei Bedenken Anlaß giebr. Während in den früheren Saisons um die jetzige Zeit ein Theil der Stammorders und die Nach orders den Webern der mechanischen Webereien und der Hausindustrie auf Wochen, ja Monate hinaus Beschäfti gung sicherten, ist der Ausfall der Orders diesmal derart, Seine Schwester. Rowan von Fanny Stöckert. 9. Fortsetzung Nachdruck verboten.) Martin Harden hörte diese Worte Melittas. Ach, wie kühl klangen sie ihm im Vergleich mit dem Jubel bei der Begrüßung des Bruders. Er seufzte tief auf und dann trat er heraus aus seinem Versteck und hielt ihre Hand in der seinen und schaute in die strahlen den Augen, in welchen heute nichts zu lesen war von der langen, trüben Winterzeit, die hinter ihr lag. Wie hatte er diesen Augenblick herbeigesehnt, ihn sich auf der Fahrt hierher immer wieder von Neuem ausgemalt. Der Augenblick des Wiedersehens war aber anders, ganz anders, wie er es geträumt, anders hatte er in den lieben, strahlenden Augen zu lesen ge hofft, die sich jetzt schon wieder Fred zuwandten. „Nun aber denke ich, ist es Zeit, die lieben Ver wandten zu begrüßen," sagte dieser jetzt, „hoffentlich setzt der Onkel nicht zu sehr die Miene meines Wohl- thäters auf, das könnte ich nicht gut vertragen." „Der Onkel vielleicht weniger als die Tante," meinte Melitta, und ihr Blick streifte ein wenig ver legen Martin Hardens stolzes Antlitz. Wußte sie doch, wie er über diese Wohlthaten urtheilte. Fred schienen solche Gedanken aber durchaus nicht zu kommen. „Weißt Du, warum Martin hier ist," sagte er fröhlich, „er hat Aussicht hier in der Gegend eine An- ftellung zu bekommen und will sich nun einmal hier umschauen." „Ah, da gratuliere ich," sagte Melitta, Martin Harden die Hand reichend. „Vorläufig sind wir noch nicht soweit," meinte dieser lächelnd, „aber wenn es dazu käme, dann könnte es ja unbeschreiblich schön werden!" Der heiße Blick, mit dem er das junge Mädchen da vor ihm umfing, sagte wohl noch mehr als diese Worte. Fred pfiff leise die Melodie: „Und dennoch hab' ich starker Mann, Die Liebe wohl gespürt" vor sich hin. Durch die Seele Melittas aber zog eine andere Melodie, es war ihr, als ob sie Accorde ihrer Lebens symphonie vernahm — und da drüben rauscht das Meer, und das Orchester begann jetzt eine Rhapsodie von Liszt voll fiebernder Leidenschast zu spielen; ge tragen von diesen Tönen schwebte ihre Seele höher und höher hinauf in jene Regionen seliger Weltver gessenheit, bis Plötzlich der kalte, forschende Blick ihrer Tante sie traf; als man sich jetzt dem Tisch genähert, wo die Verwandten saßen, da fühlte sie erst wieder, daß sie Erdenstaub unter ihren Füßen hatte. Fred begrüßte seine Verwandten mit größter Un befangenheit. Die Tante versuchte zwar eine sehr her ablassende, hochmüthige Miene aufzusetzen, aber vor der fröhlichen Harmlosigkeit, mit welcher Fred sie sein liebes, gutes Tantchen nannte, schwand dieselbe dahin wie Märzenschnee im Sonnenschein. Auch dem Amts- rath hatte er es sofort angethan, er war ja ein ganz prächtiger Mensch geworden, der Fred, das Herz ging einem förmlich auf bei seinem heitern Geplauder, und welch einen ernsten gesetzten Freund er hatte, dieser Herr Forstassessor war ja in seiner stolzen Vornehm heit förmlich imponirend. Noch mehr wie die Eltern aber schien Flora begeistert von dem flotten Studenten. Ihre kalte, berechnende Natur fühlte sich von der über- sprudelnd lebensfrohen Laune Fred's wunderbar ange zogen. Sie lachte ein paarmal hell auf über einige Studentenstreiche, die er mit großem Humor vortcug, so daß Melitta sie ganz betroffen anschaute; so herz lich hatte sie ja die Cousine noch nie lachen hören. Als sie aber jetzt sogar die Tante lächeln sah, da wunderte sie sich über nichts mehr an diesem herrlichen Tage heute. „Ah, das nenne ich eine!" rief Fred jetzt, indem seine Blicke bewundernd einer jungen Dame folgten, die ebenfalls den Tisch, an welchem Fred saß, zu ihrem Ziel gewählt zu haben schien. Es war eine un gemein anmuthige Erscheinung in hochmoderner Toi lette, die unfehlbar aus einem der er.ien Modemaga zine der Residenz hervorgegangen war. Bei einer andern Dame hätte nian dieselbe vielleicht etwas sehr extravagant gefunden, aber Carla Axhausen, so hieß die junge Dame, bewegte sich mit so vollendeter Grazie darin, clüc: war jedenfalls das rechte Wort für sie, es hatte alles jenes undefinirbare eigene etwas, von dem großen Strohhut mit den Riesenblumen darauf bis hinunter zu den gelbledernen Schuhen, alles prä- sentirte die Modedame der großen Stadt. — Ach, Fräulein Axhausen! sagte Flora jetzt, und erhob sich, die junge Dame, deren Bekanntschaft sie in der Residenz gemacht, zu begrüßen. Fred beeilte sich dann nach der gegenseitigen Vorstellung ihr sofort einen Stuhl anzubieten, was dankend angenommen wurde. Das war ja ganz nach dem Geschmack Carla Ax hausens, neue Bekanntschaften, Herren, mit denen sie kokettiren konnte! Behaglich lehnte sie sich in den Stuhl zurück und blickte Fred, der sich ihr gegenüber nieder gelassen, mit großen, lachenden Augen an. War die Unterhaltung schon vorher lebhaft gewesen, so ging sie jetzt in den höchsten Wogen. Wie wußte sie aber auch zu plaudern, diese Carla, das Leben in der Residenz mit den leuchtendsten Farben auszumalen. Theater, Rennen, Corsos, alles flog an den Augen der Zu hörenden vorüber, wie die Bilder einer Laterna-Ma- gica. Fred kam fein Studentenleben, von welchem er vorhin mit solcher Wonne gesprochen, auf einmal fahl, färb- und reizlos vor, und der vermessene Wunsch stieg in ihm auf, in der Residenz seine Studien fort zusetzen, sich hinein zu stürzen in den vollen Lebens strom dort; dazu aber reichten seine Mittel nicht, sie waren schon knapp genug bemessen für die kleine und billige Universität in Thüringen und war er einst selbstständig und wählte die Residenz zu seinem Auf enthaltsort, wer weiß, wo dann dieses Irrlicht mit den dunklen, strahlenden Augen, dem nervösen elfenbein farbenen Gesicht, das ihn dahin gelockt, zu finden war! Fortsetzung folgt.
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