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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.05.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190005290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000529
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000529
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-29
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.05.1900
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Wer die Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse des Lande- nur einigermaßen beobachtet hat, weiß, in welch' überaus großem Maaße diese Bedürfnisse ge stiegen sind. Die zu ihrer Befriedigung gegebenen Mittel haben nicht Schritt halten können; um so dringender bedarf der „allgemeine Kirchenfonds", der in die Lücke eintreten soll, der Stärkung. Möge die Pfingstgemeinde seine bittende Hand reichlich füllen in herzlichem Erbarmen mit dem Mangel evangelisch, lutherischer Glaubensgenossen im eigenen Lande. Ueber die Stellung der evangelischen Kirche zur Leichenverbrennung ist in letzter Zeit auf verschiedenen sächsischen kirchlichen Versammlungen verhandelt worden. Zur gerechten Beurtheilung der schwierigen Frage muß man zunächst zugeben, daß die Feuerbestattuug durch die heilige Schrift nirgends ausdrücklich verboten wird. (Ein indirecteS Schriftzeugniß gegen die Leichen verbrennung könnte man sehen in jenem bekannten Wort auf den ersten Blättern der Bibel: „Du bist Erde und sollst zu Erde werden", insofern nach diesem Wort eine allmähliche, natürliche Auflösung und Ver wesung von Gott gewollt ist und nicht eine schnelle, gewaltsame Vernichtung des menschlichen Leibes, wie es doch bei der Verbrennung geschieht.) Ferner muß man zugeben, daß durch die Leichenverbrennung unser Glaube an die Auferstehung des Fleisches nicht be rührt wird. Der allmächtige Gott, der den im Grab verwesten Leib auferwecken kann, hat auch die Macht, aus der Asche einer verbrannten Leiche einen neuen Leib hervorgehen zu lassen. Aber trotz dieser Zu geständnisse an die Freunde der Leichenverbrennunq darf doch nicht vergesfen werden, daß die Leichen- Beerdigung von Alters her christliche Sitte ist. Diese ist geweiht durch das Vorbild Christi, der auch be graben worden ist. Ferner weist auf die Sitte der Beerdigung hin die ganze Sprache der heiligen Schrift, die von den Entschlafenen redet und sie vergleicht mit dem Samenkorn, das in der Erde zunächst verwest, aber aus dem dann ein herrliches Leben hervorgeht. Schließlich auch die herrlichsten Oster- und Begräbniß- lieder unserer evangelischen Kirche singen so tröstlich und erbaulich vom Grab und vom Schlummer in der Erde und voin Auferstehen aus der Gruft. Darum ist es nur zu billigen, wenn die evangelischen Kirchen behörden sich ablehnend verhalten gegen die Leichen verbrennung, gegen eine den heidnischen Völkern ent lehnte Sitte, die einer fast 2000 jährigen christlichen und dem Christenvolke theuren und lieben Sitte ent gegengesetzt ist. Es ist somit ganz in Ordnung, wenn im Allgemeinen die Kirchenbehörden bisher den Geist lichen die Mitwirkung an Feuerbestattungen verboten haben. Neuerdings ist von gewisser Seite bemerkt worden, es sei auch die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß selbst ein gläubiger und kirchlicher Christ unter Umständen, etwa aus Furcht, scheintodt beerdigt zu werden, die einstmalige Verbrennung seiner Leiche an ordne; es falle auf den Verstorbenen ein gewisser Makel in den Augen Vieler, und es sei eine Härte gegen seine trostbedürftigcn Hinterlassenen, wenn ihrem theuren Entschlafenen eine kirchliche Beerdigung versagt werde, die doch so vielen ganz unkirchlichnr und ungläubigen Gemeindegliedern und auch den meisten Selbstmördern anstandslos zu theil werde. Nachdem das sächsische evangelisch-lutherische Landeskonsistorium neuerdings erlaubt hat, Urnen mit den Ueberresten durch Feuer bestatteter Leichen auf Gottesackern unter die Erde zu bringen, hat eine Versammlung in Meißen in Folge eines Vortrages von Diakonus Neuberg aus Dresden den Wunsch ausgesprochen: Es möchte den evangelischen Geistlichen die Betheiligung an einer Trauerfeier auch am Sarge einer solchen Leiche, die darnach verbrannt werden soll, genehmigt werden. Wir sind gespannt auf die Antwort, die das Landeskvnsistorium der „Meißener Kirchen- und Pastoralkonferenz" geben und auf die Stellung, welche die im nächsten Jahre zu sammentretende Synode zu dieser Frage nehmen wird. SichsischeS. Hohenstein-Ernstthal, 27. Mai 1900. N'nhei'unLtn von allgemeinem Interesse werden daribar env g-gengenommen und «Vevtl. honvr»ri. Dir Novelle zur Gemerbeord«»«-. Das nunmehr vom Reichstag verabschiedete Ge setz, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, ist bekanntlich sür die Inhaber offener Ladengeschäfte von größter Bedeutung, weshalb es angezeigt erscheint, die neuen, m dieser Hinsicht getroffenen Gesetzes bestimmungen zusammenzustellen. Da ist zunächst ein neuer 8 41 b, wonach auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der betheiligten Geschäftsinhaber für eine Gemeinde bestimmt werden darf, daß in Barbier- und Friseurgeschäften an Sonn- und Festtagen ein Geschäftsbetrieb nur insoweit statt finden darf, als eine Beschäftigung von Gesellen und Lehrlingen gestattet ist. Weiter kommt in Betracht der in folgender, abgeändecter Form beschlossene Z 139 c: In offenen Verkaufsstellen und den dazu gehörenden Schreibstuben (Comptoiren) und Lager räumen ist den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununter brochene Ruhezeit von mindestens zehn Stunden zu gewähren. In Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszählung mehr als 5000 Einwohner haben, muß die Ruhezeit für offene Verkaufsstellen, in denen zwei oder mehr Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden, mindestens elf Stunden betragen. Für kleinere Ortschaften kann diese Ruhezeit durch Ortsstatut ein geführt werden. Innerhalb der Arbeitszeit muß den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern eine angemessene Mittagspause gewährt werden. Für Gehilfen, Lehr linge und Arbeiter, die ihre Hauptmahlzeit außerhalb des die Verkaufsstelle enthaltenden Gebäudes einnehmen, muß diese Pause mindestens ein und eine halbe Stunde betragen. Nach ß 139 6 finden die erwähnten Bestim mungen des § 139 c keine Anwendung 1. auf Ar beiten zur Verhütung des Verderbens von Waaren, 2. sür die Aufnahme der gesetzlich vorgeschriebenen Inventur, sowie bei Neueinrichtungen und Umzügen, 3. außerdem an jährlich höchstens dreißig von der Ortspolizeibehörde allgemein oder für einzelne Ge schäftszweige zu bestimmenden Tagen. 8 139 c bestimmt: Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der betheiligten Geschäftsinhaber kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich zusammen hängende Gemeinde durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeinde behörden für alle oder einzelne Geschäftszweige ange ordnet werden, daß während bestimmter Stunden in der Zeit zwischen acht Uhr Abends und sechs Uhr Morgens oder in der Zeit zwischen neun Uhr Abends und sieben Uhr Morgens für bestimmte Zeiträume oder für das ganze Jahr die Verkaufsstellen sür den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein müssen. Die Bestimmungen der 88 139 a und 139 6 werden hier durch nicht berührt. Auf Antrag von mindestens einem Drittel der betheiligten Geschäftsinhaber hat die höhere Verwaltungsbehörde die betheiligten Geschäfts inhaber zu einer Aeußerung sür oder gegen die Ein führung des Ladenschlusses aufzufordern. Erklären sich zwei Drittel der Abstimmenden für die Einführung, so kann die höhere Verwaltungsbehörde die entsprechende Anordnung treffen. Währ nd der Zeit, wo die Ver kaufsstellen geschlossen sein müssen, ist der Verkauf von Waaren der in ihnen geführten Art, fowie das Feilbieten von folchen Waaren in anderen Verkaufs stellen und auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orlen oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbe betriebe fowie im Gewerbebetrieb im Umherziehen ver boten. Ausnahmen können von der Ortspolizeibehörde zugelassen werden. Sodann schreibt 8 139 cc vor: Von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens müssen Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geschloffen sein. Die beim Ladenschluß im Laden schon anwesenden Kunden dürfen noch bedient werden. Ueber 9 Uhr Abends dürfen Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geöffnet sein 1. für unvorhergesehene Nothfälle, 2. an höchstens 40 von der Ortspolizeibehörde zu bestim menden Tagen, jedoch bis spätestens 10 Uhr Abends, 3. nach näherer Bestimmung der höheren Verwaltungs behörde für ländliche Gemeinden, in welchen der Ge schäftsverkehr sich in der Hauptsache ans einzelne Tage der Woche oder auf einzelne Stunden drS Tages be schränkt. Die Bestimmungen der 88 139 c und 1396 werden durch die vorstehenden Bestimmungen nicht berührt. Endlich bestimmt 8 139 dd: Für jede offene Verkaufsstelle, in welcher in der Regel mindestens 20 Gehilfen und Lehrlinge beschäftigt werden, ist innerhalb vier Wochen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes oder nach der Eröffnung des Betriebes eine Arbeitsordnung zu erlassen, auf die die Vorschriften der Gewerbe ordnung entsprechende Anwendung finden. Andere als die in der Arbeitsordnung oder die in den 88 71 und 72 des Handelsgesetzbuchs vorgesehene Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrage nicht vereinbart werden. Die verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichniß einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung, sowie den Grund und die Höhe der Strafe ergeben muß und auf Erfordern der Orts polizeibehörde jederzeit zur Einsicht vorzulegen ist. Alle diese Vorschriften treten am 1. October d. I. in Kraft. — Das Befinden Sr. Majestät des Königs ist andauernd ein so günstiges, daß seit gestern keine Bulletins mehr ausgegeben werden. — Die Nachricht, Prinz Max von Sachsen beabsichtige, in den Orden der Beuroner Mönche einzutreten und sei zum künftigen Bischof von Leitmeritz ausersehen, ist nicht richtig. Die „Katol. L." schreiben: „Wir sind ermäch tigt, zu erklären, daß alle diese Gerüchte vollständig un wahr sind Prinz Max wollte seinerzeit in den Domini kanerorden eintreten, von welcher Absicht er aber infolge der Entscheidung seines Vaters abließ. Dieselben Ursachen würden es ihm verwehren, in den Orden der Beuroner Mönche einzutreten. Was die Bisthumsfrage betrifft, so hat der Prinz das Angebot entschieden abgelehnt. Wenn es ihm möglich wäre, in Prag zu bleiben, so wäre er Administrator bei St. Johann unterm Felsen geworden aber sein ständiger Aufenthalt in Böhmen ist aus man nigfachen Gründen nicht möglich." — Jahrmarkt. Ein lebhafter Verkehr pul- sirte gestern in den in der Nähe des Marktes liegen den Straßen; den Markt selbst belebte eine dichtgedrängte Menschenmenge. Da auch das Wetter aushielt, so hatten sich wohl die den Markt besuchenden Geschäfts leute in der Erwartung einer guten Einnahme nicht getäuscht. Nicht minder lebhaft ging cs in den Re staurants zu, überall hörte man Musik und Gesang. In der „Börse", Weinkellerstraße, concertirte der un verwüstliche Max Müller aus Dresden mit seiner Volkssängertruppe, deren originelle Vorträge, wie immer, außerordentlich ansprachen. In den „Drei Schwanen" veranstaltete die Concertgesellschaft Lang aus Leipzig ein humoristisches Gesangs-Concert und Künstler- Vorstellung. Die Gesellschaft bot recht hübsche Sachen, vollen Beifall der Anwesenden dafür erntend. Der Gewerbehauswirth, Herr Müller, halte die „Beiden Maxen", genannt die Lieblinge von Chemnitz, zu einem Conc.nt gewonnen. Die in großer Anzahl erschienenen Besucher wurden durch das Gebotene im hohen Maaße befriedigt. Gnt besucht waren ferner auch ein humo ristisches Gesangs-Concert im „Johannesgarten", aus geführt von der Capelle „Humor", sowie ein solches im Restaurant „Stadl Pwuen". Ein außergewöhnlich starker Verkehr war endlich auch im „Logenhaus" zu beobachten. Der Wirth, Herr Weise, hatte ein Preis ausschreiben veranstaltet, an welchem sich jeder Besucher betheiligen konnte. Cs war die Frage zu beantworten: „Was gesollt Ihnen am Besten im Thüringer Dorf?" Der die Änworten ausnehmende Briefkasten war fort ¬ während belagert, so daß es wohl ein Stück Arbeit kosten wird, die besten Antworten zu bestimmen. (Wir hären, daß deren 146 eingegangen) Dem Concert im Garten schloß sich im Saale der Ball an. Am Abend strahlte das Thüringer Dörfchen im Glanze seiner elektrischen Jlluminationslämpchen. Schließlich sei noch erwähnt der im „Lorenzschen Restauraut" auftretende Musikvirtuos Rüdinger aus Dresden, der durch seine Leistungen, 2—6 Instrumente zugleich spielend, ungetheilte Bewunderung hervorrief. — Am heutigen — Montag — Abend erfolgt in den vor genannten Lokalen ein nochmaliges Auftreten der Ge sellschaften. — Gewerbe-Verein. Am Himmelfahrtstage veranstaltete der hiesige Gewerbeverein seinen dies jährigen ersten Ausflug, dessen Hauptziel das Elec- tricitätswerk Oberlungwitz war. Die Bezichtigung des Werkes war in liebenswürdiger Weise von der Direktion gestattet worden, und konnten die Theil nehmer, ca. 30 an der Zahl, die interessanten An lagen, Maschinen rc., besonders die gerade in Betrieb befindliche große Wechselstrom-Dynamo, in Augenschein nehmen. Sodann begab sich ein Theil der Aus flügler nach Wüstenbrand, während die Uebrigen die Parthie bis nach Mittelbach f rtsetzten, um dasEckert- sche Gasthaus mit seinen herrlichen Anlagen zu be suchen. In fröhlichster Stimmung kehrten alle Theil nehmer des Ausflugs nach Hohenstein zurück. — Am gestrigen Sonntage fand im „Schützen hause" Altstadt die 73. Gauvorturnerstunde statt. Dem Turnen von 11—1 Uhr folgte eine Mittags pause, um 2 Uhr begann die Sitzung, in welcher das Turnen am Vormittag beurtheilt und verschiedene andere Angelegenheiten erledigt wurden. — Am 1. Pfingstfeiertage sind nach 8 8 des Ge setzes vom 10. September 1879 in Sachsen öffentliche Versammlungen aller Art, ingleichen Versammlungen der Gemeindevertreter, sowie Versammlung der Innungen und anderer Genossenschaften gänzlich verboten. — Wie stehen die Aussichten auf das Pfingstwetter? Die Antwort, welche Falb darauf giebt, lautet recht zu friedenstellend. Zwar ist gegenwärtig der Kampf mit den feindlichen Wettergewalten nach der Annahme des ge nannten Gelehrten noch nicht beendet, aber vom 26. Mai ab ist entschiedener Wetterumschlag zum Besseren zu er hoffen. Die Halbjahrsprognose lautet: 26.—31, Mai: Die Temperatur steigt bis zur normalen. Es treten zahlreiche, aber trockene Gewitter ein. Der 28. ist ein durch eine (sichtbare) Sonnenfinsternis verstärkter kritischer Termin zwe'ter Ordnung. 1.—5. Juni: Es bleibt noch ziemlich trocken. Die Temperatur liegt meist über dem Mittel. Es wird schwül. Gewitter bereiten sich vor. — König Albert-Feuerwehrstiftung. Gegen 14000 Murk haben die sächsischen Feuerwehren seit zwei Jahren in freiwilligen Beiträgen angesammelt und als König Atbert-Feuerwehrstiftung zinsbar an gelegt, um aus derselben bedrängte Kameraden zu unterstützen. Anläßlich Königs Geburtstag sind dies Jahr erstmalig folgende Beträge nach Mittheilungen der „Sächs. Feuerwehr-Zeitung" ausgezahlt worden: 100 Mk. nach Juhnsbach, je 75 Mk. nach Brünlos und Bad Elster und je 30 Mk. nach Pöhla und Neudorf. — Gersdorf. Der Erweiterungsbau unserer Centralschule ist in diesem Frühjahr bereits soweit vorgeschritten, daß schon morgen Mittwoch das Hebe fest stattfinden kann. So wie sich unsere Schule nach außen reckt und streckt, so hält das Schulwesen innen Schritte. Die seither siebenstufne Volksschule wurde in eine achtstufige umgewandelt und die beschlossene Einführung des fakultativen französischen Sprechunter richts ist bereits seit gestern verwirklicht; über 30 Kinder meldeten sich zur Theilnahme an demselben. Durch Ertheilung von fremdsprachlichem Unterricht, wenn auch vorläufig nur in Französisch, hat unsere Schule wieder einen bedeutsamen Schritt vorwärts gethan, und viele Eltern werden dies mit Freuden begrüßen, ist doch dadurch manchem Gelegenheit ge boten, bei geringen Kosten seine Kinder auf ein späteres Ziel vorzubereiten. Die Löwenmähne. Novellen? von Lothar von Brenkendor sf. (2. Fortsetzung und Sch uh.) Nachdruck verboten Am nächsten Mittag war der Platz des Herrn Harders an der Dablc 6'üote leer geblieben, und als er zur Abendtafel wieder erschien, würdigte Fräu lein Hilde Rochlitz, sein schönes Gegenüber, ihn kaum eines Blickes. Aber es war vielleicht nicht einmal der Unwille über sein sträfliches Verhalten bei der letzten „Reunion", dem er diese schlechte Behandlung zuzuschreiben hatte. Fräulein Hilde war nur eben von anderem so ganz in Anspruch genommen, daß seine Person daneben augenscheinlich jedes Interesse für sie verloren hatte. Alle ihre Gedanken waren bei dem großen Fedor Wolkonski. Ihre Wang'n glühten und ihre Augen leuchteten, während sie von ihm sprach. Und sie sprach nur von ihm, einzig von ihm während der ganzen Dauer des Mahles. Ein Anlaß dazu war allerdings hinlänglich gegeben durch die Thatsache, daß seit heute Mittag am Kurhause große Plakate angeheftet waren mit der überraschen den Kunde, der berühmte Violinvirtuose werde morgen abend im großen Saale ein Concert geben und zwar, wie zur Erklärung der sehr hohen Ein trittspreise hinzugefügt war, zu einem wohlthätigen Zweck. Das war ein „Ereigniß" nicht nur für die Saisonkönigin, sondern für die gesamte Badegesellschaft, und Herr Harders, der noch ganz ahnungslos schien, erfuhr von feiner Umgebung, daß fchon am Nachmit tag sämtliche Karten vergriffen gewesen seien. Als man einander nach dem Souper „Gesegnete Mahlzeit" wünschte, fand Martha Jmgart, die Ge sellschafterin der reizenden Hilde, Gelegenheit, dem jungen Manne zuzuflüstern. „Seien Sie auf Ihrer Hut! Ihre Chancen haben sich verschlechtert. Dieser Wolkonski kommt wirklich zu einer sehr ungelegenen Zeit." „Ich danke für die Warnung," gab er ebenso leise zurück. „Aber ich fürchte mich nicht, sie werden doch auch in das Concert gehen, Fräulein Jmgart?" „Ich thue es nicht gern. Aber man zwingt mich dazu. Und bei der Gelegenheit werde ich doch wenigstens sehen, was es mit der viel berufenen Aehnlichkeit zwifchen Ihnen und dem großen Virtuosen auf sich hat." „Es erfreut mich, daß Sie das interessiert," sagte er, und drückte ihr, ehe sie es verhindern konnte, kräftig die kleine Hand. Dann war er zu ihrer Uebcrraschung verschwunden, ohne daß er zuvor auch nur den allerkleinsten Versuch gemacht hätte, seinen verlorenen Platz in Fräulein Hildens unschätzbarer Gunst zurück zu gewinnen. Im großen Saale des Kurhauses summte und schwirrte es am nächsten Abend erwartungsvoll von mehreren hundert lebhaft flüsternden Stimmen. Die Damen hatten ihre schönsten Toiletten angelegt und die Herren blickten mit sauersüßen Mienen drein, denn „interessante" Virtuosen haben ja noch wemals in besonderer Gunst gestände» bei dem stärkeren Ge schlecht. Auch während der von der Badekapelle aus geführten Ouvertüre kam das Gewisper noch nicht zum Schweigen. Aber es verstummte wie auf einen Schlag, als sich das kleine Künstlerpsörtchen seitlich des Podiums aufthat und als der mit so hoher Spannung Erwartete erschien. Viel schöne Schwanen hälse reckten sich länger aus und viel leuchtende Augen öffneten sich weiter. Auf den meisten Gesichtern aber malte sich etwas wie Erstaunen oder gar wie leise Enttäuschung. Hatten auch nur wenige unter den Anwesenden den so rasch berühmt gewordenen Künst ler schon im Concertsaale gesehen, so kannten doch beinahe alle sein Portrait, dieses wunderschöne Bild eines düster blickenden jungen Mannes mit blassem, bartlosen Gesicht, schmerzlich herabgezogenen Mund winkeln und einer gewaltigen Ham fülle, die gleich der Mähne eines schön frisierten Löwen sein Haupt umwallte. Der aber, der da mit seiner Violine schlicht und bescheiden an die Rampe vortrat, zeigte kaum eine entfernte Aehnlichkeit mit diesem herrlichen Bildniß. Sein hübsches Gesicht war tief gebräunt, ein allerliebstes weiches Bärtchen zierte sein Kinn wie seine Oberlippe, sein dunkles Haar war kurz geschnitten wie das eines ganz gewöhnlichen Sterblichen, und die Helle Lebenslust lachte aus seinen Augen. In den ersten Sekunden war's todtenstill im Saale, dann aber ging eine eigenthümliche Bewegung durch die Reihen. Diesen Menschen da oben kannte man ja schon seit vierzehn Tagen, hatte ihn täglich am Strande und an der luklc 6'kote gesehen, ohne ihm aus einem anderen Grunde Beachtung zu schenken, als well die schöne Hilde Rochlitz ihn etwas auffällig vor ihren anderen Bewerbern auszeichnete. Diesem oder jenem war er auch als ein ganz simpler Herr Harders vorgestellt worden, und in argwöhnischen Gemüthern regte sich der Verdacht, daß man es da wohl gar mit einem dreisten Schwindler zu thun habe. Man raunte sich allerlei verwunderte Bemerkungen zu, und keine Hand rührte sich zu der üblichen „be geisterten" Begrünung, die ihm sicherlich zu Theil ge worden wäre, wenn noch die Löwenmähne sein Haupt umwallt hätte. Den Virtuosen aber schien das keines wegs zu überraschen. Er machte eine kleine Verbeug ung, warf einen fröhlichen Blick nach der Stelle hin, wo Hilde Rochlitz und ihre Gesellschafterin in einer der ersten Reihen saßen und hob mit einer Bewegung, die garnicht „genialisch", sondern sehr natürlich aussah, Violine und Bogen. Zehn Minuten später fürchtete niemand mehr, einem dreisten Schwindler zum Opfer gefallen zu sein, die Wände des Kursaales aber hallten wider von einem Beifallssturm, wie er vielleicht noch nie zuvor diesen Raum durchbraust hatte. Die Herren riefen Bravo und die Damen wehten mit ihren Taschen tüchern, nachdem die schöne Hilde als die Erste das Zeichen zu dieser Huldigung gegeben. Eine Einzige nur saß ganz still da und ihre Hände lagen fest zu- fammengepreßt im Schoße. Aber in ihren Augen schimmerten Thränen, und auf ihrem holden Gesicht chen war ein Leuchten, wie nur die höchste Glückselig keit es verklärend über ein Menschenantlitz zu breiten vermag. Und diese eine war Martha Jmgart, die arme Gesellschafterin des schönen vielumworbenen Millionärs- töchterchens. Das Konzert ging zu Ende, wie es begonnen hatte, unter einem Orkan von Enthusiasmus und über schwenglicher Begeisterung. Großartige Ovationen noch hatte man dem Künstler zugedacht, den man in unbe greiflicher Blindheit vierzehn Tage lang für einen ganz gewöhnlichen Menschen gehalten; aber er war bescheiden genug gewesen, sich ihnen zu entziehen, indem er gleich nach Beendigung seiner letzten Nummer durch ein Hinterpförtchen des Kurhaufes entwich. Eine Stunde später erst tauchte er wieder auf; doch nicht im Gewühl der Badegesellschaft, die auf der Terrasse vor dem Kurhause zusammen geblieben war, sondern an einer ziemlich abgelegenen Stelle des Meeresufers, neben einem Slrandkorb, aus dem ihm ein Helles Frauengewand entgegenschimmerte und ein süßes, hold verschämtes Mädchengesicht. „Erlauben Sie mir, Fräulein Jmgart, Ihnen den Ertrag meines Konzertes für Ihre Rantener Schützlinge zu übe geben. Es sind rund zweitausend- undfünfhundert Mark. Aber es bleibt unter uns, nicht wahr?" „O, Herr Wolkonski, ich finde keine Worte, Ihnen zu danken." „Sie sind mir also nicht böse wegen der kleinen Maskerade, die ich mir Ihnen wie den anderen Herr» schäften gegenüber ertaubt habe? Sehen Sie, ich brauchte ein paar Wochen Ruhe und da hielt ich es nicht eben für ein Verbrechen, unter dem Familiennamen meiner Mutter aufzutreten." „Und die — Löwenmähne? Sie haben sie auch nur Ihrem Ruhebedürfniß geopfert?" „Nein! Sic war ohnedies der Scheere verfallen. Denn alle die lächerlichen Virtuosennarrheiten, die Sie neulich so unbarmherzig und so treffend kritisiert haben — ich hatte sie bereits abgestreift, ehe ich das Glück hatte, Ihnen zu begegnen. Sie aber haben mich heute nicht zum ersten Mal spielen hören, denn der Geiger drüben in dem einsamen Heidehäuschen war ich, und da es Ihnen in jenen Morgenstuuden Vergnügen ge macht hat, mir allein ungestört zu lauschen, so möchte ich Sie fragen, Fräulein Martha — —" Er hatte sich tiefer zu ihr herabgeneigt und seine Stimme zu leisestem Flüstern gedämpft. Sie aber mußte doch wohl verstanden haben, was er sie fragte, denn bald darauf klang es aus dem Strandkorb gar verdächtig wie Küssen und Kosen und süßes Getändel, junger Liebe.
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