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-P i 6i r>l Die praktische Anwendung die ser FachauSdrücke und noch vieles andere erlernen die „Studenten der Eisenbahnwissenschaft" in den drei Zentralschulen der Deutschen Reichsbahn in Brandenburg-West, Hanan und Freimann bei Mün chen. Es werden dorr nicht nur die Anwärter ans den Eisenbahndienst in ihre BerufSpslichten eingesührr, sondern von den mehr als 700 000 Beamten, Angestellten und Arbei tern der Deutschen Reichsbahn fortlaufend gröbere Gruppen in Sondcrlehrgängen über die neue sten Fortschritte ans allen Gebieten deS täglichen Dienstbetriebes unter richtet. Wobl die größte Bedeutung bat die auf dem Gelände des Reichsbahnwerkes Brandenburg- West errichtete Zentralschule, dessen Gebiet eine Flüche von nicht weni ger als 55 Quadratkilometer mit etwa 400 Fabrik- und Lehrgebäu den, Versuchsanstalten und Son derwerkstätten umfaßt, eine kleine Stadt für sich, in der die Kursteil nehmer für die meist wochenlange Dauer der Lehrgänge auch Unter kunst und Verpflegung finden. Da gibt es keine Standes- unterschiede mehr. Wie in der Schulzeit sitzen sie einträchtig neben einander aus einer Bank, der Beamte und der Weichenwärter, der Ingenieur und der Rangier meister, der Streckenarbeiter und der Schaffner. Alle wetteifern miteinander an Lernbegier und Ausdauer. Die Lehrmittel sind von vorbildlicher An schaulichkeit. Da gibt es ein eigenes Lehrstellwerk mit ge nau der Wirklichkeit nachgebildeter Außenanlage, einen Lehrmittelsaal, in dem an zahlreichen Modellen Oberbau und Sicherungswesen dargestellt sind, sowie eine dem prak tischen Unterricht dienende Lehrgüterabfertigung. Den zugleich merkwürdigsten und interessantesten Un terrichtsraum der Zentralschule aber findet man in dem Zimmer, in dem die Reichsbahnanwärter in die Geheim nisse der Rangierwissenschaft eingeweiht werden. Eifen- bahnlataftrophen find da an der Tagesordnung. Auf große» Tischen find weitverzweigte Bahn- und Gleis anlage« ansgebaut, über di« von Miniaturlokomotiven j-erogene Schnell-, EU-, Personen- und Güterzüge rollen. ! Natürlich fehle« a«ch »icht genau der Wirklichkeit nach- >*ebttd«»e Stellwerks- «nd Signalanlagen in entsprechen- ldoe LeMefnermtg. Das Ganze verkörpert eine natur- Wohl jeder Reisende hat sich schon über die vielen seltsamen Zeichen, Zahlen und Abkürzungen an den Per sonen- und Güterwagen der Deutschen Reichsbahn ge wundert. Dem Laien ist diese „Geheimschrift" des Eisen bahnverkehrs ein Buch mit sieben Siegeln. Dem Kundi gen jedoch verrät sie sowohl hie Herkunft, als auch die Art und den Verwendungszweck des betreffenden Fahr zeuges. So bedeutet z. B. „ABC. 4 ü" einen Schnell zugswagen erster, zweiter und dritter Klasse von vier Achsen mit geschlossenem Uebergang. Die drei großen Anfangsbuchstaben des Alphabeis beziehen sich nämlich aus die entsprechenden Wagcnklassen, die Ziffer auf die Zahl der Achsen und der kleine Endbuchstabe aus die Art der Uebergangsmöglichkeit. Auch bei den Güterwagen kennt man zahlreiche Haupt- und Nebengattungszeichen, deren Erläuterung allein viele Seiten füllen würde. Es gehört wochenlanges Studium dazu, um diese Geheim sprache des Eisenbahnverkehrs in allen ihren Einzelheiten zu erfassen getreue Abbildung des in einem Umkreise von sieben Kilometer sich abspielenden „echten" Eisen bahnbetriebes. Während aber in Wirklichkeit höchste Verkehrssicherheit im Bahnverkehr erstes Gebot ist, ereignen sich auf den Versuchsanlagen im „Un glückszimmer" der Zentralschule Brandenburg-West fast jede Stunde die furchtbarsten Eisenbahnkata- strophen. Da stoßen die D-Züge in voller Fahrt zusammen, da fahren Güierzüge ineinander und kollern entgleisende Rangiermaschinen über die Tischplatte. Signalmaste werden umgefahren, Bahnhofsgebäude eingerannt, wie auch die wich tigsten Anordnungen des „Stationsvorstehers" nicht selten glattweg überhört werden. Und dies alles dient in Wahrbeit der Vcrtraunnachung der zukünftigen Lokomotivführer und Rangiermeister, ihrer Unterrichtung im Fahr-, Signal- und Rangierdienst. Auch mit Alarm glocken, Telephon- und Klingelanlagen lernen auf diese Weise die „Studenten der Eisenbahnwisscnschaft" »mzn- geheu, doch gehören heute sogar eingcbende Kenntnisse in der Funktechnik zum geistigen und fachlichen Rüstzeug des Eisenbabuers. In äbnlieh anschaulicher Weise erfolgt auch die Ein führung der Eisenbahner in den Güterabfertigungsdienst. In Anbetracht der großen Schwierigkeiten, die diese Dienstart naturgemäß dem Anfänger bereitet, wurde in der Zentralschule Brandenburg-West eine eigene Lcbr- güterabfertigung eingerichtet. „Aus der Praxis, für die Praxis" ist dort oberster Grundsatz. Einige Schüler haben als „Rollkutscher" Güter abzuliefern, die von einem zum „Vorarbeiter" bestimmten Schüler aus Aufnahmefähigkeit zu prüfen sind. Eine weitere Gruppe beschäftigt sich mit der Ausstellung von „Frachtbriefen" und der Erledigung aller hiermit zusammenhängenden Kassen- und Rech- nungsarbeitcu. Jeder Schüler erhält zu diesem Zweck 25 Fracht briefe und Lichtbilder der ab zufertigenden Güter. Nach sach gerechter Ausfüllung dieser For mulare werden sämtliche Fracht briefe in einer Empfangsabtei lung von denselben Schülern be- Jm Kreis: die Beamtenanwär ter lernen aus das genaueste die Behandlung der Frachtgüter. Links: In der Schule wurde eine richtige Lokomotive aufge- bant, die zum Erklären der Jn- ncntcile ausgeschnitten ist. Unten: Blick von dem Lehrstell- wcrk aus das Uebungsgeländc der Rcichsbahn-Zentral-Schulc. Maschinen und Einzelteilen Schnitte vorhanden, an denen der „innere Organismus" des komplizierten Körpers ein gehend studiert werden kann. lind daß studiert wird, da für sorgen der Fleiß und die Lernbegier der Schüler, un terstützt von dem erstklassigen Lchrpersonal. Aehuliche Lehreinrichtungen bestehen auch für die an deren Schülerkategorien. Selbst Film und Rundfunk werden zur Ausbildung der zukünftigen Eisenbahner her angezogen. Jede Woche wird ein Eisenbahnfilm vom Reichsbahnzentralann entliehen und in der Schule vor geführt. Auch verfügt die Zentralschule über neuzeitliche Geräte und Arbeitsplätze für die praktische Ausbildung von Fahrkartenausgebern (wozu eine eigene Fahrkarten druckerei aufgestellt ist) sowie Triebwagenführern. Auch Oben: Die Schüler verfolgen interessiert das Senden und Auf- nehmcn von Morse- zcichcn in der Block stelle. Unten: Die Bahn- Höfe bestehen aus einem Gewirr von Schienen. Wie system- voll sic jedoch sind, zeigen zahlreiche Mo delle. Ausnahmen (5): Pressc- Bild-Zentralc — M. arbeitet, wodurch diese Einblick in sämtliche bei der Güterabfer tigung vorkommenden Dienst geschäfte erhalten. Da gilt es seiner, Tatbestandaufnahmen bei beschädigten Sendungen zu ma chen, Wagenbestellungen anzu- nehmon und Disferenzen mit dem Publikum zur beiderseiti gen Zufriedenheit aus der Welt zu schaffen. Gleich interessant find die Abteilung«« fSr die Lokomotivführer, denen riesige Vermögenswerte ««vertraut werde«. Da steht nicht nur ei«e vollständige Maschine für de« Unterricht zur Verfügung, son dern es sind auch von ganzen die ersorderlichen Vordrucke, Bücher, Waagen, Karteien sind vorhanden. Jederzeit könnte aus diese Weise unter. Benutzung der verschiedenen Lehrmittel und Unterlagen ein regulärer Dienstbetrieb ausgenommen werden. Der Schüler wird in seinem Spezialfach in der Zentralschule so lange ausgebildet, bis ihm seine Dienstobliegenheiten gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen sind und er sich hierdurch au seinem eigentlichen Wirkungsort sofort zurechtfindei. Nicht zuletzt dieser gründlichen Schulung des Bahn personals auf allen Gebieten ist es zu verdanken, daß die Deutsche Reichsbahn an Verkehrssicherheit heute an erster Stells steht. Von durchschnittlich zwei Milliarden Fahr gästen im Jahre werden bei Zugunsällen nicht mehr als nur 30 Reisende getötet und etwa 500 verletzt. In An betracht des von diesen 2 Milliarden Fahrgästen zurück gelegten Reisewegcs von rund 47 Milliarden Kilometer fällt diese Unglücksziffer kaum ins Gewicht.