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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.03.1900
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190003180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19000318
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19000318
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-03
- Tag 1900-03-18
-
Monat
1900-03
-
Jahr
1900
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 18.03.1900
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1. Beilage. Nr. 63. Amtsblatt. Sonntag, den 18. März 1900. Bom Reichstage. Berlin. 15. März. Die dritte Berathung der lex Heinze ist gestern in einer 6stiindigen Sitzung — nicht zu Ende ge kommen; eine materielle Abstimmung konnte nicht vor genommen werden, weil sich nun um ^8 Uhr die Beschlußunfähig^ des Hau'es herausstellte. Indessen darf man nicht glauben, daß auch bei diesem wichtigen Gesetze die Abgeordneten thatsächlicht nicht in genügen der Anzahl versammelt gewesen wären. Die Beschluß unfähigkeit wurde vielmehr künstlich erzielt, indem die Freisinnigen und Socialdemokraten, wie sie selbst sagen, von den Mitteln der Geschäftsordnung bis zum Aeußersten Gebrauch machten, und, wie die Gegner ihnen vor warfen, Obstruktion trieben. Um 6 Uhr stellten die Abgg. Graf Hompesch vom Centrum und Herr v. Levetzow einen Vertagungsanlrag, wurden aber von ihren eigenen Parteien im Stiche gelassen, so daß ihr Antrag in der Minderheit blieb. Nach dem der Abg. Schrader noch gesprochen, beantragte der Abg. Singer aufs neue Beringung und zugleich namentliche Abstimmung über diesen Antrag. Darauf verließen die Socialdemokruten und Fieisinuigru in großer, aber für ihren Zweck doch nicht genügender Zahl den Saal; es betheiligt u sich au der Abstimm ung 203 Abgeordnete, von denen 182 den Antrag ablehnteu. Nach einer Rede des Abg. Liebermann v. Sonnenberg wiederholte Abg. Singer sein vonges Manöver. Inzwischen aber war von den Mehrheits parteien ein Antrag auf Schluß der Discufsion ein- gegaugeu, und cs entspann sich eine Geschäftsorduungs- debotte, ob dem Schluß- oder dem Vertagungs- antrag der Vorrang gebühre. Vicepräsident Schmidt- Elberfeld entschied zu Gunsten des letzteren, nachdem der Abg. Richler emeint, man könne ja auch über diese Frage namentlich abstiuimeu. Nunmehr verließen alle Freisinnigen und Socialdemokraten den Saal mit vereinzelten Ausnahmen, die gewissermaßen als Streik posten zurückbliebev. Das Ergebniß mar, daß nur 102 Abgeordnete leim Namensausrus antworteten und somit die Beschlußunfühigkeit des Hauses sestgesteUt war. Bou dem Höllenlärm, d r während dieser Vor gänge namentlich auf derR>chlen herrschte, kann man sich keine Borstellnng machen. Mit unausgesetzten „Pfui"-Rufen wurde der erste Abmarsch der Linken be gleitet, mit höhnischem Gelächter ihr Wiedererscheinen, mit förmlich m Gebrüll „Raus, raus!" ihr zweites Verschwinden. Allgemeines „Aha" tönte schließlich dem Abg. Richter entgegen als er nach Schluß der Ab stimmung zunächst allein in den Saal zurückkehrte, um seinen Beobachtuugsposten cinzunehmen. Noch ehe das Resultat ermittelt war, ließ Vicepräsident Schmidt eine neue Geschäftsordnungsdebatte zu, und wieder brach em Sturm ruf der Rechten los, der sich aber legte, als Abg. Richter ruhig das Verhalten der Linken rechtfertigte. Sie hätte zu den äußerste», sollst n cht angewendelen Mitteln gegriffen, weil die Mehrheit die Beendigung der Berathung durch ungewöhnliche Aus dehnung der Sitzung sorciren wollte, damit einige Herren, die man auch sonst nur selten das Vergnügen habe hier zu sehen, abreiseu könnten. Dagegen auf- zutreten bade die Opposition nicht nur das Recht, sondern die Pflicht. Wolle die Mehrheit etwas er zwingen, dann müsse sie selbst in beschlußfähiger An zahl erscheinen. Man mag über diese Theorie denken, wie man »volle, inan wird es jedenfalls begreifen, daß die Linke nach der Rede des antisemitischen Abg. Lieber mann v. Sonnenberg auf ihrem Stücke bestand, denn dieser hatte sie allerdings mit einer Reihe der heftigsten Angriffe bedacht, und Rücksichten, die man in der Ge sellschaft wohl nimmt, kennt das parlamentarische Leben nicht, wie Herr von Liebermann selbst auch bewies, indem er mit der Majorität den Gegnern die Mög lichkeit abschneiden wollte, ihm zu antworten. Dieselbe Beobachtung konnte man freilich auch bei der Linken machen, die ihrem Unwillen über die Ausführung dieses Redners in einer Weise Ausdruck verlieh, daß der aus ihrer Mitte hervorgegangene Vicepräsident Schmidt sich veranlaßt sah, sie zu bitten, sie möge nicht durch ihr Lärmen die Würde des Hauses weiter stören. Gelärmt, gemurrt und gelacht wurde übrigens auch fast im ganzen Verlaufe der Sitzung auf beiden Seiten des Hauses gerade genug. Mit großer Spannung hörte man die Äusführungcn des Abg. v. Vollmar an, dessen Darlegungen inan, da er als Kunst kenner gilt, besondere Bcachtun, entgegenbrachte. Wenn man wirklich nichts weiter wollte, als die Be kämpfung der Geineinheit, führte er aus, bann sei der ganze Lärm, dann seien diese Paragraphen überflüssig; denn dazu seien schon die bestehenden Gesetze mehr als ausi eichend. Eine große Anzahl der berühmtesten Kunftweike seien das eine oder das andere Mal schon als unsittlich eingezogen worden. Die katholische Köche habe sich anfangs der klassischen Kunst gegenüber sehr vorurtheilslos gezeigt; gegen das Nack:e sei sie erst ausgetreten, als man für nvthwendig hielt, der Kunst einen byzantinischen Mantel umznhängen, und als die Kunst einen neuen Aufschwung nahm zur Zeit der Renaissance, sei sie gerade von den Päpsten gefördert worden, obwohl sie Wiede- das Nackte zur Darstellung wählte. Aber heute habe das Centrum das vergessen. In München habe es sein Centralorgan dnrchgesetzt, daß die Venus von Milo aus einem Schaufenster als sinnliche Nudität entfernt werden mußte. Die Kunst bedürfe der Freiheit, das Nackte werde immer das Ideal der bildenden Knifft bleiben, und das erotische Prineip werde in der dramatischen Kunst ewig eine große Rolle spielen, weil sie das Leben schildern müsse, wie es ist. Wenn man sage, man solle den Richtern Vertrauen entgegenbringeu, so könne er dies umso weniger, nachdem Richter, wie Rören und Gröber, hier die Bestimmungen so einseitig begründet hätten. Herr von Vollmar führt sodann Einzelfälle an, um zu zeigen, wie verschiedenartig die Anschauungen über Sittlichkeit seien. In Stuttgart habe man Tiroler bestraft, die mit nackte» Knieen kamen, und in der Pfalz habe man verboten, daß Schulmädchen Kleider mit kurzen Aermeln trage», weil die nackte» Arme unsittlich seien. Wer überall Unsittliches erblicke, der habe nicht gelernt richtig zu sehen. Zur Beuitheilung der Kunst gehöre ein geläuteiter Geschmack. Die Er regung in den Kreisen der Kunst sei durchaus berechtigt. Abg. Limburg (cons.) begründet kurz die Compromiß- anträge, die namentlich in der jetzt beantragten Form Kunst, Literatur und Wissenschaft keineswegs schädigen könnte». Abg. Miiller-Meiningen (steif. Vp.) hebt die Bedeutung der Protestbewegung hervor, die trotz aller entgegenstehenden Aeußerungen innerlich a. ch von der Mehrheit empfunden würden; wäre es anders, dann würden ihre Vertreter nicht so viel dagegen spreche». Die Red»' des Abg. Röre» habe wie eine Vertheidigungs- rede geklungen, und das sei ganz natürlich, denn er und seine Anhänger seien die Angeklagten vor einem großen Theile des deutschen Volkes. Namens der Mehrheitsparteien nahm nun das Wort der württem- bergische Centrumsabgeordnete Gerichtsrath Gröber donnerte auch heute wieder mit dem tiefsten Brustton der Ueberzeuzung gegen die Protestversammlungen und gegen die unter dem Deckmantel der Kunst verübten Ausschreitungen. Die Rechte hielt sich, wie während der ganzen Affaire, auch heute ziem ich im Hintergrund. Dr. Stockmann (Rp.) erklärte sogar, daß er auf den Theaterparagraphen eigentlich keinen Werth lege, da die Censur ausreiche, daß seine Partei sich aber durch die Compromißanträge gebunden fühle und deshalb für dieselben stimmen werde. Mit großer Lebhaftig keit hingegen schilderte der Abg. Müller-Meiningen von der freisinnigen Bolkspartei die Gefahren, die der Kunst- und Theaterparagraph im Gefolge haben würde. Für die verbündeten Regierungen ergriffen der Staats sekretär des Reichsjustizamts Nieberding, der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld und der preußische Geheim- rath Kruse das Wort. Herr Nieberding bediente sich bei der Bertbeidigung des Kunstparagraphen so scharfer Spitzcn gegen die Opposition, daß man allgemein glaubte, er werde zum Schluß den Theaterparagraphen für unannehmbar erklären, aber er äußerte hierüber kein Wort, er überließ es H rrn Kruse, ihn als gänz lich überflüssig abzulehnen. Graf Lerchenfeld trat warm für den Artikel 8 181 a ein, der nach seiner Meinung eigentlich nur die Möglichkeit bieten soll, im Interesse der Heranwachsenden Jugend die Räumung der Schaufenster von unanständigen Bildern zu er möglichen. Hierauf erfolgte Vertagung. Die Sitzung am Freitag begann, wie die Tags zu vor abgehaltene geschlossen hatte, mit einer namentlichen Abstimmung über den von den Abgg. Graf Hompesch (Zentr) und v. Levetzow (konß) gestellten Antrag auf Schluß der Debatte über die Z8 184» und b. Der Namensaufruf ergiebt die Anwesenheit von 281 Abge ordneten, von denen 196 für und 82 gegen den Schluß antrag stimmen, der somit angenommen ist. (3 Abgeord nete enthielten sich der Abstimmung) Es folgt zunächst eine Reihe Bemerkungen zur Geschäftsordnung, Ver schiedene Redner sprechen ihr Bedauern aus, daß sic »ich! mehr zum Worte gekommen seien. Unter lebhaftem Bei fall thut es der antisemitische Abgeordnete Bindewald, der darauf h'uweist, daß man ihm als dem einzigen in den Reichstag gewählten Künstler verwehrt hätte, seinen von der Rechten abweichende» Standpunkt zu vertreten nachdem so viele Laien wie die Blinden von der Farbe gesprochen hätten. Es folgt darauf die Abstimmun, über 8 184» (Kunstparagraph) iu der Fassung des Kompromiß antrags, der mit großer Mehrheit angenommen wird Abg. Singer beantragt nunmehr namentliche Abstimmung über den 8 184b (Theaterparagraph) und Meir einzelnen der dazu gestellten Anträge. Auch hier wird der Kom promißantrag, und zwar mit 166 gegen l24 Stimmen, bei einer Stimmenthaltung angenommen. Dagegen timmten die Sozialdemokraten die süddeutsche Volks- oartei, die beiden freisinnigen Parteien, die National liberalen mit etwa 5 Ausnahmen, sowie die Abgg. Binde wald und Böckel 8 18 le stellt in völlig materieller Uebereinstimmung mit dem bestehenden Gesetz und ledig lich in etwas anderer redaktioneller Fassung ärgerniß erregende Mittheilungen aus nicht öffentlichen Gerichts itzungen oder aus bezüglichen amtlichen Schriftstücken nrter Strafe. Abg. Stadthagen (soz,) spricht gegen oie Aufrechterhaltung dieser Strafbestimmungen Es sei oft ehr nützlich, so gemeine Menschen, um die cs sich bei solchen Gerichtsverhandlungen zumeist handle, an den Pranger zu stellen. Redner verbreitet sich über endlose Beispiele aus dem praktischen Leben, aus seinen Ersah« rungen als Rechtsanwalt. Zu Beginn dieser Rede leerten sich die Bänke des Hauses fast völlig: Konservative und Zentrumsabgeordnete verließen den Saal fast bis auf den letzten Mann, um im weiteren Verlause der Ausführungen des diesmal ganz gegen seine Gewohnheit sehr langsam sprechenden Redners vereinzelt wieder zurück zukehren. Inzwischen wurden außerdem noch eine An« zahl weiterer sozialdemokratischer Anträge eingebracht und vertheilt. Redner kommt u A. auf eine Kuppelei- Affaire in Berlin zu sprechen. In diesem Falle sei es nicht gelungen, die Kupplerin ihrer verdienten Strafe zu überliefern. (Graf Oriola lacht.) Ja, Herr-Graf Oriola gehört auch zu Dene», die durch solche Anträge es verhindern wollen, daß man der artigen Sachen zu Leibe geht. (Unruhe rechts. — Ruse: Reden Sie doch zu Ihren Stammesgenossen!) Meine Stammesgenossen? Herr v. Reitzenstein ist nicht mein Stammesgenosse, Prinz Reuß j. L. ist ebenfalls nicht mein Stammesgenosse, in gleicher Weise Pr>nz Albert von Sachsen-Altenburg nicht. (Steigende Unruhe rechts. — Rufe: Zur Sache! Die Rufe wiederholen sich minutenlang, so daß schließlich der Vice-Präsident Schmidt nur mühsam Ruhe schaffen kann.) Redner ersucht schließlich dringend um Ab lehnung des 8 184 c. — Nach diesen M/z stündigen Ausführungen erklärt der Abg. Heine (Soz.), nach diesen kurzen (!) Bemerkungen seines Kollegen müsse auch er sich noch einige Ergänzungen gestatten (schallende Heiterkeit), und führt ans, dieser Paragraph sei Fleisch vom Fleisch dieses Antifleischgesetzes. Er nehme an diesen Bestimmungen vor Allem deshalb Anstoß, weil es ein Versuch der Regierung sei, die Grundlage unserer ganzen Gesetzgebung zu untergraben. Geh. Rath v. Lenthe: Der Vorredner übersieht, daß die Bestimmungen dieses Paragraphen seit 1889 existircn. — Ein Schlußantrag der Major itätssrarteien wird angenommen. Periönlich weist Graf Oriola die an ihn gelichteten Bemerkungen Stadthagen's als ungualifizirbar zurück. (Lebhafter Beifall rechts und im Centrum.) Abg. Stadthagen (Soz. — mit Rusen: „Rans!" empfangen): Ich verbitte mir diese Rufe! 'Präsident Gras Ballestrenr: Sie Haven sich nichts zu verbitten!) Graf Oriola hat während meiner Rede an der betreffenden Stelle gelacht; daß er aus einem anderen Grande und nicht über meine Ausführungen lachte, konnte ich ihm nicht ansehen. Jedenfalls hat er gelacht, nls ich ihn um Schutz für Mädchen gegen gemeine Mißhandlungen bat; was hat er also zu b.-uchlMn? — 8 184 c wird mit 196 gegen 73 Stimmen bei 2 Summenenthaltungen aufrecht erhalten. Van den Sozialdemokraten wird jetzt ein 8 1846 bantazt des Inhalts: Die Bestimmungen der 88 184, 184» u >d 184b finden keine Anwendung aus künstlerische Produktionen und Darstellungen, bei denen ein höheres Interesse von Kunst oder Wissen schaft vbwaltck. Abg. Gröber (Centr.) protestirt gegen die Bclaihnng dieser Bestimmuiig, da damit eine schon durch die gefaßten Beschlüsse entschiedene Frage wieder ausgenommen werde. Abg. Singer (Soz.) hält dieses Bedenken für ungerechtfertigt; theile aber das Haus dieses Bedenken, so kündige er schon jetzt einen Antrag aus einen neuen 8 184e a», daß die Z8 181 bis 184b erst im Jahre 1920 in Kraft treten sollen. (Stürmische Heiterkeit.) Abg. Richter srcis. Vvlksp.) erklärt den Widerspruch Gröber's für unbegründet. Abg. Singer (Soz.): Wir werden mit Der Famittenschmuck. Roman von A. I. Mordtmann 0V. Fortsetzung nnd Schluß.) »Nachdruck verholend 19. Capitcl. Zwei Jahre sind seit den Ereignisse» verflösse», die alle Verhältnisse in Thirlwall nnd Caldecott so gründlich verändert habe». Die Gräfin Oranmore könnte eine Zierde der Londoner Gesellschaft sein, wenn sie sich dort jemals längere Zeit aushielte; aber sie zieht es vor, den größten Theil des Jahres auf den irischen Besitzungen ihre» Gatten zuzubringen und da selbst durch ebenso tyatkrästige wie einsichtsvolle und menschenfreundliche Arbeit Zustände herbeizusühren, die weit u: d breit als mustergilrig betrachtet werde». Wäre es auf allen Besitzungen des irffchen Adels so bestellt wie auf den Oranmoreschen Gütern, so hä"e für Irland die Homerulefrage keine Bedeutung. Lady Oranmore ist eine F e mdiii, aber nicht eine Sklavin der Geselligkeit; sie übt die edelste Gast- freundschaft, und w.r nach Caldeco t kommt, ist will kommen für so lange als es ihn, gut dünkt, aber Massen- einladuugen haßt sie, und es fällt ihr gar nicht ein, sich »ach englischer Sitte das ganze Hans mit Gästen anzufüllen und mit ihnen die Zeit todtzuschlagen, um nur der entsetzlichen Langweiligkeck und öden Ein förmigkeit des englischen Lebens zu entrinnen. Lord Oianmore, der anfänglich, im Banne seiner britischen Anschauungen befangen, mit einiger Sorge das Walten feiner abgöttisch geliebten Fanni) angesehen hat, ist ganz zu ihren Anschauungen bekehrt, seitdem er erkannt hat, welche Fülle und Reichhaltigkeit des Inhalts, welche Gemüthlichkeit nnd Tiefe des Daseins ihm aus der neuen Gestaltung der Dinge und aus der Eman- cipation von eingerosteten Vornrtheilen und veralteten Gebräuchen erwuchsen ist. Ellen ist rinveiheirathet geblieben, die Erbinnen von Scudamore haben Schloß Thirlwall, an das sich für sic nur urmngenehme Erinnerungen knüpften, ver kauft, und Frau Scudamore lebt jetzt mit Ellen ans einer hübschen kleinen Besitzung in Blankenese, wo sie sich wohler fühlen als in englischer Umgebung. Es hat der Erbin von Thirlwall nnd Schwester der Gräfin Oranmore nicht an den verlockendsten Anträgen ge fehlt, aber sie hat sie alle abgewiesen. Nicht jeder Engländer ist ein Lord Oranmore, wie sie ihrem Schwager einmal halb im Scherz, halb im Ernst er klärt hat; wenn ein Eberbild von ihm austauchen und sich um sie bewerben sollte, würde sie sich die Sache vielleicht überlegen, — arer sonst — nein! Von Lundby, von Marie Violet und von Holm feld haben Oranmores nicht wieder gehört, seitdem Marie sich von ihnen verabschiedet hat, um zu ihrem Goßvater Cha.Vin nach Ostabat zu ziehen. Nur ein mal ist die Kunde zu ihnen gedrungen, daß Hvlmfeld eine Kunstreise zu den Antipoden angctrelen hat. D: der junge Virtuose, sie w sscn nicht warum, garnicht mehr an sie geschrieben hat, ist ihr Interesse an ihm allmählich erloschen. Eine Quartalssessivn der Grschworenen in Bel fast hat den Grafe > Oranmore in kiese gewcrbsflcißige Stadt berufen und dort mehrere Tage festgehalten. Er schreibt an My'ady: „Ich hab: Dir etwas sehr Merkwürdiges zu erzählen, wenn ich zurückkvmme. Mache Dich ans eine wunderliche Ueberraschung ge faßt." — Er lächelt, indem er diese Warte niederschreibt nnd sich vorstellt, von welcher Neugierde Fanny wohl geplagt sein wird, wenn s:e diese geheimnißvvlle An deutung liest. Ihre Antwort zeigt ihm jedoch, daß sie sich zu rächen weiß: „Ich habe auch eine Ueber- raschung für Dich," schreibt sie. „L.u wirst Dich wundern, wenn Du wieder nach Caldecott kommst." Wer von Beiden auf das Kommende neugieriger sein mag, ist schwer zu entscheiden; wenn aber Lord Oranmore endlich Belfast mit Freuden verläßt und kaum die Zeit cuwarten kann, daß sein Zug in die Station Armagh einläuft, so ist daran weniger die Neugier als die Sehnsucht nach seiner Gattin Schuld. Er könnte den rothen Larry, der jetzt in gräflich Oranmoreschen Diensten steht und seine Livree mit einem Stolze trägt, der kaum für einen ehemaligen Insassen von Ivy Lodge ziemlich ist, fragen, und er weiß, daß Larry ihm alles, was er erfahren möchte, mit Freuden erzählen würde. Aber er zieht es vor, sich von Fanny überraschen zu lassen. Der Lord wird eigentlich erst mit einem späteren Zuge erwartet und so ist außer der wohlgeschulten Dieneffchaft niemand zu seinem Empfange am großen Eingangsthore. Er eilt in den Garten, wo »ich nach der Meldung des Butlers Mylady befindet. Wenige Schritte ist er gegangen, da fesselt eine eigewhümliche reizende Erscheinung seine Blicke. Fanny ist nicht allein; neben ihr, innig an sie geschmiegt, wie Schwester an Schwester, geht eine schlanke junge Dame, d u breiten Strohhut am Arme hängend, und an ihrer Seite ein hochgewachsener Herr, der ihm bekannt vvrkommt. Oranmore bleibt stehen, er möch:e das liebliche Bild nicht durch seine Dazwischenkunft stören. Die Begleiterin seiner Gattin erweckt in ihm durch ihre Gestalt und Bewegungen eine unbestimmte Er innerung — er denkt an vergangene Zeiten — ah! das ist es! — sie erinnert ihn an Edith — und nun elräth er, wer der Fremde ist. Holmfeld! Sollte er doch »och Edith oder viel mehr Marie Violet he angeführt haben? Da wendet sich die Dame, und fast hätte Oran- more einen Ruf des Eistaunens und zugleich des Ent zückens ausgestoßen — welch unbeschreiblich holdseliges Gesicht! Wahrlich, das erste, das neben Fanny nichts verliert! Nun ist der Lord gesehen worden und er eilt herbei, um seine Gäste mit weltmännischer Höflichkeit und Oranmore'scyer Herzlichkeit zu begrüßen. Holm feld stellt ihm seine Gattin Marguerite vor, und in dem Oranmore die Hand der jungen Frau küßt, fällt ihm nichts Besseres ein — und ist es nicht das Beste, was er sagen kau»? — als: „Wie freut es mich, das Sie meine Frau kenne» gelernt haben! Als ich Sie beide erblickte, meinte ich zwei Schwestern zu sehen." Marguerite schmiegt sich dichter an Fanny und sagt mit einer Stimme, deren weicher Wohllaut dem Grafen völlig im Einklang mit ihrem Aeußeren er scheint: „Ich habe wirklich zum ersten Male in meinem Leben das Glück, eine Schwesterseele gefunden zu haben. So habe ich es mir immer ersehnt, aber ich glaubte, es würde mir immer versagt bleiben." Die beiden Paare wandeln nach einem schattigen Sitze, wo Fanny gern mit ihrem Gatten zu weilen pflegt; während sie in d.:s Haus zmückgeht, um An ordnungen sür einige Erfrischungen zu treffen, die Oranmore gebracht werden sollen, läßt sich dieser Holmfelds Schicksale erzählen. Holmfeld hat in Australien, in Nord- und Süd amerika concertirt und so viel Geld erworben, daß er das Wanderleben aufgeben und in aller Behaglichkeit nur sich selbst, seiner Frau und seiner Kunst leben kann. Er ist noch unentschlossen, wo sie sich nieder- lassen wollen. Sein Vater ist nicht zu bewegen das Feld seiner seelsorgerischen Thätigkeit unter den Mischen Strandbewohnern aufzug--beu, dort aber sich niederzu- lasien hat Holmfeld keine Lust. Auch in oder bei Ostabat möchte er nicht Hütten bauen. „Ich würde es dem alten He rn Chardin gern zu Gefallen thun," sagt er mit einem liebevollen Blick auf seine Frau. „Aoer wir harmoairen nicht recht mit seiner anderen Enkelin, Fräulein Violet." „Ah, unsere ehemalige Edith," bemerkt Oranmore, „das begreife ich wohl." „Es ist gewiß zum Theil meine Schuld," erklärt Marguerite. „Ich bin auf ein innerliches Leben hin- gewiese», das nur in der Musik und im Umgang mit Menschen, die auch keine anderen Ansprüche stellen, Befriedigung findet. Meine Consine Marie ist für die Außenwelt, für die Gesellschaft geboren, im i er munter und lebendig, immer voll toller Einfälle. Da komme ich nicht mit." „Es geht ihr gut, hoffe ich."
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