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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 02.06.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190006020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000602
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-02
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 02.06.1900
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anlaßt sieht, im Garten der Linde noch eine große Halle errichten zu lassen. — Am Dienstag Abend sand in Chemnitz eine antisemitische Versammlung statt, in der außer dem aristokratischen Judenfeind Grafen Pückler auf Klein- Tschirne in zweiter Reihe der Reichstags-Abgeordnete Bindewald über den Freiheitskampf der Buren und Deutschlands Wellpolitik sprach. Mit anerkennenS- »erther Sachlichkeit entrollte Redner ein Bild der politischen Entwickelung SüdasrikaS und kam dann auf den jetzigen Krieg zu sprechen, den er als einen Kampf des internationalen BörsenthumS unter jüdischer Führung gegen ein arbeitendes Bauernvolk bezeichnete. Dann aber kam die Klage, daß die europäischen Großmächte, die fast überall interveniren, mit ver schränkten Armen dem Elend zusehen. Es gäbe wohl kaum einen zweiten Fall, in dem die Wege der hohen Politik so weit abwichm von dem Empfinden des Volkes. Volkes Stimme sei Gottes Stimme; wenn die Buren republiken niedergerungen, dann komme Deutschland an die Reihe; der Kampf zwischen Deutschland und England sei unausbleiblich, und je eher er komme, desto besser; daran könne keine höfische Verwandtschaft etwas ändern. Zum Schluß sprach Redner die Hoffnung aus, daß Süd afrika trotz des unglücklichen Kriegsausganges nicht englisch, sondern deutsch, germanisch werde. — Vom 1. Juni d. I. ist der Eisenbahnhalte punkt Nicolaivorstadt Chemnitz zum Bahnhof V. Klasse erhoben und der derzeitige Stationsverwalter Herr Haase zum Bahnhofsinspektor II. Klasse daselbst befördert worden. — Pleitza. Zum Gemeindevorstand hierselbst ist der Gemeinde-Expedient Herr Theodor Linke in Bernsdorf b. Chemnitz gewählt worden. — Zwickau. In der Nacht zum vergangenen Montag veranlaßte ein Unbekannter den Zählkellner eines hiesigen Cafe's ihm einen Hundertmarkschein zu wechseln. Nach Empfang des einzelnen Geldes gab er eine sogenannte Blüthe hin und suchte sich dann aus dem Staub zu machen. Zum Glück gelang es dem Kellner, den Fremden einzuholen und ihm das Geld wieder abzunehmen, doch entkam der Betrüger zum zweiten Male. Nunmehr ist derselbe in der Person eines 20 Jahre alten Kaufmanns aus Grün hainichen, der bereits wegen Diebstahls vorbestraft ist, ermittelt worden. — Oelsnitz i. C., 30. Mai. Am gestrigen Tage passirte eine größere Anzahl bosnischer Arbeiter unseren Ort, die an die falsche Adresse gelangt waren. Sie wollten nach Oelsnitz i. V., hatten eine 16 tägige Reise zurückgelegt und kamen halbverhungert hier an. Mitleidige Seelen hier und in St. Egidien gaben den Bedauernswerthen zu essen, und nachdem aus Oels nitz i. V. Reisegeld eingegangen war, wurden sie an ihren Bestimmungsort gebracht. — Der zwischen der Stadtgemeinde Zlvicknu und dem Blaufarbenwerk Oberpfannenstiel bestehende Rechts streit wegen Vergütung für Rauchschäden in dem der Stadt bis vor Kurzem gehörig gewesenen Burkhardtswald bei Lauter findet Erledigung dadurch, daß das Blau farbenwerk 10000 Mark Entschädigung bez. Abfindung geboten und der Rath sich damit einverstanden erklärt hat. — Unter dem Viehbestände des Gutsbesitzers Bremme in Rathmannsdorf ist vergangene Woche der wohl einzig dastehende Fall vorgekommen, daß eine Kuh vier Kälber zu Welt brachte, wovon eins todt war, während die anderen drei in der besten Ent wickelung fortschreiten. — Mittweida. In letzter Sitzung genehmig ten die Stadtverordneten den Rathsbeschluß, zum An bau eines Flügels an das Technikum 80,000 Mk. zu bewilligen, welche Summe der Direktor des Technikums, Holzt, mit 41/2 Proz. zu verzinsen beabsichtigt. Das Technikum wird gegenwärtig von 1516 Schülern besucht. — Jocketa. Wie rasch die gefürchtete Maul- und Klauenseuche ausbrechen kann, beweist ein im nahen Ruppertsgrün vorgekommener Fall. Kürzlich trafen aus Zwickau mit der Bahn hier in Jocketa fünf für Herrn Rittergutsbesitzer Klinger in Ruppertsgrün bestimmte Kühe ein, die laut Zeugnis; des Zwickauer Bezirkstkierarztes ganz gesund abgesandt worden waren. Trotzdem der Transport der Thiere von Zwickau bis Ruppertsgrün keine fünf Stunden in Anspruch ge- nommen hatte, kamen die Thiere doch Herrn Klinger der Seuche verdächtig vor. Bereits am nächsten Mor gen stellte der eiligst herbeigezogene Bezirksthierarzt Herr Möbius aus Plauen Maul- und Klauenseuche fest. Sind die Thiere, was nicht zu bezweifeln ist, gesund abgeschickt worden, so können sie eben nur auf der Eisenbahn, vielleicht in einem verseuchten Wagen, die Seuche bekommen haben. — Falkenstein. Die hiesige Fleischerinnung macht bekannt, daß sie sich genöthigt sieht, mit Rück sicht auf die Ausgaben, die den Fleischern durch die Einführung der staatlichen Schlachtvieh- und Fleisch beschau infolge der zu entrichtenden VersicherungS- zebühren entstehen, die Preise für alle frischen Fleisch orten, Rind-, Kalb-, Schöps- und Schweinefleisch wm 1. Juni ab auf 70 Pf. das Pfund zu erhöhen. Auch den Gastwirthen werden die üblichen Ausnahme preise nicht mehr bewilligt. — Schneeberg. Die hiesige Stadtverwaltung ;at auf dem eine halbe Stunde von hier entfernten, 552 Meter hohen Keilberge am BiSmarck-AuSsichtS- hurm ein größeres Unterkunftshaus erbauen lassen, )aS zu Pfingsten der öffentlichen Benutzung übergeben werden soll. — Am Sonntag traten in Teplitz 46 Personen zur evangelischen Kirche über. — Meitzeu, 30. Mai. Die Unsälle durch die elektrische Straßenbahn folgen sich leider in besorgniß erregender Schnelle. Gestern Abend gerieth in der verkehrsreichen Elbgasse das vierjährige Söhnchen des Produkteuhändlers Horst beim Ueberschreiten des Fahrdammes unter einen Straßenbahnwagen. Dem Kinde wurde ein Fuß verstümmelt, sodaß er ab genommen werden mußte, und es ist auch sonst erheb lich verletzt, sodaß man an seinem Aufkommen zweifelt. Es ist dies der vierte Unfall seit der im Dezember erfolgten Eröffnung der Bahn. — Eine Ehetragödie. Ueber den furchtbaren Gattenmord wird aus Sebnitz noch berichtet: Das Drama hat sich in dem einsam am Finkenberg ge legenen Hause des früheren Gasthofsbesitzers in Otten dorf bei Sebnitz, des jetzigen Privatiers Willy Kletzsch zugetragen. In Folge verschiedener Umstände beab sichtigte die Frau desselben mit dem ersten ^ü-Uhr- Frühzuge ihren Mann zu verlassen, um nach Dresden überzusiedeln. Während die Sachen schon auf den Bahnhof gebracht worden waren, war dem Kletzsch ein Werthpapier aus dem verschlossenen Behälter ab handen gekommen, nach welchem er gesucht und bei einem Schlossermeister wegen etwa bestellter nachge machter neuer Schlüssel Nachfrage gehalten hat. Dar über wahrscheinlich aufgebracht, geriethen die Eheleute in heftigen Streit. Da in letzter Zeit sich derartige Scenen wiederholt ereigneten, hatten die Hausbewohner auf einige grelle Rufe erst nicht Acht gehabt. Schließ lich schöpfte man aber doch Verdacht, daß ein Unglück geschehen sein könne. Die Stubenthür war verschlossen, worauf ein Hausbewohner eine Fensterscheibe einschlug. Beim Einsteigen bot sich demselben ein entsetzlicher Anblick dar. Die Stubendielen in der Schlafkammer waren mit Blut bedeckt, die Frau lag erschlagen am Boden, ihr Mann, welcher sich die Pulsadern am Halse durchschnitten hatte, lag neben ihr und gab ebenfalls bald den Geist auf. Kletzsch war sonst ein ruhiger, gutmüthiger Mann. Seine Vermögensver- hältnisie waren etwas ungünstig geworden. — Treuen. Von den Geldmänneln! Ein Privatier aus Niederböhmersdorf bei Zeulenroda hat zwei Männern, die sich ihm — nach seiner eigenen Angabe — als Schubert und Rannacher aus Treuen vorgestellt, in zwei Raten die Summe von 1250 M. ausgehändigt, um dafür — höchst wahrscheinlich — eine größeren Summe falschen Geldes (die Geld männeln haben gar kein solches) zu erhalten. Da das große Gvldschisf in Niederböhmersdorf immer und immer nicht eintreffen wollte, reiste der dortige Pri vatier nach Treuen, um hier die verblüffende Wahr nehmung zu machen, daß er die 1250 M. den Herren Schubert und Rannacher hier gar nicht gegeben, sondern Schwindlern, die ihm falsche Namen genannt haben. Tiestraurig, aber wahr: Die Dummen werden nicht alle! — In Dresden und Leipzig sollen in diesem Jahr laut jüngst erfolgter Ministerialverordnung die großen Sommerferien um eine Woche verlängert werden, so daß die Schüler in diesem Jahre sich einer fünfwöchigen Erholungspause werden erfreuen können. Damit aber die bisherige Gesammtdauer aller Ferien von jährlich 10 Wochen (4 Wochen Sommerferien, je 2 Wochen Wcihnachts- und Osterferien, je 1 Woche Pfingst- und Michaelisferien) durch diese Neuerung nicht überschritten wird, sollen in Zukunft die Weih- nachts- und Osterferien um je eine halbe Woche ge kürzt werden. — Nicht genügend ziclbewußte Genossen. Ueber die Genossen in Leipzig, die dem Stadtverordneten kollegium angehören, soll nächstens ein strenges Sch: rben- gericht abgehalten werden, weil sie, — man höre und staune! — an einem Bierabend, den der Bürgermeister den Stadtverordneten gab, theilgenommen haben ! — Leipzig, 30. Mai. In der Schlaftrunken heit öffnete ein Reservist der 7. Compagnie des In fanterie-Regiments Nr. 107 Nachts halb 1 Uhr ein nach dem Kasernenhofe gelegenes Fenster; in der Meinung, daß er ins Bett steige, stürzte der Mann herab und erlitt einen doppelten Knöchelbruch und andere weniger schwere Verletzungen. Ein Offizier fand den Wimmernden im Hofe liegend und ließ ihn sofort nach dem Hospital bringen. — Wilkau. Die Saalbesitzer von hier und Haara haben sich geeinigt, ihre Lokalitäten zu sozial demokratischen Versammlungen nicht zu überlassen. — Der 1878 in Wurzen durch Herrn Lehrer Schumann, Chemnitz, gegründete und zur Zeit 400 Mitglieder zählende 1. Naturheilverein hat eine an sehnliche Gartenkolonie angelegt, und darinnen auch ein Sonnenbad errichtet. Die ganze Anlage wurde vorige Woche eröffnet. — Niederzwönitz, 31. Mai. Ein werthvoller Fund wurde heute beim Abbruch des 200 Jahre alten Boochlob-Hauses gemacht; unter einer Diele befand sich ein Topf mit 77 Thaler aus dem 17. Jahrhundert. — Gern, 30. Mai. Ein bedauerlicher Un glücksfall ereignete sich heute vormittag in der Mittelstraße. Das vierjährige Töchterchen der Familie Reif st aus dem dritten Stockwerk auf die Straße herabgestürzt und erlitt einen Schädelbruch. Das Kind, das nach der Mutter hatte ausschauen wollen, war sofort todt. — Weitzenfels, 30. Mai. Die im Heiden teich bei Osterfeld gefundenen vier Leichen find als die der Ehefrau des Postillons Herold aus Naumburg und ihrer drei Kinder erkannt worden. Die junge Frau war am Sonnabend mit der Bahn von Naum burg gekommen, führte ihr jüngstes Kind im Kinder wagen mit sich und hatte ihrem in Romsdorf wohnen den Vater einen Besuch gemacht, um bei diesem Schutz zu suchen, da ihre Ehe (sie war die zweite Frau ihres Mannes) eine sehr unglückliche gewesen sein soll. Am anderen Tage fand man sie und ihre drei Kinder in dem unweit ihres Heimathsortes gelegenen Teiche. LszeGeschichte. Oesterreich-Ungar«. Am Montag kam es vor einem in der Haupt straße Prags in nächster Nähe der Polizeidirektion gelegenen Laden eines deutschen Geschäftsmannes, welcher eine von ihm angefertigte, in den Farben Schwarz-Roth-Gold gehaltene Fahne eines Prager deutschen Gesangvereins in seinem Schaufenster aus gestellt hatte, zu pöbelhaften Demonstrationen einer hundertköpfigen tschechischen Volksmenge, welche die Entfernung der Fahne verlangte und mit der Zer trümmerung des Ladens drohte. Als der Geschäfts mann bei der Polizeidirektion Schutz erbat, erhielt er statt dessen die Weisung, die Fahne, welche angeblich zu der Ruhestörung Anlaß gebe, zu beseitigen. Ein Polizeibeamter begab sich in das Geschäftslokal und ließ die Fahne entfernen, was von der tschechischen Volksmenge jubelnd begrüßt wurde. Der Laden mußte, da man seine Stürmung befürchtete und da trotz des äußerst exzessiven Benehmens der Volksmenge die Sicherheitswache nicht eingriff, gesperrt werden. Der deutsche Geschäftsmann richtete an den Ab- geordneten Funke, welcher bei den Delegationen in Pest weilt, telegraphisch das Ansuchen um Schutz des deutschen Gewerbes in Prag. Den Anlaß zu einer anderweiten antideutschen Demonstration bot die Anwesenheit eines dänischen Studentenklubs, mit denen die tschechischen Studenten Prags ein Verbrüderungsfest feierten. In den gelegentlich dieses Festes gehaltenen Reden wurde schon weidlich auf die Deutschen geschimpft, die dann in dänischen und tschechischen Liedern, deren Absingung der Verbrüderungsszene folgte, in der allernichts würdigsten Weise verspottet und mit Schmutz beworfen wurden. Frarrkreich. Ueber die Person des Nachfolgers Gallifets und die möglichen Folgen des Wechsels wird aus Paris berichtet: General Andrö gilt als ein ausgesprochener Anhänger der Dreyfuspartei. Er verbot in seiner Division zuerst ausdrücklich die Lektüre des „Jntransigeant", der „Libre Parole" und des „Petit Journal". Andrs, der zur Zeit auf Inspektionsreisen befindlich ist, wurde aus der Provinz zurückberusen. Die Kammersitzung am Donnerstag bringt jedenfalls einen neuen Sturm auf die Regierung, da zum Theil eine neue Parteigruppierung zu erwarten ist. Gallifets Name hielt einerseits einige Sozialisten vom Anschluß an die Negierung ab, anderseits sicherte er der Negierung eine ganze Anzahl armeefreundlicher Stimmen. Bourgeois' gestriger Besuch im Elysee und sein zwei maliger Besuch im Ministerium des Innern wird bestätigt. Gerüchtweise verlautet daß dabei bereits der Nückt itt des gesammten Kabinets erörtert wurde. Paris, 31. Mai. In der heutigen Kammer sitzung interpellirte der nationalistische Abg. Grand- maison die Regierung über die Ursache der Demission GalliffetS. Waldeck-Rosseau erklärte, die Gründe der Demission seien bereits amtlich bekannt gegeben; er habe denselben nichts hinzuzufügen. Er erklärte weiter, eS sei jetzt an der Zeit, daß die Kammer ernstlich an die Arbeit gehe und die parlamentarische Agitation e n Ende nehme. Der Abg. Prinz Arenberg, ein persönlicher Freund GalliffetS, bemerkte, Galliffet sei nicht krank; er wünsche der Regierung eine gleich gute Gesundheit. Der Interpellant antwortete hieraus, Galliffet habe die Regierung mit seinem Portefeuille geohrfeigt. Diese Bemerkung zog ihm einen Ordnungs ruf zu. Die Kammer schritt nun zur Abstimmung über den Antrag der Regierung, die Interpellation auf einen Monat zu vertagen. Dieser Antrag wurde mit 313 gegen 171 Stimmen angenommen. England Bei den Kriegsbetreibern in England, an der Börse und bei den hohen Bondholders, so führt die „Kreuz-Ztg." aus, wird nun der Jubel sehr groß sein, vielleicht so mächtig, daß man den Krieg nun in edler Friedensliebe leichten Herzens beendet, da ein weiteres Blutvergießen nur Geld opfern hieße und weiter keinen Zweck haben möchte; sind ja doch die Diamantenfelder Kimberleys und die großen gold bringenden Städte Johannesburg und Mafeking, also alles, für das der britische Löwe sich in die Rüstung legte, für das große England gerettet! Wie sehr recht die „Kreuz-Ztg." mit ihrer schonungslosen Kritik hat, geht aus der Thatsache hervor, daß die Londoner Börse auf die Nachricht von der Besitznahme der intakten Goldminen von Johannesburg vor Freude förmlich Kopf stand und die Minenkurse sprungweise in die Höhe schnellten. London, 30. Mai. In der Sitzung der Königlich englischen landwirthschaftlichen Gesellschaft, welche hier heute unter dem Präsidium des Prinzen von Wales stattfand, wurde der Landrath v. Etzdorf, welchen Kaiser Wilhelm studienhalber nach England geschickt hatte, einstimmig zu einem der 25 Ehren mitglieder der Gesellschaft gewählt. Der Prinz von Wales machte dem deutschen Kaiser von dieser Wahl sogleich telegraphisch Mittheilung. China. Ueber die Lage in China wird heute gemeldet: Tientsin, 31. Mai. (Meldung des Reuter- schen Bureaus.) Eine Abtheilung russischer Truppen hat heute die Forts von Taku passirt und wurde Nachmittags in Tientsin erwartet. Als die russischen Truppen sich gestern in Booten den Forts näherten, eröffneten die Chinesen das Feuer, worauf die Russen sich zurückzogen. Wie sich jetzt heransstellt, galt das Feuer nicht den Russen, sondern war lediglich ein Salut für einen chinesischen Mandarinen auf einem außerhalb der Barre befindlichen chinesischen Kriegs schiff. Französische und italienische Truppen sind gleichfalls, den Peiho hinauf, nach Tientsin unterwegs. 150 Mann englische Truppen sind heute hier einge troffen. Bis jetzt sind noch keine Mannschaften nach Peking abgegangen, da der Vicekönig nicht gestattete, daß sie die Eisenbahn benutzen. — In Tongschan sind zum Schutze des dort befindlichen werthvollen Eisen bahnmaterials 300 chinesische Soldaten angekommen. Tientfin, 31. Mai. (Meldung des Reuter- schen Bureaus.) Heute Nachmittag ist ein Sonderzug mit englischen, amerikanischen, italienischen, japanesischen, russischen und französischen Truppen, im Ganzen mit 22 Offizieren und 334 Mann und 5 Schnellfeuer- geschützen nach Peking abgegangen. Peking, 31. Mai. Die Lage ist jetzt etwas besser, da die chinesischen Truppen alle Punkte, wo Unruhen vorgekommen sind, besetzt haben. Sir Halliday Macartney, der langjährige Be- rather der chinesischen Mission in London, erklärt, daß die Gesellschaft der Boxer eine neue Sekte sei, die er bis jetzt nicht gekannt habe. Der Haß der Boxer sei gegen keine bestimmte Nationalität, sondern gegen alle Weißen gerichtet. Die Beziehungen der Kaiserin zu den Boxern könne er nicht diskutiren. Eine große Gefahr läge in den großen Menschenmassen Chinas, die sich leicht fanatisiren lassen. Sir Halli day erklärte, daß die Gesandtschaft seit drei Tagen ohne jede Nachricht aus Peking sei. Vermischtes. * Granden;, 30. Mai. Wie dem „Geselligen" in Graudenz aus dem Kreis Marienburg geschrieben wird, ereignete sich in Groß-Montau ein grausiger Vorfall, der in den Annalen der Verbrechen gegen wehr lose Menschen wohl seinesgleichen sucht. Drei junge, russische Rübenarbeiter verließen heimlich ihren Dienst, um nach Dirschau zu wandern. Der Unternehmer sandte den Flüchtigen einen Arbeiter nach, der die Milli's Pfingstüberraschimg. Humoreske von E. Fahrow. (Nachdruck verboten.) In seinem großen Faulenzerstuhl saß Ferdinand Rink seiner Frau gegenüber und gähnte mit jener ungeheuren Kraftentwicklung, welche man die behag liche Zwanglosigkeit der Ehe zu nennen pflegt, und die nur von böswilligen Neidern mit Manierlosigkeit verwechselt wird. Ferdinand Rink war nicht müde, als er diese wohlgelungene Imitation eines Löwenrachens zeigte, sondern er langweilte sich. „Diese Feiertage!" stöhnte er zum sechsten Male, — diese entsetzlichen, öden Feiertage! Milli, — erbarm Dich und sag' was Ge scheites." Milli lächelte etwas spitzig und machte die zu treffende Bemerkung, daß kein Mensch auf Kommando geistreich sein könne. „Aber jetzt weiß ich was Gescheites!" rief sie, plötzlich aufspringend und mit einem triumphierenden Blitzen der grauen Augen auf ihren Mann zutretend, — „ganz was Extra's weiß ich, — ich mach' der Lisabeth ein Pfingstbäumchen und verlob' "sie mit dem rothen Müller!" Ferdinand Rink blickte seine Frau mit einer mit leidigen Grimasse an: „Und das nennst Du was Gescheites? Zwei Leute miteinander verloben? Haha! Daß i net lach'!" (Milli war Süddeutsche, und ihr Gatte hatte sich einige Wendungen ihres traulichen Dialekts angewöhnt.) Entrüstet blickte sie ihn an: „Nun? Da muß ich schon sehr bitten! Ist man etwa unglücklich, wenn man sich verlobt?" „Wenn auch das nicht gleich — aber nachher! Das dicke Ende kommt nach." Milli antwortete nichts hierauf; sie wußte, wie gern ihr Gatte sie neckte und „biß nicht mehr an". „Also," sagte sie, „ich mach' der Lisabeth ein Pfingstbäumchen — hast Du die Birken schon bezahlt?" „Natürlich hab' ich das; Du kaufst und ich be zahle, so ist's dochin der Ordnung! Weshalb sragst Du!" „Weil ich, wenn ich ein Geschenk mach', allein bezahlen will," sagte Milli stolz, warf ihren braunen Krauskopf in den Nacken und hatte nach dieser Aeußerung ein Gefühl, als wenn sie wirklich selbst die Birken bezahlt hätte. — Sie wählte folglich in der Küche den schönsten, schlanksten unter den kleinen Birkenbäumen aus, die schon ihrer Bestimmung harrten, am nächsten Morgen als „Maien" in allen Thüren der Wohnung zu prangen. Hierauf putzte Frau Milli das Pfingstbäumchen in gehöriger Weise aus, wie es in ihrer Heimath Sitte war. Das heißt, sie hing an bunten Fädchen aller- Hand Naschwerk zwischen die Zweige und befestigte an der obersten Spitze ein grünes Myrthensträußchen, als besonderes Symbol für die kleine Lisabeth, welche sie protegierte. Am nächsten Morgen ward bei Fräulein Lisabeth Werner, selbstständigen Lehrerin an der höheren Mäd chenschule, heftig an der Klingel gezogen und von einem Dienstmann das Bäumchen abgegeben. Lisabeth fragte mit seligem Erröten: „Wer schickt mir denn das, lieber Mann?" „Der Herr Doktor," schmunzelte der Schändliche, „mehr darf ich nicht sagen." Und weg war er. „Der Herr Doktor!" Lisabeth lächelte mit jenem unbestimmten, immer bereiten Lächeln der Verliebten und trug die Maie in ihr Vorderstübchen. „Der Gute, der Liebe!" murmelte sie. „Immer so aufmerksam! Das sieht ihm recht ähnlich." — Der Or. Müller,' im Kreise seiner Bekannten seines Tiziankopfes wegen der rothe Müller genannt, saß inzwischen in seiner Junggesellenklause und schrieb an einem anscheinend endlosen Briefe. Bogen auf Bogen hatte sich bereits mit seinen feinen, schüchternen Buchstuben bedeckt, die ach, so schüchtern waren wie er selbst. Nur brieflich legte er diese unselige Be fangenheit ab, die ihm schon so viel geschadet, ja, ihn oft schon beinah lächerlich gemacht hatte. Und heute mußte er ein ganz besonders offenherziges und auf regendes Thema gehabt haben, denn seine Stirn glühte, und um seinen Mund irrte dasselbe etwas thörichte Lächeln, welches zur selben Zeit Lisabeths Züge erhellte. „Gretchen! Gretchen!" flüsterte der Doktor merk würdigerweise. Der Pfingstfeiertag stieg unterdessen immer wärmer und fröhlicher empor. Angesichts dieses lenzlichen Sonnenscheins wich selbst Herrn Ferdinand Rinks Feiertage-Langeweile und machte einer vergnügten, ulkig angehauchten Stimmung Platz. „Na Milli," meinte er gegen vier Uhr Nach mittags, „zu wann hast Du denn Deine blöden un glücklichen Schützlinge eingeladen?" Milli zog die Augenbrauen in die Höhe und warf ihrem Gatten einen kampfbereiten Blick zu: „Unglückliche Schützlinge? Lisabeth und Or. Müller passen ausgezeichnet zusammen, und Du kannst Gist darauf nehmen, daß sie verliebt sind." „Man soll nichts verschwören," sagte Ferdinand sarkastisch, „allein dies scheint wir noch immer keine Garantie dafür zu sein, daß sie später glücklich mit einander werden." „Sie kommen um fünf Uhr," fuhr Milli unbe irrt fort, „wir trinken auf der Veranda Kaffee; und natürlich habe ich noch einige Andere dazugeladen, damit sie sich weniger geniert fühlen. ES kommen noch Fräulein Schulz, Fräulein Fischer, der Direktor von Lisabeths Schule — außerdem noch" „Was!" unterbrach sie ihr Gatte, „noch ein Or. Müller? Milli, ich warne Dich, das giebt einen Kuddelmuddel!" „Thu' nit so gautschen!" fuhr Milli plötzlich hoch, indem sie den Schaukelstuhl ihres Mannes fest- hielt. (Schluß folgt.)
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